| Der Mond über und im See Villarrica |
Eine
Kurzfassung der vergangenen Wochen? Unmöglich. Dafür ist viel zu viel
passiert. Und so langsam muss ich mich daran machen, alles zu elektronischem
Papier zu bringen, sonst verschwinden all die Erinnerungen im Nirgendwo.
Seit
Januar habe ich mich gemeinsam mit Rita darauf gefreut: Placebo in Santiago.
Kaum ist also ein Monat Uni rum, steigen wir still und leise an einem
Donnerstagmorgen in einen der zahlreichen Busse, der uns nach Santiago bringt.
Schnell die Sachen im Hostel einschließen und noch kurz veganes Sushi auf einem
der vier Barhocker des winzig kleinen Emporio-Vegetal-Imbisses verspeisen, kurz
im achten Himmel schweben (aufgrund des Gaumengenusses) und dann kurz vor Schreck
mein Geld vermissen, bis mir auf Ritas Überlegung hin wieder einfällt, dass ich
das ja am Leib trage. Zwei Kilometer Fußweg, allerdings ohne Karte und auch
ohne intelligente Handys, wir fragen uns durch und irgendwann stehen wir vor
der kuppelbedeckten Movistar-Arena. Langsam geht die Sonne unter, wir sind eine
der wenigen, die nicht in dieses schwarzgekleidete Emo-Stereotyp passen. Beim
Einlass läuft alles gesittet, unsere Wasserflasche im Stoffbeutel fällt etwa
tatsächlich niemandem auf oder ist den Sicherheitskräften völlig gleich. Auch
wenn die Schlange draußen sehr lang war, drinnen hält sich der Bühnenandrang in
Grenzen. Wir stehen in der vierten Reihe und müssen wartend ständig aufpassen,
nicht auf irgendwelchen Handyfotos zu landen. Schnell noch ein Foto und noch
ein und noch eins. Das wird leider auch das Hauptanliegen der meisten Menschen
hier sein. Konzertfotosammler. Wir schließen darauf, dass viele hier eher aus
der Oberschicht kommen, wirklich günstig waren die Karten nicht und da passen
so verwackelte Konzertbilder von Placebo wunderbar ins Konzertfotosammelalbum,
digital natürlich. Zwei Vorbands präsentieren ihr Können, chilenischer Rock,
ganz annehmbar, und ein Elektro-Duo, das mit Webcams und ipad kleine
Wunderwerke auf den Flachbildschirm zaubert. Und dann ist es endlich so weit:
kreischende Mädchen, oh, nein, wirklich: Brian Molko und Co. steigen mit B3 in
den Abend ein. Kurz hüpft und kreischt die Menge, dann werden Mobiltelefone und
Fotokameras gezückt, um möglichst viel vom Konzert zu dokumentieren. Gut,
sollen sie, ist ja noch das erste Lied. Beim dritten Lied „Loud Like Love“, das
wohl im Radio meist gespielte Lied des neuen gleichnamigen Albums, können die
Chilenen sogar mitsingen. Kurz vergessen einige ihre Mobilgeräte und beginnen aus
unerfindlichen Gründen zu pogen, zu stoßen und zu rammen. Als das nächste Lied
wieder ruhiger ist, und ich langsam beginne, das Konzert zu genießen, reißt
mich die träge Menge mit ihrem unverhohlenen Gelangweiltsein aus meiner inneren
Begeisterung. Und so kommt es leider immer wieder an diesem Abend, dass Placebo
ein wunderschönes Konzert abliefert, das Publikum aber noch nicht einmal in der
Lage dazu ist, das Ganze mit Applaus zu würdigen – vielleicht stören ja die
Mobiltelefone beim Klatschen. Mit sehr gemischten Gefühlen laufen wir durch das
nächtliche Santiago zurück, mit einem Groll gegen chilenische
Placebo-Konzertgänger. Am nächsten Morgen fahren wir früh zurück in den Süden,
nur um wenige Tage später wieder in die Hauptstadt zu tingeln.
Sonntags
heißt es kochen, und zwar für alle zehn Mitbewohner, etwas Landestypisches.
Beim ersten Mal habe ich mich ein wenig darum gedrückt und vegetarisch gekocht,
doch dieses Mal wird’s böhmisch. Keine Dörfer, sondern Kaninchen, ertränkt in
Rotwein, dazu Semmelknödel und Rotkohl. Auf dem Markt finde ich ein paar
gehäutete, jedoch noch nicht geköpfte Exemplare. Gefühlt stehe ich eine halbe
Ewigkeit in der Küche. Aber das selige Schweigen bei Tische zeigt: Es war die
Mühen wert.
Am
Montagabend verabschiedet mich ein Teil meiner chilenischen Adoptivfamilie als
würde ich für immer von dannen ziehen, dabei werde ich nur ein paar Tage
unterwegs sein. Nicht alleine, nein. Ich bekomme Besuch, einer meiner besten
Freunde kommt auf Kurzurlaub in diesen ewig lange Land. Trotz Vorfreude kann
ich ein wenig über Nacht im Bus nach Santiago schlafen, früh morgens komme ich
in der Hauptstadt an und fahre noch im Dunkeln zum Flughafen. Ich bin früh
dran, das Flugzeug leider nicht. Also warte ich und warte ich, bis ich dann
endlich den Riesen über die chilenischen Köpfe hinweg mich suchen sehe. Erst
einmal zum Hostal, die Reise verdauen. Schon vor Ort ist Rita, auch sie hat
Besuch aus Deutschland. Ein wenig erschöpft schlendern wir durch die
Großstadtstraßen, die langgezogenen Parks und nach ein paar vergeblichen
Telefonaten finden wir uns dann alle und beschließen, die herbstliche Hitze mit
einem Eis abzukühlen – quasi in unserer Stammeisdiele. Dann schließen wir uns
nach einem Espresso, von einem pinkfarben behemdeten Kellner serviert, einer
großen Touristengruppe an und folgen Wally. Im Wo-ist-Walter-Hemd steht unser
kolumbianischer Stadtführer vor dem Museum für Schöne Künste und zieht mit uns
los. Hier ein Halt, dort ein Wort zu den vielen Straßenhunden, die auch in
Santiago in ruhigem Trott die Menschen begleiten, es sei denn, es handelt sich
um durchaus böse Menschen, dafür hätten sie einen Sinn. Immer wieder rieseln
Wortwitze in die Ausführungen des Walter-Verschnitts, da unser Doppelbesuch
sich anscheinend gern gegenseitig hochschaukelt.
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| Eine Figur aus der aymara-Kultur |
Währenddessen bewundern wir
die bunten und detailüberschwangeren Graffitis vom chilenischen Künstler Inti
an der Metro-Haltestelle Bellas Artes. Ein paar Straßen weiter stieren die
meisten Augenpaare am Kulturzentrum Gabriela Mistral eher auf die davor
posierende, leicht bekleidete Dame, anstatt der Geschichte dieses Gebäudes zu
lauschen, im Park Santa Lucía werden wir dann Zeugen einer ganz alltäglichen
Ausstellung: chilenische Pärchen knutschend, liegend, sitzend. Den meisten
jungen Paaren bleibt es verwehrt, sich zu Hause zu treffen, sodass öffentliche
Plätze, am liebsten Parks und ihre Grünflächen, zur gegenseitigen Liebesbekundung
und mehr genutzt werden. Noch schnell am Präsidentinnenpalast vorbei, zur Börse
und hinab in den Untergrund, an den Wänden der Metro-Haltestelle Universidad de
Chile erstreckt sich das Wandbild „Memoria visual de una nación“, auf dem die
chilenische Geschichte in kraftvoll kritischen Bildern erzählt wird. Und noch
mehr Geschichte gibt es an der Hausnummer 38 der Straße Londres, hier war zu
Diktaturzeiten ein Folterzentrum untergebracht, im Boden davor findet man
Plaketten mit Namen, Alter und Datum des Verschwundenen. Es gibt so einige
Kapitel der chilenischen Geschichte, die während eines kurzen Eintauchens in
die Kultur leider viel zu kurz kommen. Ermüdet lassen wir uns in die Sessel
eines Lokals fallen, uns wird borgoña
(gekühlter Rotwein mit in Pisco eingelegten Beeren) eingeschenkt, dazu ordern
wir eine Pizza und verabschieden uns vom Herrn im rot-weiß gestreiften T-Shirt.
Dieser erste Abend in bunter Gesellschaft endet spät...
Der
nächste Morgen dagegen beginnt mit einem entspannten Frühstück, Rita und ihr
Besuch macht sich auf in den Norden, wir bleiben noch bis zum Abend in
Santiago. Die herbstliche Hitze draußen ist erträglich, am Fluss Maipo
schlendern wir in Richtung Markt. Überdacht werden dort vor allem Fisch und
Meeresfrüchte feil geboten.
| Frischer Fisch, den nicht Fischers Fritze gefischt hat |
An jeder Ecke versucht man uns in ein Restaurant zu
ziehen, wir landen dann beim Tío Rico und bestellen einen großen, brodelnden
Lehmtopf voll curanto, ein
Muschel-Fleisch-Eintopf, der eigentlich von Chiloé stammt. Da es im Restaurant
und auch sonst in Chile etwas länger dauert, wird es langsam eng. Wir müssten
um 16.30 Uhr am Weingut Concha y Toro sein, da gibt es die einzige Führung in
englischer Sprache... Und ja, knapp, aber es passt. Trockenhumorig führt uns
der vollbeleibte Weingutführer durch die verschiedenen Stationen, wir dürfen
wieder Trauben probieren: Merlot, Cabernet Sauvignon, Syrah,... Und dann werden
die Gläser erhoben, Farbe und Geruch analysiert, es perlt auf der Zunge, die
Sonne blitzt uns ins Gesicht, ein schweres Leben. Und auch die Verkostung mit
Sommelier ist eine Wucht, nicht nur aufgrund unseres klugen Dreinschauens und
unseren vorgeblichen Weinkenntnissen, sondern vielmehr aufgrund unserer sehr
britischen Gegenübern. Vielleicht muss ich doch noch einmal auf die Insel,
dieser wunderbar herbe Humor.
| Herbstliche Lichter |
Leicht angetrunken fahren wir zurück zum Hostal,
packen um, und machen uns gegen 21 Uhr auf zum Busbahnhof. Bereits auf dem Weg
dorthin habe ich ein ungutes Gefühl, und tatsächlich: Es gibt kaum eine freie
Ecke, und noch viel schlimmer, es gibt kaum noch einen Bus nach Concepción.
Osterwochenende, die Preise wuchern und die Menschenmassen reisen zu ihren Liebsten.
Wir wollen doch nur nach Concepción, mehr nicht. Doch das scheint heute zu viel
verlangt. Ein paar Meter von uns entfernt vernehmen wir ein „Conce, Conce“. Ich
nähere mich dem Herrn an, der uns sofort zu einer Dame mit Schreibblock
schickt. 15 000 chilenische Pesos, so viel zahlt man normalerweise für die
Luxus-Schlafsessel-Variante. Und auch erst um Mitternacht. Halleluja. Nun gut, wohl oder übel kaufen wir zwei
Tickets. Und dann versuchen wir es uns auf dem überfüllten Bussteig
einigermaßen bequem zu machen. Das gelingt eher schlecht. Eine leicht
übergewichtige Frau ganz in pink gekleidet hat neben ihrem Riesenkoffer eine
Kloschüssel stehen, das Mädchen nebenan eine winzige Schildkröte in einem noch
winzigeren Terrarium, Kinder, Koffer, Taschen und zwischendrin immer wieder
markthalsige Schreier, die der Masse Essen und Getränke anpreisen. Wir schlagen
die Zeit tot wie eine Tausendschar Fliegen, um Mitternacht kommt ein Bus
angefahren, es scheint unserer zu sein, ich hake nach, unser Gepäck wird eingeladen,
wir steigen ein und sitzen, sind froh. Doch nur wenige Minuten später kommt ein
junger Mann, der meint, wir würden auf seinem Platz sitzen. Wieder raus aus dem
Bus, nachfragen, feststellen, dass wir uns geirrt haben. Also wieder warten,
suchen, da kommt ein Bus, etwas klappriger als der vermeintliche, doch da steht
00.30 Uhr angeschlagen. Nein, diese Odyssee ist noch nicht vorbei. Plötzlich
taucht von irgendwoher ein weißes Ungetüm auf, als Bus möchte ich dieses
Gefährt gar nicht erst bezeichnen. Es ist unser Transportmittel; jetzt würde
ich gerne an Gott glauben. Wider Willen steigen wir ein, direkt hinter der
klapprigen Fahrerkabine befinden sich unsere Sitzplätze, die Sitze lassen sich
nicht verstellen, dafür fallen selbst den einsteigenden Chilenen die
Gesichtszüge auseinander. Zum ersten Mal nistet sich eine gewisse Angst in
meinen Knochen ein. Es zieht und wackelt, die Fahrer krakeelen lautstark, das
steinzeitliche Radio dröhnt und an Schlaf ist wirklich nicht zu denken.
Übernächtigt und schlotternd kommen wir nach nur fünf Stunden rasanter,
gewagter, schlangenliniger Fahrt an. Ins Bett fallen. Das war’s.
Ein
Spaziergang durch Concepción, und dann fahren wir mit Kuchen im Gepäck nach
Tomé, Philipp stößt beinahe an die Busdecke, es schaukelt, doch lange nicht so
sehr wie auf der nächtlichen Fahrt. Als wir endlich am Meer angelangt sind,
haben wir den Strand fast für uns. Ein bisschen entspannen, bevor wir in den
Süden fahren, etwa 500 Kilometer Busfahrt liegen vor uns, das Ziel: Villarrica.
Dort kommen wir in einer klitzekleinen Wohnung unter, es riecht nach Holz,
unter die schwere abendliche Feuchte mischt sich der Geruch heimeligen Feuers.
Der Mond steht hoch oben über dem See und findet sein Spiegelbild im schwarzen
Wasser. Eine ruhige Nacht und die kleine Stadt erwacht spät, wir ziehen durch
den Ort, erkunden uns bei der Touristeninformation nach Ausflugsmöglichkeiten.
Doch, um unseren Plan der Vulkanbesteigung verwirklichen zu können, müssen wir
in den nächsten Ort: Pucón. So verschlafen Villarrica war, so lebhaft
touristisch ist diese hölzerne Stadt. Wir finden eine Reiseagentur, die uns
eine erschwingliche und vertrauenswürdige Wandertour anbietet. Anschließend
fahren wir zu den Ojos de Caburgua, einer Ansammlung von Wasserfällen und
Lagunen, die so blau wie tiefgründige Augen strahlen. Es ist Osterwochenende
und demnach auch leicht überfüllt. Wir versuchen, den Massen zu entkommen,
klettern über Absperrungen und erleben so die Gänze der augenstarken Gewässer
auf eigene Gefahr.
Der
Wecker klingelt, als wir gerade eingeschlafen sind, es ist dunkel und kalt, wir
brechen auf, werden in Villarrica abgeholt, nach Pucón gefahren, dabei dringt
unentwegt ein seltsamer Verschnitt aus den größten Hits der letzten 40 Jahre zu
uns nach hinten, alle zehn Sekunden wechselt das Lied. Noch nicht ganz wach
kommen wir in Pucón an und erhalten peu à peu unsere Ausrüstung: Hose, Jacke,
Helm, Rucksack. Insgesamt sind wir zwölf Leute, laut der Liste sind Philipp und
ich hier die ältesten. Ob uns das nicht noch zum Verhängnis wird. Im Kleinbus
fahren wir zum Nationalpark, ein, zwei Agenturen stehen bereits mit ihren
Kleingruppen am Fuße des Vulkans Villarrica. Wir haben die Wahl: eine Stunde
über schottrigen Untergrund laufen oder mit der Luftseilbahn den Weg verkürzen.
Ich bin sofort dafür, die anderen aus der Gruppe sind deutlich trainierter als
ich. Auch wenn die klapprige Seilbahn kostet und ohne jegliche
Sicherheitsvorkehrungen auskommt, lassen wir uns in die blauen Sitze fallen,
Spitzhacke und Rucksack auf dem Schoß.
| Hinauf, hinauf in eisige Höhen |
Immerhin habe ich keine Höhenangst, die
Sonne bricht langsam durch die Wolken, aus dem Schlot schimmert es rötlich,
Rauch steigt aus dem Krater empor. Die fitten Jungs steigen unter unseren
baumelnden Füßen mit dem Schweizer Tobias hinauf, vor uns im Lift sitzen zwei
weitere Bergsteiger, die sich um uns untrainierte Anfänger kümmern. Nach
einigem Schwanken und Schweigen von der Seilbahn abspringen, nehmen wir unsere
Eispickel in die Hand und lernen laufen – auf dem ersten Eis. Langsam und immer
schön ein Dreieck mit dem Eispickel bildend. Wir kommen tatsächlich langsam
voran, doch in ein, zwei Stunden bin ich froh um dieses Tempo, denn jede Art
von Schnelligkeit nimmt mir beim Aufstieg den Atem. Von 1400 Metern kämpfen wir
uns langsam, aber stetig, auf 2850 Meter Höhe. Wir machen kurze Pausen, die
fitte Truppe hat uns bereits längst wieder überholt, das Eis blitzt in meinen
Augen, bei jedem Tritt ramme ich die Spikes unter meinen Wanderschuhen fest in
den eisigen Gletscher, ein konstanter Zick-Zack-Marsch nimmt mir bald die Kraft
zum Reden, die Höhenmeter summieren sich nur schleppend. Und doch ist der Kopf
wach, nimmt alles genau wahr, dann und wann wird von irgendwoher „¡Roca!“
geschrien und im selben Moment poltert ein Stein von oben hinab, vor dem wir uns
in Acht nehmen müssen. Nach Stunden des Aufstiegs fehlen noch ganze 200
Höhenmeter, ich kann nicht mehr, will aufgeben, den Rest ziehen lassen und
warten. Kurze Pause, unsere bergsteigerische Begleitung nimmt mir meinen
Rucksack ab, ich laufe weiter. Ohne das Gewicht auf dem Rücken kann ich
plötzlich meine Knie wieder anheben, die Fersen kann ich mit dem letzten Rest
an Kraft in den weißen Untergrund rammen und ganz unerwartet stehen wir oben.
Aus dem Krater qualmt es, ein fieser Schwefelgeruch steigt mir zu Kopf.
| Geschafft, in zweierlei Bedeutung |
Ein
paar Minuten Ruhe, Fotos mit der chilenischen Flagge und dann müssen wir auch
schon wieder absteigen. Wolken sind aus dem Nichts aufgetaucht, es zieht sich
zu, die Angst vor einem Whiteout
steigt auf, davor Nebel von Umgebung nicht unterscheiden zu können und
letztendlich gar nichts mehr sehen zu können. Zunächst steigen wir breitbeinig
im Gangnam-Style abwärts, um nicht über unsere eigenen Füße zu stolpern –
langsam natürlich und ohne Musik im Ohr. Hier oben verliert jedes Geräusch
seine Intensität, alles scheint ungemein stiller als unten im Tal. Dann
bewahrheitet sich meine Befürchtung: Die Schuhspikes werden abgeschnallt und
eine riesige Windel umgeschnallt. Mindestens tausend Meter geht es von nun an
auf dem Allerwertesten hinunter, so zumindest der Plan. Hintereinander sollen
wir ein gutes Stück rutschen, es ist steil, verdammt steil. Knie anwinkeln, die
Spitzhacke seitlich am Körper als Bremse, aufrecht sitzen. Ich bin die letzte,
nur unser Bergsteiger kommt dann noch nach mir den Berg hinunter gerast.
Durchatmen, locker lassen, hinsetzen. Kaum sitze ich, rutsche ich auch schon
hinunter, die ersten ein, zwei Sekunden läuft alles glatt, doch unerwartet
verliere ich die Kontrolle, wirbele umher, sehe nur noch weiß, der
Adrenalinspiegel schlägt mir an die Schädeldecke mit der voran ich hinab
brettere. Verzweifelt versuche ich den Pickel ins Eis zu schlagen, nach
unzähligen Versuchen und zahlreichen Metern als Supermann getarnt hänge ich am
Pickel, die Sonnenbrille sitzt schief, der Helm erst Recht, in jeder Ritze
leuchtet Schnee hervor, mein Herz rast. Beim Aufstehen zittern meine Knie, ein
Schlotterzwerg. Die zweite Tour rodele ich in Begleitung, auch die dritte.
Beruhigt wage ich das letzte Stück alleine und bin froh endlich an der unteren
Schneegrenze anzukommen und im lockeren Vulkangestein zu versinken.
Der
Bus fährt uns zurück nach Villarrica, es ist Nachmittag, Philipp sitzt am
Fenster, ich am Gang. Mir fallen die Augen zu und ich kippe leise in den Gang.
Gerade vor dem unschönen Aufprall, bemerke ich mein Fallen und fange mich ab.
Die Menschen um mich herum schauen mich überrascht an, ich breche in Gelächter
über mich und meine körperliche Müdigkeit aus. Zurück in der Wohnung legen wir
uns fürs erste schlafen.
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| Farbengewalt und Tiefenentspannung |
Ausgiebig
ausgeschlafen machen wir uns auf den Weg zu den Thermalquellen bei Coñaripe,
nach den gestrigen Strapazen wollen wir mehr als nur tiefen Schlaf in weichen
Daunen: warme Quellen mitten in dschungelartiger Umgebung. Doch ohne eigenes
Auto ist es fast unmöglich dorthin zu gelangen. Wir finden einen Franzosen, der
uns eine halbe Stunde über Feldstraßen jagt, oder besser sein Auto. Auf dem Weg
dorthin sehen wir vom Pudel über die im Weg stehenden Ziegen und Kühe so gut
wie alle Tiere, die man auf dem Land so erwarten würde. Die Sonne strahlt, die
teuren Termas geométricas liegen in
einer hohen Felsspalte versteckt, rote Holzbrücken führen immer tiefer hinein
in die Schlucht, an deren Ende ein Wasserfall plätschert. Es riecht leicht
schwefelig, die kleinen Becken sind gefüllt mit kuschlig warmem Thermalwasser,
um uns herum Pflanzen, die einem Jumanji-Film entsprungen sein müssen. Hier
lassen wir den Kurzurlaub ausklingen. Und dann ist auch schon fast Abflug für
Philipp angesagt, für mich universitärer Alltag.


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