Samstag, 4. Juni 2011

Bajo la lluvia no ves las lágrimas


Springt hinein in die Fluten


Es gibt Tage, ja auch Wochen, die sind nicht so wie man sie gerne hätte. Dinge laufen nicht so wie sie sollten, viel mehr gegen die Wand als geradeaus auf dem richtigen Weg (von dem wir eigentlich auch gar nicht wissen, wohin er uns führen wird). Diese Tage existieren eben und die wenigsten werden dies abstreiten können. Und manchmal werden eben auch Wochen daraus. Die Routine bricht über uns hinein, so richtig sehen wir das Licht am Ende des Tunnels nicht (und im Grunde hoffen wir nur, dass es nicht der uns baldigst überfahrende Zug ist). Aber es sind keine schlechten Tage. Wir wollen weinen, schreien oder uns auch einfach nur ganz alleine im Selbstmitleid ertränken. Oder wir lernen sie zu akzeptieren, gar nicht einmal so sehr gegen sie anzugehen. Warum nicht sein, wer wir sind. Warum nicht annehmen, was geschieht. So wie den Regen. Er hat genauso Berechtigung zu existieren wie die Sonne. Vielmehr ist die Sonne doch immer vorhanden, oftmals hinter einer riesigen, schier unendlichen grauen Wolkendecke, aber sie ist da. Der Regen hingegen, ja, der blickt oft dumm drein. Von vielen verhasst, blickt er wohl häufig aus der Wäsche, ein wenig unbeholfen. Ich mag ihn. Nicht immer, aber eigentlich doch. Ich lausche gerne dem seichten Tropfen gegen die Fensterscheibe, das gleichmäßige Rauschen, das Gepladdere.

So sitze ich diesen Donnerstag in einem Theatersaal und sehe mir zeitgenössische Kunst an, ein wenig Clownerie, Tanz und musikalische Untermalung. Unter die sich langsam aber sicher einige Tropfen mischen. Mit der Zeit verwandeln sich diese in einen Vorhang, ein leichter Schleier, der die Gehörgänge verstopft. Da der Regen nicht enden will, und weder Bus noch Taxi weit und breit zu sichten ist, stapfen eine Handvoll Freunde und ich durch das nächtliche Bogotá. Alles verändert sich im Angesicht des Regens. Unsere Sicht der Dinge. Das Straßenlampenlicht verdichtet sich, wirkt wie einsame Fackeln entlang der Straßen, die zu Flüssen werden. Während drei Personen sich unter den einzigen Regenschirm drängen und zwei weitere sich an den Hauswänden entlangdrücken, breite ich meine Arme aus und genieße die Nässe – wahrscheinlich würde ich es nicht tun, wenn ich jetzt zur Arbeit müsste oder sonst irgendeinem Ort, der nicht meine Wohnung wäre. Aber just in diesem Moment, auch wenn es erheblich kälter als in Deutschland ist, freue ich mich wie ein kleines Kind über den Regen, der in meinem Kopf fast einem wunderbar seichten Sommerregen gleicht. Ich werde für verrückt erklärt. (Nichts Neues, wirklich nicht.) Ich springe in großen Hopsassa-Schritten über die Gehwege, schlittere hinab, wirbele umher und stecke einen der beiden Hauswandgängern an. Er tut es mir gleich, denn im Endeffekt werden wir alle triefend nass nach Hause kommen. Also hopsen wir zu zweit durch die Straßen, verlieren den traurigen Haufen ein wenig aus den Augen. Scheibenwischer für die Brille von Jonathan wären eine gute Erfindung, obwohl er sie auch einfach einstecken könnte, da sie eh nur Accessoire sind, reines Fensterglas. Carlos bräuchte eine vernünftige Jacke, damit ihm nicht andauernd Rinnsale den Rücken hinunterlaufen. Da rauscht ein Auto vorbei, im wahrsten Sinne des Wortes und durchnässt alle. Plötzlich springen sie wie aufgeregte Hühner durch die Gegend, schimpfen um die Wette und brechen dann in Lachen aus. Von da an, springe ich in Pfützen, um uns an den Autofahrern zu rächen und um einigen der Regenhasser ein kleines, fast unsichtbares Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Ich mag den Regen, da sieht man noch nicht einmal die Glückstränen, die in diesem besonderen Moment über meine Wangen kullern. Vielleicht auch nicht nur Glückstränen. Wer weiß das schon so genau. Durchnässt bis auf die Knochen komme ich zu Hause an. Schnell hinein in trockene Klamotten und eine heiße Schokolade auf dem Gasherd zubereiten. Puffff… Da ist es plötzlich dunkel. Strom weg. Wegen des Regens. Herrlich. Die beiden letzten Kerzen werden hervorgeholt und schon wieder schimmert alles in einem anderen Licht. Ich mag diese Momente. Und auch die irgendwie niedlichen Fragen meiner internetabhängigen Mitbewohnerin, ob das Internet jetzt noch funktioniere. Das ganze Viertel ist stockdunkel, nur ab und an erhellen ein paar Scheinwerfer die Straßen. Es schüttet, ich liege in der Hängematte, verliere mich im gleichmäßigen Grau des Himmels und wärme meine etwas durchfrorenen Hände an der heißen Schokolade. Schritt für Schritt gewöhnen sich unsere Augen an die scheinbare Dunkelheit. Langsam erhält alles wieder Kontur, ein wenig unscharf, aber das ist das Schöne. Wir reden und reden. Und der Regen plätschert weiter vor sich hin. Die überirdischen Stromkabelmonster scheinen unter der Last des Wassers klein beizugeben. Denn es dauert und dauert. Etwa zwei Stunden lang sitzen wir bei Kerzenlicht beisammen und diskutieren darüber, ob wir im Leben alleine oder einsam sind. Der Regen ist immer ein treuer Begleiter, wir sollten ihn besser zu schätzen wissen. Selbst wenn dadurch alles ein wenig farbloser erscheint, ein wenig fader. Der Regen wäscht so vieles fort. Richtet auch viel Schaden an, das lässt sich nicht verleugnen. Aber ich mag meinen treuen Begleiter, der mich auf Schritt und Tritt verfolgt. Plötzlich geht das Licht wieder an, nur um es schleunigst ausschalten zu können, um ins Bett zu huschen…