Sonntag, 15. November 2009

No dejé eSKAParme esta oportunidad

Eine spektakuläre Woche und schon wieder ein Feiertag in Aussicht



20 Jahre Mauerfall – Ich war noch recht klein als die ersten die Mauer durchbrachen, mit meinen anderthalb Jahren konnte ich da noch nicht an einem solchen Spektakel teilnehmen… Aber 20 Jahre später durfte ich mit Hammer und Meißel bewaffnet die Mauer einreißen. Ja, ich war dabei, beim Fall der Mauer. Und ich bin nun auch im Besitz eines Stücks der Mauer. Und das obwohl ich mich in Kolumbien befinde. Auch hier wurde die Wiedervereinigung gefeiert.

Seit Semesterbeginn gab es auf dem Campus eine Mauer, aus Beton, als Erinnerung an die in Berlin, an der man seine Meinung kundtun konnte, egal ob politisch oder eben nur blöde Sprüche… Und am Montag wurde sie dann eingerissen, vorher gab es eine kurze Rede vom schon uralten Dirktor der Uni, dann eine ewiglange Rede des deutschen Botschafters (in einem sehr deutschen Spanisch, soll heißen, lange verschachtelte Sätze, schreckliche Betonung und mit der Betonung auf Frau Doktor Angelika Merkel) und ein paar interessanten DDR-Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jetzigen Politik-Dozenten der Los Andes, danach noch ein paar kurze Worte der Initiatorin und dann wurden fleißig Schutzbrillen und –helme verteilt, bevor es mit großen sowie kleinen Hämmern ans Werk ging. Die ersten Versuche scheiterten, aber dann begann sie zu bröckeln. Viele waren dafür, sie stehen zu lassen, die Mauer, der einzige Ort der freien Meinungsäußerung und künstlerischen Betätigung aller Studenten. Aber wie schon ein Artikel in der El Tiempo schrieb: „Die Mauer muss weck!“ Es dauerte seine Zeit, aber schlussendlich blieben nur Schutt und Staub übrig. Und ein strahlender Nachmittag.



Denn ja, es scheint nun endlich so weit zu sein. Die Sonne kehrt zurück und das nicht nur für ein paar kurze Stündchen, sondern fast den ganzen Tag über. Sonnenbrand gibt’s also wieder im Angebot. Der Regenausverkauf ist vorbei.

Der andere Höhepunkt dieser Woche waren nicht die restlichen Aufsätze, die darauf warten geschrieben zu werden, sondern mein erstes großes Konzert in Kolumbien. Eine Premiere und das nicht nur für mich. Denn sowohl für Toten Hosen, als auch für Ska-P war es das allererste Konzert in Kolumbien. Da mich niemand begleiten wollte, es sei denn ich hätte für die Eintrittskarte bezahlt, hab ich mich allein auf den Weg gemacht. Ein Freitagnachmittag, strahlender Sonnenschein und das erste Mal, dass ich hier Menschen gesehen habe, die wirklich Schlange stehen und was für eine Länge. Da ich mittlerweile schon ein wenig „kolumbianisiert“ bin, habe ich mich einfach mal nicht am hinteren Ende, sondern eben am vorderen eingereiht. Und Ausschau gehalten nach Deutschen. Aber niemand zu sehen, der auch nur ansatzweise deutsch sein könnte. Und das, obwohl die Hosen auf dem Programm standen. Dafür umso mehr kolumbianische Punks (von denen man nur allzu wenige an der Los Andes sieht) und alternativ gekleidete junge Leute. Und dazwischen viele unterschiedliche Menschen; von umherspringenden Kindern über lautstarke Jugendliche bis hin zu alten klapprigen Gestalten, die alle versuchen ihre Waren an die wartende Meute zu verkaufen: Zigaretten, Bonbons, Bier, aguardiente, Telefonate, Hotdogs (die hier perro caliente heißen, also heißer Hund, nur bei uns in Deutschland sind die Anglizismen so stark verbreitet) und vieles mehr. Die Schlange wird nicht kürzer, die Zeit vertreib ich mir indem ich mich musikalisch einstimme und die Leute um mich herum beobachte. Drei Uhr. Halb vier. Die Sonne strahlt und taucht alles in ein unglaublich schönes Licht. Vier. Viertel nach vier. Halb fünf. Erste Unruhen. Viertel vor fünf. Die Sonne steht jetzt so tief, dass man kaum etwas erkennen kann, da alles im Gegenlicht steht. Zehn vor fünf. Fünf. Und nichts. Dabei sollte um fünf Einlass sein. Zehn nach fünf. Die ersten Buh-Rufe werden laut. Viertel nach fünf. Und noch immer rührt sich nichts. Zwanzig nach fünf. Plötzlich scheint es, als ob die Türen geöffnet würden. Doch nicht dort, wo der Eingang angeschrieben steht. Nein, weiter vorne. Eine Welle von hinten. Es wird gerannt, gestolpert, gequetscht. Menschenmassen, die hineinwollen. Pause, weitere fünf Minuten des Wartens. Und ein weiterer Ansturm. Überall Menschen, die ungeduldig werden. Pfiffe und noch mehr Buh-Rufe. Eine weitere Welle des Andrangs und es scheint sich immer mehr anzustauen. Und dann sind wir an den Absperrungen, durchbrechen sie (es bleibt einem gar keine andere Möglichkeit, hinaus aus der vorantreibenden Traube kommt man nicht mehr), und eine weitere Schlange steht vor uns. Die Sicherheitskräfte lassen immer nur fünf Personen durch die meterhohen Gittertüren. Jacke aus, Halstuch ab, Gürtel weg, Schuhe aus, sich abtasten lassen, alles wird durchsucht. Und dann darf man sich erneut anstellen. Zumindest steh ich jetzt vor dem Palacio de Deportes, dem Sportpalast, der so palastähnlich gar nicht ist, eher das Gegenteil von einem Palast, recht klein. Aber nun gut, ich drängel’ mich noch ein Stück weiter vor, geselle mich zu drei Kolumbianern, die ganz nett aussehen und in der Tat, wir kommen ins Gespräch, ich versuche ihnen die Aussprache der deutschen Band beizubringen und wir warten und warten… Bevor wir erneut abgetastet werden und gefragt werden, ob wir auch wirklich keine Zigaretten dabei hätten. Nein, und wenn doch, dann würd ich es bestimmt nicht zugeben. Pfft. Einmal drin im Palast, da frag ich mich, was man hier für Paläste baut. Von innen ist es noch kleiner als es von außen scheint. Die Bühne ist nicht sonderlich groß, aber wir stehen im vorderen Drittel. Die Halle füllt sich und ja, ein anderes Klientel als ich mittlerweile von der Uni her gewohnt bin.

Die Vorband beginnt, Area 12, die Akustik ist nicht gerade die beste, den Sänger hört man kaum, aber die Musik ist nicht schlecht, nur denkt das leider nur die Minderheit des Publikums. Rufe wie „FUERA! FUERA!“ werden laut oder „QUEREMOS VER SANGRE!“ („Raus mit euch!“ oder „Wir wollen Blut sehen“). Ein wenig Angst krieg ich schon, mal ganz davon abgesehen, dass hier kaum jemand Die Toten Hosen kennt. Nach einer halben Stunde gibt die Vorband auf, es wird wieder hell. Umbau. Anti-Uribe-Chöre, die immer wieder angestimmt werden während des Abends. Die ersten Marihuana-Wolken steigen auf, ich habe allen Ernstes noch kein Konzert erlebt, auf dem so viel gekifft wurde (und ich frage mich, wie das Zeug reingeschmuggelt wurde). Nach der kurzen Umbau-Pause stimmen die Hosen Hey Ho, Let’s Go von den Ramones an und wider Erwarten reißt es die Menge mit. Die ersten fangen an zu pogen. Danach Begrüßung halb auf Spanisch, halb auf Englisch (ein schlechter Flachwitz: „We thought we would know what snow is, but the best snow that exist is from Columbia!“) und dann das neuste Lied: Strom. Kaum jemand versteht was gesungen wird, aber solange man dazu pogen kann…
Bekannte Lieder wie Es kommt die Zeit oder Hier kommt Alex werden gesungen und ich gröle fleißig mit (und übersetze Teile) und die Leute um mich herum schauen mich nur seltsam an, so nach dem Motto, in welch fremden Zungen spricht die denn. Steh auf, wenn du am Boden bist und zwischendurch immer wieder Cover-Versionen: I fought the law von The Clash und La Bamba. Und da soll noch mal einer sagen, dass die Deutschen verschlossen und kalt sind. Und man mag es kaum glauben, Campino, der Sänger, entledigt sich seines Hemdes und seines T-Shirts und wirft sich oberkörperfrei und schwitzend in die Menge – Stage-Diving während er singt, Respekt. Die Meute kocht. Es ist großartig. Schon lange habe eine Menschenmasse nicht mehr so genossen. Die schweißgetränkte Luft, das Mitgrölen alter Lieder, das gemeinsame Springen im Takt, den Körperkontakt mit so vielen fremden Menschen, die sich für das Gleiche begeistern, chévere…
Und dann die Zehn kleinen Jägermeister (bis auf die Stelle, an der einer der Jägermeister nach Köln fährt, ein gelungenes Trinklied):

Zehn kleine Jägermeister rauchten einen Joint,
den einen hat es umgehaun, da waren's nur noch neun.
Neun kleine Jägermeister wollten gerne erben,
damit es was zu erben gab, musste einer sterben.
Acht kleine Jägermeister fuhren gerne schnell,
sieben fuhrn nach Düsseldorf, einer fuhr nach Köln.

Einer für alle, alle für einen,
wenn einer fort ist, wer wird denn gleich weinen?
Einmal trifft's jeden, ärger dich nicht,
so geht's im Leben, du oder ich.

Sieben kleine Jägermeister warn beim Rendezvous,
bei einem kam ganz unverhofft der Ehemann hinzu.
Sechs kleine Jägermeister wollten Steuern sparen,
einer wurde eingelocht, fünf durften nachbezahlen.
Fünf kleine Jägermeister wurden kontrolliert,
ein Polizist nahm's zu genau, da warn sie noch zu viert.

Einer für alle, alle für einen,
wenn einer fort ist, wer wird denn gleich weinen?
Einmal trifft's jeden, ärger dich nicht,
so geht's im Leben, du oder ich.
Einmal muss jeder gehen
und wenn dein Herz zerbricht,
davon wird die Welt nicht untergehn -
Mensch ärger dich nicht!

Vier kleine Jägermeister bei der Bundeswehr,
sie tranken um die Wette, den Besten gibt's nicht mehr.
Drei kleine Jägermeister gingen ins Lokal,
dort gab's zwei Steaks mit Bohnen und eins mit Rinderwahn.
Zwei kleine Jägermeister baten um Asyl,
einer wurde angenommen, der andere war zu viel.

Einer für alle, alle für einen,
wenn einer fort ist, wer wird denn gleich weinen?
Einmal trifft's jeden, ärger dich nicht,
so geht's im Leben, du oder ich.
Einmal muss jeder gehen
und wenn dein Herz zerbricht,
davon wird die Welt nicht untergehn -
Mensch ärger dich nicht!
Ja, davon wird die Welt nicht untergehn -
Mensch ärger dich nicht!


Und dann… Lichter wieder an. Anti-Uribe-Chöre, Plakate wurden gehisst („Colombia si es el Israel de América Latina!”) und Ska-P-Rufe wurden geschrien...
Bis dann endlich die Lichter wieder ausgingen, um Sekunden später die Bühne wieder zu erleuchten. Und da waren sie. Ska-P. Für alle, die sich fragen, was denn genau Ska ist, nun, es ist unbeschreiblich, man muss dabei sein, um es zu erleben. Es macht auf jeden Fall eine Menge Spaß. Und Ska-P ist eine der verrücktesten und auch politischsten Ska-Bands. Plötzlich bricht eine Tanzwut aus. Mehr als zwei Stunden wird „geskankt“, „gepogt“ undd vor allem genossen, mitgesungen, mitgefiebert… Lieder wie Vergüenza, Ni f uni fa, A la mierda, Cannabis, Welcome to Hell heizen der Menge ein und wirklich, wir tropfen nur so vor uns hin. Die Luft tanzt mit, obwohl sie eigentlich stehen müsste. Jeder Körperteil ist in Bewegung, das Hirn schüttet so viele Endorphine wie nur möglich aus. Derjenige, der am Ende dieses Abends nicht durchgeschwitzt, glücklich und völlig fertig ist, hat definitiv etwas falsch gemacht. Die Bühnenshow ist großartig, man sollte vielleicht erwähnen, dass keiner der sechs Kerle wirklich hübsch ist, aber das ist ihnen völlig egal und auch gut so. Der Trompeter, mit einem ordentlichen Bierbauch spielt das gesamte Konzert über in nichts weiter als in einem Schottenrock, einer der Sänger verkleidet sich als Uncle Sam auf Stelzen während des Liedes Tio Sam

Und sie hören nicht auf zu spielen, fast zweieinhalb Stunden und am Ende, nachdem auch Intifada ein zweites Mal gespielt wurde, legen sie alle ein paar ordentliche Soli aufs Parkett und entledigen sich fast ihrer gesamten Kleidung bis sie nur noch in Unterhosen auf der Bühne stehen…
Ein nicht wirklich schöner Anblick, aber ein umso besserer Abschluss für einen so genialen Abend. Dieses Wochenende heißt es wohl eher: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit.

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