Das
Warten hat sich gelohnt: Als stünden diese Tage unter einem Motto, lasse ich es
mir verdammt gutgehen. So dürfte das chilenische Leben gerne öfters schmecken.
Im wohl gehobensten peruanischen Restaurant gehe ich mit Max, der noch ein paar
Tage in meiner Studienstadt verbringt, bevor er wieder nach Deutschland fliegt,
und Rita, einer guten Freundin, das Geburtstagsessen nachholen. Kellner mit
weißem Hemd, Weste und Fliege bedienen uns, bei so viel Fisch und Meeresfrüchten
auf der Karte fällt mir die Entscheidung nicht leicht. Und noch viel schwerer
wird es, als wir die Dessert-Karte vor Augen geführt bekommen. Ob nun kluge
Verkaufsmasche oder Entscheidungshilfe, die Nachtischauswahl wird uns auf einem
Silbertablett präsentiert. Aufgrund meines Maracuja-Fetischs wähle ich die
Maracuja-Tarte aus und wenige Minuten später versinken nicht nur unsere Löffel
in feinsten süßen Träumen. Die Sonne strahlt, der Sonntag ist noch gar nicht so
weit vorangeschritten. Erst gegen Mitternacht wird Max nach mehr als drei
Wochen die Heimreise antreten.
Nach
einem kurzen Abschied laufe ich durch die nächtlichen Straßen und bin plötzlich
wieder mit mir alleine. Der Wind fährt
durch die nächtlichen Wipfel, die Wolken rasen vor dem Mond entlang und die
Stadt ist still, stiller, am stillsten. Am nächsten Morgen beginnt das neue
Semester, doch welche Kurse ich tatsächlich besuchen werde, weiß ich noch gar
nicht so recht. Aber die einhellige Meinung: In der ersten Woche geschieht so
oder so noch nicht viel. Erstmal alles ruhig angehen lassen? Nichts da. Ein
Intensiv-Seminar mit einem Dozenten von der Universität Leipzig steht plötzlich
bereits an, obwohl es auf der Internetpastel de choclo, einen für die
Jahreszeit typischen Maisauflauf, dazu frischer Melonen-Saft. Dann noch schnell
ein bombastisch geschmacksintensives Eis beim Emporio de la Rosa. Und dann müssen wir uns beeilen, die Busse zu
einem der vielen Stadien Santiagos sind bereits überfüllt: Konzertgänger
überall. Die Schlange ist schier unübersichtlich lang. Während Rita sich
anstellt, versuche ich herauszufinden, wo ich meinen Rechnungsbeleg gegen
unsere wirklichen Tickets einlöse. Tatsächlich gibt es noch freundliche
Sicherheitskräfte, die mir den Weg weisen. Schneller und entspannter, als
gedacht, kommen wir mit den Tickets in der Hand durch die Sicherheitskontrolle.
Es kann endlich losgehen: erst Chico Trujillo, dann Manuel García und
schließlich Calle 13. Vier Stunden, zwar ein wenig frisch unter freiem Himmel,
aber Musik hält warm. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Sowohl die mir bis
dahin nicht sehr bekannten Klänge der beiden chilenischen Bands, als auch das
lang erwartete Konzert der puerto-ricanischen Band haben den Santiago-Großstadt-Blues
zumindest für heute zunichte gemacht.
Am
nächsten Morgen schlafen wir aus und trotzdem scheinen wir gegen 9 Uhr die
ersten wachen Menschen in unserem 8-Bett-Zimmer zu sein. Vergebens versuchen
wir den holzknarrigen Boden zum Schweigen zu bringen und sind so ungewollt
Weckdienst für die anderen. Aber Frühstück gibt’s hier doch auch nur bis 10
Uhr. So übel dürften es uns unsere Bettnachbarn gar nicht nehmen. Mit wunderbar
leichtem Gepäck steigen wir in die Metro. Es ist vormittags und draußen bereits
grellwarm, während die Metro stickigschwulstige Luft bietet. Immerhin steigen
wir in der einen Endstation ein und an der anderen aus, Sitzplatzsicherheit. Es
geht immer weiter heraus aus dem Zentrum, die Gegend wird wohnlicher, die Häuer
flacher und das Großstadtgefühl schwindet. An einer Station steigt eine bunte
Truppe ein, insgeheim wünsche ich mir, dass irgendetwas Außergewöhnlicher
passieren möge. Still und leise kommt aus der großen, schwarzen Tasche ein
Kontrabass hervor, aus der Einkaufstasche lugt ein Waschbrett und aus der Ecke
blitzt bereits das Saxophon. In Sekundenschnelle erfüllt jammige Jazz-Musik den
Wagon und entlockt den Reisenden ein Lächeln, manch einer lässt sich sogar zum
Mitklatschen hinreißen. Leider währt dieses wohlige Gefühl nicht lange, denn
schnell kommt eine Sicherheitskraft, um den Künstlern ihre Kunst zu verbieten.
Dagegen wehren sich die Metro-Fahrer, zeigen Solidarität und erklatschen und
errufen eine Zugabe, die sich die Musiker nicht nehmen lassen. Um welchen
Preis? Das werden wir nie erfahren, sie werden an der nächsten Station von
weiteren Sicherheitskräften in Empfang genommen. Dafür allerdings mit Applaus
aus dem Wagon heraus.
Da
Chile bei den meisten Nicht-Chilenen vor allem eine Assoziation hervorruft –
Wein –, kann ich dieses Land natürlich nicht verlassen, ohne nicht zumindest ein
Weingut besichtigt zu haben. In vielen Regionen gibt es zahlreiche Anwesen,
größere und kleinere, doch ohne Auto bleiben viele unerreichbar. Deswegen
fahren wir zum größten und wohl bekanntesten Weingut namens Concha y Toro. Wir
sind zu früh, viel zu früh für unsere Tour, sodass wir in der Weinbar Platz
nehmen und vor der Weinführung noch etwas auf der Terrasse zu Mittag essen.
Heute knausern wir nicht, sondern leben für einen halben Tag das Leben
betuchterer Touristen (nur dem Kleidungsstil wollen wir uns nicht anpassen).
Das Mousse au chocolat kommt im Anschluss an vegetarische Lasagne und Schrimps-Tagliatelle
nicht um unsere Löffel herum. Um 14 Uhr stehen wir gut gesättigt vor dem
schwarzen Eisentor, hinter dem ein hübsch aufgeräumtes Anwesen samt Garten und
Weinreben steht. Seit 1883 besteht das Gut und ist nach dem US-amerikanischen
Weingut Gallo laut unserer flotten Führerin das zweitgrößte, aber natürlich
weltbeste Weingut. Hauptsächlich werden hier Rotweine produziert, ein paar
unterschiedliche Traubensorten dürfen wir probieren: Cabernet Sauvignon,
Merlot, Carménère. Aber auch guter Weißwein wird hier gekellert. Zunächst
lernen wir, unser Glas richtig zu halten. Nun lassen wir den Wein im
Schwenkverfahren atmen, nehmen einen ersten Nasenhieb Aroma auf, bevor es dann
Salute heißt und der Trio, bestehend aus Chardonnay, Pinot Grigio und Pinot
Blanc, unsere Kehlen kühlt. Ein Fest. Und zwar ein berauschendes. Oh Bacchus!
Vom luftig-frischen Weißweingefühl geht es schnell hinab ins sterilkühle Lager,
in dem je 225 Liter Wein in Eichenfässern gelagert wird. Der kostspieligere
Rotwein des Hauses weilt bis zu 36 Monate in den Teufelstiefen, im Casillero
del Diablo. Dort unten lässt uns unsere Führerin alleine, die schweren
Holztüren fallen ins Schloss und über eine an die uralten Mauern projizierte
Animation wird die Geschichte dieses eigenwilligen Ortes erläutert.
Anschließend dürfen wir dem Teufel noch persönlich in die Augen schauen, er
wacht über die preislosen Schätze: verstaubte, jahrhundertealte Weine. Dieses
Teufelszeug wird uns leider nicht eingeschenkt, dafür aber zwei gute Rotweine.
| Vier Freunde und eine Käseplatte |
Wieder draußen blendet die Sonne, doch wir machen weiter. Kein Trinkgelage,
nein, viel besser: eine Weinverkostung mit Sommelier. Vier Weine stehen vor
uns: ein Pinot Noir, ein Merlot, ein Carménère und ein Cabernet Sauvignon.
Passend dazu vier unterschiedliche Käsesorten. Und auch hier heißt es erst den
Kelch schwenken, Riechkolben im Glas versenken und dann den Gaumen tränken.
Auch wenn die vom Sommelier benannten Nuancen nur schwerlich für mich zu
erkennen sind, es vermittelt zumindest das Gefühl, die Weine ein wenig besser
zu verstehen. Demnächst werde ich wohl häufiger zum mediterran leichten Pinot
Noir als zum bauchig schweren Cabernet Sauvignon greifen. Salute!

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