Es ist nicht viel passiert – nicht viel im realen Leben. Der Alltag hat mich eingeholt, einfach so, plötzlich war die Woche vorbei, eben war noch Montagmorgen, sieben Uhr früh in der Uni, Spanischkurs, in dem der Professor mich fragt, wenn er etwas nicht erklären kann (was des Öfteren der Fall ist), die Möglichkeit, sich aus den Kursen auszuschreiben ist endgültig vorüber, und die Voreinschreibungen stehen an, für den Fall noch ein Semester hier zu bleiben. Und ja, meine Pläne ändern sich, so wie das Wetter hier. Plötzlich ist es Oktober, morgens geht man hinaus und wird begrüßt von einer leichten Schwüle, nichts Unangenehmes, aber es wird wärmer und wärmer und aus heiterem Himmel beginnt es zu gewittern, täglich, abends kommt man durchnässt nach Hause, freut sich auf trockene Kleidung und sehnt sich nach einer Sauna oder zumindest einer Badewanne… Die Pläne ergießen sich ebenso in meinem Kopf. Die Reisepläne für Januar und Februar sind erstmal auf Eis gelegt. Ich bleibe. Zumindest bis zum gebuchten Rückflug. Es hat wahrscheinlich etwas mit dem Alltag hier zu tun. Ich fühle mich wohl. Nicht immer, es gibt genug Momente der Erinnerungen, aber nach vorne schauen, das ist, was zählt.
Aus der einen Woche sind zwei geworden. Das einzige, was sich stetig verändert ist die Antwort auf meine Frage, wann das Schwimmbecken im Fitnessstudio endlich geöffnet wird. Aus Mitte Oktober ist mittlerweile Anfang November geworden. Nun gut, dann heißt es eben Ausdauertraining. Und beim Krafttraining bin ich oft das einzige weibliche Wesen im Raum. In den Frauenumkleiden kann man froh sein, wenn man nicht Traube stehen muss, um sich duschen zu können oder eben mal auf die Toilette zu gehen, denn die Mädels hier sind manchmal einfach zu mädchenhaft. Vielleicht ist es auch nur meine Offenheit, vielleicht aber auch ein gewisser culture clash, ich zumindest habe kein Problem damit mich vor anderen Frauen umzuziehen und ich dusche auch nicht im Bikini, wenn die Dusche nicht als Umkleide zweckentfremdet wird. Ich weiß schon, weshalb es hier keine Sauna gibt… Andererseits schmeißt man sich hier auch mit vollem Körpereinsatz in den Schlamm, wenn es um das Frauenfußball-Training geht. Dementsprechend sieht dann auch der Fußboden in der Umkleide aus.
Eine vollgepackte Uniwoche, ein Referat, das sich immer wieder verschiebt, denn aus den vorgegebenen dreißig Minuten Vortragszeit werden bei den meisten Gruppen meist mehr, und nicht nur fünf Minuten mehr. Referate sind hier auch irgendwie anders, es gleicht eher einem Gespräch mit dem Dozenten, es wird fast davon ausgegangen, dass die Studierenden kein Interesse an dem Vortragsthema haben, es scheint auch nicht ungewöhnlich zu sein, den Dozenten bei Unwissen zu fragen. Seltsam.
Ein Besuch im Museo Nacional steht dann auch endlich einmal an, natürlich unter den Gesichtspunkten des Kurses, Kultur, Macht. Museen sind etwas Schönes, wenn sie interessant gestaltet sind, aber ebenfalls lässt sich die soziale Struktur der jeweiligen Gesellschaft herausfiltern, wenn man nur genau hinschaut. Und doch überkommt mich eine Müdigkeit, jedes Gemälde der wichtigen Männer Kolumbiens sieht gleich aus, nur die wenigen Gemälde von Botero hängen ohne Kontext zwischen der geordneten Geschichte. Und von der temporären Ausstellung über Diego und Frieda habe ich mir auch mehr erhofft, ganze zwei Bilder von Frieda Kahlo gibt es zu bestaunen, da gibt es mehr Andenken im Museumsgeschäft an sie. Und von Ruhe ganz zu schweigen, Schulklassen werden geradezu hindurchgejagt durchs Museum, sie kreischen und rennen um die Wette, vorbei an antiken spanischen Möbeln, Versteckspiel zwischen den Vitrinen der präkolumbischen Kulturen. Nur das Museumspersonal ist engagiert, geht auf die Besucher zu und fragt, wie einem die Ausstellung gefällt und erzählt einem, was man wissen will (auch persönliche Dinge).
Während in der letzten Woche nichts Nennenswertes geschehen ist, außer der bereits erwähnten Beobachtungen, so begann der letzte Sonntag (im Portugiesischen beginnt die Woche nämlich am Sonntag, ist doch viel angenehmer, eine Woche mit einem freien Tag zu beginnen und sie ebenfalls mit einem solchen zu beenden) spät am Morgen, Langeweile, nicht wirklich etwas zu tun und ein kurzer Anruf genügte. Der Transmilenio, rappelvoll, natürlich, wie auch sonst, aber das Ziel war nicht mehr so alltäglich, der Norden, mein erstes Zimmer hier in Bogotá besichtigen, überrascht werden von der ersten Weihnachtsdekoration, denn ja, auch hier beginnt es bereits zu blinken, Weihnachtslieder sind noch nicht zu hören (aber vielleicht identifiziere ich die spanischen Versionen auch einfach nicht als Weihnachtslieder), und Lebkuchen und Stollen existieren hier nicht. Und nein, leider auch kein Zwiebelkuchen oder Federweißer, so wie ein gewisser Legostein mir vorgeschwärmt hat, manche Dinge ähneln eben doch Foltermethoden. Gedankliche Folter.
Gedanken folgen auch in dieser Woche, viele Ideen, zu viel im Kopf und nicht wirklich Zeit etwas zu ordnen. Und doch einige Versuche enden erfolgreich. Die Bitte meinen Studentenstatus hier zu verlängern wird mit dem Angebot einfach ein weiteres Semester hier zu absolvieren beantwortet, ich kann mich also in Kurse einschreiben, belegen, was mir gefällt ohne dem Druck ausgesetzt zu sein gute Noten einzuheimsen. Wenn ich denn will, es wird nicht das komplette Semester werden, aber die Gelegenheit werde ich mir wohl kaum entgehen lassen. Tage in der Bibliothek, ich komme, Recherche für die Bachelor-Arbeit, jucheih. Nein, ernsthaft, meine Pläne hier zu bleiben nehmen Form und Gestalt an. Ein bisschen etwas nebenbei verdienen, kann ich mir mittlerweile auch, Deutschunterricht für eine Kolumbianerin, da lernt man seine eigene Sprache und ihre Schwierigkeiten mal wieder von einer ganz anderen Seite kennen.
Während in Deutschland endlich mal Koalitionsverträge abgeschlossen werden, findet man sich hier inmitten einer Demonstration wieder. Da will man seinen wöchentlichen Einkauf erledigen, man tritt auf die Straße, vollbepackt mit all den Plastiktüten (die hier wunderbar als Mülltüten dienen) und wundert sich über den verstopften Eingang, man drängelt sich in die vorderen Reihen und plötzlich muss man sich überlegen, wie man den eigentlich doch kurzen Heimweg antreten wird, denn an das Überqueren der Straße ist einfach nicht zu denken. Studenten, die gegen die Privatisierung der Universidad Nacional protestieren, es regnet nicht nur in Strömen, sondern auch massenhaft Flugblätter, aus dem Nichts tauchen Polizei und Militär in Massen auf, doch die Demonstranten sind friedlich… Ob man hier eine Demonstration auch anmelden muss? Würde mich ja schon interessieren. Also warten, ein paar Parolen aufschnappen und sich ein wenig an die Demonstrationen gegen Studiengebühren in Deutschland erinnert fühlen. Bildung ist eben doch nicht für jeden gleichermaßen zugängig.
Auch diese Woche besteht aus Sport, Aufgaben, Unterricht, kulturellen Erklärungen (ich habe mich immer darüber gewundert, dass man sich hier am Telefon nicht mit dem Namen meldet, sondern nur mit einem fragenden „Alo?“, und bin niemals auf die offensichtliche Antwort gekommen: Sicherheit, es ist eben doch „etwas“ anders hier), seltsamen Busgesprächen, Bewunderungen meines bereits kolumbianisch-akzentuierten Spanisch, Menschenstudien aus einem kleinen Café (Menschen, die sich mit Einkaufstüten gegen den Regen schützen, Bauarbeiter, die den Auto- und Busfahrern ein Stoppschild vor die Windschutzscheibe halten, damit die Fußgänger die Straße überqueren können, fröstelnde Bogotanerinnen, die ihre Handschuhe gegen die „Kälte“ auspacken), tiefsinnigen Gesprächen über das Überwinden der Raum-Zeit-Barriere, über Freundschaft, Liebe und Arbeit, über Sommer in Deutschland, Träume, Wünsche, Baggersee, Tandemfahren, Nordseewind, …
Und um die Woche portugiesisch zu beenden, gibt es ein brasilianisches Mittagessen im Haus unserer Portugiesisch-Dozentin Sôniá. Morgens eine Kleinigkeit in den Magen, dann Unterricht geben und anschließend „zu spät“ kommen, aber eine halbe Stunde ist ganz normal für kolumbianische Verhältnisse. Bei der Ankunft werde ich mit einer sehr herzlichen Umarmung, Küsschen hier und Küsschen da von Sôniá begrüßt,
zum Mixen meines Caipirinhas aufgefordert (der darf bei so einer kulturellen Veranstaltung natürlich nicht fehlen, allerdings für jeden nur einen),
finde ein paar Kursteilnehmer, geselle mich zu ihnen und lasse mich von der Live-Musik und Freunden auf die Tanzfläche ziehen. Ein Grummeln im Magen erinnert daran, dass es ein Mittagessen sein sollte, anscheinend isst man in Brasilien sehr spät zu Mittag oder der Tag beginnt später, so wie die Woche früher beginnt, die Teller und Mägen werden zumindest erst um vier Uhr nachmittags gefüllt.
Dafür ebenso reichlich wie köstlich, und erst der Nachtisch;) welcher gefolgt wird von zwei brasilianischen Samba-Tänzerinnen, gülden gekleidet, die eine in einem knappen Kleidchen, die andere in einem Bikini, wahnsinnig hohe Absätze, Federn auf dem Kopf und eine Körperbeherrschung, die so natürlich wirkt. Vor allem für die männlichen Wesen gibt es einiges zu bestaunen. Die Beweglichkeit der beiden Damen ist unbeschreiblichen, dagegen scheitern sogar die kolumbianischen Tanzversuche kläglich.
Und doch haben wir eine Menge Spaß, bei so vielen Glückshormonen, die den Nachmittag über ausgeschüttet wurden, kein Wunder.
Ein Wunder ist es auch, dass ich irgendwann zu Hause ankomme, denn es sind unglaublich viele Straßen gesperrt, wegen des Nike-Marathons, der weltweit stattgefunden hat, und niemand weiß so recht, wie man wohin kommt, normalerweise ist es etwa eine halbe Stunde, nicht an diesem Abend. Drei Stunden. DREI ganze Stunden, man übt sich in Geduld.
Clementine...como va con la cabeza. yo me siento tambien lleno de una m*****.y no se acaban los malditos pensamientos.Ya viene casi el martes y me voy de vacaciones.
AntwortenLöschencomo estoy curioso a tu accento colombiano...cuidate chiquitina...besitos
de la cumbia salvadorena:P