Montag, 28. September 2009

Diferencias y puntos en común

Unterschiede und Gemeinsamkeiten



Kolumbien – Deutschland, viele denken wohl: Gemeinsamkeiten, gibt es die wirklich? Ein Land, das so sehr vom Drogenexport, von falscher Politik, von Guerilla und Paramilitär abhängig ist oder beeinflusst wird. Und wir, als Deutsche sollen Gemeinsamkeiten haben, mit Menschen, die ein ganz anderes Leben führen? Sicherlich, die Unterschiede überwiegen, aber hier und da tun sich auch Gemeinsamkeiten auf.

Allerdings nicht beim Verkehr, ich besitze zwar einen Führerschein, aber fahren will ich hier nicht, es gibt weder Leitplanken (auch nicht in den felsigeren Geländen, wo der Abgrund einem ins Gesicht springt), noch Fahrbahnmarkierungen, die Straßenlichter sind um einiges orangefarbener, es gibt so gut wie keine Ampeln (und wenn dann kümmert es niemanden, hier kann man auch getrost bei Rot über die Ampel gehen oder eben fahren), auch Zebrastreifen machen sich rar. Allerdings ist es hier unglaublich teuer sich ein Auto anzuschaffen, und der Sprit, und doch lassen sich mehr Personen in dem gleichen Auto befördern als in Deutschland, man quetscht sich durchaus zu neunt in einen Fünfsitzer. Sicherheitsgurte gibt es nur für den Fahrer und den Beifahrer. Umweltplaketten würden hier wohl alle rot sein, denn neu sind die meisten Wagen nicht. Kreisel sind hier beliebt, genau wie in Deutschland. Und Baustellen, unglaublich viele Baustellen, Straßen werden aufgerissen, sonntags wird auch hier auf den Baustellen nicht gearbeitet.



Öffentliche Verkehrsmittel sind überfüllt, vor allem zur hora pica, die Menschen lassen weder ein- noch aussteigen. Wenn es nicht gerade einen Transmilenio oder eine Metro gibt, dann nutzt man die Busse, die man heranwinken muss. Diese fahren und halten, wie die Busfahrer lustig sind. Dafür sind die großen Überlandbusse, mit denen man unglaublich günstig reisen kann, akklimatisiert, es gibt Filme zu sehen und Beinfreiheit. Taxis (oder auch die „gelben Knutschkugeln“) sollte man lieber per Telefon ordern, vor allem abends und nachts. So viel zu den Straßen. Die Fußwege werden gesäumt von Straßenverkäufern, viele haben kleine Wägelchen, man kann einzelne Zigaretten kaufen (was hier durchaus üblich ist) oder Päckchen mit sechs Zigaretten, einzeln verpackte Kaugummis, Süßigkeiten, von denen man nicht weiß, was sie beinhalten und vor allem llamadas. Man hört sie von überall her rufen: „jammadasjammadasjammadas“ Es werden Telefongespräche verkauft, denn die meisten Menschen hier besitzen zwar ein Handy, aber eher selten einen Vertrag, sondern nur eine Prepaid-Karte, und Telefonate zu unterschiedlichen Anbietern sind schweineteuer, also verdienen sich viele Menschen ihren Unterhalt, indem sie ihre minutos verticken. Auch sonst kann man alles mögliche auf der Straße erwerben: Filme, Musik, USB-Sticks, Schmuck, Mützen, Handschuhe, Gürtel, Kleidung, Schuhe, alles, was das Herz begehrt (nur beim Exportieren sollte man vorsichtig sein, Plagiate und so) und natürlich Essen, reichhaltig, an jeder Ecke findet man eine ältere Dame, die ihren Grill vor sich aufgebaut hat und Fleischspieße oder Maiskolben für wenig Geld anbietet.


Gleich daneben befindet sich ein Stand mit obleas, die mit arequipe, Marmelade, gesüßter Kondensmilch und Käse bestreut werden,



auch arepas und empanadas lassen sich im Straßenverkauf finden. Und natürlich nicht zuletzte Obst und Gemüse, nicht selten sieht man einen Karren voll beladen mit Avocados oder Kokosnüssen… Oft muss man auch den Angestellten der vielen kleinen und großen Restaurants entweichen, die einen gerade zu hineinzerren in ihre Läden, damit man Geld fürs gute Essen bei ihnen lässt.
Womit wir beim nächsten Thema wären: das Essen. Ein typisches kolumbianisches Mittagessen beinhaltet eine Suppe (meist Kartoffeln, Reis, ein wenig Gemüse), gefolgt von Fleisch (Rind oder Hühnchen) mit Reis, patacones (gebratene Kochbanane), eventuell einem Salätchen und dazu frischen Saft (lulo, Brombeere, Maracuja, Banane, etc.) entweder en agua (also mit Wasser hergestellt) oder en leche (also mit Milch). Durchschnittlich bezahlt man für ein solch reichhaltiges (wenn auch gemüsearmes) Essen 5,000 COP. Danach einen tinto und man ist gesättigt für den Rest des Tages. Man kann natürlich auch viel schnelles Essen erwerben, aber Ketten wie McDonalds und DunkinDonuts haben hier noch nicht überhand genommen. Fazit: Wo es an Gemüse hier fehlt, das Obstangebot übertrifft das deutsche um hundertfaches. Fleisch steht genau wie in Deutschland mit an oberster Stelle. Auch Brot (allerdings ist das mit dem „Brot“ so ne Sache) gibt es hier in Massen. Und die Bäckereien sind gar nicht schlecht, was den ganzen Süßkram angeht. So wie die Konditoreien in Deutschland (nur zu günstigeren Preisen). Milhojas zum Beispiel, Blätterteiglagen, dazwischen verschiedene Cremes und obendrauf arequipe, kann man nicht immer essen, aber ab und an. Und der Kaffee, natürlich, der kolumbianische Kaffee ist einer der weltbesten, und auch wenn der von Spitzenqualität nur exportiert wird, der „zweitbeste“ schmeckt trotzdem sehr gut. Und das Bier, nicht zu vergessen, da die Deutschen natürlich die Weltmeister im Bierbrauen sind. Gut, es gibt hier kein Reinheitsgebot und auch keine Inhaltsangaben auf den Flaschen und Dosen (denn hier gibt es eine Menge Dosen). Man mag es kaum glauben, aber es schmeckt. Das bekannteste ist das aguila (was Adler bedeutet), leicht säuerlich und mild, so wie eigentlich alle anderen vier Sorten. Es gibt leider kaum eine herbere Variante und wenn doch, habe ich sie noch nicht finden können. Ansonsten, aguardiente (Anisschnaps oft mit Zucker, dadurch ist es unglaublich einfach anhand von einigen Schlucken sich auf Tischen tanzend zu befinden), den kolumbianische Rum darf man nicht zu vergessen zu erwähnen, die Flasche in der Hand schwenkend, da fühlt man sich gleich ein wenig wie Captain Jack Sparrow… Ausgehen, das ist hier auch anders. Man sollte sich gegen acht Uhr abends auf den Weg machen, denn nachts um zwei ist alles wie ausgestorben, auch am Wochenende. ¿Qué más?
Der größte Unterschied liegt wohl in der Sprache. Offensichtlich, nicht wahr? Mit Englisch kommt man nicht wirklich weit, außerhalb der Universität gibt es kaum Menschen, die eine Fremdsprache beherrschen. Das Bildungssystem, deutlich anders. Es gibt mehr Privatschulen als öffentliche (sowohl Schulen als auch Universitäten), aber zum Bildungssystem habe ich mich schon ausgelassen. Nun denn, sagen wir, es gibt große Unterschiede. Aber was die Sprache betrifft, Dialekte gibt es hier wie Sand am Meer. So wie man die Nordlichter nur schwer verstehen kann (oder erst die Schwaben oder Bayern), so ist es hier mit den costeños (Menschen, die an der Küste leben) oder paisas (aus der Region rund um Medellín). Das beste kolumbianische Spanisch wird von den rolos (den Bogotanern) gesprochen. Wie gut, dass ich mich den Großteil meines Lebens in dialektfreien Städten befunden habe;) Da lernt man zu sprechen, wie andere nur schreiben können… Und doch, viel Straßenspanisch hat sich mittlerweile in meinen Sprachgebrauch eingeschlichen. Hier nennt man sich fröhlich „Schwuchtel“ oder „Chinese“, ohne irgendwie rassistisch, verletzend oder sonst irgendein Gefühl auszulösen. Niemand fühlt sich angegriffen, und doch empfinde ich es manchmal als seltsam mit marica angesprochen zu werden. Die Menschen hier sind anders, offener, hilfsbereiter, wenn auch manchmal ein wenig oberflächlich (aber auch in Deutschland wollen die wenigsten wissen, wie es einem WIRKLICH geht, wenn man sie fragt), und doch freuen sie sich ihr Land präsentieren zu können, einem die schönen Seiten zu zeigen. Und tanzen können sie, bis jetzt habe ich noch keinen Kolumbianer getroffen, der nicht seine Hüfte gekonnt einsetzen kann. Da sollten sich der ein oder andere mal ne Scheibe abschneiden.
Es gibt auch eine Menge Grünflächen, Kolumbien ist etwa dreimal so groß wie Deutschland und doch beherbergt es nur halb so viele Menschen wie Deutschland, was wohl unter anderem auch daran liegt, dass der Großteil unbewohnbar ist. Ein Land, in dem man alles finden kann: Schnee (wirklicher und nun mal auch unwirklicher Schnee, verschweigen kann man und sollte man es wohl nicht), Strand, Atlantik- und Pazifikküste, Urwälder, Flüsse, Wasserfälle, Wüste, einfach alles.



Anfangs dachte ich, ich würde halluzinieren oder es mir einfach nur einbilden, aber nein, eines steht fest: Die Wolken sind anders, ganz anders, davon lasse ich mich nicht abbringen, sie sind sogar unbeschreiblich anders, plastischer, schöner, impulsiver… Wenn ich die Wolken hier betrachte, lassen sich keine Bilder erkennen, sondern ganze Kunstwerke, selbst die großen schweren grauen Wolken tragen etwas mit sich, das sie wunderschön werden lässt.
Aber zu anderen Gemeinsamkeiten: die Bürokratie. Ohja, man mag es nicht für möglich halten, aber der Papierkram ist hier mindestens genauso schlimm wie in Deutschland, nur dass man in Deutschland sicher sein kann, dass nichts auf dem Postwege verschollen geht. So wie wahrscheinlich mein Wahlzettel, angesichts des Wahlergebnisses. Nun denn, ich bin Bürgerin einer Demokratie, da muss ich es wohl akzeptieren, auch wenn mir das sehr schwer fällt. Konservative und Liberale. Das wäre hier in Kolumbien wohl nicht möglich. Dieser Sonntag war auch hier Wahlsonntag, zwar wurde nicht der Präsident gewählt (der die Verfassung zu seinen Gunsten erneut verändern will, um seine zweite Wiederwahl zu ermöglichen), sondern nur die Präsidentschaftskandidaten, und doch kann man an solch einem Tag keinen Alkohol erwerben, nirgends. (Genauso wie nachts zwischen drei und zehn Uhr morgens.) Wenn’s hilft.



Wie gesagt, mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten und wahrscheinlich ist es gerade das, weshalb es mich hierher zieht… Mal was anderes erleben, die Wäsche eben mit kaltem Wasser waschen, verdutzte Gesichter sehen, wenn man eine Spülmaschine beschreibt, ungläubig angeschaut werden, wenn man erwähnt, dass man sieben Sprachen spricht (wohlgemerkt nicht beherrscht), sich daran gewöhnen zu spät zu kommen (und damit meine ich nicht etwa fünfzehn Minuten, sondern durchaus eine ganze Stunde), alles ein wenig lockerer zu sehen und doch hart zu arbeiten für seine Ziele, denn eine Absicherung gibt es hier kaum (weder im Gesundheitswesen, noch eine Arbeitslosenversicherung), auch die Schichtzugehörigkeit ist hier offensichtlich, es ist schwierig, wenn man aus dem Süden kommt, den gleichen Stand in der Gesellschaft zu erlangen, wie die Reichen aus dem Norden. Das Leben ist hier anders, das Zeitgefühl, das Raumgefühl, und doch, die Routine ist die gleiche. Viva Colombia! Mit allen Sonnen- und Schattenseiten…

Montag, 21. September 2009

No podría ser tan simple

Das war wohl alles zu einfach



Alle guten Dinge sind drei – heißt es zumindest. Ich hoffe die dritte Wohnung wird die sein, in der ich für den Rest des Semesters bleiben werde. Zu Erklärung: Alles fing also mit dem Tag vor meinem Umzug an, da habe ich die Nachricht von meiner künftigen Mitbewohnerin bekommen, dass es Probleme gibt mit der Vermieterin… Nun denn, umziehen war trotzdem angesagt, jedoch ist mittlerweile auch der Freund von Angie eingezogen, wir leben hier also zu dritt, was kein Problem wäre, wenn die Vermieterin das zweite Zimmer aufschließen würde, was sie aber nicht tun wird. Also wechseln wir uns ab, eine Nacht im Zimmer,

eine Nacht im Wohnzimmer,

das Leben mit einem Pärchen kann durchaus schwierig sein. Es werden also alle Mittel und Wege begangen, um eine neue Wohnung zu finden. Da es Freunde und Freundesfreunde gibt, wird sich etwas finden, mittlerweile gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist nah an der Uni, super Aussicht, ABER: der Pförtner, nicht unbedingt eine Schönheit, recht alt, schielend, und steht auf junge Frauen wie mich, Jorge Molina, seine Nummer hab ich aufgedrückt bekommen, mit der Bitte mich auch wirklich zu melden, was trinken gehen und so… Nicht unbedingt meins. Die andere Möglichkeit, weiter weg, teurer, aber auch sehr schön. Die Entscheidung steht kurz bevor. Vielleicht sollte ich eine Pro-und-Kontra-Liste machen. Diese Woche kann ich noch hier bleiben, mich ein wenig an das Leben mit einem durchaus aktiven Paar gewöhnen und immer Menschen um mich herum haben. Denn die Wohnung ist Treffpunkt für viele, sei es, um das Fußballspiel zwischen Deutschland und ich weiß nicht wem per LiveStream zu sehen oder um sich zu treffen und sich zu betrinken oder um gemeinsam zu kochen… Viele neue Gesichter, denen ich noch nicht allen ihre Namen zuordnen kann.
Nun denn, zur Berichterstattung der vergangenen Woche.
Das letzte Wochenende war sehr ruhig und recht angenehm. Angie und Ronan, so heißen meine Mitbewohner, haben das Wochenende in einer Finca verbracht, die Wohnung war also mein Reich. Das erste Mal seit meiner Ankunft hier, dass ich so viel Raum und Platz nur für mich hatte. Ruhe. Silencio. Ausspannen. Manchmal vermisst man das Wohnen alleine. Aber eben nur manchmal. Es reicht schon ein eigenes kleines Reich. Auch wenn es nur ein paar Quadratmeter hat.
Am Samstagabend kam ein Freund aus Deutschland, ebenfalls Student in Kolumbien, allerdings in Medellín. Und noch hat die Uni dort nicht wirklich begonnen, also Zeit zum Reisen, und die Hauptstadt hat schon so einiges zu bieten, sowie eine richtige Altstadt. Aber auch kulturell und sonst… Viel mache ich allerdings nicht hier, zu viel zu tun, die Woche war voll gestopft von parciales, ensayos und ähnlichem. Also auch nicht allzu viel Zeit, um Stadtführerin zu spielen. Den Sonntag nutzen wir trotz dessen zu einem Ausflug zum Monserrate. Auch für mich das erste Mal. Im Transferico ging’s innerhalb weniger Minuten einige hunderte Meter hinauf. Die Stadt habe ich zwar schon mal von oben gesehen, allerdings von einem Turm aus, dem Torre Colpatria, die Ausmaße werden einem erst bewusst, wenn man wirklich ALLES überblicken kann. Acht Millionen Einwohner, das bedeutet schon eine gewisse Größe.



Das Wetter war zwar nicht ideal, die Stadt verlor sich ein wenig im Dunst, aber dafür wurden wir die ganze Zeit über von der Messe mit Lautsprechern beschallt und während der Pausen zwischen den Messen, das Ave Maria, dialogisch zwischen Pfarrer und einer älteren Dame, deren Stimme sich bei jedem „Dios“ überschlug. Der Kreuzigungsweg mit den 14 Stationen zieht sich hin bis zur den touristischen Verkaufsständen, danach kommt die „Fressmeile“, man wird quasi beinahe hinein gezogen in die kleinen Restaurants, in denen man typisches kolumbianisches Mittagessen serviert bekommt. Allerdings war unser Frühstück reichhaltig (tamales, Reis, Eier, Papaya), sodass wir nach einem ausgiebigen Spaziergang nur einen tinto und die Aussicht genossen. Nach etwas Warten in der Schlange ging’s dann auch wieder bergab in die Stadt. Dem Ingo hab ich seinem Schicksal überlassen, da ich eingeladen war ins Theater, Tanztheater um genau zu sein. Zunächst traditionelle kolumbianische Tänze, viele bunte Farben, auch ModernDance war dabei, danach, in der zweiten Häfte Ballett, teilweise semiprofessionell, teilweise professionell. Ein schöner Nachmittag mit vielen neuen Eindrücken, einer einschlafenden Freundin zu meiner Seite und ein anstrengender Abend. Meinen Aufsatz, den ich am Mittwoch einreichen musste, ward nicht geschrieben an jenem Abend. Der Montagmorgen begann mit einem quiz, gefolgt von weiteren Kursen und einem Treffen für das am Freitag anstehende Referat, der Nachmittag verging so schnell, dass ich kaum ein Wort schreiben konnte, der Abend kam, ein Spaziergang hinauf zum Fitnessstudio, ein Treffen mit Eduardo, Kolumbianer, und auf den ersten Blick jemand besonderes, viele Gemeinsamkeiten, spricht sogar ein wenig Deutsch, der Abend ward also gefüllt von Gesprächen und verging wie im Fluge. Der Dienstag stand ganz im Zeichen des Aufsatzes: Die Rolle der Frau im kolumbianischen Kino der 20er Jahre. Interessantes Thema, dennoch stand gleichzeitig das Lernen für das parcial in Portugiesisch an. Und wieder war viel los in der Wohnung, Leute, Musik, schwierig sich zu konzentrieren. Der Abend kam und der Aufsatz befand sich noch immer in seinen Anfängen. Die Müdigkeit überkam mich, der Wecker wurde auf drei Uhr nachts gestellt, ich schlief ein paar Stunden und mit neuer Energie ging es mitten in der Nacht wieder ans Schreiben. Und ich hab es geschafft. Selbst ein paar wenige Vokabeln konnte ich noch lernen. Dann Unterricht, eine aufgebrachte Dozentin, da niemand die Referate vorbereitet hatte, das Eilen zum Copyshop, um den Aufsatz drucken zu lassen, zwischendrin einen tinto mit einer guten Freundin, die schon bald wieder auf dem Weg in Richtung Heimat sein wird, schnell etwas kochen, dann zum letzten Kurs, um dann abends ins Bett zu fallen. Schlafen. Jedoch nicht allzu lange. Der nächste Morgen kommt früher als gewünscht. Es steht noch so viel fürs Referat an. Und es ist ein Gruppenreferat, ich kann meine Mitreferierenden also nicht im Stich lassen, und doch habe ich keine Lust mehr und fahre zusammen mit Ingo nach Zipaquirá, ein kleines Dörfchen, etwa eine Stunde Busfahrt entfernt.



Wunderschön, wir irren ein wenig umher, bevor wir unser Ziel finden: die Catedral de Sal, eine unterirdische Salzkathedrale, mit ausgefeilter Architektur.



Eine Schülerin der neunten Klasse begrüßt uns, zeigt uns, wo wir unsere Eintrittskarten erwerben können, ein Schulprojekt. Dann geht es hinein, ins Dunkle, in einer kleinen Gruppe, unsere guia erklärt uns die einzelnen Stationen des Kreuzweges, der bis tief unter die Erde in die Kapelle führt. (Wir sind kurz davor uns als Übersetzer anzubieten, denn die englischen Varianten, da standen einem die Haare zu Berge.)



Aber das Innere ist überwältigend, das Lichtkonzept trägt viel zu den staunenden Aaahs und Ooohs bei. Zum Schluss gibt es noch einen 3D-Film, eher mau, computeranimiert, aber der Rückweg ohne Gruppe, in Ruhe, lässt ein wenig Zeit Fotos zu machen, manchmal weht ein eher unangenehmes Lüftchen, der Geruch nach faulen Eiern verbreitet sich, verflüchtigt sich aber auch wieder. Als wir wieder ans Tageslicht gelangen, hat sich der Himmel bereits zugezogen, der Weg zurück ins Dorf ist überschattet oder erfüllt (je nachdem wie man es sieht) von einer anmutigen Ruhe und inneren Gelassenheit, zumindest bis die Gedanken ans Referat wieder überhand nahmen. Den Abend verbrachten wir in angenehmer Gesellschaft von Luz, wir haben unsere erste Ajiaco – typische bogotanische Suppe – gekocht (wenn auch mit einer falschen und einer fehlenden Zutat), geschmeckt hat’s uns trotzdem. Und meine vegetarische Variante war um einiges besser;)
Ich blieb in der Wohnung, machte mich an meinen Lesestoff und übergab mich in der selben Nacht, Schwindelanfälle, Kopfschmerzen, und auch der Rest meines Körpers schmerzte am nächsten Morgen so sehr, dass ich mich aufmachte zum Arzt, zum universitätsinternen Arzt versteht sich. Denn das ist hier alles auf dem Campus. Kurze Wartezeiten (5 Minuten), kuchenessende Sekretärinnen, witzelnde Ärzte. Tausende von Fragen, die ich über mich ergehen lassen muss (Familienkrankheiten, Schwangerschaftsabbruch, Sexualverkehr, Drogenkonsum, einfach alles), eine Standarduntersuchung und dann die Feststellung, dass er nicht wisse, was es sei. Wahrscheinlich eine Virusinfektion, ob ich eine Injektion wolle, gegen das Erbrechen, dankende Ablehnung meinerseits, aber er verschreibt mir Medikamente gegen alle Symptome, gibt mit noch ein Infoblatt der Symptome der Schweinegrippe mit auf den Weg, sowie ein ärztliches Attest. Und doch komme ich nicht wirklich zur Ruhe, zwei Termine stehen an, das Referat steht immer noch aus und als ich gegen Abend nach Hause komme, ist das Wohnzimmer überbevölkert von vielen bekannten und auch unbekannten Menschen, die Kopfschmerzen halten sich im Rahmen und da es keinen Fleck gibt, an den man sich zurückziehen kann, integriere ich mich, verbringe einen schönen Abend und doch wäre es besser gewesen sich einen ruhigen Ort zu suchen. Die Nacht war kurz (und doch irgendwie schön), der nächste Morgen allerdings weniger. Die Kloschüssel ein guter Freund. Mit Grauen denke ich an die bevorstehende Busfahrt, zwei bis drei Stunden, Richtung Süden, Tierra Caliente, endlich mal ein wenig Wärme Kolumbiens spüren. Vierundzwanzig Stunden in einer Finca, mitten unter einer Horde französischer Austauschstudenten. Und ein Swimmingpool. Ganz für uns allein.




Jedoch kann ich diesen Tag nicht wirklich genießen, mein Kopf steht kurz vor der Explosion, auch das Bad ist ein Ort an dem ich mich öfters aufhalte als im Swimmingpool, aber es wird besser, ich verschlafe den Nachmittag und gegen Abend kann ich mich zu den anderen gesellen, die unglaublich viel trinken und tanzen und Spaß haben, ich suche mir ein ruhigeres Eckchen, unterhalte mich mit den weniger Betrunkenen, und fühle mich ein wenig wie eine Beobachterin. Aber auch das hat seine Reize, zu sehen, wie sich die Menschen unter Alkoholeinfluss verändern. Es gibt Verletzte, aber keine Toten. Das Chaos bricht aus. Die Nacht hinterlässt Spuren (trotz des Lärms bin ich dem Tohuwabohu recht früh entschwunden, in Richtung Bett); eine zerstörte Küche, Glassplitter, Kronkorken im Swimmingpool, übernächtigte Gesichter…
Mir geht es dank des vielen Wassers und des vielen Schlafs besser. Noch nicht bestens, aber ich kann ein paar Bahnen durch das verlassene Becken ziehen, die ersten Überlebenden tauchen auf und wir gehen gemeinsam auf Nahrungssuche, dazu müssen wir allerdings die Finca verlassen. Ein typisches kolumbianisches Frühstück: Reis mit Bohnen, arepa und Eiern, die erste Mahlzeit seit 48 Stunden, die ich zu mir nehme und auch bei mir behalte. Dann genießen wir die Wärme, das Wetter, und irgendwann wird es dann auch Zeit aufzubrechen.
Die erste Post aus Deutschland kam übrigens an, mein Wahlzettel, schnell meine zwei Kreuzchen gemacht und auf der Suche nach einer postähnlichen Filiale fast verzweifelt. Hoffentlich haben sich die Mühen gelohnt und der knallrote Briefumschlag kommt heile und rechtzeitig in Deutschland an.

Samstag, 12. September 2009

De esta vez si se pasa

Ein letztes und ein erstes Mal



Ein letzter Montag, der bereits um halb fünf in der Frühe beginnt, ein letztes Mal aufstehen, bevor alle anderen auch nur im Traum daran denken zu erwachen… Ein letztes Mal morgens durch die noch recht leeren Straßen, Mädels in gekürzten Schul-Uniform-Röcken, Jungs in übergroßen abgetragenen Schul-Uniform-Anzügen, die ersten Sonnenstrahlen, streunende Hunde, halblackierte Autos, Schrottsammler, Staub vom Vortag, und da steht er vor mir, der überfüllte grasgrüne Alimentador, ich atme tief ein, die Luft ist bereits draußen schweißgeschwängert, eine innere Ruhe breitet sich in mir aus, ich sammle meine Kraft, projiziere sie auf die noch geschlossenen Türen, und dann, als diese sich öffnen, bricht alles aus mir heraus, ich erklimme die Stufen, hinauf und hinein, mein – wenn auch sehr beschränkter – Platz ist mir sicher. Umsteigen, der ganze Prozess wiederholt sich, nur mit noch mehr Willenskraft, noch mehr Mitstreitern, noch mehr Gedränge. Die mental gesammelte Kraft ist jedoch alsbald erschöpft. Genießen kann ich die Fahrt nicht. Nicht umsonst witzelt man hier, dass der man sich mit dem Erwerb eines Tickets für den Transmilenio den Eintritt ins billigste Bordell Bogotás beschaffen hat. Berührungen mit Menschen, an Stellen, bei denen man in jeder anderen Situation um sich schlagen würde (es sei denn, es handelt sich dann doch um gewollte Berührungen), Ausdünstungen, angespannte Muskeln, sich stapelnde Menschen, den warmen Atem der sich nebenquetschenden Mitfahrer. Zeitgleich, Sauna, Fitnessstudio, Bordell, Telefonzentrale, der perfekte Ort für Blind Dates (Mann und Frau, Rücken an Rücken, ein Hinterteil, das sich am anderen erfreut – was allerdings sehr selten auf Gegenseitigkeit beruht), und das alles für nur 1.500 Kolumbianische Pesos…
Das rollende Bordell führt mich ein letztes Mal entlang am Doll’s House und an einigen Wiskerias, ein Obdachloser, der sich einen Reifenmantel anzündet, um sich für den bevorstehenden Tag zu betäuben, Straßenfeger in knallroten Blaumännern, Bänker, Straßenverkäufer…
Ein letztes Mal die Zeit totschlagen, indem man in der Bücherei nach deutscher Literatur sucht, man stößt hier vornehmlich auf Goethe, aber auch Brecht, also zieht es mich in Richtung englischsprachiger Literatur, ich brauche etwas zu Zerstreuung, anspruchsvoll, aber eben nicht zu sehr, da gibt es schon ein paar. Ich könnte mich auch in einen der kleinen Räume setzen und mir einen Film ansehen oder aber wirklich arbeiten und Material für meinen Aufsatz suchen und lesen… Ein kurzes Treffen und mein Umzug ist besiegelt. Ein letztes Mal mit dem Transmilenio nach Hause, eine angenehme Fahrt, wäre da nicht der über und über tätowierte Kerl, Riesenlöcher in den Ohren, Sehnen und Muskeln, die sich unter seiner Haut hervorheben und ein enorm großer Mund, aus dem mir eine Wolke entgegenschlägt… Hhm, ich würde behaupten, dass ich schon lange nicht mehr in den Genuss dieses intensiven Geschmackserlebnis gekommen bin, Hubba Bubba Fancy Fruit, das trifft es wohl, und dieses Gekatschel, wunderschön, da hilft selbst die höchste Lautstärke meines iPods nicht. Zumindest gibt es hier keine akkordeonklimpernden Jungs und Mädchen, die von ihren Eltern zum Betteln gezwungen werden. Und da Busse, genauso wie Taxis hier noch eine Männerdomäne zu sein scheinen, ist dir Fahrweise auch etwas rasanter und man kommt ans Ziel. Mal schneller, mal weniger schnell. Aber was soll’s, die Sonne scheint, irgendwann kann ich raus (gut, an der Endhaltestelle, aber ich muss mein Leben ja nicht im Transmi verbringen). Und wieder hinein in den Exito, einer der riesigen Supermarkt-Ketten, man kriegt wirklich alles hier, denkt man oder frau zumindest, ich bin am Verzweifeln auf der Suche nach Hefe, Frischhefe, gut, die gibt es hier nicht, aber selbst Trockenhefe ist hier verdammt schwierig zu finden. Ich irre minutenlang durch die Gänge, Mehl, Backwaren, aber wo zum Henker ist die Hefe, niemand kann mir weiterhelfen (und ich weiß, wie Hefe auf Spanisch heißt), aber ich gebe nicht auf, denn heute Abend soll es Pizza geben, ein Abschieds-Pizza-Abend mit meinen Mädels. Und als ich quasi auf dem Boden herumkrieche, da sehe ich doch tatsächlich ein paar Döschen, die viel versprechend wirken, und ich werde nicht enttäuscht, schnell noch Pseudo-Mozzarella und Parmesan in den Einkaufskorb und ab zur Kasse. Ein Spaziergang durch „mein“ Viertel, noch rasch Gemüse und Obst erwerben und dann ein wenig ausruhen, die Ruhe genießen… Und dann bei cooler New-York-Style-Musik zusammen mit Caro den Pizzateig anfertigen und malträtieren, aber irgendwas stimmt nicht so ganz, der Teig will nicht so, wie ich es will, liegt höchstwahrscheinlich an der Höhe, in 2600 Metern Höhe einen vernünftigen Hefeteig zu machen ist nicht einfach, da wollen die kleinen Bakterien nicht so wie auf Meereshöhe… Ist zumindest unsere Erklärung. Dafür wird die Soße umso besser. Auch die Gradzahl ist nur abzuschätzen, Gasofen. Zum Kochen super, zum Backen eher suboptimal. Aber dieser Abend steht unter einem ganz besonderen Stern, aufgedreht, verrückt, und gleichzeitig malerisch schön, so sind wir zumindest. Erinnerungsfotos, und zwar ganz besondere, werden geschossen…







Meine Mädels



Caro(lina) Chaparro, studierte Sängerin, liebt es Lieder zwanzigmal hintereinander bei voller Lautstärke abzuspielen, ihre Kochkünste fotografisch festzuhalten, und mit Tenor Ignacio zu chatten.



Luz Stella Corredor, Mikrobiologin, die älteste unter uns, und auch die verrückteste, wischt gerne und oft die Wohnung, Lieblingsgetränk: kolumbianische Cola (und Roncito ist kein menschliches Wesen), für Scherze als auch tiefsinnige Gespräche zu haben.



Caro(lina) Rojas, Studentin und Lehrerin, verliert öfters ihre Make-up-Tasche, liebt ihr neues bracketfreies Lächeln, schreibt an Gott, führt eine Fernbeziehung und hat erst kürzlich ihre Leidenschaft für Sojamilch entdeckt.


Am nächsten Morgen heißt es Koffer packen, seltsam, aber ist ja erst einige Wochen her, dass ich alles ausgepackt habe… Ein letztes Mal aus meinem vergitterten Fenster schauen, auf dem Bett liegen und sich Gedanken machen, über eine wunderschöne Zeit, mit wundervollen Menschen und sich freuen, auf eine neue Wohnung, mitten im Zentrum, drei Minuten Fußweg zur Uni, eine verrückte mexikanische Mitbewohnerin, die viele internationale Freunde hat. Dann kommt der Augenblick, an dem ich mich verabschieden muss und dann passiert etwas, womit ich niemals gerechnet hätte. Ich erhalte ein Abschiedsgeschenk von der leicht internetabhängigen Caro, sie überreicht mir feierlich ihre Bibel, ihr Name ist eingraviert, abgenutzte Seiten, Notizen, Eselsohren und wie sie sagt, vielleicht werde ich sie eines Tages lesen, wie ein ganz normales Buch, Johannes, 14 hat sie mir ans Herz gelegt, ich bin gerührt, wirklich sehr, auch wenn ich nicht gerade gläubig bin, aber ich glaube an die Aufrichtigkeit, an Freundschaft und das ist eins der schönsten Geschenke, das ich jemals erhalten habe. Ganz ehrlich.
Mein Umzugsauto ist diesmal recht klein, ich nehme mir ein Taxi. Eine Stunde Fahrt durch die halbe Stadt, 18.000 Pesos, Gespräche über Essen (der Taxifahrer ist bis zu seinem Rauswurf wegen Alkoholproblemen Koch gewesen) und Obst und Säfte (man bezeichnet hier auch sämtliche Flüssigkeiten, die mit Obst und Milch zubereitet werden, als Säfte), Bekehrungsversuche zum Fleischessen später, erreiche ich mein neues Heim. Der Pförtner schaut mich und mein Gepäck misstrauisch an, öffnet mir dennoch die Tür, ich schleppe meine Sachen hinauf in den dritten Stock, höre Musik, Stimmengewirr, klingele und eine neue Tür geht auf. Menschen über Menschen, nein, keine Willkommens-Party, nur eine kleine Zusammenkunft, und ich kann meinen Augen kaum trauen, Manchego, frisch aus Spanien eingeflogen, Käse, wirklicher Käse, frisches Ciabatta dazu, ein Traum.
Die erste Nacht, es ist ruhig, das Fenster unseres Schlafraums geht nach hinten raus, ich schaue direkt hinauf zum Monserrate, unglaublich viel grün. Chévere.
Und dann ein erstes Mal, nicht um halb fünf morgens aufstehen müssen, eine Stunde länger schlafen, ein erstes Mal ein wirklich sicheres Gefühl unter der Dusche haben, denn dies ist keine elektrische Dusche. Ein erstes Mal das Haus verlassen und ein paar Schritte zum Unterrichtsraum laufen, ein erstes Mal zu spät kommen (aber der Dozent ist auch noch nicht aufgetaucht). Ein erstes Mal in meiner vierstündigen Pause nach Hause gehen können, ein kleines Nickerchen machen und dann meinen Mittwochs-Oma-Kaffee zu mir nehmen und genießen (der Kaffee wird weder von Großmüttern geerntet, noch zubereitet, noch bin ich nicht dahinter gekommen, weshalb eine bekannte Kette so benannt wurde). Weder das letzte noch das erste Mal.

Montag, 7. September 2009

Pasar los kiries



Harte Zeiten… und nicht ganz so harte

Immer mal wieder bin ich müde, von all dem, von all den neuen Dingen, aber so langsam schleicht sich der Alltag hinein, die Routine des Studiums, auch wenn die nicht so ganz dem entspricht, was man aus Deutschland kennt. Studieren hier fordert einen mehr und gleichzeitig weniger. Nicht zu verstehen? Ein Erklärungsversuch:
Das Semester hier beinhaltet etwa vier Monate, in diesen vier Monaten hat man in etwa vier bis sieben verschiedene Kurse, das hört sich nicht viel an, ist es aber. Denn man schreibt nicht nur eine Klausur am Ende des Semesters (und hält vielleicht noch das ein oder andere Referat), es ist vielmehr so, dass man ständig großem Druck ausgesetzt ist. Jede Woche schreibt man „parciales“, „quizzes“, Hausarbeiten, es gibt mündliche Prüfungen, es wird überprüft, ob man die Texte gelesen hat (die Stunde wird damit begonnen, dass man Thema, Thesis und ein Inhaltsverzeichnis des Textes innerhalb von 10 Minuten schreiben muss ohne den Text zur Hand zu haben), man wiederholt brav, was in den teilweise 120-seitigen (wissenschaftlichen) Texten steht und ALLES wird benotet, in manchen Kursen gibt es sogar mündliche Noten. Ein etwas anderes System also. Man muss um einiges mehr tun, ich habe zwar dienstags und donnerstags keine Vorlesungen, aber lesen muss ich genug. Und ich habe hier „nur“ fünf verschiedene Kurse. Es kann auch sein, dass dem ein oder anderen Dozenten mal eben einfällt, dass man innerhalb von einer Woche ein Referat vorbereiten muss oder, dass die folgende Woche eine Prüfung ansteht. Manchmal erscheint einem alles ein wenig willkürlich. Die ersten Wochen waren deswegen recht stresserfüllt. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, unter Druck arbeiten, das ist nichts Neues, aber der Dauerstress hat mich für etwa eine Woche dahingerafft. Die halbe Uni war verschnupft, erkältet, das hat mich dann auch eingeholt. Aber dank eines Rezepts einer guten Freundin (Kokatee, Limone, Honig und Aguardiente) und auch dank agua panela mit Limone konnte ich trotz dessen einiges tun. Und mir ging’s nicht ganz so schlecht wie dem guten Uribe, der die Schweinegrippe aus Argentinien mitgebracht hat.

Bevor ich vergesse, was einen hier weniger fordert: Man muss nicht viel nachdenken, besser, es bleibt einem gar nicht sonderlich viel Zeit. Ja, auch in Deutschland kann man sein Studium ganz ohne Denken absolvieren, aber man hat Zeit zum Überdenken, zum Organisieren, man ist irgendwie freier, unabhängiger, es wird einem nicht vorgeschrieben, wie man was zu tun hat, man muss sich selbst Gedanken über seine Prioritäten machen, selbst entscheiden, was wichtig ist, selbst Entscheidungen treffen. Aber das liegt auch daran, dass man hier früher beginnt zu studieren, die meisten Studenten leben bei ihren Eltern und müssen um einiges weniger an Selbstverantwortung übernehmen. Vielleicht ist es an anderen Universitäten des Landes anders, vielleicht auch in anderen Kursen, in anderen Studiengängen, das alles ist subjektiv, aber nicht nur ich nehme es so wahr, sondern auch viele andere ausländische Studenten. Ich will nicht sagen, dass man nichts lernt, im Gegenteil; man lernt Vieles, nur anders und Anderes.

Aber auch in solchen Wochen, die voll gestopft sind mit Prüfungen, Tests und dergleichen, muss man sich einen Ausgleich suchen, die Zeit hier genießen und Ruhe für sich selbst haben. Und vielleicht auch mal wieder etwas Abstand von allem gewinnen, sich ein wenig verändern. Also geht es zum Friseur. Mit einem Bus, also einem „richtigen“ Bus, die Sorte, die man mit einem kräftigen Händewinken anhalten muss. Voll, sehr voll, so voll, dass ich es nicht hinters Drehkreuz schaffe, sondern auf der vorletzten Trittstufe den Fahrtwind spüre, hinter mir der junge Mann, der das Geld einsammelt, ansonsten nur Straße, seltsames Gefühl, so ganz ohne Absicherung mit nicht zu unterschätzendem Tempo durch die Straßen zu jagen. Und doch passiert nichts. Dann: Schnipp, schnapp, Haare ab, als ich dem Friseur erlaube zu machen, was er will, freut er sich wie ein kleines Kind, diejenigen, die neben mir auf den Stühlen sitzen, starren mich entgeistert an. Er legt los. Hier was weg, da was weg, es geht schnell, mir gefällt’s, hier ein paar Veränderungen, da noch ne Strähne weg und fertig. Noch ein wenig Gel (Haarspray ist hier kaum erhältich), und zum Bezahlen; 6000 Pesos für ne schicke neue Frisur, mit Haarwäsche und Kopfmassage (es handelt sich bei dieser Summe um etwa 2 Euro, da kann man ruhig einmal öfters hingehen). Zuhause verpasse ich mir selbst noch ne andere Farbe, ist ja nicht so, dass ich das nicht schon seit meinem 14. Lebensjahr mehrmals jährlich mache. Und da bin ich, wieder ein wenig anders, was Neues, diesmal habe ich mich äußerlich verändert, Veränderungen sind notwendig.

Ein Samstag, an dem ich bekocht werde, Bohnensuppe („frijoles“ genannt), Thunfisch-Plätzchen, Reis, platanos, ein typisches kolumbianisches Essen, fehlt nur die Avocado. Dann ins Kino, wir treffen uns mit einer Rollifahrerin, das erste Mal seit 14 (!) Jahren, dass sie ausgeht, es wird viel gelacht, und meinen Ohren ist es eine Wohltat Englisch zu hören, sogar ein wunderschöner irischer Akzent ist dabei. Gutes Essen, guter Kaffee, (mittel)guter Film („La cruda verdad“ oder auch „Die nackte Wahrheit“), schönes Wetter, nette Menschen um einen herum, was will man mehr – manchmal ein wenig mehr Zeit und ein bisschen weniger Angst seine Kamera herauszuholen, aber mehr auch nicht.
Viel passiert nicht, außer lesen, lernen, und noch mehr lesen, sich über den ein oder anderen Dozenten aufregen, weil auch sie das kolumbianische Zeitgefühl des Öfteren überkommt und zugleich erwarten, dass man seine Sachen fristgerecht einreicht. Das ein oder andere klärende Gespräch über Probleme, die eigentlich keine Probleme waren, denn ich muss hier nicht jeden Kurs bestehen, ich stehe also objektiv gesehen nicht unter dem Druck, unter dem die kolumbianischen Studenten hier stehen, aber wer mich kennt, der weiß, dass Niederlagen nicht unbedingt meine Stärken sind. Also setze ich mich fleißig selbst unter Druck, und suche gleichzeitig den Mittelweg.
Und dieser Mittelweg beginnt mit einem wunderschönen Geburtstag einer Freundin, die ein Jahr in Deutschland verbrachte als viele von uns noch zur Schule gingen, so wie ich auch, gemeinsame Geschichtsstunden, Chemieunterricht, ach, die alten Zeiten, man mag sie nicht missen, aber gut, dass das irgendwann ein Ende hatte. Nun denn, wir haben uns in meiner Heimat kennen gelernt, jetzt lebe ich in ihrer Heimat. Ein kleiner Geburtstag, nur Frauen, nur ein paar, so einen Geburtstag habe ich noch nie erlebt, wir backen Pizza (besser ich arbeite hart, zeige ihnen, wie man den Teig anfertigt, in walkt und knetet bis er nach Ewigkeiten die richtige Konsistenz hat).
Wir essen und trinken (Cuba libre mit sehr, sehr, sehr gutem kolumbianischen Rum), lachen und reden. Ein Hühnerhaufen, ein typischer (für mich sehr untypischer) Mädchen-Geburtstag. Wenn der Alkohol nicht wäre, könnte man meinen sich auf einem Kindergeburtstag zu wähnen.
Irgendwann sind wir nur noch zu dritt, wenn man die frisch angebrochene Flasche Rum hinzu zählt, zu viert. Ein Kartenspiel wird hervorgekramt, und ich versuche den beiden „Schwimmen“ beizubringen, was ganz gut klappt. Dann findet Steffi „Tío rico“, die Disney-Variante von Monopoly, und wir spielen und spielen, Ginna zieht uns das Geld aus den Taschen, sie ist gleichzeitig die etwas korrupte Bank. Unsere Geldbestände schwinden dahin, genauso wie der Rum… Der Morgen bricht an, als wir uns für zwei Stunden ins Bett begeben.

Wir werden vom Duft frischen Kaffees und frischen arepas mit Rührei geweckt, eine (zunächst kalte) Dusche erweckt uns zu neuem Leben, gestärkt geht es in den nächsten – und letzten für diese Woche – Unitag. Gut, dass es nur zwei Vorlesungen sind. Der Rückweg gestaltet sich ein wenig schwierig, denn eine Demonstration in der Innenstadt verhindert das Funktionieren des Bussystems. Müde, von „Anti-Chávez-Rufen“ begleitet, den fliegenden Eiern aus dem Weg gehend, flüchte ich mich zur zwanzig-minütigen-Fußweg-entfernten Transmilenio-Station und stopfe mich selbst hinein, in den überfüllten Bus. Vielleicht sollten sie auf allen Strecken diese superlangen Busse (die längsten der Welt) einsetzen, denn es sind einfach unglaublich viele Menschen, die es nicht erwarten können, sich mit voller Wucht in die schon arg gequetschten Menschenmassen zu schmeißen. Und doch meistere ich mir so viel Platz zu erkämpfen, dass ich meinen Auster hervorholen und mir die Zeit mit lesen vertreiben kann. Die Sonne strahlt, also laufe ich anstatt den Alimentador zu nehmen, genieße die Wärme auf meiner Haut. Zuhause eine Dusche, eine kurze Pause, ein kleines Nickerchen, ein bisschen Vitamin C und wieder auf. Los geht’s, ein schöner Abend steht bevor. Sushi. Selbst gemacht. Von einem Koch, der in einem japanischen Restaurant arbeitet. Wir dürfen alle mal, rollen und rollen. Er zeigt uns die richtige Technik, wir spielen mit den Ingredienzien rum, reden viel, denn dies wird der vorletzte Abend für Ginna sein, ein halbes Jahr Spanien, ein Abschiedsabend also, aber ganz ohne Tränen, mit viel Spaß und langem Warten, bis alles fertig ist. Bei Sprite und Cola genießen wir nachts um Zwölf unser Mahl.








Viel Arbeit, die in kürzester Zeit zunichte gemacht wird. Aber sehr gut, diesmal war es das Warten wirklich wert.
Und dann holt mich die Kindheit wieder ein; wir spielen UNO. Keine Idee, wie lange ich das schon nicht mehr gespielt habe. Jahre. Bestimmt. Mein Spiel. Ich weiß nicht, wie ich es anstelle, aber ich gewinne quasi fast jede Runde. Da gibt es doch so ein Sprichwort;) Glück im Spiel…
Die Nacht wird nicht ganz so alt wie die vorige und doch fahre ich nicht nach Hause, sondern mit zu Steffi, denn Taxifahren ist hier zwar günstig, aber man muss das Geld ja auch nicht um sich schmeißen. Wir fallen in einen komatösen Schlaf, auch wenn der Alkohol schon lange aus unserem Kreislauf verschwunden ist, wir kriegen nichts mit, rein gar nichts, weder Anrufe, noch das Eintreten verschiedener Personen in das Zimmer, wir erwachen um zwei Uhr nachmittags. Reichlich spät, aber dafür ausgeruht. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal um diese Uhrzeit aufgewacht bin, ob ich es überhaupt jemals so lange ausgehalten habe. „Frühstück“ und dann hinaus in die Sonne, so fühlt sich der noch junge Sommer an. Warme Sonnenstrahlen, die einem über die Haut streicheln, ein leerer Transmilenio, lächelnde Menschen. So ausgeruht lässt’s sich mit neuer Energie ans Werk gehen. Der Rest des Wochenendes ist dem Lesen gewidmet.