Alle guten Dinge sind drei – heißt es zumindest. Ich hoffe die dritte Wohnung wird die sein, in der ich für den Rest des Semesters bleiben werde. Zu Erklärung: Alles fing also mit dem Tag vor meinem Umzug an, da habe ich die Nachricht von meiner künftigen Mitbewohnerin bekommen, dass es Probleme gibt mit der Vermieterin… Nun denn, umziehen war trotzdem angesagt, jedoch ist mittlerweile auch der Freund von Angie eingezogen, wir leben hier also zu dritt, was kein Problem wäre, wenn die Vermieterin das zweite Zimmer aufschließen würde, was sie aber nicht tun wird. Also wechseln wir uns ab, eine Nacht im Zimmer,
eine Nacht im Wohnzimmer,
das Leben mit einem Pärchen kann durchaus schwierig sein. Es werden also alle Mittel und Wege begangen, um eine neue Wohnung zu finden. Da es Freunde und Freundesfreunde gibt, wird sich etwas finden, mittlerweile gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist nah an der Uni, super Aussicht, ABER: der Pförtner, nicht unbedingt eine Schönheit, recht alt, schielend, und steht auf junge Frauen wie mich, Jorge Molina, seine Nummer hab ich aufgedrückt bekommen, mit der Bitte mich auch wirklich zu melden, was trinken gehen und so… Nicht unbedingt meins. Die andere Möglichkeit, weiter weg, teurer, aber auch sehr schön. Die Entscheidung steht kurz bevor. Vielleicht sollte ich eine Pro-und-Kontra-Liste machen. Diese Woche kann ich noch hier bleiben, mich ein wenig an das Leben mit einem durchaus aktiven Paar gewöhnen und immer Menschen um mich herum haben. Denn die Wohnung ist Treffpunkt für viele, sei es, um das Fußballspiel zwischen Deutschland und ich weiß nicht wem per LiveStream zu sehen oder um sich zu treffen und sich zu betrinken oder um gemeinsam zu kochen… Viele neue Gesichter, denen ich noch nicht allen ihre Namen zuordnen kann.
Nun denn, zur Berichterstattung der vergangenen Woche.
Das letzte Wochenende war sehr ruhig und recht angenehm. Angie und Ronan, so heißen meine Mitbewohner, haben das Wochenende in einer Finca verbracht, die Wohnung war also mein Reich. Das erste Mal seit meiner Ankunft hier, dass ich so viel Raum und Platz nur für mich hatte. Ruhe. Silencio. Ausspannen. Manchmal vermisst man das Wohnen alleine. Aber eben nur manchmal. Es reicht schon ein eigenes kleines Reich. Auch wenn es nur ein paar Quadratmeter hat.
Am Samstagabend kam ein Freund aus Deutschland, ebenfalls Student in Kolumbien, allerdings in Medellín. Und noch hat die Uni dort nicht wirklich begonnen, also Zeit zum Reisen, und die Hauptstadt hat schon so einiges zu bieten, sowie eine richtige Altstadt. Aber auch kulturell und sonst… Viel mache ich allerdings nicht hier, zu viel zu tun, die Woche war voll gestopft von parciales, ensayos und ähnlichem. Also auch nicht allzu viel Zeit, um Stadtführerin zu spielen. Den Sonntag nutzen wir trotz dessen zu einem Ausflug zum Monserrate. Auch für mich das erste Mal. Im Transferico ging’s innerhalb weniger Minuten einige hunderte Meter hinauf. Die Stadt habe ich zwar schon mal von oben gesehen, allerdings von einem Turm aus, dem Torre Colpatria, die Ausmaße werden einem erst bewusst, wenn man wirklich ALLES überblicken kann. Acht Millionen Einwohner, das bedeutet schon eine gewisse Größe.
Das Wetter war zwar nicht ideal, die Stadt verlor sich ein wenig im Dunst, aber dafür wurden wir die ganze Zeit über von der Messe mit Lautsprechern beschallt und während der Pausen zwischen den Messen, das Ave Maria, dialogisch zwischen Pfarrer und einer älteren Dame, deren Stimme sich bei jedem „Dios“ überschlug. Der Kreuzigungsweg mit den 14 Stationen zieht sich hin bis zur den touristischen Verkaufsständen, danach kommt die „Fressmeile“, man wird quasi beinahe hinein gezogen in die kleinen Restaurants, in denen man typisches kolumbianisches Mittagessen serviert bekommt. Allerdings war unser Frühstück reichhaltig (tamales, Reis, Eier, Papaya), sodass wir nach einem ausgiebigen Spaziergang nur einen tinto und die Aussicht genossen. Nach etwas Warten in der Schlange ging’s dann auch wieder bergab in die Stadt. Dem Ingo hab ich seinem Schicksal überlassen, da ich eingeladen war ins Theater, Tanztheater um genau zu sein. Zunächst traditionelle kolumbianische Tänze, viele bunte Farben, auch ModernDance war dabei, danach, in der zweiten Häfte Ballett, teilweise semiprofessionell, teilweise professionell. Ein schöner Nachmittag mit vielen neuen Eindrücken, einer einschlafenden Freundin zu meiner Seite und ein anstrengender Abend. Meinen Aufsatz, den ich am Mittwoch einreichen musste, ward nicht geschrieben an jenem Abend. Der Montagmorgen begann mit einem quiz, gefolgt von weiteren Kursen und einem Treffen für das am Freitag anstehende Referat, der Nachmittag verging so schnell, dass ich kaum ein Wort schreiben konnte, der Abend kam, ein Spaziergang hinauf zum Fitnessstudio, ein Treffen mit Eduardo, Kolumbianer, und auf den ersten Blick jemand besonderes, viele Gemeinsamkeiten, spricht sogar ein wenig Deutsch, der Abend ward also gefüllt von Gesprächen und verging wie im Fluge. Der Dienstag stand ganz im Zeichen des Aufsatzes: Die Rolle der Frau im kolumbianischen Kino der 20er Jahre. Interessantes Thema, dennoch stand gleichzeitig das Lernen für das parcial in Portugiesisch an. Und wieder war viel los in der Wohnung, Leute, Musik, schwierig sich zu konzentrieren. Der Abend kam und der Aufsatz befand sich noch immer in seinen Anfängen. Die Müdigkeit überkam mich, der Wecker wurde auf drei Uhr nachts gestellt, ich schlief ein paar Stunden und mit neuer Energie ging es mitten in der Nacht wieder ans Schreiben. Und ich hab es geschafft. Selbst ein paar wenige Vokabeln konnte ich noch lernen. Dann Unterricht, eine aufgebrachte Dozentin, da niemand die Referate vorbereitet hatte, das Eilen zum Copyshop, um den Aufsatz drucken zu lassen, zwischendrin einen tinto mit einer guten Freundin, die schon bald wieder auf dem Weg in Richtung Heimat sein wird, schnell etwas kochen, dann zum letzten Kurs, um dann abends ins Bett zu fallen. Schlafen. Jedoch nicht allzu lange. Der nächste Morgen kommt früher als gewünscht. Es steht noch so viel fürs Referat an. Und es ist ein Gruppenreferat, ich kann meine Mitreferierenden also nicht im Stich lassen, und doch habe ich keine Lust mehr und fahre zusammen mit Ingo nach Zipaquirá, ein kleines Dörfchen, etwa eine Stunde Busfahrt entfernt.
Wunderschön, wir irren ein wenig umher, bevor wir unser Ziel finden: die Catedral de Sal, eine unterirdische Salzkathedrale, mit ausgefeilter Architektur.
Eine Schülerin der neunten Klasse begrüßt uns, zeigt uns, wo wir unsere Eintrittskarten erwerben können, ein Schulprojekt. Dann geht es hinein, ins Dunkle, in einer kleinen Gruppe, unsere guia erklärt uns die einzelnen Stationen des Kreuzweges, der bis tief unter die Erde in die Kapelle führt. (Wir sind kurz davor uns als Übersetzer anzubieten, denn die englischen Varianten, da standen einem die Haare zu Berge.)
Aber das Innere ist überwältigend, das Lichtkonzept trägt viel zu den staunenden Aaahs und Ooohs bei. Zum Schluss gibt es noch einen 3D-Film, eher mau, computeranimiert, aber der Rückweg ohne Gruppe, in Ruhe, lässt ein wenig Zeit Fotos zu machen, manchmal weht ein eher unangenehmes Lüftchen, der Geruch nach faulen Eiern verbreitet sich, verflüchtigt sich aber auch wieder. Als wir wieder ans Tageslicht gelangen, hat sich der Himmel bereits zugezogen, der Weg zurück ins Dorf ist überschattet oder erfüllt (je nachdem wie man es sieht) von einer anmutigen Ruhe und inneren Gelassenheit, zumindest bis die Gedanken ans Referat wieder überhand nahmen. Den Abend verbrachten wir in angenehmer Gesellschaft von Luz, wir haben unsere erste Ajiaco – typische bogotanische Suppe – gekocht (wenn auch mit einer falschen und einer fehlenden Zutat), geschmeckt hat’s uns trotzdem. Und meine vegetarische Variante war um einiges besser;)
Ich blieb in der Wohnung, machte mich an meinen Lesestoff und übergab mich in der selben Nacht, Schwindelanfälle, Kopfschmerzen, und auch der Rest meines Körpers schmerzte am nächsten Morgen so sehr, dass ich mich aufmachte zum Arzt, zum universitätsinternen Arzt versteht sich. Denn das ist hier alles auf dem Campus. Kurze Wartezeiten (5 Minuten), kuchenessende Sekretärinnen, witzelnde Ärzte. Tausende von Fragen, die ich über mich ergehen lassen muss (Familienkrankheiten, Schwangerschaftsabbruch, Sexualverkehr, Drogenkonsum, einfach alles), eine Standarduntersuchung und dann die Feststellung, dass er nicht wisse, was es sei. Wahrscheinlich eine Virusinfektion, ob ich eine Injektion wolle, gegen das Erbrechen, dankende Ablehnung meinerseits, aber er verschreibt mir Medikamente gegen alle Symptome, gibt mit noch ein Infoblatt der Symptome der Schweinegrippe mit auf den Weg, sowie ein ärztliches Attest. Und doch komme ich nicht wirklich zur Ruhe, zwei Termine stehen an, das Referat steht immer noch aus und als ich gegen Abend nach Hause komme, ist das Wohnzimmer überbevölkert von vielen bekannten und auch unbekannten Menschen, die Kopfschmerzen halten sich im Rahmen und da es keinen Fleck gibt, an den man sich zurückziehen kann, integriere ich mich, verbringe einen schönen Abend und doch wäre es besser gewesen sich einen ruhigen Ort zu suchen. Die Nacht war kurz (und doch irgendwie schön), der nächste Morgen allerdings weniger. Die Kloschüssel ein guter Freund. Mit Grauen denke ich an die bevorstehende Busfahrt, zwei bis drei Stunden, Richtung Süden, Tierra Caliente, endlich mal ein wenig Wärme Kolumbiens spüren. Vierundzwanzig Stunden in einer Finca, mitten unter einer Horde französischer Austauschstudenten. Und ein Swimmingpool. Ganz für uns allein.
Jedoch kann ich diesen Tag nicht wirklich genießen, mein Kopf steht kurz vor der Explosion, auch das Bad ist ein Ort an dem ich mich öfters aufhalte als im Swimmingpool, aber es wird besser, ich verschlafe den Nachmittag und gegen Abend kann ich mich zu den anderen gesellen, die unglaublich viel trinken und tanzen und Spaß haben, ich suche mir ein ruhigeres Eckchen, unterhalte mich mit den weniger Betrunkenen, und fühle mich ein wenig wie eine Beobachterin. Aber auch das hat seine Reize, zu sehen, wie sich die Menschen unter Alkoholeinfluss verändern. Es gibt Verletzte, aber keine Toten. Das Chaos bricht aus. Die Nacht hinterlässt Spuren (trotz des Lärms bin ich dem Tohuwabohu recht früh entschwunden, in Richtung Bett); eine zerstörte Küche, Glassplitter, Kronkorken im Swimmingpool, übernächtigte Gesichter…
Mir geht es dank des vielen Wassers und des vielen Schlafs besser. Noch nicht bestens, aber ich kann ein paar Bahnen durch das verlassene Becken ziehen, die ersten Überlebenden tauchen auf und wir gehen gemeinsam auf Nahrungssuche, dazu müssen wir allerdings die Finca verlassen. Ein typisches kolumbianisches Frühstück: Reis mit Bohnen, arepa und Eiern, die erste Mahlzeit seit 48 Stunden, die ich zu mir nehme und auch bei mir behalte. Dann genießen wir die Wärme, das Wetter, und irgendwann wird es dann auch Zeit aufzubrechen.
Die erste Post aus Deutschland kam übrigens an, mein Wahlzettel, schnell meine zwei Kreuzchen gemacht und auf der Suche nach einer postähnlichen Filiale fast verzweifelt. Hoffentlich haben sich die Mühen gelohnt und der knallrote Briefumschlag kommt heile und rechtzeitig in Deutschland an.
Hey Constanze,
AntwortenLöschendas hoert sich ja alles irre an und erst die Fotos.... ich hoffe, dir geht es wieder besser. Ganz dicker Kuss,
Ilka