Reis(e)fieber – eine Asienrundreise
Die Krankheit holt mich immer wieder ein. Ansteckend scheint sie nicht unbedingt zu sein. Es kommt wohl stark auf den jeweiligen Menschen und dessen Immunsystem an. Fieber. Kein normales, nein, Reisefieber. Trägt mich hinfort, besser gesagt uns. Christine und ich, wir machen uns auf den Weg, fernab von allem Bekannten tauchen wir ein, alles steht Kopf, und doch irgendwie nicht. Asien. Drei Länder, drei Städte, drei Kulturen (oder auch viel mehr). Die fliegenden Zeuge bringen uns nach Singapur, Tokio und Bangkok.
Anfang September, noch ist der Sommer zu spüren (nicht so zum Zeitpunkt unserer Rückkehr, da erwartet uns bereits ein herbstlich warmes Licht und kühle laubschwangere Luft), mit der Deutschen Bahn geht es pünktlich und zuvorkommend nach Frankfurt (derjenige, der in diese Worte Ironie legt, liegt falsch); nur die Mitreisenden sind gelinde gesagt schwierig bis schwer. Eine Familie: Großeltern, Mutter und Kind, allesamt sehr schwere Knochen und schwere E-Rollis dabei, ohne vorbestellt zu haben. Wir arrangieren uns, es geht ja gerade erst los. Der Umstieg ist eher eine Umfahrt auf der Rampe, denn nur wenige Minuten auf dem gegenüberliegenden Gleis fahren wir zum Flughafen. Bekannte Gefilde auf dem „Fraport“, mit der Skyline zum Terminal 2 – oder auch nicht, da der Fahrstuhl defekt ist, müssen die Rollstuhlfahrer wieder hinein; eine kostenlose Rundfahrt mit herrlichem Blick auf die Autobahn entgeht uns somit nicht. Als wir trotz dessen pünktlich am Check-In-Schalter von Emirates erscheinen, ist unser Flieger nicht mehr ganz so pünktlich – zwei Stunden Verspätung. So müssen wir Zeit totschlagen, am einfachsten scheint uns das mit dem Tablett von McDonalds und dem faden Veggie-Burger. Mahlzeit. Mit Aussicht aufs Rollfeld. Irgendwann können wir uns zum Gate bewegen, die Sicherheitskontrolle: Rollstuhl und unser ominöses Atemgerät werden auf Sprengstoff getestet, Gürtel ausziehen, Taschen leeren, die normale Prozedur eben. Auf das Duty-Free-Shopping können wir getrost verzichten, die Parfümwolken nebeln uns auch so schon ein. Wider erwarten kann der Rollstuhl mit an Bord und wir müssen nicht darum bangen, ob wir in Dubai zum Umsteigen einen dieser klapprigen Gestelle mit Rädern erhalten. Emirates sorgt sogar für einen Sternenhimmel im Flieger, wunderschön und sehr empfehlenswert diese Fluggesellschaft (auch wenn es lange nicht so unterhaltsam war wie auf unserer ersten Reise nach Hongkong). Durch die zweistündige Verspätung haben wir in Dubai gerade so Zeit einmal aufs Örtchen zu verschwinden, Sicherheitskontrollen sind hier eher lasch, wir werden quasi einfach durchgewunken… Das einzige Manko: Schieben bleibt mir untersagt, als ob ich nach jahrelangem Rollstuhlschieben nicht wüsste, wie das funktioniert.
Nach langer Reise, Flugzeugessen, das durchaus essbar war, sind wir da, unser erstes Ziel: Singapur, Stadtstaat mit etwa 5 Mio. Einwohnern (und mindestens genauso vielen Verbotsschildern). Schon bin ich geübter im Rollstuhl zusammen- und auseinanderbauen; schieben darf ich hier, allerdings nur das Gepäck, Stempel in den Reisepass, noch kurz ein paar Singapur-Dollar abheben und erste Eindrücke auf der Taxi-Fahrt sammeln. Es brausen viele Motorräder an uns vorbei, die Fahrer tragen seltsamerweise alle ihre Jacken falsch herum (mit dem Reißverschluss nach hinten). Linksverkehr. Der Rollstuhl ragt halb aus dem Kofferraum, aber ohne ein bisschen Nervenkitzel wär’s ja auch langweilig. Und aus dem Radio dröhnt beruhigend „Dancing Queen“ von Abba…
Holiday Inn – vier Sterne. Nett, schon irgendwie, riesige Eingangshalle, schwarzer Marmor, hübsch alles. Und erst das Zimmer. Rollstuhltauglicher geht’s fast gar nicht mehr, ein riesiges Badezimmer, Doppelbett scheint irgendwie „normal“ zu sein. Erschlagen von allem stöbern wir im Menü und entscheiden uns dekadent auf dem Zimmer zu essen, noch viel schlimmer: im Bett. „Miss Christine“ bin ich plötzlich, laut des Zimmerservice. Nach Essen, Duschen und kurzem Nickerchen machen wir uns an die Planung der zwei Tage, die wir hier verbringen werden. So viel wie möglich mitnehmen, uns allerdings auch so wenig wie möglich stressen. Ankommen, und endlich, so langsam kommt die Freude auf, Freude auf eine abenteuerliche Reise – zwei Verrückte lost in Translation (zumindest manchmal; das Englische kommt nur langsam zurück, Umgangssprache ist für mich noch immer das Spanische)…
Der erste wirkliche Morgen nach erster wirklicher Nacht beginnt mit einem unglaublichen Frühstück (im Preis mit inbegriffen); ein riesiges Buffet, da weiß man gar nicht wofür man sich entscheiden soll, frisch gepresster Saft, Obst, Bircher Müsli, Dori-Fisch, Miso-Suppe; alles, was das Herz begehrt.
Frisch gestärkt geht es hinaus- und siehe da, mehr als einen Tag benötigt man für den Schnelldurchlauf Singapur auch gar nicht. Der Vormittag ist geprägt von der Glaubensvielfalt und dem friedlichen Nebeneinander unterschiedlichster Kulturen. Die Sacred Heart Church, an der gerade fleißig gebaut wird, der Hong San See Temple, zu dem es die vielen Stufen hinauf sogar Treppenlifte für den Rollstuhl gibt. Und all das zwischen großen Straßen, die man auch ja nur bei Straßenübergängen überqueren sollte, denn sonst droht Strafe. Die Sultan’s Mosque mit riesiger güldener Kuppel, Schuhe müssen ausgezogen werden vor dem Betreten. Eine monströse Gebetshalle gen Mekka gerichtet eröffnet sich mir, Besuchern bleibt es verwehrt sich zwischen Betenden aufzuhalten, die Absperrung durch rotes Samtband hält davon ab, ebenso von der Erfrischung durch einen der vielen Standventilatoren. Das Viertel ist geprägt von kleinen Häuserfronten, winzige Geschäfte überall, die Mittagssonne scheint auf uns herab, wieder zurück auf die großen Straßen. An den Ampeln auf den grünen Mann warten (hiermit sind keine Außerirdischen gemeint, obwohl das mal eine interessante Ampel wäre, sondern das Ampelmännchen mit der tickenden Uhr über ihm). Das älteste und wohl auch teuerste Hotel der Stadt, das Raffles Hotel, ist auch für Besucher geöffnet, man darf allerdings nur über den Seitengang hinein, nicht wie die normalen Gästen über den roten Teppich. Ein wenig die überteuerten Hotelgeschäfte bestaunen. Dann an den in den Himmel ragenden Essstäbchen Pause einlegen. Es ist warm, sommerliche Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit. Die Odyssee beginnt, eigentlich müssen wir nur einer großen Straße folgen und wir sollten direkt auf den Singapore Flyer, das weltgrößte Riesenrad, zulaufen. Doch Baustellen machen uns den Weg schwer, das Überqueren ist wegen meterhohen Gitterzäunen unmöglich und die Unterquerungen leider nur über Treppen und noch mehr Treppen möglich, also nichts für uns. Wir irren hin und her, landen irgendwann nach mehrmaligem Fragen im Suntec, einem der vielen Einkaufszentren, erstmal eine Abkühlung. Starbucks, unser altbewährter Freund ist uns auch auf dieser Reise treu. Und das beste Getränk gibt es leider in Europa nicht zu kaufen: Matcha Tea Latte. Milchgetränk auf Basis von Grüntee-Pulver. Dann weiter, über Straßen (mittlerweile ist uns egal, wo man überqueren darf oder nicht). Hier entlang, dort entlang, als wir zwei freundlich wirkende Herren fragen, helfen die uns weiter und siehe da, nach kurzem Fußmarsch tut es sich vor uns auf. Das größte Riesenrad der Welt, mehr als eine halbe Stunde Fahrt, es bewegt sich so langsam, man könnte meinen es stehe still. Die Aussicht ist atemberaubend. Von oben herab peilen wir die nächsten Ziele an. Die neuerbaute Marina Bay (noch gar nicht im Reiseführer vorhanden), ein riesiges Einkaufszentrum, ansonsten eine schöne Promenade, um einmal um die gesamte Bucht zu wandern. Neuerliche Bewässerungssysteme. Ein Fest von Ben&Jerry’s ist in vollem Gange, Hochhäuser, eines höher als das andere. Der Merlion, das Wahrzeichen Singapurs. Hundere von Touristen tummeln sich hier, auch wir bitten jemanden ein Foto von uns machen zu lassen… So langsam sollten wir etwas zu uns nehmen, weit und breit nichts als Edelschuppen zu erblicken. Eines von diesen hat allerdings eine breitgefächerte Snack-Karte. Wir lassen uns nieder, die Menü-Karten lassen uns einmal kurz husten, der Geldbeutel reicht doch nur für was kleines, dafür gibt’s Kühles Wasser gratis und den Ausblick auf das Wasser ist auch nicht zu verachten. Dämmerung, Essen, Dunkelheit. Nicht ganz, denn alles ist hell erleuchtet. Der Rückweg, wieder in Richtung Einkaufszentrum, diesmal von der anderen Seite aus und schon wieder stehen wir vor demselben Baustellen-Problem. Verzweifelt versuchen wir die Treppenstufen der Unterführung zu meistern, da rettet uns eine kleine süße dickliche Asiatin. Sie erklärt uns nicht nur den Weg, sondern begleitet uns eine geschlagene Viertelstunde, damit wir auch ankommen wo wir hinwollen: der Fountain of Wealth steht noch auf dem Programm (den einzigen Nachtzoo der Welt haben wir gestrichen). Ein Brunnen, der nach innen fließt, eine Lasershow, an deren Ende man Nachrichten für seine(n) Liebste(n) in den Wasserstrahl projizieren lassen kann. Herzallerliebst. Das Bett ruft, ziemlich laut. Der Rückweg ist nach kurzem Blick auf die Karte nicht sonderlich schwierig, einfach der großen Straße folgen. Da stolpern wir an einem der Einkaufszentren am Wegesrand noch auf Live-Musik. System of a Down, na ja, zumindest ein paar junge Asiaten, die’s versuchen.
Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen verheißt nichts Gutes: Regen. Erstmal frühstücken und dann weitersehen, bei weiteren (R)ausblicken: Regen. Das bedeutet wohl oder übel auf unseren Strandtag auf Sentosa zu verzichten. Bei der kurzen Erholpause vom Frühstück überlegen und überlegen wir, Markus Lanz erzählt uns derweil Wissenswertes über Sex im Weltall, nur kann uns der gerade egal sein… Gegen Mittag hört es allmählich auf, wir nehmen die Orchard Road in Angriff; im Grunde ist Singapur sehr Rollstuhl-freundlich, nur ein paar Umwege muss man in Kauf nehmen, wenn es mal wieder eine Straßenunterführung gibt. Plötzlich sind die Straßen voll – Asiaten im Kaufrausch, die scheinbare Lieblingsbeschäftigung: Einkaufen in riesigen Einkaufszentren der ganz großen Marken, vielleicht auch nur, weil dort Tiefkühltemperaturen herrschen. Der Pflichtbesuch im Hardrock-Café, mein Bruder reist nicht gerne, also muss die große Schwester T-Shirts aus aller Herren Länder besorgen. Als wir den Rückweg einschlagen, kommen wir an einem Thai-Festival vorbei. Da könnte man ja, so zur Einstimmung auf Bangkok… Auch wenn Tine erst nicht will, ich kaufe mir ein Stück (eher drei ganze, anders wollten man mir sie nicht verkaufen) Durian-Frucht, der König unter den Früchten, die meisten nennen sie allerdings profan: Stinkfrucht. Denn ja, sie stinkt, sogar so sehr, dass sie in Hotels und in öffentlichen Gebäuden nicht geduldet wird. Auch als ich sie probiere, verziehen Vorübergehende ihr Gesicht. Mir schmeckt’s, Tine wird schlecht (als sie dann doch probiert, mundet es auch ihr). Der Magen ist geweitet und wir trauen uns an eine weitere Spezialität heran: Eis in Brot. Das Eis wird vom Block gesäbelt und einem in einer Toastbrot-Scheibe gereicht. Das ist grün, quietschgrün. Schmeckt.
Um der Stadt zu entflüchten, suchen wir den Fort Canning Park, bergauf, irgendwie erinnert das an das Park-Abenteuer in Hongkong. Es geht steil bergauf, und plötzlich ist nichts zu hören, nur das Schwirren der Mücken und das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln. Kein Laut der Großstadt. Da der Park nicht gerade barrierefrei ist, ich von Mücken zerstochen werde und noch ein Programmpunkt offen ist, geht’s wieder bergab. Von der Selgie Road aus in Richtung Little India. Es ist Sonntag. Und irgendwie sind nur Männerauf der Straße. Allesamt indischer Abstammung, tragen lange Hosen und ein Hemd. Keiner unterscheidet sich vom anderen, leider auch nicht ihre Blicke. Die sind abschätzig, von oben herab, hinter unserem Rücken wird getuschelt. Unangenehm, aber auch eine Erfahrung wert. Menschenmassen, ich umklammere die Rollstuhlgriffe, innerlich verkrampfe ich ein wenig. Tausende von Menschen und kein Platz, nach einem der vielen Tempel wird es leerer, eine kurze Pause, ich sehe mich um, das erste Mal so richtig, vorher immer darauf bedacht niemandem über die Füße zu fahren, mein Blick hebt sich und es erschlägt mich. Dieses Menschengewirr, die Häuser und Geschäfte bunt, Gewürzschwaden hängen in der Luft. Leben, ziemlich viel Leben. Zurück müssen wir da noch mal durch. Aber da machen wir es wie fast alle anderen (was wahrscheinlich in jedem anderen Viertel Singapurs mit Höchststrafen geahndet wird): auf der Straße laufen. Voller Erschöpfung lassen wir uns in ein kleines indisches Restaurant lotsen. Hervorragendes Essen, etwas scharf, aber ein wunderbarer Mango-Lassi und Naan-Brot verschaffen Linderung. Als uns das Hintergrund-Geplänkel zu den Ohren herauskommt, gehen wir, zurück zum Hotel. Da stolpern wir schon wieder über etwas. Ein Breakdance-Wettbewerb. Und man muss sagen, einige von den Jungs haben es wirklich drauf. Wir müssen unglaublich hungrig aussehen, denn ansonsten könnte ich mir nicht erklären, weshalb wir von einer der Organisatorinnen mit Eis und Sandwiches versorgt werden. Gesättigt, zurück, die letzte halbe Nacht in der saubersten Stadt der Welt.
Kaum geschlafen, da klingelt auch schon der Wecker, mitten in der Nacht auschecken, noch die Postkarten abgeben, dann mit dem Taxi zum Flughafen, die Stadt noch einmal bei Nacht wahrnehmen. So ruhig, nur das Blinken auf der Zielanzeige im Taxi schreckt mich auf: „Please drive carefully“ (Bitte vorsichtig fahren), na, da ist wohl jemand zu schnell unterwegs.
Am Flughafen müssen wir dann gefühlte Tausend Fragen über uns ergehen lassen, ob wir unsere Sachen auch brav alleine gepackt haben, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen, wo wir herkommen usw. Und dann die Überraschung: Wir dürfen alleine über den Flughafen rollern. Diesmal fliegen wir mit Delta, und wenn es etwas gibt, was die US-Amerikaner nicht beherrschen dann ist es Kaffee kochen. Als wir nach dem vollen und turbulenten 7-Stunden-Flug in Tokio landen, erwarten uns Sonne und 34°C. Der Rollstuhl, den wir dieses Mal leider zum normalen Gepäck geben mussten, ist glücklicherweise heile geblieben. Tokyo konnichiwa. Wir stellen uns an die lange Schlange an, um immigrieren zu dürfen. Irgendwann werden wir herausgewunken und ein kleiner süßer alter Japaner nimmt uns unsere Pässe ab, macht Fotos von uns und auch unsere Fingerabdrücke müssen wir elektronisch hinterlassen. Da ich unbedingt erste japanische Toiletten-Erfahrungen sammeln muss, wird beinahe unser Gepäck weggebracht. Es hat schon etwas Seltsames an den Po mit warmem Wasser abgespült zu bekommen, auch noch warm, selbst den Wasserdruck kann man einstellen und falls es einem unangenehm ist, das jemand einem beim Geschäft zuhört, kann man auch Hintergrundrauschen als Musikbeschallung einstellen.
Auf zur Information, Englisch scheint nicht unbedingt die Stärke der Japaner zu sein, aber mit Händen und Füßen und ein paar Bröckchen Japanisch kommen wir schon zurecht. Wir müssen vom Narita-Flughafen, der etwa 50 Kilometer außerhalb von Tokio liegt, zum Hotel kommen. Zum Hyatt Regency Tokyo wohlgemerkt. Fünf Sterne. Ich bin gespannt. Letztendlich bleibt uns nichts anderes übrig als die Friendly Airport Limousine zu nehmen, ein Bus. Nach etwa 2 Stunden Fahrt sind wir da. Noch sind die Straßensysteme undurchschaubar. Verkehr wird auf vier Straßenebenen geregelt, Hochhäuser über Hochhäuser, auch an den Randbezirken streben hunderte von Wohnblocks gen Himmel, auf jedem Balkon ist Wäsche aufgehängt, Tausende von Menschen müssen in diesen Wolkenkratzern untergebracht werden. Platzmangel. In der größten Metropolregion der Welt. An die 40 Millionen Menschen leben hier und auch die müssen ihre Wäsche trocken kriegen.
Alles, was wir jetzt wollen, ist ein Zimmer. Auch wenn alle sehr nett und freundlich sind, es stellt sich heraus, dass dieses Fünf-Sterne-Hotel gar kein barrierefreies Zimmer bietet, so wie vorher angekündigt. Das Housekeeping ist sehr bemüht, Sho ist freundlich und kann ein paar Brocken Deutsch. Dann beginnt die Zimmer-Odyssee. Vom 13. ins 23. Stockwerk, vom 23. wieder ins 13., und dann ins 10. in welchem wir dann erschöpft das Zimmer nehmen, zumindest sind die Türen relativ breit und es gibt zwei Einzelbetten, im Bad sind schon Griffe montiert und auch auf der Badewanne gibt es eine Sitzhilfe. Eher schlecht als recht, nur was will man machen, letztendlich geben wir uns geschlagen, irgendwie kommen wir schon zurecht. Die Aussicht ist auf jeden Fall grandios.
Dann schlafen wir in einen tiefen Dornröschenschlaf. Einzige Voraussetzung für den nächsten Tag: ohne Wecker aufstehen. Reisen ist anstrengend. Zwar machen wir es nicht so wie die Japaner, ist aber trotzdem alles nicht ohne. Unser erster Tag in Tokio.
Wir gehen erst gegen Mittag los, zunächst „unser“ Viertel: Shinjuku. Hier leben wir also, direkt vor uns ein kleiner Park in dem sich Schildkröten sonnen, und der ausgestattet ist mit barrierefreien Toiletten, da sollte sich das Hyatt mal ne Scheibe von abschneiden. Auf der Suche nach einem mittäglichen Frühstück verschlägt es uns ins Starbucks – getreu dem Motto, erstmal alles ruhig angehen zu lassen. Erstmal „Bekanntes“ bevor wir die Unweiten und –bekanntheiten Tokios erkundschaften. Nicht weit von hier, stehen die Metroploitan Government Offices, in denen es eine Touristen-Information gibt, wir erfahren, dass eigentlich alle U-Bahnstationen rollitauglich sind und nehmen uns einen Haufen an Stadtplänen mit. Dann geht’s in den 45.Stock. Großartiges Panorama Tokios. Die Stadt scheint einfach nicht zu enden, und auch die Sonne scheint uns wohlgesinnt zu sein. Man sieht sogar den Fujisan. Außer der Aussicht gibt es auch allerlei Kitsch, vor allem Hello-Kitty-Kram, und Automaten, Maschinen, darauf stehen die Japaner.
Wirkliche Sehenswürdigkeiten gibt es nicht, aber das muss es auch gar nicht, es ist vielmehr das Flair der Stadt. Auch mehrmaliges auf die Karte schauen, hilft oft nicht weiter, wir irren durch die Straßen, lassen die Bilder einströmen. Straßen rauf und runter, Menschen, Sonne, irgendwann kommen wir dann am Park an, den wir sehen wollten, der ist allerdings schon zu. Ein paar Ecken weiter entdecken wir einen Schrein, der in Tücher verhüllt ist, da gerade gebaut wird, was die geschäftigen Tokioter allerdings nicht davon abhält, diesen zu besuchen. Mitten in der Großstadt ein Ort der Ruhe, ein paar Bäume und schon hört man nur noch das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen. An Tempeln und Shintō-Schreinen findet man ein Becken mit Wasser, eine Schöpfkelle. Hände werden gereinigt, Mund ausgespült, das Wasser darf dabei nicht wieder im Becken landen, dann schreitet man die Stufen zum Schrein empor, verbeugt sich, wirft eine 5-Yen-Münze in ein Becken, läutet die Glocke, klatscht zweimal in die Hände, verharrt einen Augenblick, in dem man still für sich seinen Wunsch formuliert, verbeugt sich und geht wieder. Und dann taucht man wieder in den Alltag ein.
So wie wir, unsere Mägen wollen gefüllt werden nach der ganzen Umherirrerei. Gar nicht so einfach. Es dämmert bereits. Es werden zwar immer alle Gerichte im Schaufenster präsentiert, als Plastik-Nachahmung wohlgemerkt, aber ohne zu wissen, was es genau ist, wird es schwierig. Die Suche nach einer englischsprachigen Karte geben wir auf und entdecken ein kleines Restaurant, in dem wir uns niederlassen. Und siehe da, wir bekommen sogar ein englische Menü-Karte. Heiße Tücher, um die Hände und das Gesicht zu reinigen. Und eine Menge Zeit zum Auswählen. Über eine kleine rote Klingel ruft man den Kellner wieder zu sich, dieser geht vor einem in die Knie, sodass er fast den Tisch auf Augenhöhe hat und nimmt unsere Bestellung entgegen. Miso-Suppe, Reis, gegrillten Tintenfisch, gebratene Nudeln. Da steht Tine plötzlich vor einem kleinen Problem. Messer, Gabel, Schere, Licht – das ist hier für niemanden nichts. Stattdessen: Stäbchen. Für sie gibt es aber doch noch eine Gabel. Auch anders: Das Essen wird in die Mitte des Tisches gestellt, sodass sich jeder nach Belieben auf sein kleines Tellerchen auftun kann. Gefällt mir. Einen Nachtisch gönnen wir uns auch noch. Eis von schwarzem Sesam auf Reisbällchen und Sahne. Mein neues Lieblins-Dessert. Und auch sonst ist das Essen ein Erlebnis. Sobald jemand das Restaurant betritt, werden die Gäste von allen Kellnern mit einem lauten „Konnichiwa“ begrüßt, bei jedem Klingeln, jeder Bestellung hört man Stimmen einstimmig freudig sich Dinge auf Japanisch zurufen, es hat Charme, die Tische der Gäste sind jeweils mit einem schwarzen Vorhang getrennt…
Als wir wieder hinaustreten auf die Straße (mit lautstarkem „ongegai shimas“ begleitet), hat sich das Straßenbild komplett verändert. Alles leuchtet, Neonlichter, Straßenlaternen, das Schaufenster gegenüber lässt mich ins Schwärmen geraten: alte Leicas. Im Strom der Menschen, denn jetzt sind die Straßen eindeutig voller, schwimmen wir im Lichtermeer zurück in Richtung Hotel. So langsam versteht mein Hirn auch die Dimensionen, kann Karten-Informationen besser verarbeiten und schon haben uns die glitzernden Aufzüge und die monströsen Kronleuchter der Eingangshalle wieder.
Der nächste Tag wird unser imaginärer Strandtag. Es regnet, in Strömen. Strandtag, so nennen wir diesen Mittwoch, das Rauschen der Klimaanlage und das Trommeln des Regens gegen die Scheibe regen dabei unsere Fantasie an. Wir warten und warten, hoffen auf besseres Wetter, welches uns heute leider nicht beschert wird. Eine kleine Zwangspause. Da hilft wohl nur der Selbst-Bringdienst, ich gehe alleine vor die Tür, die Luft ist feucht, es ist warm und irgendwie ist es angenehm den Regen auf der Haut zu spüren. Gut, dass es bei unserem besten Freund auch alles zum Mitnehmen gibt, so betrete ich die Eingangshalle mit brauner Papiertüte (es befinden sich nur Heißgetränke und Frühstück darin). Die Hoffnung geben wir nicht auf, sie aber uns. Es regnet und regnet. Ab und an mal scheint es, als ob, doch nein, der Regen perlt weiterhin am mannshohen Fenster ab. Die Wolkenkratzer unserer Umgebung verschwinden in den Wolken, die ziemlich tief hängen. Muss seltsam sein, in einem dieser Büros zu sitzen und beim Blick aus dem Fenster nichts als feinstes Grau zu sehen. Unter uns überqueren hunderte von Regenschirmen die Brücke. Schöne Schirme, mit Spitze versehen. Jeder Tokioter hat scheinbar einen Regen- oder auch Sonnenschirm, vornehme Blässe, und ein kleines Handtuch, mit dem stets und ständig das Gesicht vom Schweiß befreit wird, der einem aufgrund der sommerlichen Hitze hineingeschrieben steht.
Es ist still oben über der Stadt, im zehnten Stock, ein perfekter Lesetag. Pascal Merciers Nachtzug nach Lissabon zieht mich in den Bann. Eine Kopfreise, portugiesische Wörter, der Klang hallt in meinen Ohren nach und ich verliere mich in Erinnerungen.
Gegen Abend traue ich mich noch mal raus, die Luft ist mittlerweile etwas klarer. Ich mache mich auf die Jagd nach Essbarem (der Zimmer-Service, sowie die hoteleigenen Restaurants sind leider unbezahlbar), aber nur ein paar Meter weiter gibt es einen FamilyMart, in dem es eine riesige Auswahl gibt. Sushi für mich, ein Chicken-Terriyaki-Sandwich für Tine. Mit ein paar Brocken Japanisch – oder doch eher mithilfe meiner Hände wird dieses sogar warm gemacht. Im Bett essen hat auch etwas, grüner Tee dazu und der Regentag findet ein genüssliches Ende. Zum Nachtisch gibt es noch einen typischen Keks, gefüllt mit süßer Bohnenpaste. Die Begeisterung hält sich in Grenzen.
Roppongi. Eines der vielen Viertel, für das wir uns an diesem wieder sonnigen Tag entscheiden, nicht nur meiner T-Shirt-Mission wegen. Mit der U-Bahn geht es nach einer leckeren Matcha Tea Latte und Gebäck OHNE U-Bahn-Schubser los. Es gibt Aufzüge über Aufzüge, man muss einiges mehr zu Fuß zurücklegen, aber es ist alles mit dem Rollstuhl erreichbar. Und die U-Bahn ist recht leer. Es bilden sich Schlangen, obwohl kaum jemand einsteigen wird. Niemand stellt sich neben einen, drängelt sich vor, nein, es wird Abstand gehalten, zuerst lässt man die Menschen aussteigen, dann wird eingestiegen. Es ist wie im Traum. Auch in der U-Bahn hält man einen gewissen Abstand ein, es ist mucksmäuschenstill, kein Handygeklingel, keine lautstarken Telefonate, niemand gibt seine Musik zum Besten und es findet auch kein Bettler oder Ramsch-Verkäufer den Weg in die unterirdischen Straßen Tokios. Die Menschen sitzen oder stehen, starren auf ihre Handy- oder Laptopbildschirme. Aber nicht nur, viele, vor allem junge Tokioter haben immer ein Buch parat. Angenehmer kann man gar nicht U-Bahn fahren.
Als wir wieder das Tageslicht erblicken, hat sich das Straßenbild verändert. Großes Gewirr, keine Baustellen, die uns die Orientierung erschweren, das bedeutet wir irren diesmal auch nicht ziellos umher, außerdem kann ich die Karteninformationen eindeutig besser verarbeiten und wir kommen dort an, wo wir hinwollen. Im Tokyo Midtown (eines der vielen Einkaufszentren) werden wir im Hinokicho-Garten von den Vorzeichen des Oktoberfestes heimgesucht, nein kein japanisches Fest, als Anlehnung an die Wiesn gibt es hier Brezn und ne Maß Paulaner. Da überrascht es einen kaum, dass fast überall Deutschsein mit Lederhosen, Dirndl und einer Menge Bier in Verbindung gebracht wird. Ich geb’s auf dieses Bild ändern zu wollen (und trotzdem mag ich weder Schweinshaxen noch Weißwürschtl). Ein kleiner grüner japanischer Garten, mit Teich und viel, viel Grün lädt zum Pausieren ein, dann wieder auf die große Straße, den Pflichtbesuch im Hardrock-Cafe absolvieren und uns treiben lassen. Dieses Viertel ist nicht ganz so schick, es versprüht ein bisschen mehr Leben. In der Axis-Gallerie werden wir von einer kleinen Japanerin herumgeführt. Es präsentieren sich neue Konzepte für Spielzeug (auch wenn sich ihr „play“ eher nach „pray“ anhört, also beten statt spielen begreifen wir irgendwann den Sinn und Zweck des ganzen). Sie war auch für zwei Monate in Deutschland (hier mag man die Deutschen sehr gerne, liegt wohl an den kulturellen Ähnlichkeiten), und hat zwei hilfreiche „Sätze“ erlernt, die da wären: „Ich will ein Bier, bitte.“ und „Schnitzel.“ Nun gut, letzteres ist grammatikalisch gesehen kein Satz, aber da sehen wir mal drüber hinweg. Sie zeigt uns allerlei interessante Dinge. Mit automatischen Säbeln aus Plastik und dem richtigen Schwung kann man einen imitierten Bambusstab entzweiteilen, zur Förderung der Motorik und des Weltverständnisses. Auch eine neuartige Fernbedienung für Licht gibt es, die auf Bewegung basiert, ein Farbensammler und viele andere verrückte Ideen, die wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft Alltagsgegenstände sind.
Dann statten wir dem Tokyo Tower einen Besuch ab, ganze acht Meter hoher als der Eiffelturm, aber nicht halb so schön, in seinem orange-weißen Anstrich hebt er sich zwar von seiner Umgebung und dem strahlend blauen Himmel ab, aber ob das immer von Vorteil ist, wage ich zu bestreiten. Der Shibaen-Park und der Zojo-Schrein bieten Schatten, Vogelgezwitscher, in Richtung Azabu Juban entdecken wir viele kleine niedliche Gässchen, ein weiterer Park, viele Ausländer hier, sehr schick gekleidet, vor allem Frauen mit kleinen Kindern, plötzlich meint man sich in Europa zu befinden, so viele unterschiedliche Sprachen auf einem Fleck, aber kein Wunder, an jeder Straßenecke befindet sich hier eine Botschaft. Der Arisugawanomiya-Gedenkpark ist wunderschön, alles grün, sehr verwinkelt, sehr groß, Bächlein… Jedes Viertel hat hier mindestens einen Park, was diese Großstadt in ihrer allgemeinen Gelassenheit noch unterstützt. Kein Fünkchen von Chaos, Stress oder Hektik ist zu spüren. Nichts dergleichen. Von dieser inneren Ruhe beeindruckt, machen wir uns auf den weg zum Aoyama-Friedhof, der auf einem der wenigen Hügel Tokios liegt. Und wieder scheint man in eine ganz andere Welt einzutauchen, die Gräber sind wunderschön, die Nachmittagssonne taucht alles in goldenes Licht. Auf den Gräbern gibt es kaum Blumen, und doch sind sie sehr schön, friedlich. Da bietet das riesengroße moderne Einkaufszentrum Roppongi Hills einen drastischen Kontrast. Hierher bahnen wir uns den Weg, die überteuerten Markenboutiquen, etwas Essen und dann ins Mori-Kunstmuseum. Sensing Nature heißt die Ausstellung, es geht um den Umgang mit der Natur in einer Großstadt wie Tokyo, ein paar schöne Installationen, viele Videos, die auf Großleinwand ohne Kommentare, ohne Hintergrundmusik gezeigt werden. Schlicht und schön. Mittlerweile ist es dunkel und die Eintrittskarte beinhaltet auch den Zugang zum City View, ein Stockwerk, das mit riesigen Fensterfronten versehen ist. Einmal rundherum und man hat ein unglaubliches Panorama dieser schier endlosen Stadt. Nach gefühlten Stunden des Staunens haben wir uns sattgesehen und machen uns auf den Heimweg. Oft gibt es nur einen Zugang mit Aufzügen, das wissen wir allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht und fragen einen Polizisten um Rat, dieser verschwindet darauf kurzerhand und bedeutet uns zu warten. Er scheint sich mächtig ins Zeug zu legen, denn wir warten und warten, die Vorübereilenden sehen uns etwas seltsam an, ein Rolli-Fahrerin mit Begleitung direkt vor einer kleinen Polizeistation. Irgendwann taucht er dann wieder auf, der hilfsbereite Polizist und versucht uns mit ein paar Bröckchen Englisch den Weg zu erklären, als ich mich auf Japanisch dankend verabschiede, strahlt er im ganzen Gesicht.
Der Freitagmorgen beginnt früher als die bisherigen Tage, zwar nicht so früh wie für die Händler auf dem Tsukij-Fischmarkt, dem größten der Welt, aber dennoch kann man es nicht ausschlafen nennen. Zehn U-Bahn-Stationen weiter und schon wieder hat sich das Straßenbild komplett verändert. Fabrikbauten, große leere Straßenkreuzungen. Ein leichter Fischgeruch hängt in der Luft. Wir passieren das Schild, auf dem Besucher darauf hingewiesen werden, vorsichtig zu sein und dann sind wir mittendrin im Gewusel, Holzschubkarren, Styropor-Kisten, Fischköpfe, Gemüse und Obst, Getummel, Geschrei, motorisierte Gefährte auf denen meterhoch Kisten gestapelt werden, und Fisch in allen Farben und Formen, Muscheln, Meeresgetier, riesige Krebse, Garnelen, Tonnen von Meeresbewohnern; der Himmel auf Erden sozusagen. Überall Leben (abgesehen vom vielen toten, aber frischesten Fisch), Handeln, Rufen, da zieht sich der ein oder andere Arbeiter auf eine Zigarette und einen Happen frischen Sushis hinter ein paar Pappkartons zurück. Ansonsten spritzen Fischwasser und –schuppen nur so herum. Mit krakeligem Japanisch wird die Ware angepriesen, mal gar nichts von der sonst so ruhigen Megastadt. Ein ganz anderes Bild. Wir gelangen zu einem kleineren Teil des Marktes, dort, wo es auch ein paar winzige Sushi-Buden gibt. Ein kleiner quirliger Japaner in fliederfarbenem Hawaii-Hemd lädt uns zu sich ein. Um halb elf Uhr morgens eine riesige Sashimi-Platte. Köstlicher Thunfisch, Riesengarnelen, dazu Tee im Überfluss, Reis, Ingwer, Wasabi, Miso-Suppe und wie so oft Stäbchen. Ich brauche nichts mehr um glücklich zu sein. Ein Paradies mitten im Chaos. Und unser Gastgeber ist ganz erpicht darauf uns ein bisschen Japanisch beizubringen und ein Foto mit uns, und von uns. Auch sonst geht er wunderbar auf seine Kunden ein, er liest jedem seiner Gäste von den Augen ab, welches Gericht am besten zu ihm oder ihr passt. Es ist einfach unglaublich. Schweren Herzens nehmen wir Abschied von diesem einmaligen Ort. Aber es ist noch früh und wir wollen noch einiges erleben.
Es ist warm, sehr warm, die Sonne brennt auf uns hinab und der erste Sonnenbrand kündigt sich an. Wir suchen Schutz in einem der kaiserlichen Gärten direkt an der Tokyo Bay, mal ein bisschen Meeresluft schnuppern, der Wind erfrischt, weht durch die vielen grünen Kirschbäume, zur Kirschblüte muss es wie im Märchen sein. Wenn all diese Bäume vor aufplatzenden Knospen nur so ächzen. Ein bisschen Ruhe einatmen. Und dann auf, wieder in die U-Bahn und in ein ganz anderes Viertel; ganz im Norden liegt Ueno. Auf der Ameyoko-Arkade wimmelt es nur so vor kleinen Marktständen, in den Straßen drängen sich Menschen, man findet allerlei Krimskrams, viele sehr billige Klamotten, Lädchen ganz in Rosa, Spiehallen, Pornoläden (die allerdings auf Mangas spezialisiert sind). Auch hier ist es nicht leise. Aus Kegeln zur Straßenabsperrung werden kurzerhand Megafone, eine andere Möglichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen ist hier zweimaliges in die Händeklatschen. Ein bisschen frisches Obst für unterwegs und dann weiter in den Ueno-Park. Es ist Nachmittag und viele Tokioter halten sich hier auf, ein Künstler, der auf wundersame Art und Weise eine Glaskugel schweben lässt, ein anderer, der aus Luftballons Pink Panther bastelt. Dann stehen wir vor dem Zoo, aber irgendwie ist uns nicht danach, auch wenn es hier angeblich die schönsten Panda-Bären gibt. Stattdessen stromern wir noch ein bisschen durch den Park. Als uns plötzlich bewusst wird, dass wir von vielen Obdachlosen umgeben sind. Eine riesige Schlange tut sich vor uns auf und da entdecken wir, dass es sich um eine ähnliche Einrichtung wie die Tafeln in Deutschland handelt, jeder von ihnen erhält eine warme Mahlzeit und ein paar Lebensmittel.
Ein paar Straßen weiter genießen wir die Sonne, die kleinen Gässchen, das Viertel ist nicht wie die meisten geprägt von Hochhäusern, sondern vielmehr von kleinen zweistöckigen Häusern, alles wirkt gemütlicher, ursprünglicher. Ich möchte noch gerne die Universität sehen, wir machen uns auf die Suche und mit etwas Glück und ein wenig Verstand finden wir den großen Campus. Neue Gebäude, in denen noch alte Torbögen ihre Standfestigkeit behaupten. So langsam sind wir erschöpft und machen uns auf den Rückweg. Noch ziemlich satt vom Morgen entschließen wir uns nur eine Kleinigkeit zu essen. Sushi zum Selbstbasteln. Und ein Kirin-Bier, muss man ja auch mal probiert haben.
Shinjuku – diesmal ohne großes Umherirren, das Wetter ist himmlisch, die Sonne strahlt, es ist Samstag, und das bedeutet, dass einiges mehr los ist auf den Straßen. Wir müssen noch Postkarten kaufen und das ein oder andere Musikgeschäft nach japanischem Rock durchkämmen. Als wir schließlich fündig geworden sind, tauchen wir ein in alte Edo-Zeiten, es geht zum Bahnhof von Tokio, der gerade komplett in Grau gehüllt ist, da er umgebaut wird. Es geht entlang an schicken Straßen, das erste Mal, dass es hier ein wenig Kopfsteinpflaster gibt. Von der Enge in die Weite. Plötzlich eröffnet sich ein riesiger Platz vor uns. Wir kommen den kaiserlichen Palästen näher, jedoch nicht zu nah, denn der Kaiser und seine Familie wohnen fernab von allem, gut bewacht hinter dicken Steinmauern. Durch diese Gräben sind auch früher nicht viele unbemerkt gekommen. Auch heute bleibt einem der Eintritt verwehrt. Zweimal im Jahr ist der Palast für die Öffentlichkeit zugänglich, an Neujahr und am Geburtstag des Kaisers. Verzweifelt suchen wir Schatten, immerhin gibt es an jeder Ecke Trinkwasserspender und wir können unsere Wasserflaschen auffüllen. Ein Hauch von Wind kühlt unsere schwitzenden Körper ein wenig ab, an uns vorbei joggen ein paar Tokioter. Der größte kaiserliche Garten steht auch Besuchern offen. So viele Gärten und Parks wie in Tokio, habe ich noch nirgends auf der Welt besucht. Auch hier reihen sich Kirschbaum an Kirschbaum, ein Tokioter zeigt uns anhand von Fotografien (natürlich digital) wie es hier im Frühling aussieht, wenn alle Blumen erblühen. Atemberaubend bunt, dafür leuchtet jetzt das Grün umso satter, trotz der großen Hitze. Der Weg führt uns weiter nach Kanda und Akihabara. In einem kleinen Viertel gibt es ein Buchladen hinter dem anderen. Keine großen Ketten, sondern viele kleine Antiquariate. Allein ein Buch in die Hand zu nehmen, es durchzublättern, diesen etwas alten vollen Buchgeruch einatmen, die Seiten spüren… (Ich nutze zwar weitreichend die neuesten Technologien, aber es geht nichts über ein schönes altes Buch, rein gar nichts.) Beinahe kaufe ich mir ein japanisches Buch, die Versuchung ist groß, doch da ich kein einziges Wort, besser kein einziges Schriftzeichen lesen kann, widerstehe ich. Aus den Buchläden werden Sportgeschäfte. Kein Wunder, weshalb so viele Tokioter Rad fahren, die Preise für ein gutes Rennrad sind derart niedrig, aber die Kosten eins im Flugzeug zu transportieren wahrscheinlich immens, nochmals widerstehe ich. Irgendwann kommen wir dann nach Akihabara, zur riesigen Elektromeile. Die muss man gesehen haben, hier drängen sich Menschen, alle auf der Suche nach Schnäppchen, als Ausländer werden einem auch die Steuern erlassen. Es gibt wirklich alles, von riesigen Flachbildfernsehern über die neusten Mac-Produkte bis hin zu jedem erdenklichen Kleinmist. Zum Beispiel computerbegattende Hunde oder Elmos, die kichernd Situps machen, sobald man sie in den USB-Slot steckt. Nicht das einzige ubglaubliche. Viele junge Mädchen machen hier in kurzen Röckchen, ganz im Manga-Look gekleidet, Werbung für Cafés und andere Einkehrmöglichkeiten. Das Animé-Center zeigt die neusten Mangas, es ist auf jeden Fall ziemlich bunt und laut und hektisch. Da findet man nur kurze Pausen in den Seitenstraßen… Die Eindrücke ersticken mich, mein Kreislauf ist dem Zusammenbruch nahe, Nahrung, aber schnell. Wir enden in einem Selbstbedienungsladen, alles ist komplett auf Japanisch. Gut, dass ich nen kleinen Sprachführer mithabe. Da kann ich wenigstens auf den Satz zeigen, dass ich kein Fleisch essen kann (einfacher als zu sagen, man sei Vegetarier). Es gibt vor allem Nudeln, in einer Brühe, meine zumindest, mit Sesam bestreut. Dicke, lange Nudeln. Tines Portion ist kalt. Seltsame Angelegenheit, kalte Nudeln, die zaubern nicht gerade ein Lächeln ins Gesicht. Wir machen es einfach den Japanern nach und schlürfen was das Zeug hält. Nudeln mit Stäbchen zu essen sieht doch reichlich unbeholfen aus, außerdem darf man hier auch gerne den Teller, besser die Schüssel, zum Mund führen…
Auf der Suche nach einem Zugang zur U-Bahn irren wir noch ein wenig durch die recht einsamen Straßen. Aber es passiert nichts, es ist angenehm sich nicht immer Gedanken um seine Wertsachen machen zu müssen. Zurück im Hotel geht’s ans Kartenschreiben, dass so unglaublich viele Menschen eine Postkarte aus Tokio haben wollen…
Der letzte Tag in Tokio bricht an. Es ist ein Sonntag und anscheinend ganz Tokio auf den Beinen.Die Straßen sind noch voller, die Anzüge und Kostüme in den Schränken verschwunden, sie wurden gegen sommerliche Kleidung ausgetauscht, immer noch sind die Tokioter sehr elegant gekleidet, aber es ist eine angenehme Eleganz, keine pompösen Mode-Allüren. Zu Fuß machen wir uns auf, es ist warm, aber nicht so drückend heiß wie am Vortag. Immer besser und besser werde ich Kartenlesen. Dem größten Schrein Tokios müssen wir noch einen Besuch abstatten, dem Meiji-Schrein in Harajuku. Dieser liegt mitten in einem Park, fast schon ein Wald müsste man sagen, denn die Bäume sind so riesengroß, dass sie die breite Kies-Allee in vollkommenen Schatten tauchen. Die ersten Kimonos werden gesichtet, dazu trägt man typische Holzsandalen. In dem Tempel findet gerade eine japanische Hochzeit statt, die Braut wird an beiden Händen gehalten ins Freie geführt. In einer kleinen Prozession schreiten sie einher und werden von hunderten von Touristen fotografiert. Vorbei an den kaiserlichen Weinfässern kommen wir am anderen Ende des Parks an. Dort gelangt man vom Traditionellen ins Moderne. Auf der Jingu-Brücke hat die so genannte cos-play-Szene ihr Zuhaues, hier treffen sich am Wochenende junge Erwachsene, die sich kleiden wie ihre großen Stars, und zwar Manga-Stars, da können schon ziemlich schräge Sachen bei rauskommen. Auch sonst ist das Viertel, das sich nun vor uns auftut eher moderner, rockiger. Vorbei an Condomania, kleinen Designer-Läden, großen Ketten, für alle ist etwas dabei. Wir steuern geradewegs auf die am stärksten frequentierte Kreuzung Tokios zu: Shibuya-Crossing. Diese Menschenmengen kann man sich nicht vorstellen. In jeder Rotphase sammeln sich hunderte, ach, was red ich, tausende Menschen an, sobald die Ampel auf Grün springt, schießen sie über die Straße, in alle Richtungen, aus allen Richtungen. Ein und dasselbe Schauspiel bietet sich uns immer und immer wieder. Eine Menschentraube hat sich auch um die Statue eines Hundes gebildet. Hachiko. Er soll immer auf sein Herrchen gewartet haben an der Haltestelle auch jahrelang nach dessen Tod, bis er selbst irgendwann gestorben ist, das fanden die Japaner so süß, dass sie ihn vor der Shibuya-Station verewigen mussten.
Hinfort vom Trubel bahnen wir uns den Weg nach Ebisu. Das einzige Viertel, das im Reiseführer nicht sonderlich gut dargestellt wird, also kartentechnisch, da heißt es sich ein bisschen auf den Instinkt verlassen. Wir laufen auch richtig irgendwie. Und nehmen gleich noch eine Portion Tradition mit. An jeder Straßenecke finden sich kleine Gruppen zusammen, in gleicher Kleidung, mit Tuch um die Stirn gebunden, Schrein auf den Schultern, Stoffschuhen. Klanghölzer, Klatschen, rhythmische Rufe begleiten diese Prozessionen, in die Seitengassen, in denen es vor Straßenständen nur so wimmelt. Dann erreichen wir unser letztes Ziel: Wir gehen ins Yebisu-Biermuseum. Wenn man schon mal in Japan, dem Land des Bieres ist, ähm, okay, aber das Bier ist nicht schlecht, denn schließlich wird es nach deutschem Reinheitsgebot gebraut. Sie sind „loyal to German beer“. Im Museum kann man die 0,5-Liter oder sogar 1l-Flaschen bestaunen, auch das typische Essen, das früher dazu gereicht wurde, wird einem als Plastiknachahmung präsentiert: Würstchen und Sauerkraut. Der biertrinkende Deutsche, vielleicht doch nicht ganz unberechtigt. Wir schlendern durch die Straßen, vorbei an Luxus-Restaurants. Wir laufen zur nächsten JR-Station und fahren zurück nach Shinjuku, der Fußmarsch hatte es in sich, das ganze zurück, nein danke. Unseren letzten Abend zelebrieren wir in dem Restaurant des ersten Abends. Sushi und einen trockenen, sehr schmackhaften Sake in einer noch viel schöneren Glaskaraffe, eisgekühlt, dazu ein winziges Gläschen. Morgen heißt es dann Tokyo sayonara.
Noch schnell die Portkarten abschicken, aus dem ersten und letzten Fünf-Sterne-Hotel ausschecken, in dem ich jemals genächtigt habe. Ein wenig im Park verweilen, das Rauschen des kleinen Wasserfalls in Einklang mit den Worten Merciers lassen mich in eine andere Welt eintauchen. Gegen Mittag fahren wir wieder mir der Friendly Airport Limousine zwei Stunden bis zum Flughafen. Am Schalter werden wir herzlich willkommen geheißen, das werde ich vermissen: die asiatische Freundlichkeit. Mit einem „Dankeschön“ und „Auf Wiedersehen“ werden wir von der Dame am Delta-Schalter verabschiedet, dann streifen wir durch die Einkaufspassage des Flughafens, wir haben noch eine Menge Zeit. Die Zeit plätschert so vor sich hin. Ein bisschen Grüntee-Schokolade, aber eine schöne Sake-Karaffe finde ich leider nicht mehr. Irgendwann ist es dann an der Zeit zum Gate zu gehen. Sogar der Rolli kann dieses Mal mit an Bord. Der Flug ist turbulenzenreich, der Pilot gewitzt („The weather in Bangkok, well, as you’d expect it to be: hot and humid. We’ll arrive there in 5 hours 59 minutes, sound less than 6 hours.“) Ich döse immer wieder ein. Als wir landen verabschiedet sich die Stewardess mit den Worten “We apologize, ehm. No! We do not have to apologize, we’re on time.“ Allerdings gibt es keine Gangway, also müssen wir darauf warten, dass ein Wagen uns aus dem Flugzeug hilft. Und ja, es ist reichlich feucht, ich werde eingeladen duschen zu gehen, es gleicht eher einem Wasserfall. Feucht ist eine leichte Untertreibung, würde man nur für eine Sekunde nach draußen treten, wäre man komplett durchnässt. So warten wir mit der Crew darauf, dass es weniger wird. Dadurch kommen wir mal wieder in den Genuss des Business-Class-Essen. Der Co-Pilot führt mir vor wie man das Himbeer-Törtchen mit zwei Bissen verschlingen kann und fordert mich auf es ihm nachzutun. Geschenke bekommen wir auch, Pantoffeln und Kulturtaschen, mit allem Brauchbaren für den Flug, nur nicht für den Regen da draußen. Das Gefährt dockt an, doch es sind noch locker fünf Meter bis ins Trockene, da wird kurzerhand eine Decke geholt, über Tine gehalten und sie wird vom Pilot persönlich hineingeschoben. Mir drückt er dann mit den Worten „A merry Christmas“ die Delta-Decke in die Hand. Am Flughafen müssen wir in die Kamera lächeln, nein, lachen, der Beamte ermuntert uns mit einem „Smile, smile, smile“ dazu. Gepäck und dann ein Taxi suchen. Es ist bereits Mitternacht vergangen, wir hoffen noch irgendwie zum Hotel zu kommen. Die Verständigung ist reichlich schwierig und den Zettel, den wir von der Taxi-Koordinatorin in die Hand gedrückt bekommen, ist auch nicht sonderlich vertrauenserweckend. Beschwerdegründe wie zu früh rausgelassen, zu viel Geld verlangt, etc. drauf. Auch sonst ist unser Fahrer weder hilfsbereit noch gewillt uns Auskunft darüber zu geben, ob er weiß, wo wir hinwollen. Den Rollstuhl muss ich komplett auseinandernehmen, Räder abmontieren, aber mittlerweile bin ich ja geübt. Es ist heiß und mehr als feucht, der Schweiß rinnt nur so hinab. Die Klima-Anlage kühlt das Innere des Wagens auf Eiszeit-Temperaturen hinab. Die Straßen sind geschmückt mit Bildnissen der Königin und des Königs. Lang lebe die Königin. Und lächelnde Thai-Buddhas. Immer lächeln, dann wird alles gut. Und tatsächlich, auch wenn unser Fahrer einmal mitten im strömenden Regen links ranfährt (denn auch hier herrscht Linksverkehr) und auf die Adresse starrt, die ich ihm in die Hand gedrückt habe, als ob ihm dadurch die Erleuchtung käme, fährt er weiter und wir kommen an. Nach Minuten der Angst, denn wirklich schön sehen die Viertel nicht aus, durch die wir fahren. Tine malt sich insgeheim schon die schlimmsten Geschichten aus. Aber wie Roman so schön sagte: Taxi-Fahrer sind deine Freunde. Wir landen mitten im Touristen-Viertel, auf einer der vielen „Ausgeh“-Meilen befindet sich unser Ibis-Hotel. Ein Neubau mit durchaus hellhörigen Zimmern. Und wie nicht anders zu erwarten sind die nicht unbedingt leise. Egal, nur noch schlafen.
Beim Frühstück im Hotel gibt es frische Ananas und Papaya, die nach etwas schmeckt, seit drei Monaten warte ich fieberhaft darauf das orangefarbene Fruchtfleisch auf der Zunge zergehen lassen zu können. Zweifel. Irgendwie hängt uns die nächtliche Fahrt noch in den Knochen. So richtig schön ist Bangkok nicht, insbesondere das nächtliche hinterlässt einen traurigen Eindruck, viele ältere Europäer, Amerikaner und Russen und viele junge Thailänderinnen, die sich um sie scharen. Das Vor-die-Tür-Gehen schieben wir ein wenig vor uns her, doch letztendlich überwiegt die Neugier. Es ist laut, feucht, heiß. Der Schweiß läuft, die Anstrengung ist größer, der Kontrast krasser, eben ein ganz besonderes Flair. Die Gehwege, insofern sie vorhanden sind, haben tiefe Schlaglöcher, sind zudem auch mit Essensständen zugepflastert, mit dem Rollstuhl gibt es so gut wie kein Durchkommen. Die Straßenverkäufer bieten zu Spottpreisen gegrilltes, frittiertes Fleisch, mundgerecht geschnittenes Obst, frische Säfte, eingelegtes Gemüse, Kleidung, Sonnenbrillen und Schmuck preis. Und je näher wir dem Erawan-Schrein kommen (mit enormen Umwegen, da die Straßen sich kaum überqueren lassen) desto öfter kann man Opfergaben, Blumengirlanden, Räucherstäbchen, Elefanten-Pärchen käuflich erwerben. Nach gefühlten Stunden, die ich damit verbracht habe Tine so sanft wie möglich über Schlaglöcher, zerbrochene Betonplatte, und um Betonsäulen, die plötzlich so inmitten des Gehweges stehen, zu schieben, machen wir eine kurze Pause. Sehen den Thailändern dabei zu, wie sie sich mit dem Wasser reinigen und ihre Opfergaben darbieten. Es gibt zwar ein Brückensystem, auf dem ausschließlich Fußgänger laufen dürfen, doch da hinauf zukommen ist fast unmöglich. Über das Centre of Culture & Art (in dem wir ein wenig verweilen) gelangen wir doch hinauf und machen uns ein Bild vom Ausmaß des Chaos dieser Stadt. Zumindest kann man hier frei der Schnauze nach schieben. Allerdings kommen wir nirgendwo runter, wir finden Zutritt zu einem der vielen Einkaufszentren, doch uns ist gar nicht nach Einkaufen zumute. Im Gegensatz zu den meisten Touristen hier. Mir scheint, wenn man nach Bangkok fährt, offenbar nur, um billig Markenware einkaufen zu können und natürlich wegen der vielen jungen Thailänderinnen. Es gibt aber auch hier keinen Aufzug. So langsam stehe ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Zu der Reizüberflutung mischt sich Ratlosigkeit. Ich weiß einfach nicht weiter. Dann entscheide ich mich dazu, Tine über die steile Treppe auf Straßenniveau zu bringen. Ein frischgemixter Guaven-Saft und so langsam kehren meine Energien zurück. Das Hardrock-Café nach einigem Suchen gefunden, wir streifen noch durch die nicht ganz so geschäftigen Seitenstraßen, über einen kleinen Markt. Und doch, diese Stadt versprüht auch einen gewissen Charme. Die Tuk Tuks knattern an uns vorbei (kleine motorisierte Dreiräder, die als Taxi genutzt werden), auf den Lippen der Thailänder immer ein Lächeln, das umso breiter wird, wenn sie uns sehen. Ein Lachen, das aus dem tiefsten Innern kommt. Egal wie viel Armut und Zerfall um sie herum zu erblicken ist, irgendwie scheinen sie im Reinen mit sich zu sein. Ich falle gar nicht auf mit meinem Dauergrinsen, das ich mir bei all dem Stress plötzlich selbst auferlege, und siehe da, meine Laune bessert sich, eigentlich ist schon wieder alles so absurd, dass man über sich selbst lachen muss. Man wird auch immer nach seiner Herkunft gefragt, wenn man daraufhin antwortet aus Deutschland zu kommen, hat jeder von ihnen einen Brocken Deutsch auf Lager, ob ich das gutheißen soll, weiß ich nicht. Da wir schon mal unterwegs sind, machen wir uns auf den Weg zum einzigen Park Bangkoks, dem Lumpini Park. Auf dem Weg dorthin müssen wir einige vierspurige Straßen überqueren, weit und breit keine Ampel zu sehen, also frage ich einen Polizisten, wo es die nächste Möglichkeit geben könnte. Genau hier, aha!? Kurzerhand hebt er die Hand, und siehe da, der gesamte Verkehr kommt zum Erliegen, die Autos und Roller halten einfach an, lassen uns passieren. Und auch als uns später ein Thailänder auf die gleicht Art und Weise mit erhobener Hand die Straße freiräumt, passiert uns nichts. Selbst als ich es später einmal ganz alleine ausprobiere, funktioniert’s. Unglaublich. Aufgrund eines starken Regengusses sehen wir uns gezwungen unter einen ausgedienten Bushaltestelle Unterschlupf zu suchen. Es rauscht nur so hinab. Nach einer dreiviertel Stunde, endlich dann. Und ab ins Grüne. Das tut gut, nach so viel Stadt, ein kleiner See, große Grünflächen, ein recht antikes Freiluft-Fitness-Studio, nur wenige Menschen. Viele ältere Herren, die joggen, bei den Temperaturen tödlich. Wir atmen tief ein und lachen, lachen über die Idee nach Bangkok zu reisen, darüber, dass wir uns im Vornherein keinerlei Gedanken darüber gemacht haben, lachen, einfach lachen. So tanken wir Energie für den Rückweg, denn die Schnellbahn bleibt uns verwehrt, Zugang nur über steile Treppen. Also wieder über Schlaglöcher, auf der Straße entlang, immer lächeln, die Luft ist geschwängert von Gerüchen, der Süße des Regens… Wir beschließen im Hotel zu essen. Ein riesiges Thai-Mal, Som Tum, Pad Thai, Bua-Loi, Thord-Man-Goong und einen riesigen frische gepressten Obstsaft aus Mango, Papaya und Ananas. Im Bett essen, liegen, das tut gut. Außerdem kommt heute Nacht Verstärkung an. Die ist in dieser Stadt auch wirklich von Nöten. Roman kommt für anderthalb Tage aus Hongkong.
Die Stadt am nächsten Morgen erweckt, und auch wir werden morgens von einem „Wake-Up-Call“ überrascht, Roman ist angekommen. Wir frühstücken gemeinsam im Hotel und dann machen wir uns auf den Weg. Nicht zu Fuß diesmal. Wir wollen Tuk Tuk fahren, und als wir eines finden, in dem wir auch irgendwie den Rollstuhl unterbringen können, genießen wir die Fahrt, eine ganz andere Perspektive. Mein liebstes Fortbewegungsmittel der gesamten Reise: Wer braucht schon ein Auto, wenn er ein Tuk Tuk besitzt. Wir befinden uns mittendrin im unübersichtlichen Straßenverkehr, lassen uns die Stadtluft um die Nase wehen, es wird fleißig gehupt. Nach einer halben Stunde Fahrt kommen wir am Bootsanleger an, nach ein wenig verhandeln kriegen wir ein Langschwanzboot für eine eigene Bootstour zur Verfügung gestellt. Erst Tine, dann der Rollstuhl kommt an Bord, unsere Fahrerin lenkt das Bötchen über die Wellen des Mae Nam Chao Phraya. Die Aussicht auf die Stadt vom Fluss aus ist eine andere, und auch das Klima hier ist angenehmer. Die Stadt wirkt sehr zerrissen, von Städteplanern, die ihr Handwerk verstehen, keine Spur, prunkvolle Neubauten neben purem Zerfall, neben Elend uns Armut. Wir steuern den Wat Arun an, einer der ältesten und imposantesten Tempel, der Tempel der Morgenröte. Steile Treppen führen hinauf. Die Aussicht ist allerdings die Mühen wert. Die Außenfassade ist mit vielen Figuren und Blumen aus zerbrochenen Tellern gestaltet. Auch wenn er auf den ersten Blick sehr grau wirkt, bei näherem Hinsehen lässt sich viel Liebe zum Detail erkennen. Es ist heiß, unglaublich heiß, die Sonne brennt auf uns nieder. Wieder zurück auf dem Boot, lassen wir zunächst den Königspalast rechts liegen und fahren durch das alte Bangkok, viele Häuser auf Stelzen, die Stadt ist direkt am Fluss erbaut worden. Wir knattern vorbei, passieren Boote, auf denen sich Horden von Touristen tummeln, denen mit Megafon lautstark erklärt wird, was sie zu ihrer Rechten und Linken entdecken können. Da sind wir froh in Ruhe einfach die Umgebung wahrnehmen zu können. So langsam ist es alles zu viel. Die Bilder passen nicht mehr in den Kopf, stets und ständig Neues, das wird irgendwann zu viel. Ein Souvenir-Verkäufer will uns von seinem Boot aus kitschige Anhänger, Fächer und erfrischende Getränke andrehen, ein Bier für unsere Fahrerin, da lehnen wir dankend ab. Irgendwann drehen wir um, und werden am Königspalast rausgelassen. Einen Markt müssen wir noch passieren. Da entdecke ich Mangostinos, das beste Obst der Welt und Rambutan, sozusagen haarige Litschis, die Königin unter den Früchten. Noch eine frische Kokosnuss zur Abkühlung, Wasser und dann auf zum Palast. Monströs. Vergoldet. So viel Protz und Prunk an einem Ort ist schwierig zu fassen. Wandmalereien, die die Sagen und Geschichten der Stadt erzählen, ein riesiger Tempel, den man nur ohne Schuhe betreten darf. Das erste Mal, dass es wirklich still ist in dieser Stadt. Das Wetter macht uns zu schaffen, es ist unglaublich heiß, wir scheinen auszutrocknen. Ab in ein Taxi, der fährt uns zu einem Restaurant, angeblich ganz in der Nähe unseres Hotels. Da sind wir wohl auf den Taxi-Fahrer hereingefallen. Aber jetzt ist es auch egal. Frühlingsrollen, Tom Yum-Suppe, die höllisch scharf ist, ein Red Snapper in rotem Curry, Reis dazu. Ein herrliches Mahl mit stattlichem Preis, der uns zuvor nicht genannt wurde und wir in dem Irrglauben gelassen wurden, dass der Fisch ziemlich günstig sei. Nach langem Hin und Her erlassen sie uns einen Teil des Preises. Da das Hotel zu Fuß sicherlich noch eine Stunde entfernt ist, nehmen wir uns ein Tuk Tuk, meine Hand dient Tine als Kopfstütze, nur leider verbrennt mein Arm dabei noch ein bisschen mehr. Pause. Dachte ich mir so. Eigentlich wollte ich duschen. Anstatt dessen muss ich mich mit einer Ameisenhorde abplagen. In einer der Mangostinos hatte eine Kolonie ihr zu Hause gefunden, mit lautem Fluchen und Rumgeschreie und vor allem viel Wasser rücke ich ihnen zu Leibe. Sie sind zwar klein und flink, aber diesen Kampf gewinne ich. Erschöpft genieße ich die Dusche, ameisenfrei. Um 19 Uhr sind wir wieder verabredet, mit frischen Klamotten in die gar nicht frische Abendluft. Wir fahren zum Suam Lum Nachtbasar, auf dem es alles Erdenkliche zu kaufen gibt. Hosen, T-Shirts, Lampen, viele Plagiate natürlich (fast ausschließlich), handeln, immer handeln, und hart bleiben. So gehe ich einfach, als ich die Hose nicht für meinen Preis bekomme und siehe da, ich werde an die Hand genommen, zurückgeführt und mit einem breiten Lächeln erstehe ich die Hose für meinen Höchstpreis. Eine kurze Kaffee-Pause und von da aus gleich weiter zum Abendmahl. Ein Papaya-Krebs-Salat, der mir vor Schärfe die Tränen in die Augen treibt. Gut, dass ein frischer Mango-Saft Linderung verschafft. Wir reden und reden, es wird später und später. Und dann wollen wir nach Patpong. Die Touri-Meile schlechthin, ein Puff an dem nächsten, halbnackte Mädels an den Eingängen zu den Bars. Unser Taxi-Fahrer erzählt ganz aufgeregt von seinen Favoriten. Es gibt Striptease-Bars in denen man eine Banana-Show oder auch eine Open-CocaCola-Show geboten bekommt. Die Neugier überwiegt erneut und wir lassen uns diese einmalige Bangkok-Erfahrung nicht nur die Finger rinnen lassen. An diesem Punkt wäre es leider nicht mehr jugendfrei, aber wer gerne Details erfahren möchte, der wendet sich einfach an mich, ich habe so einiges Neues erfahren. Mit einem Wort kann man es ganz gut beschreiben: Genital-Akrobatik. Wen interessiert, was man mit Zigaretten, rohen Eier oder Dartpfeilen so alles anstellen kann, ich berichte euch gerne Dinge aus quasi zweiter Hand.
Als wir wieder in unserem Viertel sind, das Patpong erschreckenderweise in vielem gleicht, wird unser männlicher Begleiter von nicht nur einer Thailänderin umgarnt, auch wenn er vielleicht mit dem Gedanken spielt, für uns war dieser Abend genug.
Eine kurze Nacht, ein sehr langer Tag. Ein letztes Frühstück auf asiatischem Grund, noch einmal fahren wir Tuk Tuk zur Red Cross Snake Farm. Es gibt viele hübsche, aber sehr giftige Schlangen zu sehen, wir werden sogar Zeugen davon, wie einigen von ihnen das Gift abgemolken wird. Das wiederum bekommen Pferde gespritzt, um Anti-Körper zu bilden. Wenn man die vielen unterschiedlichen Arten so in natura sieht, möchte man ungern wieder im Dschungel umherstreifen.
Bevor Roman wieder zum Flughafen muss, essen wir noch gemeinsam zu Mittag, in einem kleinen Restaurant an der Straße. Das Essen ist so scharf, dass wir heulen müssen, vielleicht ist es auch der Abschiedsschmerz… Pandanus-Saft und Kokosnuss-Eis kühlt die Zunge, beruhigt den rebellierenden Magen. Es ist unglaublich lecker, aber auch nicht gerade gut für einen empfindlichen Magen. Ein kurzer Spaziergang durchs Viertel, Abschied von Roman und dann regnet es, so verbringen wir den späten Nachmittag im Hotelzimmer, es isr auch unser letzter Tag. Eine lange Rückreise steht uns bevor. Zwei anstrengende Flüge, Aufenthalt in Dubai. Dort werden wir von einem Ort zum nächsten geschickt, denn wieder einmal gibt es keine Möglichkeit für Tine sich ein wenig hinzulegen. Bis uns jemand ein paar Decken bringt und sie auf dem Boden liegen kann. Die Flüge sind pünktlich, doch als wir in Frankfurt am Flughafen auf die Bahn warten, kommt die ziemlich spät und dann ist sie auch noch völlig überfüllt. Zu unserem reservierten Platz kommen wir wohl nicht, geschweige denn überhaupt in den Zug. Na herrlich, alles, was man nach mehr als 48 Stunden ohne Schlaf braucht, ist das absolute Chaos. Der Lokführer wartet so lange, bis wir irgendwie hineinpassen. Aufgrund der Verspätung werden wir in Frankfurt in einen anderen Zug verfrachtet, das bedeutet unsere Platzreservierung ist dahin. Und doch, irgendwann kommen wir wieder in Göttingen an.
Frische Herbstluft erwartet uns.
Das war Asien. Einmal mehr.