Sonntag, 25. Oktober 2009

Y ya se acabaron dos semanas

Eine Woche voller Nichtereignisse und doch ist nicht Nichts passiert

Es ist nicht viel passiert – nicht viel im realen Leben. Der Alltag hat mich eingeholt, einfach so, plötzlich war die Woche vorbei, eben war noch Montagmorgen, sieben Uhr früh in der Uni, Spanischkurs, in dem der Professor mich fragt, wenn er etwas nicht erklären kann (was des Öfteren der Fall ist), die Möglichkeit, sich aus den Kursen auszuschreiben ist endgültig vorüber, und die Voreinschreibungen stehen an, für den Fall noch ein Semester hier zu bleiben. Und ja, meine Pläne ändern sich, so wie das Wetter hier. Plötzlich ist es Oktober, morgens geht man hinaus und wird begrüßt von einer leichten Schwüle, nichts Unangenehmes, aber es wird wärmer und wärmer und aus heiterem Himmel beginnt es zu gewittern, täglich, abends kommt man durchnässt nach Hause, freut sich auf trockene Kleidung und sehnt sich nach einer Sauna oder zumindest einer Badewanne… Die Pläne ergießen sich ebenso in meinem Kopf. Die Reisepläne für Januar und Februar sind erstmal auf Eis gelegt. Ich bleibe. Zumindest bis zum gebuchten Rückflug. Es hat wahrscheinlich etwas mit dem Alltag hier zu tun. Ich fühle mich wohl. Nicht immer, es gibt genug Momente der Erinnerungen, aber nach vorne schauen, das ist, was zählt.
Aus der einen Woche sind zwei geworden. Das einzige, was sich stetig verändert ist die Antwort auf meine Frage, wann das Schwimmbecken im Fitnessstudio endlich geöffnet wird. Aus Mitte Oktober ist mittlerweile Anfang November geworden. Nun gut, dann heißt es eben Ausdauertraining. Und beim Krafttraining bin ich oft das einzige weibliche Wesen im Raum. In den Frauenumkleiden kann man froh sein, wenn man nicht Traube stehen muss, um sich duschen zu können oder eben mal auf die Toilette zu gehen, denn die Mädels hier sind manchmal einfach zu mädchenhaft. Vielleicht ist es auch nur meine Offenheit, vielleicht aber auch ein gewisser culture clash, ich zumindest habe kein Problem damit mich vor anderen Frauen umzuziehen und ich dusche auch nicht im Bikini, wenn die Dusche nicht als Umkleide zweckentfremdet wird. Ich weiß schon, weshalb es hier keine Sauna gibt… Andererseits schmeißt man sich hier auch mit vollem Körpereinsatz in den Schlamm, wenn es um das Frauenfußball-Training geht. Dementsprechend sieht dann auch der Fußboden in der Umkleide aus.
Eine vollgepackte Uniwoche, ein Referat, das sich immer wieder verschiebt, denn aus den vorgegebenen dreißig Minuten Vortragszeit werden bei den meisten Gruppen meist mehr, und nicht nur fünf Minuten mehr. Referate sind hier auch irgendwie anders, es gleicht eher einem Gespräch mit dem Dozenten, es wird fast davon ausgegangen, dass die Studierenden kein Interesse an dem Vortragsthema haben, es scheint auch nicht ungewöhnlich zu sein, den Dozenten bei Unwissen zu fragen. Seltsam.
Ein Besuch im Museo Nacional steht dann auch endlich einmal an, natürlich unter den Gesichtspunkten des Kurses, Kultur, Macht. Museen sind etwas Schönes, wenn sie interessant gestaltet sind, aber ebenfalls lässt sich die soziale Struktur der jeweiligen Gesellschaft herausfiltern, wenn man nur genau hinschaut. Und doch überkommt mich eine Müdigkeit, jedes Gemälde der wichtigen Männer Kolumbiens sieht gleich aus, nur die wenigen Gemälde von Botero hängen ohne Kontext zwischen der geordneten Geschichte. Und von der temporären Ausstellung über Diego und Frieda habe ich mir auch mehr erhofft, ganze zwei Bilder von Frieda Kahlo gibt es zu bestaunen, da gibt es mehr Andenken im Museumsgeschäft an sie. Und von Ruhe ganz zu schweigen, Schulklassen werden geradezu hindurchgejagt durchs Museum, sie kreischen und rennen um die Wette, vorbei an antiken spanischen Möbeln, Versteckspiel zwischen den Vitrinen der präkolumbischen Kulturen. Nur das Museumspersonal ist engagiert, geht auf die Besucher zu und fragt, wie einem die Ausstellung gefällt und erzählt einem, was man wissen will (auch persönliche Dinge).
Während in der letzten Woche nichts Nennenswertes geschehen ist, außer der bereits erwähnten Beobachtungen, so begann der letzte Sonntag (im Portugiesischen beginnt die Woche nämlich am Sonntag, ist doch viel angenehmer, eine Woche mit einem freien Tag zu beginnen und sie ebenfalls mit einem solchen zu beenden) spät am Morgen, Langeweile, nicht wirklich etwas zu tun und ein kurzer Anruf genügte. Der Transmilenio, rappelvoll, natürlich, wie auch sonst, aber das Ziel war nicht mehr so alltäglich, der Norden, mein erstes Zimmer hier in Bogotá besichtigen, überrascht werden von der ersten Weihnachtsdekoration, denn ja, auch hier beginnt es bereits zu blinken, Weihnachtslieder sind noch nicht zu hören (aber vielleicht identifiziere ich die spanischen Versionen auch einfach nicht als Weihnachtslieder), und Lebkuchen und Stollen existieren hier nicht. Und nein, leider auch kein Zwiebelkuchen oder Federweißer, so wie ein gewisser Legostein mir vorgeschwärmt hat, manche Dinge ähneln eben doch Foltermethoden. Gedankliche Folter.
Gedanken folgen auch in dieser Woche, viele Ideen, zu viel im Kopf und nicht wirklich Zeit etwas zu ordnen. Und doch einige Versuche enden erfolgreich. Die Bitte meinen Studentenstatus hier zu verlängern wird mit dem Angebot einfach ein weiteres Semester hier zu absolvieren beantwortet, ich kann mich also in Kurse einschreiben, belegen, was mir gefällt ohne dem Druck ausgesetzt zu sein gute Noten einzuheimsen. Wenn ich denn will, es wird nicht das komplette Semester werden, aber die Gelegenheit werde ich mir wohl kaum entgehen lassen. Tage in der Bibliothek, ich komme, Recherche für die Bachelor-Arbeit, jucheih. Nein, ernsthaft, meine Pläne hier zu bleiben nehmen Form und Gestalt an. Ein bisschen etwas nebenbei verdienen, kann ich mir mittlerweile auch, Deutschunterricht für eine Kolumbianerin, da lernt man seine eigene Sprache und ihre Schwierigkeiten mal wieder von einer ganz anderen Seite kennen.
Während in Deutschland endlich mal Koalitionsverträge abgeschlossen werden, findet man sich hier inmitten einer Demonstration wieder. Da will man seinen wöchentlichen Einkauf erledigen, man tritt auf die Straße, vollbepackt mit all den Plastiktüten (die hier wunderbar als Mülltüten dienen) und wundert sich über den verstopften Eingang, man drängelt sich in die vorderen Reihen und plötzlich muss man sich überlegen, wie man den eigentlich doch kurzen Heimweg antreten wird, denn an das Überqueren der Straße ist einfach nicht zu denken. Studenten, die gegen die Privatisierung der Universidad Nacional protestieren, es regnet nicht nur in Strömen, sondern auch massenhaft Flugblätter, aus dem Nichts tauchen Polizei und Militär in Massen auf, doch die Demonstranten sind friedlich… Ob man hier eine Demonstration auch anmelden muss? Würde mich ja schon interessieren. Also warten, ein paar Parolen aufschnappen und sich ein wenig an die Demonstrationen gegen Studiengebühren in Deutschland erinnert fühlen. Bildung ist eben doch nicht für jeden gleichermaßen zugängig.
Auch diese Woche besteht aus Sport, Aufgaben, Unterricht, kulturellen Erklärungen (ich habe mich immer darüber gewundert, dass man sich hier am Telefon nicht mit dem Namen meldet, sondern nur mit einem fragenden „Alo?“, und bin niemals auf die offensichtliche Antwort gekommen: Sicherheit, es ist eben doch „etwas“ anders hier), seltsamen Busgesprächen, Bewunderungen meines bereits kolumbianisch-akzentuierten Spanisch, Menschenstudien aus einem kleinen Café (Menschen, die sich mit Einkaufstüten gegen den Regen schützen, Bauarbeiter, die den Auto- und Busfahrern ein Stoppschild vor die Windschutzscheibe halten, damit die Fußgänger die Straße überqueren können, fröstelnde Bogotanerinnen, die ihre Handschuhe gegen die „Kälte“ auspacken), tiefsinnigen Gesprächen über das Überwinden der Raum-Zeit-Barriere, über Freundschaft, Liebe und Arbeit, über Sommer in Deutschland, Träume, Wünsche, Baggersee, Tandemfahren, Nordseewind, …
Und um die Woche portugiesisch zu beenden, gibt es ein brasilianisches Mittagessen im Haus unserer Portugiesisch-Dozentin Sôniá. Morgens eine Kleinigkeit in den Magen, dann Unterricht geben und anschließend „zu spät“ kommen, aber eine halbe Stunde ist ganz normal für kolumbianische Verhältnisse. Bei der Ankunft werde ich mit einer sehr herzlichen Umarmung, Küsschen hier und Küsschen da von Sôniá begrüßt,

zum Mixen meines Caipirinhas aufgefordert (der darf bei so einer kulturellen Veranstaltung natürlich nicht fehlen, allerdings für jeden nur einen),

finde ein paar Kursteilnehmer, geselle mich zu ihnen und lasse mich von der Live-Musik und Freunden auf die Tanzfläche ziehen. Ein Grummeln im Magen erinnert daran, dass es ein Mittagessen sein sollte, anscheinend isst man in Brasilien sehr spät zu Mittag oder der Tag beginnt später, so wie die Woche früher beginnt, die Teller und Mägen werden zumindest erst um vier Uhr nachmittags gefüllt.

Dafür ebenso reichlich wie köstlich, und erst der Nachtisch;) welcher gefolgt wird von zwei brasilianischen Samba-Tänzerinnen, gülden gekleidet, die eine in einem knappen Kleidchen, die andere in einem Bikini, wahnsinnig hohe Absätze, Federn auf dem Kopf und eine Körperbeherrschung, die so natürlich wirkt. Vor allem für die männlichen Wesen gibt es einiges zu bestaunen. Die Beweglichkeit der beiden Damen ist unbeschreiblichen, dagegen scheitern sogar die kolumbianischen Tanzversuche kläglich.

Und doch haben wir eine Menge Spaß, bei so vielen Glückshormonen, die den Nachmittag über ausgeschüttet wurden, kein Wunder.
Ein Wunder ist es auch, dass ich irgendwann zu Hause ankomme, denn es sind unglaublich viele Straßen gesperrt, wegen des Nike-Marathons, der weltweit stattgefunden hat, und niemand weiß so recht, wie man wohin kommt, normalerweise ist es etwa eine halbe Stunde, nicht an diesem Abend. Drei Stunden. DREI ganze Stunden, man übt sich in Geduld.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Cotidianidad

Alltägliches

Eine neue Studienwoche, ein letztes Mal kurz vor der Vorlesung aufstehen nach einer Nacht im Wohnzimmer auf dem Boden. Und doch viel zu früh in der uni sein… Wieder Sachen packen, ausmisten und sich auf ein eigenes Zimmer freuen. Abends geht es per Taxi zu meiner neuen Bleibe, denn, ja ich ziehe ein weiteres Mal um, hoffentlich, aber sehr wahrscheinlich, das letzte Mal für dieses Semester. Nicht ganz so nah an der Uni, zehn Minuten Busfahrt oder eine halbe Stunde Fußweg. Die Wohnung ist unbeschreiblich schön, um in das Gebäude zu gelangen, gibt es einen Fingerabdruck-Scanner, die Tür zu der Wohnung ist mit drei Schlössern versehen und es gibt eine Alarmanlage wie beim Auto, wenn mich jemand besuchen möchte, dann muss er oder sie sich vorher anmelden. Die Wohnung ist geräumig, hell,



es gibt warmes Wasser, überall, selbst zum Wäsche waschen, ein eigenes Bad,


sehr klare Linien und eine Kaffeemaschine. Ich fühle mich zwar etwas dekadent, aber doch sehr wohl hier. Und mein neuer Mitbewohner, Bastian, Kolumbianer (genauer gesagt caleño, also aus Cali), ebenfalls Student an der Los Andes. Viel Raum und Zeit und Ruhe für mich, die Kontraste ziehen mich irgendwie an, oder doch ich die Kontraste.
Nach einer Woche Urlaub hat mich der Alltagsstress recht schnell zurück, Aufgaben hier, Ankündigungen dort, ein paar gute Noten zurückbekommen, ein paar bessere und sich freuen, dass die ganze Arbeit gewürdigt wird. Aber Ausruhen ist nicht angesagt, nur am Donnerstag. Da ist nämlich Tag der Studenten, ein riesiges Fest zur Einweihung des neuen Sportzentrums. Ein Riesenspektakel, es spielen Bands auf der auf dem Fußballfeld aufgebauten Bühne, Essensstände, von denen aus einen ganze Schweineköpfe angrinsen und auch der ein oder andere angeheiterte Student. Und im Hintergrund das Sportzentrum. Es gibt wirklich alles, was das Herz begehrt. Squash, Billard, Tischtennis, Brettspiele, ein Fitnessstudio mit allen Raffinessen, das neuste vom Neuen, eine Kletterwand, die bis zum sechsten Stockwerk reicht, ein Schwimmbad (wohlgemerkt im fünften Stock), ein Basketballfeld, Tanzraum, Kampfsporthalle, Cafeteria und Räume für das Wohlergehen, und eine spitzenmäßige Betreuung, man kann sich sämtliche Sportgeräte ausleihen, Trainingspläne mit Hilfe qualifiziertem Personals erstellen. Der ganze Stress der letzten zwei Monate wird sich in Luft auflösen, in angestrengte ausgestoßene Atemluft, auf dem Crosstrainer, dem Laufband oder beim Cycling. Und das alles im Grünen… Da bekommt man durchaus Lust an einer Privatuni zu studieren. Ein geselliger Donnerstagabend, der sich in einen meiner berühmt berüchtigten mehr als halbstündigen Lachanfälle ergießt, jetzt wissen wenigstens einige Kolumbianer, dass man als Deutsche nicht immer ernst sein muss…
Das Wochenende ist verschlafen, die Aufgaben erledigen sich leider nicht von selbst, große Lust auf meine 80-seitige Lektüre habe ich nicht, aber auch das gehört dazu. Viel Schlaf, viel Kaffee und wenig Vorankommen.

„Festival de la chicha“ ist am Sonntag, nach langem Warten treffe ich mich mit ein paar Freunden, Musik, Sombreros vueltíos (typisch kolumbianischer Hut), und natürlich viel chicha – vergorener Maissaft – die in geleerten Plastikflaschen verkauft wird, oft auch aus riesigen Regentonnen geschöpft wird, dazu gibt es Platten voll von Essen, Kartoffeln, Kochbananen, Rindfleisch, Hühnchen, salchicha,…
Und plötzlich donnert es, der Himmel verfinstert sich und es rauscht, nein, das ist kein Regen, das ist eine Sturmflut, die ganzen Stände sind am Hang, das Wasser rauscht herab, und es wird schlimmer, die Menschen flüchten sich kreischend unter die Zeltstände, Väter versuchen ihre Kinder mit Regenschirmen oder Mülltüten vor dem Durchweichen zu schützen, die Menschen drängen sich immer dichter aneinander, alles kreischt und schreit und lacht… Es ist einfach zu irrealistisch, kalt ist es nicht wirklich, nur alles sehr nass, ich stehe knietief in dem Sturzbach, der alles mit sich reißt, ganze Stände, Bierflaschen zerschellen, Tische und Stühle werden davon gespült und es scheint einfach nicht aufhören zu wollen. Irgendwann wird es dann doch weniger, wir suchen uns ein Taxi und machen uns einen gemütlichen Abend zu Hause.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Una buena aventura en Buenaventura

Abenteuerliches



Pläne machen ist ja eigentlich nicht schwer, allerdings, wenn es einem schwer fällt Entscheidungen zu treffen oder wenn eben die Pläne, die man schon vor langer Zeit gefasst hat, durchkreuzt werden, dann können sich durchaus Schwierigkeiten ergeben.
Die Hälfte des Semesters ist um, und hier gibt es die wunderbare Erfindung der semana de receso, eine vorlesungsfreie Woche, die man wunderbar zum Reisen nutzen kann. Der Plan sah so aus: Das Wochenende in Rio Claro, etwa fünf Stunden von Bogotá entfernt, verbringen, mit nem Freund, Klettern, Rafting, Kanu, und nichts als Natur, um danach Medellín zu besuchen, ein paar deutsche Freunde treffen und dann noch eine Woche dranhängen und mit ein paar kolumbianischen Freundinnen nach Bucaramanga in einer Finca ausspannen.
Denkste. Alles leichter als das. Donnerstagabend: Absage für Rio Claro. Sonntag: Absage für Übernachtungsmöglichkeit in Medellín. Montag: Verschieben des Termins für Bucaramanga. Da sitzte dann. Und was machste? Nüscht, außer sich den Kopf zerbrechen, fast jeder meiner Mitstudenten hat ein Flugticket oder einen ausgefeilten Plan.
Also das Wochenende in Bogotá verbracht. Und was für eines. Eine sehr gute Freundin verabschieden und zwar fast das gesamte Wochenende. Viel schlafen, viel reden, gemeinsam kochen und gemeinsam beim Film schauen wegdösen, durch die Straßen ziehen, unglaublich viel Geld beim Arzt lassen für einen fünfminütigen Besuch (nicht ich, sondern sie), die besten Tortillas meines Lebens serviert bekommen (selbst gemacht versteht sich), noch mehr Gespräche, Abschiedstränen, sich ein letztes Mal umdrehen, winken und sich auf ein Wiedersehen in Barcelona freuen.
Und dann sitzte wieder da, Sonntag, Spätnachmittag. Hast dir in den Kopf gesetzt nach Medellín zu fahren, aber alleine? Und eine ganze Woche für eine Städtereise. Medellín ist ja nicht gerade Hong Kong. Hin und her springen die Gedanken. Einfach ganz allein in Bogotá durch die Straßen ziehen? Sich irgendeiner Gruppe anschließen (obwohl sich die meisten natürlich schon am Freitag auf den Weg gemacht haben)? Oder einfach gar nichts machen. Schlafen. Und in einer Woche wieder pünktlich zu den Vorlesungen aufwachen.
Aber ich hab so sehr auf diese freie Woche hingefiebert, die kann ich ja nicht einfach nur zum Faulenzen nutzen. Also entscheide ich mich dazu am Montag mit meinen Mitbewohnern mitzufahren. Auf in Richtung der gefährlichsten Stadt Kolumbiens: Buenaventura (wortwörtlich übersetzt: „schönes Abenteuer“). Das behaupten zumindest die Artikel, die ich bei der Recherche gefunden habe. Allerdings alle von vor zwei Jahren, in so einer großen Zeitspanne kann natürlich viel passiert sein, muss aber nicht. Sämtliche Reiseführer, die wir gewälzt haben, raten eher von einer Reise nach Buenaventura ab. Und so langsam verspüren wir ein etwas unschönes Gefühl in der Magengegend, aber es wird nicht gekniffen, der Plan ist gefasst und wird nicht mehr losgelassen. Und es haben schon andere vor uns überlebt, außerdem werden wir uns mit ein paar anderen Freunden dort treffen.
Eine Woche ohne Internet und auch ohne Handy. Packen, für die Pazifikküste. Schwierig, wenn man nicht wirklich weiß, was einen da so erwartet. Feuchtigkeit, Sonne, Mücken, Meer, Strand. Abenteuer eben. Der Montag vergeht wie im Flug, die Zeit rast, meine Sachen sind gepackt, Angie und Ronan sind da eher gelassener. Der Bus fährt um sieben. Um sechs das vorläufig letzte (Abend)mahl, ein letzter kurzer Spaziergang, Luft schnappen, tief einatmen, vielleicht ist es das letzte Mal für uns, die wunderbare bogotanische Luft… Ein Abschied von einem guten Freund, Taxi heranwinken und bangen den einzigen Bus wirklich zu erwischen. Und dann haben wir’s auch schon: Stau, klar, um die Tageszeit ist das auch kein Wunder. Der Taxifahrer gibt sein bestes und wir sind Punkt sieben am Terminal. Wir verursachen ein bisschen Wirbel und handeln den Preis für die Busfahrt runter, 30,000 COP für zwölf Stunden Busfahrt. Die beginnt allerdings erst um halb acht. Eine Nacht im Reisebus, erst kolumbianische Musikvideos, in denen viele halbnackte Frauen ihr Hinterteil zu heißen Rhythmen schwenken, dann ein äußerst brutaler Film („The Condemned“), die Klimaanlage wird abwechselnd voll aufgedreht und dann wieder komplett abgeschaltet, die Straßen sind eher schlecht als recht und sehr kurvig, gut, dass es dunkel ist, und man weder die Überholmanöver, noch die tiefen Abgründe in ihrer Vollkommenheit wahrnehmen kann. Ein kurzer Zwischenstopp in Ibague, Fahrerwechsel und weiter geht die bunte Fahrt.
Morgens um halb acht werden wir beim Aussteigen von einer Hitze erschlagen, der erste Eindruck: Wir fallen auf, so hellhäutig wie wir sind. Und die Reiserucksäcke sind auch nicht gerade förderlich. Aber erstmal Frühstück und dann weitersehen. Rührei, Brot und Kaffee verscheucht den Schlaf aus unseren Augen, und mit einem Mal liegt Buenaventura in seiner ganzen Pracht vor uns: eine Hafenstadt, recht grau, ärmlich und doch gibt es hier und da schöne Ecken. Und doch wollen wir nicht bleiben. Und machen uns mit dem Van auf nach Córdoba, nein, nicht in Spanien, sondern nur ein kleines Dorf, von dem aus es weitergeht nach San Cipriano, ein noch kleineres Dörfchen, das mitten im Urwald liegt und nur mit einem mototren erreicht werden kann.



Es gibt Schienen, also wohl auch einen Zug, aber nicht sehr häufig, also verhandeln wir und wir erleben eine einzigartige Reise, eine Holzplatte mit draufgenagelter Bank, Rollen für die Schienen und ein Motorrad, das Vorderrad auf der Holzplatte, das Hinterrad dient als Antrieb auf den Schienen. Abenteuerlich.


Die Sonne knallt auf uns herab, der Fahrtwind kühlt uns ein wenig, hinein ins Grün, sowieso ist hier vieles einfach nur grün. Abgesehen vom Himmel, der ist blau, oft auch grau. Ein Fußmarsch von etwa einer Viertel Stunde und dann sind wir da, abgeschieden, im Nirgendwo, und werden auch schon erwartet. Kurze Verschnaufpause, dann geht’s entlang des Weges, hinein in den Urwald, ein Fluss, in dem wir baden, Natur pur, endlich nach so langer Zeit in der Großstadt. Es tut gut den Kopf unter Wasser zu tauchen, die Strömung zu spüren, sich treiben lassen im klaren und doch nicht zu kalten Nass. Ein Handtuch ist überflüssig, bei der Wärme trocknet alles ganz schnell von alleine, bis zu einem gewissen Grad, denn die Luftfeuchtigkeit ist deutlich höher.


Zum Mittagessen gibt es Fisch in einer kleinen Holzhütte, kleine nackte dunkelhäutige Kinder, die sich neugierig um uns scharen, und Hunde, auf jeder unserer Touren haben wir vierbeinige Begleiter, die meisten von ihnen jedoch abgemagert und hässlich. Und dann schüttet es auch schon wie aus Kübeln. An der Temperatur ändert sich jedoch nichts. Gegen Nachmittag ordern wir erneut ein mototren und es geht zurück, diesmal mit sechs Passagieren an Bord, kuschelig, etwas wacklig und doch kommen wir heile an, zurück nach Buenaventura, um dort ein weiteres Transportmittel zu nehmen, ein Boot. Für zwanzig Personen ist Platz und hinauf aufs Meer, Juanchaco ist unser Ziel. Eine kleine Insel im Pazifik. Es ist Ewigkeiten her, dass ich nicht mehr am Meer war. Das Salzwasser auf den Lippen spüren, die klare Luft einatmen, und wie von selbst zaubert sich ein großes Strahlen in mein Gesicht, Wasser, mein Element. Meer, nichts braucht es mehr. Nicht für mich.



Nach einer Stunde haben wir wieder mehr oder weniger festen Boden unter den Füßen, Sand, dunkler Sand, überall, wir werden abgefangen von Jimmy, der uns das Dorf zeigt und uns bei der Suche nach einer Unterkunft hilft. Die Fahrt geht mit dem Traktor und Anhänger ins nächste Dorf. Es springen eben noch schnell ein paar Einheimische auf, samt Kühlschrank versteht sich. Jeeps und Motorräder überholen uns hupend. Die einzigen Verkehrsmittel, die wir in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht genutzt haben, sind wohl ein Flugzeug und ein Zug (aber den gibt es hier in Kolumbien auch nicht wirklich).
Wir verhandeln erneut für unseren Schlafplatz, Hotel Patty, der Inhaber ein uriger Typ, nicht sonderlich sympathisch, aber wir haben eine Bleibe, ich teile mir mit drei Männern einen Schlafraum, das Bad, nun ja, fallen lassen will man nichts, der Rest dafür ist sauber, einigermaßen, und es gibt Hängematten, und ein Blechdach, auf dem Abend für Abend der Regen eine wunderschöne Melodie komponiert. Wir essen zu Abend; Fisch natürlich, trinken Bier und lassen uns vom Regen in den Schlaf wiegen.
Am nächsten Morgen wartet Jimmy auf uns, eine Tour durch den Mangrovenwald steht an. Der Weg dorthin führt uns vorbei an kleinen Hütten, Strom gibt es hier fast überall, denn sonst könnte man sich die vielen Fernseher hier wohl kaum erklären und leider auch viel Müll, durch den Regen sind die Wege aufgeweicht und die Feuchtigkeit lässt uns schwitzen, es ist wunderbar warm, alles ist grün und auch langsam aber sicher lugt die Sonne hinter der Wolkenwand hervor.

Ein Boot erlaubt uns den Zutritt zu einem ungeahnten Paradies, riesengroße blaue Schmetterlinge, Mangroven die ihre Wurzeln in die Tiefen des Flusses bohren, nur die Kerle, die das Boot beinahe zum Kentern bringen trüben meine Freude (aus Angst um meine Kamera versteht sich).

Wir genießen die Abgeschiedenheit, die innere Ruhe, die sich breit macht und erreichen unser Ziel, ein natürliches Schwimmbecken, ein kleiner Wasserfall, ein Süßwasserbecken, in das wir eintauchen. Wohltuende Mineralien dienen zum natürlichen Wellness-Programm (man könnte es auch als Schlamm bezeichnen) und dann unter den Wasserfall, eine ausgezeichnete Massage. Nur sollte man nicht zu tief tauchen, Schildkröten lauern am Grund…
Dieser Nachmittag ist einer, der unvergesslich in mein Gedächtnis eingebrannt ist. Die Bilder, die in meinem Kopf existieren sind umso vieles schöner, als die, die eine Kamera produzieren kann. Es war unbeschreiblich. Wir sind gerade just zur richtigen Zeit in dieser Gegend, denn bis Ende Oktober halten sich hier, in der Bahía Málaga, Buckelwale auf. Jimmy und wir anderen sechs machen uns in einem winzigen Motorboot auf es passen wirklich nicht viel mehr Menschen hinein), hinauf aufs Meer, die Wellen sind verdächtig hoch, die Schwimmweste hilft mir das Spritzwasser von meiner Kamera fern zu halten.

Und dann sichten wir den ersten Wal, weit weg, in der Ferne, und wir nähern uns, und nähern uns. Etwa zwanzig Meter neben uns taucht plötzlich ein riesiger Wal auf, die Fontäne spritzt hoch in die Luft, ein Muttertier mit ihrem Jungen, um so vieles größer als unser Boot. Dieses unbeschreibliche Gefühl, ein so vollkommenes Geschöpf der Natur in seiner natürlichen Umgebung sehen zu dürfen. Diese Momente bleiben. Für immer. Niemand kann einem diese Bilder wieder nehmen und man kann sie auch mit niemandem teilen. Und dann ein dritter Wal, der in einiger Entfernung sich aus dem Meer erhebt und springt. Die Worte, um es zu beschreiben, existieren nicht. Es gibt sie einfach nicht. Gewaltig. Wundervoll. Einmalig. Nein, Worte reichen nicht aus, um das zu beschreiben, was die Natur uns hier vorführt. Man muss es erleben.
An diesem Abend lernen wir zwei Kolumbianerinnen kennen, Katalina und Lina, die beide aus Bogotá kommen und auch beide an der Los Andes studieren, seltsamer Zufall, und einen Irländer, der nach drei Monaten in Kolumbien noch immer kein einziges Wort Spanisch beherrscht (der auch mehr als das Doppelte für die Nacht bezahlt). Gespräche bis tief in die Nacht hinein, der Regen übertönt irgendwann sämtliche Geräusche. Erfüllt falle ich ins Bett, diese Nacht gehört der Ventilator mir.
Strand, ein ganzer Strand nur für uns, es gibt kaum Touristen hier auf der Insel, einen Supermarkt, in dem man die notwendigsten Dinge erwerben kann (auch Zigarren für 200 COP, gute kolumbianische Tabakqualität), ein paar Restaurants und sonst nur Einheimische. Und somit auch einen Strand ganz für uns alleine.



Die Wellen brechen sich, das Meer tobt und doch ist es angenehm warm, die Kraft spüren, sich gegen das Wasser lehnen, mit aller Kraft. Der Sand, der unter den Füßen verschwindet, und trotzdem das Gleichgewicht und die Standfestigkeit behalten bis man sich dazu entschließt einzutauchen, mit den Wellen zu schwimmen. Das Ziehen und Zerren und nur die ewigen Weiten des Meeres vor einem. Die Schaumkronen, die sich bilden, die Wellen, die heranrollen, die man nicht einschätzen kann, reißen sie einen um oder hat man die Kraft ihnen Widerstand zu bieten. Spazieren am Strand, auf und ab, der warme Sand unter den Füßen, die Steinchen, die von den Wellen hinfort gerissen werden, andere, die sich wacker halten, um letztendlich doch sich überschlagend davon getragen werden.

Schlafen in der Hängematte, tagsüber, vor sich hindümpeln, lesen, in sich hineinhorchen, und ein Glücksgefühl entdecken, Zufriedenheit. Abends noch einmal zum Strand, barfuß, den aufgeweichten Boden, die Steine, die Grashalme unter den Fußsohlen spüren, alles in sich aufnehmen, jedes kleine Sandkorn… Und das warme Meereswasser erneut spüren.
Voller Zufriedenheit schlafe ich ein, schlummere tief, eine Ausgeglichenheit, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Selbst der Rum und Salsa können mich nicht wecken. Ich schlafe tief und fest. Bis, ja bis. Plötzlich spüre ich etwas auf meinem Oberkörper, etwas sitzt auf mir, es ist mitten in der Nacht, im Halbschlaf wird mir bewusst, dass ich dies nicht träume, ein unterdrückter Schrei entwischt meinen Lippen, ich richte mich schlagartig auf und sie verschwindet. Eine Ratte. Ich sehe ihre Umrisse, die Tür steht sperrangelweit offen, ich höre sie noch immer, mein Herz rast, die Luft bleibt mir weg, wie versteinert sitze ich auf meinem Bett. Zittere am ganzen Körper. Und warte, warte, bis ich mich beruhigt habe, warte lange, lange Zeit bis ich nichts mehr höre, kein Fiepen, kein Gekruschel, nichts. Und irgendwann übermannt mich die Müdigkeit, ich schlafe, unruhig, aber ich schlafe weiter.



Am nächsten Morgen scheint die Sonne, wir machen uns auf zu einem abgelegenen Dorf, in dem es keine Autos gibt, denn der weg dorthin ist beschwerlich, wir rutschen und schlittern, Abhänge hinab, sacken ein in tiefe Pfützen, aber nach mehr als einer halben Stunde gelangen wir zu einem Strand mit unglaublichen Ausmaßen, das Meer erwartet uns aufs Neue, eine erfrischende Abkühlung nach der ganzen Ackerei. Und überall huschen kleine Krebse in ihre Löcher, der ganze Strand scheint sich in Bewegung zu setzen.

Das Dorf ist hübsch, auch wenn es hier ebenso viel Müll auf den Wegen gibt, das ist das einzige Traurige an diesem sonst so scheinbar unberührten Paradies. Leere Cola-Flaschen- alte Badelatschen, leere Rumflaschen, angeschwemmt vom Meer oder auch Hinterlassenschaften der Bewohner, der Reisenden. Früher als uns lieb ist, müssen wir uns wieder auf den Weg machen, um das letzte Boot in Richtung Festland zu erwischen. Beinahe wollen sie uns nicht mitnehmen, aber bei unseren Verhandlungskünsten kann niemand widerstehen.
In Buenaventura quetschen wir uns zu sechst in ein Taxi und erreichen den Bus-Terminal gerade noch rechtzeitig, um uns mit einem Kleinbus (ohne Klimaanlage) auf den Weg nach Cali zu machen, der Hauptstadt des Salsas. Ein Tag vorher gab es auf der Strecke Buenaventura – Cali Auseinandersetzungen zwischen Guerilla und Paramilitär, man sieht und spürt nichts mehr davon. Da haben wir wohl wieder einmal Glück gehabt. Die Fahrt geht über Höhen und Tiefen, das Wetter verschlechtert sich und plötzlich schüttet es, es gewittert und wir sind mitten drin, es blitzt und donnert gleichzeitig, und doch, die Fahrt geht weiter, gut, dass es dunkel ist, und mit einem Blitz taucht wie aus dem Nichts ein Lichtermeer auf – Cali. Eine der größten Städte Kolumbiens, sehr warm, multikulturell. Ein weiterer Freund ist bereits in einem Hotel, er arbeitet dort, weil er sein Geld verloren hat. Eine Nacht verbringen wir dort. Ohne Ventilator, dafür ist es sauber. Und klein und niedlich. Mit ein, zwei caleños machen wir uns auf zu La fuente, ein Ort, an dem Salsa getanzt wird, allerdings sind dort mehr Ausländer und dem entsprechend ist auch das Niveau. Nichts desto trotz tanzen wir, tanzen in die warme Nacht hinein. Der Abend endet abrupt, denn auch in Cali schließen die Bars und Diskotheken um zwei Uhr morgens.


Der Samstag ist mir zu warm, ich verbringe viel Zeit mit Nichtstun, denn man kann sich einfach nicht viel bewegen, gegen Nachmittag schlendern wir ein wenig durchs Zentrum,

aber sehr viel gibt es nicht zu sehen, ich gewinne eine Frisbee, finde ein schönes Armband und dann ist es auch schon Zeit die Sachen aus dem Hotel zu holen. Auf dem Weg dorthin passiert es dann. Mein erstes Mal. Alle Wertsachen, die ich auf der Reise mit habe in meiner Tasche. Wir sind zu viert, zwei Frauen, zwei Männer, es nähert sich ein Motorrad. Ein Mann nuschelt etwas von „celu, celu“ (Handy), einer von uns fragt nach, während Angie uns vergeblich versucht deutlich zu machen, dass er unsere Handys will. Langsam kommt es in unseren Hirnwindungen an, eine Hand hat er am Lenker, die andere hält er so, als hätte er eine Waffe in seiner Kleidung. Noch immer habe ich es nicht wirklich realisiert. Vom einen zum anderen Moment laufen wir, jeweils zu zweit, in unterschiedliche Richtungen, ich spüre nichts, weder Angst, noch Unsicherheit, nichts, es fühlt sich unwirklich an. Wir laufen bis zur nächsten Ecke ohne uns umzudrehen, laufen (und zu diesem Zeitpunkt wissen wir nicht, ob es eine gute Idee ist) und erreichen eine belebte Straße, hören wie er erneut eine Runde ums Gebäude dreht. Und dann hält ein Taxi neben uns, Angie und Ronan, nichts wie weg hier. Zum Hotel. Und dann zum Terminal, der Bus nach Bogotá. Wir verhandeln und fahren. Auf nach Bogotá. Eine freie Woche nähert sich dem Ende.