Dienstag, 13. Oktober 2009

Cotidianidad

Alltägliches

Eine neue Studienwoche, ein letztes Mal kurz vor der Vorlesung aufstehen nach einer Nacht im Wohnzimmer auf dem Boden. Und doch viel zu früh in der uni sein… Wieder Sachen packen, ausmisten und sich auf ein eigenes Zimmer freuen. Abends geht es per Taxi zu meiner neuen Bleibe, denn, ja ich ziehe ein weiteres Mal um, hoffentlich, aber sehr wahrscheinlich, das letzte Mal für dieses Semester. Nicht ganz so nah an der Uni, zehn Minuten Busfahrt oder eine halbe Stunde Fußweg. Die Wohnung ist unbeschreiblich schön, um in das Gebäude zu gelangen, gibt es einen Fingerabdruck-Scanner, die Tür zu der Wohnung ist mit drei Schlössern versehen und es gibt eine Alarmanlage wie beim Auto, wenn mich jemand besuchen möchte, dann muss er oder sie sich vorher anmelden. Die Wohnung ist geräumig, hell,



es gibt warmes Wasser, überall, selbst zum Wäsche waschen, ein eigenes Bad,


sehr klare Linien und eine Kaffeemaschine. Ich fühle mich zwar etwas dekadent, aber doch sehr wohl hier. Und mein neuer Mitbewohner, Bastian, Kolumbianer (genauer gesagt caleño, also aus Cali), ebenfalls Student an der Los Andes. Viel Raum und Zeit und Ruhe für mich, die Kontraste ziehen mich irgendwie an, oder doch ich die Kontraste.
Nach einer Woche Urlaub hat mich der Alltagsstress recht schnell zurück, Aufgaben hier, Ankündigungen dort, ein paar gute Noten zurückbekommen, ein paar bessere und sich freuen, dass die ganze Arbeit gewürdigt wird. Aber Ausruhen ist nicht angesagt, nur am Donnerstag. Da ist nämlich Tag der Studenten, ein riesiges Fest zur Einweihung des neuen Sportzentrums. Ein Riesenspektakel, es spielen Bands auf der auf dem Fußballfeld aufgebauten Bühne, Essensstände, von denen aus einen ganze Schweineköpfe angrinsen und auch der ein oder andere angeheiterte Student. Und im Hintergrund das Sportzentrum. Es gibt wirklich alles, was das Herz begehrt. Squash, Billard, Tischtennis, Brettspiele, ein Fitnessstudio mit allen Raffinessen, das neuste vom Neuen, eine Kletterwand, die bis zum sechsten Stockwerk reicht, ein Schwimmbad (wohlgemerkt im fünften Stock), ein Basketballfeld, Tanzraum, Kampfsporthalle, Cafeteria und Räume für das Wohlergehen, und eine spitzenmäßige Betreuung, man kann sich sämtliche Sportgeräte ausleihen, Trainingspläne mit Hilfe qualifiziertem Personals erstellen. Der ganze Stress der letzten zwei Monate wird sich in Luft auflösen, in angestrengte ausgestoßene Atemluft, auf dem Crosstrainer, dem Laufband oder beim Cycling. Und das alles im Grünen… Da bekommt man durchaus Lust an einer Privatuni zu studieren. Ein geselliger Donnerstagabend, der sich in einen meiner berühmt berüchtigten mehr als halbstündigen Lachanfälle ergießt, jetzt wissen wenigstens einige Kolumbianer, dass man als Deutsche nicht immer ernst sein muss…
Das Wochenende ist verschlafen, die Aufgaben erledigen sich leider nicht von selbst, große Lust auf meine 80-seitige Lektüre habe ich nicht, aber auch das gehört dazu. Viel Schlaf, viel Kaffee und wenig Vorankommen.

„Festival de la chicha“ ist am Sonntag, nach langem Warten treffe ich mich mit ein paar Freunden, Musik, Sombreros vueltíos (typisch kolumbianischer Hut), und natürlich viel chicha – vergorener Maissaft – die in geleerten Plastikflaschen verkauft wird, oft auch aus riesigen Regentonnen geschöpft wird, dazu gibt es Platten voll von Essen, Kartoffeln, Kochbananen, Rindfleisch, Hühnchen, salchicha,…
Und plötzlich donnert es, der Himmel verfinstert sich und es rauscht, nein, das ist kein Regen, das ist eine Sturmflut, die ganzen Stände sind am Hang, das Wasser rauscht herab, und es wird schlimmer, die Menschen flüchten sich kreischend unter die Zeltstände, Väter versuchen ihre Kinder mit Regenschirmen oder Mülltüten vor dem Durchweichen zu schützen, die Menschen drängen sich immer dichter aneinander, alles kreischt und schreit und lacht… Es ist einfach zu irrealistisch, kalt ist es nicht wirklich, nur alles sehr nass, ich stehe knietief in dem Sturzbach, der alles mit sich reißt, ganze Stände, Bierflaschen zerschellen, Tische und Stühle werden davon gespült und es scheint einfach nicht aufhören zu wollen. Irgendwann wird es dann doch weniger, wir suchen uns ein Taxi und machen uns einen gemütlichen Abend zu Hause.

3 Kommentare:

  1. na wenigstens zeigst du ihnen die "nicht so ernste" version der deutschen. bei mir meinten sie immer das gegenteil :D deutsche sind ja sooo distanziert und kalt..

    ich hab ihnen 900x erklären wollen, dass ich nicht wirklich den "normdeutschen" repräsentiere, aber wie willste das einem land erklären, das keine echten ausländer kennt? ;)

    t.

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  2. hah 22:11 uhr?

    HÄTT ich gerne. in wirklichkeit isses hier 5 uhr morgens..

    t.

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  3. Deinen Gesichtsausdruck hätte ich doch zu gerne bei den ganzen Schweineköpfen gesehen! :-P Aber naja, das hätte ich als Fleischfresserin wohl auch abstoßend gefunden! ;-)

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