Von Wunden und anderen Verletzungen…
Die Wochenenden müssen ausgenutzt werden, da bereits die dritte Uniwoche angebrochen ist, gibt es nicht allzu viel Zeit etwas unter der Woche zu unternehmen.
Doch ganz so hektisch ist es nicht. Mein obligatorisches Auslandssemester ist rum, das bedeutet, dass ich wesentlich entspannter an meine Aufgaben gehe. Außerdem habe ich mich für Kurse entschieden, die mir recht viel Spaß machen und in denen es auch so gut wie keine quizzes und parciales gibt; eher Projekte und den ein oder anderen Aufsatz. Digitale Fotografie steht momentan an der Spitze, da lohnt es sich auch zweimal wöchentlich früh aus den Federn zu kriechen, um sich die Treppenstufen zum Gebäude Tx zu schleppen, das ziemlich weit oben liegt. Auch Kulturjournalismus und Journalismus in digitalen Medien sind interessant. Ob ich mein Portugiesisch weiter ausbaue ist mir noch nicht ganz klar, aber ab dieser Woche hoffe ich auch einen Kurs an der öffentlichen Universidad Nacional belegen zu können: Das Gehirn und die Kunst; zumindest als Gasthörerin, mal schauen, was sich da machen lässt.
Wie gesagt unter der Woche, da reicht die Zeit sich auf einen Kaffee zu treffen, vielleicht auch ein Kino- oder Theaterbesuch, aber einen ganzen Tag unterwegs sein, das ist nicht wirklich leicht umzusetzen. Also müssen die Wochenenden herhalten; vor allem die Sonntage, an denen kaum jemand arbeiten muss.
Ein Sonntagmorgen, der früh beginnt. Der Wecker klingelt um Viertel vor sieben, um acht bin ich im Park verabredet, meine neuen Inline-Skates im Gepäck mach ich mich auf die Socken. Punkt acht bin ich am Brunnen und warte und warte, natürlich, hier ist ja niemand sonderlich pünktlich und minutos gehen einem auch schnell mal aus (hier ist es immer noch sehr weit verbreitet Handys mit Prepaid-Karten zu benutzen), aber egal, das Wetter ist wunderschön, die Sonne strahlt, der Himmel ist blau, da platzier ich mich doch mal dekorativ auf einer steinernen Bank im Park um. Ja, um zu warten. Da haben wir wohl beide nicht einkalkuliert, dass es zwei Brunnen (und vielleicht sogar noch mehr) gibt, davon hätten wir allerdings ausgehen können bei der Größe des Parks. Nach ein paar Telefonaten finden wir uns und dann geht es auf. Das erste Mal seit langer Zeit wieder Räder unter den Füßen. Auch noch vier an der Zahl und in einer Reihe. Die ersten Versuche in der Wohnung liefen ganz gut, aber auf der Straße sieht das gleich ganz anders aus. Aber es klappt. Nur nicht verzagen. Was zu Beginn noch arg wacklig ist, gibt sich am Ende recht standfest. Da Sonntag ist, sind die großen Straßen nur für Sportler und nicht für Autos oder ähnliche motorbetriebene Fortbewegungsmittel gedacht. Auf der 7a geht’s Richtung Süden, am Plaza Simón Bolívar vorbei bis die ciclovía zu Ende ist. Ein kleiner Zwischenfall erschwert das Vorankommen, Enrique verliert eines seiner Räder, liegt daran, dass eine Schraube locker war und einfach so verschwunden ist (welch ein Wortwitz). Aber es rollt trotzdem. Wir drehen um und die nächste Herausforderung steht an: Ultimate Frisbee im Parque Simón Bolívar. Ist auch schon eine Weile her, dass ich das gespielt hab; aber auch das funktioniert noch, die Knochen sind also noch nicht wirklich morsch.
Und dann, festhalten, eine Partie
Fußball, ich und Bälle, das kann nicht gut gehen, aber es bringt die anderen wenigstens zum Lachen und ganz so perfekt ist auch der Rest nicht, von wegen das Runde muss ins Eckige, manchmal will es auch einfach auf dem Rasen liegen bleiben.
Eine weitere Woche Uni, gefolgt von einem Samstagvormittag der ganz im Zeichen des Aufräumens steht, ein Samstagnachmittag der zum Gedankenaustausch mit einem guten Freund dient und ein Samstagabend, der inmitten von Kolumbianern heiße Diskussionen über Kant und Nietzsche entfacht. Außerdem werde dazu gezwungen, das erste Mal in meinem Leben einen Kolumbianer zu schlagen (nicht, dass ich Gewalt befürworten würde, aber ich wurde quasi gezwungen und für Lucho ging damit ein Traum in Erfüllung, seltsam diese Kolumbianer, wer träumt denn bitteschön davon, von einer Deutschen eine Backpfeife zu bekommen, aber bitte, wenn’s ihn glücklich macht).
Der Sonntagmorgen beginnt früh um sechs, nicht wirklich ausgeruht, aufstehen, frühstücken, warten, Sonnencreme, denn ja, wir werden brennen, äähm, uns verbrennen. Die Sonne knallt einfach auf uns nieder. Schon morgens um halb acht ist es recht warm. Und heute geht’s ab in die Wüste…
Mit dem Bus und zwei Kletter-Experten geht’s vom Süden Bogotas etwa eine halbe Stunde im Kleinbus kleine kurvige Straßen rauf und runter bis zur Wüste namens Sabrinsky, sehr kolumbianisch klingt das nicht.
Raus aus dem stickigen Bus, und zehn Minuten Fußmarsch an der Straße entlang (Rennräder, die an uns vorbeirasen, meine Augen werden immer größer…) und dann die ersten Hügel, die es zu erklimmen gilt. Und natürlich bleibe ich an einem Draht mit meiner neuen Hose (die glücklicherweise nicht allzu teuer war) hängen, füge mir die erste Wunde des Tages hinzu (und es wird nicht die letzte sein), aber Frau kennt keinen Schmerz; das einzig unvorteilhafte ist, dass ich das Hosenbein hochkrempeln muss, sodass mein rechter Unterschenkel nunmehr recht zerkratzt aussieht. Ich mach mir wenigstens nicht allzu viele Gedanken über abgebrochene oder zerkratzte Fingernägel.
Weiter. Noch lachen alle über meine 2-Liter-Flasche Wasser, am Ende des Tages wären sie dankbar das Gepäck ebenfalls auf sich genommen zu haben, denn wir schwitzen ordentlich; nicht nur wegen der Sonne, auch Angstschweiß und viel Adrenalin ist mit an Bord.
Die einzige Wasserquelle begegnet uns in der ersten halben Stunde Fußmarsch und sieht nicht sonderlich einladend aus, aber den Stieren reicht es anscheinend.
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Rauf und runter, durchs Dickicht, die ersten Kakteen werden gesichtet und Schatten gibt es kaum. Ein kleiner Sturz hier, ein Ausrutscher dort. Eine bereits deutlich vertrocknetete Hundeleiche, ein paar schattenspendende Felsen. Die Luft ist irgendwie frisch, wenn auch trocken. Die erste Pause, das Herz pocht in der Brust, die Lungen ringen nach Luft; nur langsam gewöhnt sich der Körper an die Anstrengung. Aber plötzlich kann man ganz tief einatmen, so tief bis jede Alveole mit Sauerstoff versorgt ist und man am liebsten gar nicht mehr ausatmen will.
Und dann die erste Aufgabe. Eine Felswand tut sich vor uns auf. Einer von uns muss hoch, eine kleine Höhle in der Wand und das Kletterseil durch das Loch befördern.
Damit dann alle, einer nach dem anderen, gesichert durch eben jenes Seil, den Felsen beklettern kann. Sieht leichter aus als gedacht, aber da es auch große Kolumbianer gibt, schaffen wir es.
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So ganz geheuer ist es dem ein oder anderen jedoch nicht. Und auch ich spüre wie mein Körper sich sträubt, die Witze und Frotzeleien der Männer tragen auch nicht unbedingt zu meinem Gefühl der Sicherheit bei.
Die einzige bin ich nicht, Jonathan, ein etwa zweimetergroßer Kolumbianer traut sich noch viel weniger zu als ich. Letztendlich traue ich mich, es ist auch wirklich nur die Überwindung zu Beginn. Wenn der Körper erstmal an der Felswand klebt, entzündet sich ein Feuerwerk im Körper, einfach unglaublich, alles ist angespannt, jeder einzelne Finger, jeder Zeh spürt das Adrenalin. Plötzlich weiß man nicht mehr weiter, die Arme weigern sich, sich zu bewegen, verharren einfach, erstarrt. Die Beine fangen an zu zittern und dann spürt man wie sich eine unglaubliche Kraft in seinem Körper auftut.
Der nächste Schritt, das Greifen, das Abrutschen, das Suchen nach erneutem Halt. Ein paar Kratzer hier und da, ein bisschen Blut bleibt zurück in Kolumbien, aber das spüre ich nicht, noch nicht. Als ich oben bin, in der höhlenartigen Öffnung erschlägt mich das Panorama fast. Die roten Felsen, die sich in der Ferne erheben, dazwischen kleine grüne Oasen, weiße Berge. Und eine Ruhe, es ist als sei mein Herz plötzlich verstummt, für einen kleinen Moment steht die Zeit still, ich höre nichts, sehe nur, atme ein und genieße die Einsamkeit, die diese Landschaft in sich birgt; Einsamkeit in einer ihrer schönsten Formen. Dann geht es runter. Schwieriger und meine Kräfte lassen nach. Ich versuche es bis zum Schluss, zwinge meinen Körper immer weiter, aber ganz schaffe ich es schließlich doch nicht, das letzte Stück lasse ich mich abseilen, meine Arme haben mich von einem Moment auf den anderen einfach im Stich gelassen. Zurück am Boden, zurück in der Realität. Und hinauf, bis auf die Spitze der Felswand, gut, dass es einen Weg gibt, den man nicht abgesichert erklimmen muss.
Und dann muss man sich wieder überwinden, sein Vertrauen ruht diesmal nicht auf anderen Personen, die einen sichern, sondern ganz allein auf sich selbst und einem Seil. Gesichert mit Klettergurt und Helm geht es hinab in die Tiefe. Ein seltsames Gefühl und zugleich genial. Mit einer Hand hinterm Rücken geht es Schritt für Schritt hinab bis der Kontakt zum Felsen aufgrund von physischen Gegebenheiten nicht mehr zu halten ist. Man schwebt in der Luft, schaut hinab, das Herz stockt kurz, der Ausblick raubt einem den Atem und man weiß, eine Hand sorgt dafür, dass es langsam und nicht in einem Rutsch hinab geht. Und auch Jonathan überwindet sich als letzter den Abstieg zu wagen.
Enrique versucht es als einziger kopfüber, was nicht gerade einfach aussieht.
Eine kurze Mittagspause. Viel essen ist gar nicht möglich, bei der Aufregung und der Hitze. Der Schatten ist karg. Und ein vierzigminütiger Abstieg oder eher Abrutsch erwartet uns. José, einer unserer Führer, meint den Weg zu kennen, was wir ihm aber im Nachhinein nicht wirklich abnehmen. Es ist zwar nicht felsig und als der erste sich unfreiwillig auf den Hintern setzt, wird er noch ausgelacht, keine fünf Sekunden später befindet sich der nächste auf seinen Sitzhöckern. Und so geht es fast in einer Tour weiter. Das Gras ist trocken und man versinkt ab und an mal in einem Loch, versucht sich aus den Fängen von Pflanzenschlingen zu befreien, man bleibt mit einem Fuß hängen, stolpert vorwärts immer darauf bedacht sich in keiner der sich boshaft versteckenden Kakteen wieder zu finden.
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Eine kurze Felswand, gut, dass es genügend Männer gibt, die einem helfen, und dann, ein großer Sprung, ein Baum, der helfen soll, das Gleichgewicht zu bewahren und plötzlich ziert eine riesige Schramme meinen rechten Arm, es brennt höllisch, aber Zähne zusammenbeißen und weiter geht’s. So langsam komm ich auf den Geschmack, das Runtergerutsche beginnt Spaß zu machen. Und ich lande glücklicherweise nicht, wie manch anderer in einem Kaktus, da gibt’s Stacheln, an Stellen, an denen man lieber keine haben möchte. Nach einiger Anstrengung und ein paar mehr blauen Flecken und kleineren Schrammen gelangen wir zurück zur Straße. Die gilt es unverletzt zu überqueren. Und dann ab in die wirkliche Wüste.
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Rote Felsen erheben sich, ein kleiner Grand Canyon, weiße Hügel erstrahlen im Licht der Sonne, die erbarmungslos scheint.
Aus der Not wird eine Tugend gemacht und ich binde mir ein Tuch um den Kopf. Rauf und runter. Der trockene Sand ist bereits aufgeplatzt, alles dürstet nach Flüssigkeit. Ein wenig Gebüsch spendet Schatten. Und dann fahren wir Schlitten. Ohne Schnee. Aber das Gemisch aus Steinen und Sand ist fast genauso weiß wie die weiße Winterpracht. Mit ein wenig Plastik unterm Hintern rase ich hinab.
Wintergefühl bei Sommertemperaturen. Aber das nächste Mal bitte wieder mit Schnee, es ist einfach angenehmer danach nicht Tonnen von Staub im Mund zu spüren.
Und dann weiter. Rauf und runter. Die Berge sind recht schwierig zu erklimmen und in den meisten Fällen müssen wir uns fast auf alle Viere begeben, denn es sind keine Felsen, sondern eben kleinste Kieselsteine, die stark nachgeben unter dem eigenen Gewicht. Gerade das mach den Nervenkitzel dabei aus, plötzlich rutscht einem der Fuß weg, man fängt sich wieder, kraxelt weiter, das Herz rast, die Lungen pumpen ununterbrochen verstaubte Luft hinein in den Körper.
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Dann wieder hinab und wieder hinauf, es kommt einem vor wie Stunden. Die Schuhe voll von Steinen, auf der Haut eine Mischung aus Staub, Dreck, Schweiß und Sonnencreme.
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Irgendwann erreichen wir das kleine Häuschen am Straßenrand, unseren Ausgangspunkt. Wasser, endlich. Verdreckt und verschwitzt erfreuen wir die Fahrgäste des Kleinbusses, der uns alle „Arsch an Arsch“ mitnimmt (so fährt man hier nämlich Bus, wenn dieser übervoll ist).
Später dann, kurz vorm Ins-Bett-Fallen, nach einem verspäteten Mittagessen (um sechs), betrachte ich meine Wunden und freue mich schon jetzt auf die folgenden Tage, aber wozu gibt’s denn Wund- und Heilsalbe. Das war’s auf jeden Fall wert.
Und heute schmerzen nicht nur die Kratzer, sondern der ganze Körper. Jede einzelne Faser meldet sich zu Wort, jede Bewegung ist mindestens doppelt so anstrengend, aber es ist guter Schmerz.
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