Eine Woche voller Filme, Viren und Kälte und natürlich Gedanken über das Alter
Reisen ist was Schönes. Aber es geht immer so schnell vorbei, mehr als eine Woche ist die Rückkehr schon wieder her. Unglaublich wie die Zeit rast. Die nächsten Reisen sind teilweise schon gebucht, geplant oder zumindest in meinem Kopf. Aber es geht im Leben ja nicht nur ums Reisen (in meinem hoffentlich doch)…
Also wieder zurück in Bogotá. Irgendwas muss passiert sein. Das Schlafen fällt mir schwer. Sehr schwer. Mein Körper weigert sich, vielleicht sehnt er sich nach den durchgeschwitzten Nächten, nicht aufgrund körperlicher Anstrengung, sondern wegen wesentlich anderem Klima. Vielleicht ist es auch einfach mal an der Zeit ein bisschen zu kränkeln. Wie passend ein neues Jahr so zu beginnen. Aber ich wär ja nicht ich, wenn ich meinem Körper sonderlich viel Beachtung schenken würde. Nun gut, ein wenig schon. Viel hab ich ja auch nicht zu tun, zumindest lege ich mir gerade alles ein wenig so wie es mir eben passt.
Die letzten anderthalb Wochen habe ich deswegen damit verbracht die Gegend ein wenig zu Fuß zu erkunden, der halbstündige Spaziergang zur Uni ist mittlerweile beinahe alltäglich. Auch zur Uni Nacional laufe ich, ein wenig weiter, aber solange die Sonne ein wenig scheint, oder es zumindest nicht schüttet, ist so ein kleiner Fußmarsch nicht schlecht. Was mir dabei immer wieder auffällt und was mich noch immer verwundert, ist, dass die Kolumbianer unglaublich langsam und platzeinnehmend vor sich her schlendern. Befinde ich mich nicht in einer Großstadt. Seltsam. Und manchmal anstrengend. Kurz vorm Überholen kommt einem doch jemand entgegen, ausweichen, abbremsen, stolpern… Nun gut, ein wenig europäisch bin ich doch noch.
Kolumbien kriegt mich jedoch noch, ich spüre es schon jetzt. Am Freitag zum Beispiel, da brach auf einmal die „Kälte“ hier aus. Genau, Kälte in Anführungszeichen, denn ich sage ja selbst immer jedem hier, der über Kälte stöhnt, dass diese Person nicht weiß, wie sich Kälte, also richtige Kälte anfühlt. Das erste Mal seit sieben Monaten, dass ich gefroren habe. Richtig gefroren; meine Wollsocken rausgekramt, Tee aufgesetzt, zwei Pullover, mich in meine Decken gekuschelt. Es hat nichts gebracht. Und das bei zehn Grad Außentemperatur. Würde ich es nicht selbst erlebt haben, würde ich jetzt lachen oder schmunzeln, wie es so einige Leser wohl gerade just in diesem Moment tun werden.
Realität. Frieren. Bibbern. Zähneklappern. Und es wurde nicht besser. Vielleicht eine heiße Dusche. Guter Plan. Nicht. Denn einmal alle Sachen vom Leib, Wasserhahn aufgedreht, es dauert immer eine kurze Weile, aber dann, dann gibt’s heißes Wasser. Normalerweise. Ich stand schon halb drunter, als mir bewusst wurde, nein, heute nicht. Es wird einfach nicht warm, die Zähne schlagen aufeinander, das Wasser bleibt kalt.
Wie ich die Nacht durchgestanden habe, ich weiß es nicht, wenig Schlaf, viel Kälte. Und der Samstag war nicht besser. Und am Sonntag gab es dann plötzlich wieder warmes Wasser und die Sonne hat mir gleich wieder einen Sonnenbrand verpasst. Das Wetter hier ist schlimmer als unser Aprilwetter, das kann ich mit Sicherheit sagen. Eine halbe Stunde tratschend im Park gesessen und schon ein hübsches rotes Dekolleté.
Frischer O-Saft, Grasflecken am Hintern, ein Film im Museum für Moderne Kunst, in dem es stark nach Urin duftet, also im alternden Kino-Saal, aber dafür sind es gute Filme und der Eintritt ist unschlagbar, ein Spaziergang über den Flohmarkt, weiter über eine der Hauptstraßen, hin zu einer der größten Bibliotheken, ein Kaffee und weitere Gespräche, viele interessante Aspekte. So darf ein Sonntag sein. Ein letzter Sonntag bevor es Altwerden heißt.
Der Montag, ja der Montag, wenn ich diesen Tag bewerten sollte, mit einer Note (des deutschen Notensystems), es war eine sechs, nein, eine fünf minus.
Der Morgen begann nach zwei Stunden Schlaf. Erbrechen, Appetitlosigkeit. Das Alter rückt also näher. So fühlt es sich also an…
So ziemlich nichts gemacht, den Tag über. Gereizt, Geschwächt und dann. Der erste verfrühte Geburtstagsgruß. Und das von meinem besten Freund hier. Da war ich irgendwie enttäuscht. Ein wenig. Aber nun gut, vielleicht überreagiert. Der Rest des Tages, da verlier ich lieber einfach kein Wort drüber.
Nur musste ich mir überlegen, wann ich eigentlich genau älter wurde, wann ändert sich die Zahl, wenn man sich in einer anderen Zeitzone als zu seiner Geburt befindet. Genau genommen, wäre das doch eigentlich der 23. Februar deutscher Zeit gewesen, also erst sechs Stunden nachdem hier dieser Tag eingeläutet wurde. Oder ich konnte auch einfach beides ausnutzen. 30 Stunden Geburtstag. Wie wär’s damit. Ich habe sie auch fast komplett ausgenutzt.
Jetzt ist es also so weit und ich bin wieder ein Jahr älter. Fühlt sich noch immer nicht anders an. Wird es wahrscheinlich auch nicht. Das kommt ja schleichend, das Alter…
Und doch, der erste Geburtstag weit, weit weg, ist anders, ziemlich anders. Weihnachten ging noch, weil ich die Tage bei einer kolumbianischen Familie verbracht habe. Sylvester sowieso. Aber der eigene Geburtstag. Niemand da, der einem morgens ein Ständchen singt, kein Geburtstagskuchen, niemand, der mit mir anstößt. Selbst mein Mitbewohner musste früh raus, Uni. So war ich also den ganzen Vormittag alleine. Nun gut, nicht wirklich. Physisch schon, virtuell nicht, Gelobt sei das Internet.
Es gab schöne Überraschungen, Menschen, die an mich gedacht haben, sogar Post von meinen beiden Großeltern gab es, andere Menschen, von denen ich gedacht hätte, dass sie sich melden… Nun denn, keine Erwartungen haben, das ist wohl das höchste Ziel, so kann man nicht enttäuscht werden.
Und es geht auch. Man kann sich seinen Geburtstag schön gestalten. Morgens eine warme Dusche, wach werden, versuchen, die Augen zu öffnen, der Welt da draußen, der kleinen aber feinen Welt, die einem jeden Tag neue Dinge zeigen will, sich schminken und schönmachen nur für sich selbst. Frühstück… Crêpes, ganz für mich allein, frischer Orangensaft, heiße Schokolade und Sekt, den gönn ich mir heute. Der wird außerdem später zum virtuellen Anstoßen mit meinen Eltern benötigt. Musik. Innere Ruhe. Sich ausbalancieren. Ein neues Jahr. Gut. Damit wird hier und jetzt begonnen.
Fast hätte ich meine Geschenke vergessen und dass, obwohl ich fast drei Wochen leiden musste. Drei Wochen lagen sie verpackt auf meinem Nachttisch. Den Kleber vorsichtig vom Papier lösen, jeden einzelnen Streifen, das Papier auseinander falten, ein kurzer Freudenschrei, selbst wenn ich schon vorher wusste, was sich hinter dem Papier verbarg. Pralinen. Von Cron und Lanz. Die weltbesten. Und ein wunderschönes Halstuch. Wie glücklich und zufrieden man mit Kleinigkeiten sein kann.
Anstoßen, doch noch irgendwie zusammen mit der Familie, selbst von meinem kleinen Bruder gibt es einen kurzen Geburtstagsgruß. Ein Telefonat, ein Ständchen auf Deutsch von einem Kolumbianer, ein wunderschönes Gedicht, das erste, was mir jemals gewidmet wurde, von einer guten Freundin. Und dann ein Telefonat übers Internet, was mich zu Tränen gerührt hat. Zweiundzwanzig Kerzen und ein Lebenslicht, eine wunderschöne Interpretation von „Happy Birthday“ von einem wunderbaren Menschen. Danke an all die Menschen, die an dem mir doch sehr wichtigen Tag an mich gedacht haben. In Deutschland war der Tag schon fast vorbei, hier hatte ich noch Vorlesung, gut, heute bestand sie in einem Museumsbesuch. Gut, dass eine Freundin mit dabei war, wir sind früher gegangen, Kaffee trinken. Übrigens auch seltsam, nicht frierend in der Wohnung sitzen müssen, wie es in Deutschland der Fall gewesen wäre, sondern einen Geburtstagskaffee draußen auf der Terrasse trinken zu können, das hat man als Februarkind nicht sonderlich oft.
Und abends ging es dann noch mal zu Uni, aber, nein, keine Angst, nicht noch eine Vorlesung; sondern nur, um mich mit Enrique zu treffen und um gemeinsam essen zu gehen. Später dann gab es noch eine kleine Überraschung: Zwei kleine Törtchen lagen auf meinem Bett als ich nach Hause kam, mein Mitbewohner hat mich nicht vergessen und ein bisschen Geburtstagskuchen gab es also doch noch.
Danke an alle die, die mir geschrieben haben, die an mich gedacht haben, die irgendwie bei mir waren, die, die trotz der Entfernung teilhaben an meinem Leben. Das war er also mein zweiundzwanzigster Geburtstag. Ruhig und gemütlich. Gefeiert wird ein wenig am Samstag. Morgen wird gekocht…
P.S.: Filmwarnung: Avatar ist so ziemlich der langweiligste Film, den ich je in meinem Leben gesehen habe, und trotz dessen ich mich wirklich angestrengt habe diesem Film etwas Gutes abzugewinnen, ich hab es nicht geschafft.
Filmempfehlung: Etz Lima (Lemon Tree), handelt von dem Konflikt zwischen Israel und Palästina, ohne große Worte, dafür großartige Bilder.
Was in Kolumbien begonnen hat, führt mich weiter. Das Schreiben über Reisen. Santiago de Compostela habe ich zu Fuß erreicht. Nach Santiago de Chile muss ich wohl per Flieger. Und dann weiter in den Süden: Concepción.
Freitag, 26. Februar 2010
Mittwoch, 17. Februar 2010
La costa – por fin
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So jeck sind die Kolumbianer
Eine Nachricht in meinem Postfach, kurzes Nachdenken und dann die fieberhafte Suche nach günstigen Flügen… So fing alles an. Prisca, mit der ich bereits in Leticia war, suchte nach einer Begleitung zum Karneval in Barranquilla, eine der größten Städte Kolumbiens an der Atlantikküste. Und eben auch eine der jecksten.
Nach langem Hin und Her haben wir uns für Flüge zwischen Bogotá und Cartagena entschieden, die halb so teuer waren, wie die nach Barranquilla und damit es sich auch lohnt, sind wir bereits am Donnerstagmorgen los. Wieder im Flieger sitzen, dieses seltsame Gefühl beim Abheben, die Großstadt wird ganz schnell ganz winzig. Fensterplatz. Neben mir sitzen zwei Mädels, eine Kolumbianerin und eine Amerikanerin, die ganz stolz jedes einzelne Visum in ihrem Reisepass erklärt. In einer Lautstärke als sei sie alleine im Flugzeug. Und sie könne ja gar nicht verstehen, dass es so schwierig sei für Russland ein Visum zu bekommen, da waren Thailand und China ja viel zuvorkommender. Gut, dass es nur anderthalb Stunden sind.
Das Flugzeug senkt sich. Häuserdächer, die näher kommen und plötzlich Wasser. Mein Herz stockt. Ich sehe nichts außer Meer. Und dann doch, ganz kurz vor der Landung die Rollbahn. Kann einem ja auch mal gesagt werden, so nah am Herzinfarkt.
Die Tür geht auf und erst einmal laufe ich gegen eine Wand; Hitze. Aber angenehm, und endlich wieder das Meer zu Gesicht bekommen. Die warme Brise weht einem durchs Haar, die Sonne scheint, die Wellen funkeln… Aufs Gepäck warten und dann Taxi suchen, obwohl, das muss man gar nicht suchen, man wird eher gleich abgefangen von den vielen fahrwütigen Taxifahrern. Gut, dass Prisca schon mal hier war, denn ich hätte nicht gewusst, dass es hier keine Taximeter gibt, man muss vorher nachfragen. Also ab in Richtung historisches Stadtzentrum, Cartagena ist nämlich die einzige Stadt des Landes, die noch von einer richtigen alten Stadtmauer umringt wird und auch ein bisschen was vom Karibik-Piraten-Flair hat. Alte Kolonialbauten in fröhlichen Farben, abgeblätterte Wandfarben, Kanonenrelikte und um einiges fröhlicher als die große Hauptstadt.
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In dem Stadtviertel Getsemaní finden wir ein günstiges Hostel, das Zimmer ist karg eingerichtet, die Betten in Ordnung, Dusche und Klo abgetrennt mithilfe einer halben Wand, ein drittes Bett. Unsere Mitbewohnerin richtet kein Wort an uns, der Lonely-Planet-Reiseführer Südamerikas markiert ihr Revier, der Deckenventilator ist riesig, aber auch alt und gibt ab und an seltsame Geräusche von sich. Die Hitze erschlägt uns dennoch. Ein kleines Nickerchen.
Mit neuer Kraft geht’s dann am Nachmittag ins Stadtzentrum, der Wind macht es angenehm. Der kleine Marktplatz ist umringt von alten Häusern, die pompös noch immer etwas von ihrem Glanz der vergangenen Jahrhunderte ausstrahlen. Eine Gruppe junger Menschen in typischer grellbunter Kleidung tanzt Mapalé, wir stehen da und staunen, können es nicht glauben, dass man seinen Körper so bewegen kann; selbst wenn wir es irgendwie lernen könnten, so würde es niemals bei uns aussehen…
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Und diese Stimmung, die Musik, die Lebensfreude erfüllt die Straßen, überall kann man Süßigkeiten kaufen, viel Kokos und Papaya, alles erstrahlt in einem anderen Licht. Rauf auf die Festungsmauer, der Wind bläst einem um die Ohren, sodass man sich fast reinlegen kann, in den Wind, ohne umzukippen und trotzdem ist es wunderbar warm.
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Ein kleiner Fußmarsch zum Strand, auf dem wir uns wundern, dass wir so angestarrt werden, jedoch wird uns dann klar, dass man als Frau hier generell eher Objekt als Person ist. Es wird schon viel geschaut, das kann man nicht verleugnen… Natürlich laufen wir zunächst in die falsche Richtung, sehen dafür Pelikanen beim Fischen zu, genießen die Meeresbrise und außerhalb des Stadtkerns ist auch nicht ganz so viel los. Als wir dann bemerken, dass wir die falsche Richtung gewählt haben, drehen wir uns mit einer Leichtigkeit um, die nur an der Karibikküste möglich scheint. Dann eben zurück… Wir schaffen es noch vor Sonnenuntergang am Strand zu sein. Endlich wieder Schuhe aus, den Sand unter den Füßen spüren, und dann Schwimmsachen an und sich ins Meer stürzen. Die seichten Wellen gegen den Körper klatschen lassen.
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Der Sonne beim Verschwinden zusehen und sich in Sicherheit bringen vor Frauen, die einem einen Stuhl anbieten, einen ins Gespräch verwickeln und dann plötzlich anfangen einem die Arme zu massieren, um danach dann Geld zu kassieren. Das passiert hier leider sehr häufig und ganz so einfach lassen die sich auch nicht abwimmeln.
Die Nacht bricht herein, es sind immer noch angenehme 27 Grad, das Meer rauscht, wir sitzen einfach nur da und genießen. Was braucht man Meer;)
Das Meersalz trocknet auf der Haut, die Füße wollen nicht wieder zurück in die Turnschuhe, also geht’s barfuss zurück zum Hostel. Kurze Verschnaufpause und dann machen wir uns auch wieder los, den ganzen Tag über haben wir kaum etwas gegessen. Auf unserer ersten Erkundungstour waren wir schon einmal im Hardrockcafé, um die T-Shirts zu erkunden (denn meinem werten Herrn Bruder MUSS ich aus jeder Stadt eines der Shirts mitbringen, praktisch, wenn man ne Schwester hat, die gerne reist, nicht wahr Mäxchen?), diesmal wird auch eins gekauft, davor hat das Geld nicht ausgereicht. Dann schlendern wir durch die Straßen, die ganz anders als tagsüber aussehen, das Licht der Straßenlaternen ganz warm, die Pferdekutschen, irgendwie fühlt man sich in der Zeit zurück versetzt, ein zwei Jahrhunderte. Auf einem Platz werden wir stark umkämpft, wir kriegen Menukarten vor die Nasen gehalten, entscheiden uns für ein Restaurant, nehmen Platz, draußen natürlich, und wieder eine Gruppe, die lautstark Musik macht und Mapalé tanzt.
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Es gibt Fisch und Kokosreis, typisch für die Küste eben. Glücklich und zufrieden schlendern wir weiter durch die Nacht, es ist angenehm warm, und wir schauen noch einmal im Hardrockcafé vorbei, das dritte Mal an diesem Tag, Mädels können sich eben nie wirklich entscheiden. Und prompt werden wir von Douglas (was hier zu seinem Leid „Daglas“ ausgesprochen wird), einem netten kolumbianischen Verkäufer auf ein Bierchen eingeladen. Die einzige Bar, die alternativ ein bisschen Rockmusik anbietet, nettes Ambiente, nette Unterhaltungen. Nach zwei Bierchen strolchen wir noch ein wenig durch die Stadt, Douglas zeigt uns ein paar Fleckchen, die wir so wahrscheinlich sonst nicht gesehen hätten, das Café al lado (zu deutsch: „Café nebenan“), oben auf der Festung, die Musik des Café del Mar ist so laut, dass ein wenig weiter sich die Jugendlichen draußen an der frischen Luft treffen, um dort zu feiern. Gegen eins geht’s dann zurück zum Hostel und wir stehen erstmal vor verschlossenen Türen, aber nach einigem Klopfen wird uns doch noch geöffnet.
Die Nacht ist nicht ganz so lang wie wir gehofft hatten, wir werden durch wildes Klopfen aus dem Schlaf gerissen, wir wollen nämlich früh weiter nach Barranquilla, unserem eigentlichen Ziel, aber so früh eigentlich auch nicht. Wir haben um zehn in einem Kleinbus zwei Plätze reserviert, der fährt jetzt aber doch schon um neun. Also schnell duschen, packen und bezahlen… Eine Stunde lang werden weitere Reisende von ihren Hostels und Hotels abgeholt, vor Prisca und mir sitzen zwei Schweizerinnen, die sich lautstark unterhalten während der gesamten Fahrt, Ruhe ist uns einfach nicht vergönnt. Nach zwei Stunden Fahrt (und ich komme ums Bezahlen herum, hat sich also gelohnt) kommen wir dann an. Gut, dass es Freunde gibt, denn um die Zeit sind natürlich sämtliche Hostels ausgebucht und viel leisten können wir uns auch nicht, dazu haben wir schon zu viel Geld für die Flüge ausgegeben. Also habe ich die Tage vor der Reise wie wild ein paar Kolumbianer gefragt nach Übernachtungsmöglichkeiten, aber wie das hier so ist, da wird sich viel, viel Zeit gelassen. Aber am Abend vorher haben wir erfahren, dass wir nicht auf der Straße nächtigen müssen, da ist uns ein Stein vom Herzen gefallen, eine Sorge weniger. Wir werden sogar abgeholt, von Toni, dem Ehemann der besten Freundin eines Freundes. Das Zimmer kostet kaum etwas, wir werden herzlich empfangen, obwohl sie uns beide nicht kennen, wir werden die ganzen Tage durch bekocht, sie begleiten uns überall hin, das ist wahre Gastfreundschaft und man fühlt sich schon leicht unwohl, wenn man noch nichtmal beim Abwasch helfen darf.
Wir sind so erschöpft, dass wir einschlafen. Erst als Andrea aus der Uni kommt, wachen wir wieder auf, wir essen zu Mittag, erzählen und dann geht’s abends auf den Plaza de la Paz („Platz des Friedens“), wo typische Musik gespielt wird und riesige Menschenmassen den Karneval feiern. Wir wurden schon vorgewarnt; hier werden keine Strüssjer geworfen und auch nicht jebützt, dafür ist es nicht selten, dass man mit Schaum vollgesprüht wird oder mit Mehl beworfen wird. So feiert man eben hier.
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Danach finden wir uns in einer Straßendisko wieder, erst bewegen wir uns nur mäßig, dann werden wir von ein paar nicht sonderlich graziösen Kolumbianerinnen zum Tanzen „gezwungen“, irgendwann verlieren wir unsere Hemmungen und tanzen und tanzen und tanzen bis wir merken, dass wir voll im Fokus stehen, plötzlich werden wir von fremden Männern angetanzt, eher seltsame Gestalten. Ein älterer Mann, der ungefähr einen Kopf kleiner als ich ist scheint unglaublich fasziniert von meinen Brüsten zu sein, ich verdrücke mich schnellstmöglich. Ein anderer Kolumbianer erzählt uns zum dritten Mal, dass er Chemie-Professor an der Uni ist, aber alles in allem eine gelungene Party, lang, lang ist’s her, dass ich so ausgelassen gefeiert habe. Irgendwann nachts sind wir dann wieder zu Hause.
Diese Nacht endet, wann wir wollen, wir schlafen recht lange…
Dann machen wir uns auf zur Batalla de Flores, einer der zwei großen Umzüge. Die Straßen sind überfüllt von Menschen, wir kämpfen uns durch, entscheiden uns dann doch für einen anderen Ort.
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Uns laufen die sucios (die „Schmutzigen“) über den Weg, wenn man ihnen kein Wegzoll zahlt, dann geht es ganz schnell und man ist selber ziemlich schmutzig.
Und dann. Alles abgesperrt. Wenn wir allein unterwegs gewesen wären, dann hätten wir wohl recht schnell aufgegeben. Aber so. Andrea und Toni haben ein wenig argumentiert, zwei Deutsche, die nur zum Karneval, der übrigens auch zum mündlichen Weltkulturerbe gehört, nach Barranquilla gekommen seien. Das hat gezogen. Wir kommen durch zwei Straßensperren, aber wahrscheinlich auch nur, weil wir uns ein bisschen blöd stellen, kaum ein Wort Spanisch sprechen. Wenn’s hilft.
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Wir werden besprüht mit Schaum und sehen lustig aus, auch wenn wir so ganz unverkleidet sind. Am Anfang des Umzuges gibt es viel Wagen mit bekannten Gesichtern, mir nicht sonderlich bekannt, da es sich meistens um Schauspieler aus den beliebten und doch ziemlich schlechten Telenovelas sind, aber auch viele kolumbianische Musiker tanzen, singen und bringen die Massen zum Feiern, und auch wenn man niemanden wirklich kennt, es ist unglaublich den Menschen beim Feiern zuzusehen, ansteckend irgendwie. Wir werden weiter nach vorne geschoben, irgendwann stehen wir dann sogar in der ersten Reihe, so als Ausländer hat man doch gewisse Vorteile, klar, man muss immer wieder erklären, woher man kommt, was man hier macht und warum gerade Kolumbien, aber das nimmt gerne in Kauf und es ist eine angenehme Neugier, meistens zumindest.
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So sehen wir dann auch die eher traditionellen Tänze, die nicht auf geschmückten Wagen stattfinden, sondern eben auf der Straße.
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Die kolumbianische Variante der Funkenmariechen ähneln ein wenig Minnie Maus, können aber ihre Beine genauso in die Luft schmeißen,
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außerdem gibt es natürlich viel nackte Haut zu sehen, ganz viele reinas („Königinnen), denn jedes Stadtviertel kürt seine eigene Königin, dann gibt es noch die reina de las reinas (also die „Königin der Königinnen“), die offizielle Karnevalskönigin, die Kinderkönigin, die Schwulenkönigin, da wird man ganz blau vor lauter Adel…
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Man wird nicht müde, immer wieder Musik und Tanz, wunderschöne Körper, manchmal hat man ein wenig das Gefühl auf dem ColognePride zu sein, aber das hat auch seinen Reiz, schön zu sehen, dass auch Homosexuelle an der Parade teilnehmen, damit hätte ich eigentlich gar nicht gerechnet; vielleicht passiert ja doch ein wenig was in diesem so katholischen Land.
Irgendwann haben wir dann genug gesehen, gefeiert und mitgetanzt… Es geht zurück, kurze Pause und abends dann auf eine Party. Zu sechst ins Taxi, das genauso eine Knutschkugel wie auch in der Hauptstadt ist, aber es passt, hier den Kopf einziehen, da den Arm zurecht rücken. Mit der Flasche Whiskey in der Hello-Kitty-Tasche schmuggeln wir uns durch den Hintereingang eines Hauses auf eine große Straßenparty. Der Musikturm ist enorm, es wummert und wummert, der Bass lässt den Körper vibrieren und der Whiskey die Muskeln entspannen. Auch wenn wir wieder ein wenig seltsam angesehen werden, wir tanzen, eben ein wenig europäisch, anfangs noch ei wenig steif, aber wenn’s nicht gerade Salsa oder Mapalé ist, können wir auch ein bisschen was aufs Parkett legen. Wir werden ordentlich eingemehlt und lachen und haben viel Spaß…
Der verschlafene Sonntag ist das Ergebnis zweier ausgiebiger Feiertage, und das Wort Feiertag steht hier wirklich für feiern. Und wie gut das tut, einfach mal raus aus dem Uni-Alltag, mal was anderes sehen, sich ein wenig gehen lassen, unbekümmert sein.
Am späten Nachmittag schlendern wir durch Barranquilla, das wie ausgestorben wirkt, denn sämtliche Einwohner befinden sich bei der Gran Parada, ein weiterer Umzug, den wir an uns vorbeiziehen lassen. Stattdessen spazieren wir durch die Straßen, schön ist die Stadt nicht wirklich, sie versprüht einen gewissen Charme, aber alles wirkt ein wenig herunter gekommen, eingestürzte Gebäude, dazwischen ein paar verwaiste Prachtbauten, die Universität ist ein wunderschönes strahlend weißes Gebäude, auch die beiden Theater, die wir sehen, sind modern und architektonisch auffällig, aber es fehlt ein wenig das Grün in dieser Stadt, selbst die kleinen Parks, die es hin und wieder mal gibt, sind von einem sandigen Beige geprägt.
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Es ist Sonntag, die Geschäfte haben geschlossen… Man hört ab und an ein paar Co’teño’ sprechen (hier wird das „s“ verschluckt und auch sonst ist die Lust das Spanisch korrekt auszusprechen eher gering), da muss man schon das ein oder andere Mal nachfragen. Selten rauscht ein Bus an uns vorbei und auch der wurde nicht verschont, sondern ungehemmt eingemehlt.
Auf einem Platz verkaufen viele Straßenverkäufer ihre Waren, vorzüglich natürlich Andenken an den Karneval; T-Shirts, Masken, Taschen, man kann sich schminken lassen (was bei der Hitze eher nicht so vorteilhaft ist) oder einfach nur zuschauen. Das bunte Treiben genießen. Eine andere Mentalität, man versteht schon, dass man von den Bogotanern behaupten, sie seien ein wenig ernster und unnahbarer, nur ist das alles Ansichtssache.
Aber das, was als Erinnerung an Barranquilla bleiben wird, sind Ohrwürmer wie „El Celular“ (champeta nennt sich die „Musikrichtung, tiefgründige Texte sind’s auf jeden Fall nicht, hat eher was von Sommerschlager auf Malle). Außerdem antwortet einem jeder, der aus Barranquilla stammt, mit Sicherheit auf die Frage ¿A cómo? (zu deutsch „Wie teuer?“) ¡A do’mil! („2000 pesos“). In einer Tonlage, da macht man sich als männlicher Vertreter die Stimmbänder kaputt. Es gibt nämlich einen Verkäufer von Hamburgern, der so schlau war und seine ganz eigene Werbestrategie entwickelt hat. Was sonst die eigene Stimme lautstark oder auch selten verstärkt mit Megafon anpreist, das hat dieser Straßenverkäufer einfach auf Band aufgenommen, sodass man an jeder Straßenecke verzerrte Stimmen hört, die in einem fort ¿A cómo? – ¡A do’mil! kreischen…
Der Sonntagabend ist ruhig, wir sind ja nicht nur zum Feiern hier, sondern müssen auch einiges für die Uni tun, und nach drei Tagen unterwegs, bleibt man auch gerne mal auf dem Bett liegen, lässt sich die Luft vom Stand-Ventilator ins Gesicht pusten und quält sich durch seine Lektüre. Wir lassen es uns allerdings nicht entgehen noch arepas con huevos (Maisfladen gefüllt mit Ei) zu erstehen, dazu suero, eine Soße, typisches Straßenessen an der Atlantikküste.
Eine ruhige Nacht, ein ruhiger Morgen, spätes Frühstück und dann fahren wir mit dem alten klapprigen Bus durch halb Barranquilla, das sich so gar nicht wirklich verändert, ganz im Gegensatz zu Bogotá, das einfach an jeder Straßenecke ein anderes Gesicht von sich und seinen Einwohnern bereithält. Am Busterminal angekommen, verabschieden wir uns von unseren herzlichen Gastgebern und verfluchen die Filmauswahl der Busgesellschaften, warum muss es immer irgendwelche seltsamen Action-Filme geben oder schlechte Komödien? Nun denn, die zwei Stunden überleben wir und teuer ist die Fahrt auch nicht, 11.000 pesos, die Klimaanlage funktioniert, also wollen wir mal nicht meckern. Die Odyssee beginnt nämlich erst. Am Terminal in Cartagena angekommen, entscheiden wir uns das Geld zu sparen und per Bus in Richtung Stadtzentrum zu fahren, um unser Gepäck im Hostel abzuladen, eine Festung zu erkunden und ein letztes Mal uns in die Fluten stürzen. Schöner Plan. Von dem wir rein gar nichts in die Tat umsetzen konnten.
Alles begann damit, dass der Busfahrer wunderbar gemütlich die Straßen entlang tuckerte. Jeder potenzielle Mitfahrer wird angehupt, hier wird angehalten, dann da… so sehen wir ein wenig was von Cartagena außerhalb der Stadtmauern. Die typischen kleinen Backsteinhäuser, Hauswand an Hauswand, kleine Gässchen, verwaiste Schaukelstühle vor verwildernden Schuttplätzen, streunende Hunde, deren Fell schon ganz verfilzt ist, Obdachlose, die schattenspendenden Schutz suchen, die nicht sonderlich reichen Viertel nun mal. Die Festung taucht zu unserer Linken auf, die Stadtmauer erstreckt sich vor uns. Wir wissen nicht genau, wo wir aussteigen sollen, die Fragezeichen stehen uns anscheinend ins Gesicht geschrieben, denn der Busfahrer fragt, wo wir denn hinwollen. Wir antworten ihm, so nah wie möglich ins Stadtzentrum. Darauf er, dass wir bereits dran vorbei seien, er aber nur eine kleine Runde drehen würde und uns dann wie gewünscht absetze. Kleine Runde, was kann man da schon falsch verstehen. Eine Menge, wie sich herausstellt. Die kleine Runde besteht nämlich in einer einstündigen Stadtrundfahrt. Und das nach bereits einer dreiviertel Stunde Fahrt. Die Straße führt direkt am Meer entlang, noch ahnen wir nichts Böses, erst als er nicht nach links, sondern eben nach rechts abbiegt, wundern wir uns ein wenig. Dann geht es weiter, Gässchen hinein, Straßen hinab, rücken hinauf, irgendwann sind wir am anderen Ende der Stadt, am Flughafen, unsere Blicke sagen mehr als tausend Worte. Als wäre das nicht genug, kippt das Mittagessen des Busfahrers um, und die Linsensuppe und ihr eher mäßig angenehmer Geruch verbreitet sich im gesamten Bus. Wir bekommen die Hotels zu Gesicht, die man sich nur als gut verdienender Ausländer leisten kann, abseits von jedem Elend, direkt am Strand. Irgendwann drehen wir dann, aber es geht natürlich nicht dieselbe Strecke zurück, sondern eine noch verwinkeltere Rute. Herrlich. Wir werden an einer Ecke abgesetzt und haben bei aller Rumgurkerei die Orientierung verloren, wir glauben in dir richtige Richtung zu laufen, tun wir aber nicht. Erst hat der Hintern vom vielen Sitzen geschmerzt, jetzt schleppen wir unser Gepäck zu Fuß durch die Straßen Cartagenas, die uns alle so fremd erscheinen. Irgendwie hatte ich die Stadt kleiner in Erinnerung. Es ist bereits vier Uhr nachmittags, wir suchen ein Restaurant, finden aber natürlich erst keines, das einigermaßen unseren Preisvorstellungen entspricht. Und da. Es tut sich eine Straße auf, die uns bekannt erscheint. Wir finden ein Restaurant, das Gericht, das ich bestelle gibt es natürlich nicht, der Saft, den Prisca bestellt, schmeckt leicht vergoren, es ist uns einfach nicht vergönnt. Wir sitzen, bekommen unser Essen, im Hintergrund laufen Nachrichten, noch. Plötzlich, in einer Lautstärke schreckliche (und das ist kein Ausdruck) für lustig empfundene Sketche, Erwachsene in pinkfarbene Baby-Kleidung gesteckt, aufgemalte Sommersprossen und schreckliche Stimmen. Der Appetit vergeht uns beinahe. Um fünf verlassen wir das Restaurant, mittlerweile haben wir sowohl Festungs- als auch Strandpläne gestrichen. Wir wollen einen Kaffee. Das Gepäck schleppen wir die letzten zwei Stunden auch noch mit uns rum. Aber natürlich ein Café, in dem man Kaffee trinken kann, gibt es nicht. Wir werden von einer Ecke zur anderen geschickt, haben irgendwann die Schnauze voll und lassen uns erschöpft auf einer Bank nieder. Die Mapalé-Gruppe muntert uns ein wenig auf. Irgendwann kommt auch ein Straßenverkäufer mit Kaffee vorbei. Zu meinem Glück stark gesüßt, na toll, da freut man sich seit Tagen auf einen Kaffee und dann ist es eher braunes Zuckerwasser, Kolumbien – Land des Kaffees, langsam glaube ich nicht mehr daran. Die letzte Stunde verbringe ich damit die vielen Touristen zu beobachten, ihre Nationalität zu erraten und mir Lebensgeschichten auszudenken. Die Nacht bricht herein, die Stadt verwandelt sich, das Licht, die Menschen, die Stimmen, alles verändert sich und plötzlich hat man seinen inneren Frieden wieder gefunden und kann über die schier endlose Reise lächeln, noch nicht lachen, aber das kommt später.
Taxi. Flughafen. Einchecken. Boarden. Abheben. Turbulenzen. Landen. Kälte. Taxi. Zu Hause. So schnell geht ein Kurzurlaub vorbei.
Dienstag, 2. Februar 2010
Dos domingos en la naturaleza
Von Wunden und anderen Verletzungen…
Die Wochenenden müssen ausgenutzt werden, da bereits die dritte Uniwoche angebrochen ist, gibt es nicht allzu viel Zeit etwas unter der Woche zu unternehmen.
Doch ganz so hektisch ist es nicht. Mein obligatorisches Auslandssemester ist rum, das bedeutet, dass ich wesentlich entspannter an meine Aufgaben gehe. Außerdem habe ich mich für Kurse entschieden, die mir recht viel Spaß machen und in denen es auch so gut wie keine quizzes und parciales gibt; eher Projekte und den ein oder anderen Aufsatz. Digitale Fotografie steht momentan an der Spitze, da lohnt es sich auch zweimal wöchentlich früh aus den Federn zu kriechen, um sich die Treppenstufen zum Gebäude Tx zu schleppen, das ziemlich weit oben liegt. Auch Kulturjournalismus und Journalismus in digitalen Medien sind interessant. Ob ich mein Portugiesisch weiter ausbaue ist mir noch nicht ganz klar, aber ab dieser Woche hoffe ich auch einen Kurs an der öffentlichen Universidad Nacional belegen zu können: Das Gehirn und die Kunst; zumindest als Gasthörerin, mal schauen, was sich da machen lässt.
Wie gesagt unter der Woche, da reicht die Zeit sich auf einen Kaffee zu treffen, vielleicht auch ein Kino- oder Theaterbesuch, aber einen ganzen Tag unterwegs sein, das ist nicht wirklich leicht umzusetzen. Also müssen die Wochenenden herhalten; vor allem die Sonntage, an denen kaum jemand arbeiten muss.
Ein Sonntagmorgen, der früh beginnt. Der Wecker klingelt um Viertel vor sieben, um acht bin ich im Park verabredet, meine neuen Inline-Skates im Gepäck mach ich mich auf die Socken. Punkt acht bin ich am Brunnen und warte und warte, natürlich, hier ist ja niemand sonderlich pünktlich und minutos gehen einem auch schnell mal aus (hier ist es immer noch sehr weit verbreitet Handys mit Prepaid-Karten zu benutzen), aber egal, das Wetter ist wunderschön, die Sonne strahlt, der Himmel ist blau, da platzier ich mich doch mal dekorativ auf einer steinernen Bank im Park um. Ja, um zu warten. Da haben wir wohl beide nicht einkalkuliert, dass es zwei Brunnen (und vielleicht sogar noch mehr) gibt, davon hätten wir allerdings ausgehen können bei der Größe des Parks. Nach ein paar Telefonaten finden wir uns und dann geht es auf. Das erste Mal seit langer Zeit wieder Räder unter den Füßen. Auch noch vier an der Zahl und in einer Reihe. Die ersten Versuche in der Wohnung liefen ganz gut, aber auf der Straße sieht das gleich ganz anders aus. Aber es klappt. Nur nicht verzagen. Was zu Beginn noch arg wacklig ist, gibt sich am Ende recht standfest. Da Sonntag ist, sind die großen Straßen nur für Sportler und nicht für Autos oder ähnliche motorbetriebene Fortbewegungsmittel gedacht. Auf der 7a geht’s Richtung Süden, am Plaza Simón Bolívar vorbei bis die ciclovía zu Ende ist. Ein kleiner Zwischenfall erschwert das Vorankommen, Enrique verliert eines seiner Räder, liegt daran, dass eine Schraube locker war und einfach so verschwunden ist (welch ein Wortwitz). Aber es rollt trotzdem. Wir drehen um und die nächste Herausforderung steht an: Ultimate Frisbee im Parque Simón Bolívar. Ist auch schon eine Weile her, dass ich das gespielt hab; aber auch das funktioniert noch, die Knochen sind also noch nicht wirklich morsch.
Und dann, festhalten, eine Partie
Fußball, ich und Bälle, das kann nicht gut gehen, aber es bringt die anderen wenigstens zum Lachen und ganz so perfekt ist auch der Rest nicht, von wegen das Runde muss ins Eckige, manchmal will es auch einfach auf dem Rasen liegen bleiben.
Eine weitere Woche Uni, gefolgt von einem Samstagvormittag der ganz im Zeichen des Aufräumens steht, ein Samstagnachmittag der zum Gedankenaustausch mit einem guten Freund dient und ein Samstagabend, der inmitten von Kolumbianern heiße Diskussionen über Kant und Nietzsche entfacht. Außerdem werde dazu gezwungen, das erste Mal in meinem Leben einen Kolumbianer zu schlagen (nicht, dass ich Gewalt befürworten würde, aber ich wurde quasi gezwungen und für Lucho ging damit ein Traum in Erfüllung, seltsam diese Kolumbianer, wer träumt denn bitteschön davon, von einer Deutschen eine Backpfeife zu bekommen, aber bitte, wenn’s ihn glücklich macht).
Der Sonntagmorgen beginnt früh um sechs, nicht wirklich ausgeruht, aufstehen, frühstücken, warten, Sonnencreme, denn ja, wir werden brennen, äähm, uns verbrennen. Die Sonne knallt einfach auf uns nieder. Schon morgens um halb acht ist es recht warm. Und heute geht’s ab in die Wüste…
Mit dem Bus und zwei Kletter-Experten geht’s vom Süden Bogotas etwa eine halbe Stunde im Kleinbus kleine kurvige Straßen rauf und runter bis zur Wüste namens Sabrinsky, sehr kolumbianisch klingt das nicht.
Raus aus dem stickigen Bus, und zehn Minuten Fußmarsch an der Straße entlang (Rennräder, die an uns vorbeirasen, meine Augen werden immer größer…) und dann die ersten Hügel, die es zu erklimmen gilt. Und natürlich bleibe ich an einem Draht mit meiner neuen Hose (die glücklicherweise nicht allzu teuer war) hängen, füge mir die erste Wunde des Tages hinzu (und es wird nicht die letzte sein), aber Frau kennt keinen Schmerz; das einzig unvorteilhafte ist, dass ich das Hosenbein hochkrempeln muss, sodass mein rechter Unterschenkel nunmehr recht zerkratzt aussieht. Ich mach mir wenigstens nicht allzu viele Gedanken über abgebrochene oder zerkratzte Fingernägel.
Weiter. Noch lachen alle über meine 2-Liter-Flasche Wasser, am Ende des Tages wären sie dankbar das Gepäck ebenfalls auf sich genommen zu haben, denn wir schwitzen ordentlich; nicht nur wegen der Sonne, auch Angstschweiß und viel Adrenalin ist mit an Bord.
Die einzige Wasserquelle begegnet uns in der ersten halben Stunde Fußmarsch und sieht nicht sonderlich einladend aus, aber den Stieren reicht es anscheinend.
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Rauf und runter, durchs Dickicht, die ersten Kakteen werden gesichtet und Schatten gibt es kaum. Ein kleiner Sturz hier, ein Ausrutscher dort. Eine bereits deutlich vertrocknetete Hundeleiche, ein paar schattenspendende Felsen. Die Luft ist irgendwie frisch, wenn auch trocken. Die erste Pause, das Herz pocht in der Brust, die Lungen ringen nach Luft; nur langsam gewöhnt sich der Körper an die Anstrengung. Aber plötzlich kann man ganz tief einatmen, so tief bis jede Alveole mit Sauerstoff versorgt ist und man am liebsten gar nicht mehr ausatmen will.
Und dann die erste Aufgabe. Eine Felswand tut sich vor uns auf. Einer von uns muss hoch, eine kleine Höhle in der Wand und das Kletterseil durch das Loch befördern.
Damit dann alle, einer nach dem anderen, gesichert durch eben jenes Seil, den Felsen beklettern kann. Sieht leichter aus als gedacht, aber da es auch große Kolumbianer gibt, schaffen wir es.
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So ganz geheuer ist es dem ein oder anderen jedoch nicht. Und auch ich spüre wie mein Körper sich sträubt, die Witze und Frotzeleien der Männer tragen auch nicht unbedingt zu meinem Gefühl der Sicherheit bei.
Die einzige bin ich nicht, Jonathan, ein etwa zweimetergroßer Kolumbianer traut sich noch viel weniger zu als ich. Letztendlich traue ich mich, es ist auch wirklich nur die Überwindung zu Beginn. Wenn der Körper erstmal an der Felswand klebt, entzündet sich ein Feuerwerk im Körper, einfach unglaublich, alles ist angespannt, jeder einzelne Finger, jeder Zeh spürt das Adrenalin. Plötzlich weiß man nicht mehr weiter, die Arme weigern sich, sich zu bewegen, verharren einfach, erstarrt. Die Beine fangen an zu zittern und dann spürt man wie sich eine unglaubliche Kraft in seinem Körper auftut.
Der nächste Schritt, das Greifen, das Abrutschen, das Suchen nach erneutem Halt. Ein paar Kratzer hier und da, ein bisschen Blut bleibt zurück in Kolumbien, aber das spüre ich nicht, noch nicht. Als ich oben bin, in der höhlenartigen Öffnung erschlägt mich das Panorama fast. Die roten Felsen, die sich in der Ferne erheben, dazwischen kleine grüne Oasen, weiße Berge. Und eine Ruhe, es ist als sei mein Herz plötzlich verstummt, für einen kleinen Moment steht die Zeit still, ich höre nichts, sehe nur, atme ein und genieße die Einsamkeit, die diese Landschaft in sich birgt; Einsamkeit in einer ihrer schönsten Formen. Dann geht es runter. Schwieriger und meine Kräfte lassen nach. Ich versuche es bis zum Schluss, zwinge meinen Körper immer weiter, aber ganz schaffe ich es schließlich doch nicht, das letzte Stück lasse ich mich abseilen, meine Arme haben mich von einem Moment auf den anderen einfach im Stich gelassen. Zurück am Boden, zurück in der Realität. Und hinauf, bis auf die Spitze der Felswand, gut, dass es einen Weg gibt, den man nicht abgesichert erklimmen muss.
Und dann muss man sich wieder überwinden, sein Vertrauen ruht diesmal nicht auf anderen Personen, die einen sichern, sondern ganz allein auf sich selbst und einem Seil. Gesichert mit Klettergurt und Helm geht es hinab in die Tiefe. Ein seltsames Gefühl und zugleich genial. Mit einer Hand hinterm Rücken geht es Schritt für Schritt hinab bis der Kontakt zum Felsen aufgrund von physischen Gegebenheiten nicht mehr zu halten ist. Man schwebt in der Luft, schaut hinab, das Herz stockt kurz, der Ausblick raubt einem den Atem und man weiß, eine Hand sorgt dafür, dass es langsam und nicht in einem Rutsch hinab geht. Und auch Jonathan überwindet sich als letzter den Abstieg zu wagen.
Enrique versucht es als einziger kopfüber, was nicht gerade einfach aussieht.
Eine kurze Mittagspause. Viel essen ist gar nicht möglich, bei der Aufregung und der Hitze. Der Schatten ist karg. Und ein vierzigminütiger Abstieg oder eher Abrutsch erwartet uns. José, einer unserer Führer, meint den Weg zu kennen, was wir ihm aber im Nachhinein nicht wirklich abnehmen. Es ist zwar nicht felsig und als der erste sich unfreiwillig auf den Hintern setzt, wird er noch ausgelacht, keine fünf Sekunden später befindet sich der nächste auf seinen Sitzhöckern. Und so geht es fast in einer Tour weiter. Das Gras ist trocken und man versinkt ab und an mal in einem Loch, versucht sich aus den Fängen von Pflanzenschlingen zu befreien, man bleibt mit einem Fuß hängen, stolpert vorwärts immer darauf bedacht sich in keiner der sich boshaft versteckenden Kakteen wieder zu finden.
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Eine kurze Felswand, gut, dass es genügend Männer gibt, die einem helfen, und dann, ein großer Sprung, ein Baum, der helfen soll, das Gleichgewicht zu bewahren und plötzlich ziert eine riesige Schramme meinen rechten Arm, es brennt höllisch, aber Zähne zusammenbeißen und weiter geht’s. So langsam komm ich auf den Geschmack, das Runtergerutsche beginnt Spaß zu machen. Und ich lande glücklicherweise nicht, wie manch anderer in einem Kaktus, da gibt’s Stacheln, an Stellen, an denen man lieber keine haben möchte. Nach einiger Anstrengung und ein paar mehr blauen Flecken und kleineren Schrammen gelangen wir zurück zur Straße. Die gilt es unverletzt zu überqueren. Und dann ab in die wirkliche Wüste.
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Rote Felsen erheben sich, ein kleiner Grand Canyon, weiße Hügel erstrahlen im Licht der Sonne, die erbarmungslos scheint.
Aus der Not wird eine Tugend gemacht und ich binde mir ein Tuch um den Kopf. Rauf und runter. Der trockene Sand ist bereits aufgeplatzt, alles dürstet nach Flüssigkeit. Ein wenig Gebüsch spendet Schatten. Und dann fahren wir Schlitten. Ohne Schnee. Aber das Gemisch aus Steinen und Sand ist fast genauso weiß wie die weiße Winterpracht. Mit ein wenig Plastik unterm Hintern rase ich hinab.
Wintergefühl bei Sommertemperaturen. Aber das nächste Mal bitte wieder mit Schnee, es ist einfach angenehmer danach nicht Tonnen von Staub im Mund zu spüren.
Und dann weiter. Rauf und runter. Die Berge sind recht schwierig zu erklimmen und in den meisten Fällen müssen wir uns fast auf alle Viere begeben, denn es sind keine Felsen, sondern eben kleinste Kieselsteine, die stark nachgeben unter dem eigenen Gewicht. Gerade das mach den Nervenkitzel dabei aus, plötzlich rutscht einem der Fuß weg, man fängt sich wieder, kraxelt weiter, das Herz rast, die Lungen pumpen ununterbrochen verstaubte Luft hinein in den Körper.
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Dann wieder hinab und wieder hinauf, es kommt einem vor wie Stunden. Die Schuhe voll von Steinen, auf der Haut eine Mischung aus Staub, Dreck, Schweiß und Sonnencreme.
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Irgendwann erreichen wir das kleine Häuschen am Straßenrand, unseren Ausgangspunkt. Wasser, endlich. Verdreckt und verschwitzt erfreuen wir die Fahrgäste des Kleinbusses, der uns alle „Arsch an Arsch“ mitnimmt (so fährt man hier nämlich Bus, wenn dieser übervoll ist).
Später dann, kurz vorm Ins-Bett-Fallen, nach einem verspäteten Mittagessen (um sechs), betrachte ich meine Wunden und freue mich schon jetzt auf die folgenden Tage, aber wozu gibt’s denn Wund- und Heilsalbe. Das war’s auf jeden Fall wert.
Und heute schmerzen nicht nur die Kratzer, sondern der ganze Körper. Jede einzelne Faser meldet sich zu Wort, jede Bewegung ist mindestens doppelt so anstrengend, aber es ist guter Schmerz.
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