Der
Besuch ist weg, die Realität wieder da, die Tage werden kürzer, Winterzeit. So
langsam klopft der Herbst an die Tür, es wird kalt und feucht. Es fällt mir
schwer aus dem Bett zu kriechen, die Dusche bequemt sich kaum, warm zu werden.
Es scheint, als würden die Tage Trauer tragen, in Tristheit und Einsamkeit gewandte
Stunden, aus denen gefühlt ganze Wochen werden. Winterblues im April? Ich muss
raus, raus aus dem Bett, rein in die Welt. Die Uni hilft da herzlich wenig, es
geht nur träge voran.
Tage,
aus denen Wochen wurden. Und in diesen Wochen hat sich dann auch mein Wunsch
konkretisiert, auszuziehen. Nicht wegen meiner Mitbewohner, einen großen Teil
habe ich sehr ins Herz geschlossen, vielmehr geht es um die Umstände. Da sich
angeblich nicht alle an die Besucherregeln halten, will der Hausbesitzer
Überwachungskameras im und am Haus installieren, nicht zu unserer Sicherheit,
sondern zur Überwachung eben. Das stößt mir ziemlich sauer auf. Mindestens
genauso sauer wie sein Vorhaben, einen 12 Meter hohen Mobilfunkmasten in
unseren Hinterhof zu stellen. Auch wenn nicht mehr viel Zeit bleibt, ich möchte
weder gefilmt werden, noch hinterhältigen Strahlen ausgesetzt werden. Also
halte ich Augen und Ohren offen. Tatsächlich eröffnet sich mir eine
Möglichkeit, von der ich nicht zu träumen gewagt hätte: eine ganze Wohnung, nur
für mich alleine, ich darf die Wohnung einer guten Freundin bewohnen, solange
sie den Mai über in Deutschland ist. Stille. Eine ordentliche und saubere
Küche, ein Balkon mit Aussicht auf die Stadt. Der Weg zur Uni ist nun ein wenig
weiter, aber 20 Minuten Fußmarsch halten mich zumindest wach.
| Eine Zugfahrt, die ist lustig... |
Es
ist viel zu tun, die letzten Prüfungen warten, aber glücklicherweise ebenso ein
Wochenende in einem kleinen Dorf. Zusammen mit ein paar meiner ehemaligen
Mitbewohnern steigen wir am 2. Mai, der hier Brückentag ist, mittags pünktlich
in den orangefarbenen Zug. Vor der Diktatur war die Eisenbahn-Infrastruktur
sehr viel ausgeprägter, mittlerweile gibt es nur noch vereinzelt Personenzüge.
Mit Rucksäcken und Kartons bewaffnet bahnen wir uns den Weg zu den wenigen verbleibenden
Sitzplätzen. Langsam ruckelt die volle Bahn durch die Landschaft. Araukarien
strecken ihre Arme gen Himmel, zwischen dem immergrünen Nadelwald leuchten hier
und da feuerrot gefärbte Laubbäume auf. Der Fluss Bíobio glänzt in der
Herbstsonne. Wir schmieren Käsebrote und beobachten unsere Mitreisenden. Erst
werden die Fahrkarten kontrolliert, dann werden uns abwechselnd Getränke,
Nüsse, Sandwiches, Kaffee und noch so einiges mehr feilgeboten. Hinter uns
spielen Kinder lautstark, obwohl, es sind eher ihre lautstarken elektronischen
Geräte, auf denen sie spielen. Böse Blicke, selbst lästerliche Kommentare
helfen da lange nicht weiter. Erst, als wir bereits fast in Laja ankommen, hat
es sich ausgespielt.
| Abendliche Stille |
Am
Endbahnhof stolpern wir in kleine Straßen, niedrige Häuser, ausgeblichene
Farben. Rocío holt uns ab, gemeinsam stiefeln wir gut bepackt durch die
Ortschaft und kommen dann an einem niedlichen, kleinen Reihenhäuschen an, das
von Anfang an magisch auf mich wirkt. Die Wände sind dünn, alles wirkt so zart besaitet,
friedlich. Mit unserem Besuch kommt natürlich ein bisschen Leben hinein, doch
die Ruhe bleibt bestehen. Wir packen aus, kochen Nudeln und machen uns auf in
den sich bereits verdunkelnden Abend, hinauf zum Wald. Die Tannennadeln färben
den Waldboden in ein rostbraunes Rot, die kahlen Baumstämme recken sich in den
wolkenverhangenen Himmel. Ein verlassener Spielplatz taucht im abendlichen Grau
aus dem Nichts auf. Ein Karussell, Schaukeln, Wippen. Unsere Herzen springen
beinahe aus unseren Kehlen. Ausgetobt spazieren wir zum See, der Mond spiegelt
sich im schwarzen Nass wider, in der Luft hängt nebliger Geruch nach Brennholz.
Trotz der Kälte zieht es uns ans Wasser, fast ins Wasser. Wieder im kleinen
Reihenhäuschen zurück, machen wir sopaipillas
und trinken dazu pisco sour, spielen
Karten und reden bis in die Nacht hinein.
Am
Samstagmorgen kommt der Großteil nur schwerlich aus den Federn, ich lese für
meine bevorstehende Literaturprüfung und entscheide mich dann dafür, hier zu
bleiben, während der Rest aufbricht – in Richtung Nationalpark. Irgendetwas
hält mich in diesem Haus fest, die Ruhe überträgt sich langsam, ganz langsam
auf meinen Gemütszustand. Gemeinsam mit Rocío bleibe ich also. Sie muss lernen
ich lesen. Und dazwischen finden wir Zeit für Gespräche, für ein Mittagessen.
Zeit. Am späten Nachmittag kommen Manuel, Lorena, Gabriela, Marie und Maëlys zurück
und wir laufen zusammen nach San Rosendo, der Nachbarort.
| Über eine Brücke müssen wir gehen. |
Die mit ihrem
spärlichen Fußweg, in dem so manch eine Holzplanke fehlt, bedachte Brücke führt
über den Fluss, in diesen Ort, der einem Zugfriedhof gleicht: rostige Gleise,
eine quietschende Drehscheibe, halb eingestürzte Gebäude und überall alte,
begehbare Waggons. Und wieder sorgt der Abendhimmel für dieses seltsame Gefühl
der Heimeligkeit. Im Dunkeln laufen wir über die Brücke zurück, sitzen zu Hause
wieder zusammen. Am Sonntagnachmittag nehme ich nach einem ausgiebigen
Spaziergang etwas Ruhe mit.
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