Ich mach mir meine eigene Dschungelshow
Während es in Deutschland immer kälter wird und Weihnachten naht, endet hier die Klausurenphase und das Reisen kann endlich beginnen…
Eine Woche Dschungel also. Am Montag packen, nicht wissen was, wieder auspacken und wieder einpacken. Überlegen, umpacken und letztendlich hoffen, dass es einigermaßen angemessene Kleidung für die Südhalbkugel ist. So nah am Äquator, mitten im Grünen, das bin ich überhaupt nicht gewohnt bei so viel Großstadtleben. Das Reiseziel: Leticia – eine kleine überschaubare Stadt mit etwa 40.000 Einwohnern ganz im Süden Kolumbiens, im Drei-Länder-Eck Kolumbien-Brasilien-Peru, Durchschnittstemperatur 28°C und die Luftfeuchtigkeit, man könnte sagen ziemlich hoch, der Regenwald hat seinen Namen nicht irgendwo her, das haben wir mehr als einmal zu spüren bekommen. Wir, das sind vier Frauen, drei Deutsche und eine Australierin;
Prisca,
Der Flug mit Aires war typisch kolumbianisch, einmal am Flughafen angekommen, wird man erstmal gefragt, ob man sein Gepäck in Zellophan-Folie verpackt haben möchte, um eventuellen Drogenschmuggel zu vermeiden. Wir entscheiden uns dagegen, wenn schon Abenteuer, dann richtig. Gepäckaufgabe, dann ein Ort zum Frühstücken suchen und wen oder was finden wir? Mitstudenten, zwei gute Freunde, die auf dem Weg nach Cali sind, ein Franzose und ein Italiener – Damien und Gabriele. Gemeinsames Frühstück und dann steigt die Spannung, fliegen ist halt immer noch was Besonderes. Die Sicherheitskontrollen sind hier eher lasch, lieblos werden wir abgefertigt. Und dann heißt es wieder warten. Durchsage, Terminalwechsel (was hier nicht allzu schwierig ist, denn der Flughafen ist nicht sonderlich riesig), warten, Durchsage, Verspätung, warten, sich die Leute genauer ansehen, die auch nach Leticia fliegen (es sind in etwa 120), sich über die ein oder andere alternde operierte Schönheit lustig machen, und dann Schlange stehen (das erste Mal, dass man hier wirklich als Schlangestehen bezeichnen kann), Durchsage, erstmal dürfen nur die hinteren Sitzreihen belegt werden, sich wieder hinsetzen, warten und dann plötzlich geht alles ratzfatz. Wir sitzen übers Flugzeug verteilt, ich am Fenster. Wunderbar. Dann geht das Warten weiter, Familienzusammenführung; anscheinend sitzt ein Junge ziemlich weit hinten, vom Rest seiner Familie getrennt und das für knapp zwei Stunden Flug, die Stewardessen sind schon leicht gereizt und als ich sehe um wen es sich handelt, kann ich das auch verstehen – ein etwa siebzehnjähriger Junge, kein Kleinkind, sondern fast Erwachsen. Wir heben mit einer Verspätung von etwa einer Dreiviertelstunde ab. Bogotá wird immer kleiner und kleiner und die Wolkenberge wachsen empor, das intensive Blau des Himmels, die Anden unter uns.
Aires ist zwar eine „Billigfluglinie“, aber Getränke bekommt man auch auf Kurzstreckenflügen kostenlos gereicht, da könnten sich RyanAir &Co. mal ne Scheibe abschneiden. Nach ein paar Wolkenbergen tut sich plötzlich der Regenwald unter uns auf, irgendwie habe ich das Bild eines riesigen vor sich herdümpelnden Brokkoli vor mir (und ich mag Brokkoli ziemlich gerne). Kleinere und größere Flüsse schlängeln sich durch die Brokkoli-Röschen, alles ist grün, so grün. Der Landeanflug ist seltsam, denn man sieht nichts außer Grün, weder die Landebahn, noch die Stadt, fühlt sich seltsam an, fast mitten im Nirgendwo zu landen. Jetzt sieht man auch, dass der Brokkoli löchrig ist, Brandrodung, die nicht zu übersehen ist, sich aber doch noch im Rahmen hält. Trotz wiederholter Durchsagen, lösen sich überall im mich herum die Sicherheitsgurte und die Menschen können es kaum abwarten aus dem Flugzeug zu kommen.
Die Tür geht auf, die Rampe ins Grün, die warmfeuchte Luft erschlägt mich ein wenig. Aber ich kann wieder tief einatmen und es ist wunderbar seine Lungen mit so einer anderen, irgendwie reineren Luft füllen zu können. Der Höhenunterschied ist eben doch nicht zu verachten. In dem winzigen Flughafen mit einem einzigen Gepäcklaufband werden wir nach Einheimischen und Touristen sortiert. Als Tourist bekommt man erstmal einen frischen Saft lokaler Früchte, sehr guten Rum und Häppchen serviert bevor man die Touristengebühr von 16.500 Pesos zahlen muss. Die Polizei hält einen dazu an mit niemandem zu reden und gibt uns Handzettel mit den wichtigsten Telefonnummern, nur für den Fall der Fälle. Also Gepäck geschnappt und raus um ein Taxi zu finden. Die sehen hier ein wenig anders aus, so, als ob sie jeden Moment auseinander fallen würden. Wir finden eines, doch der Taxifahrer weiß nicht so recht, wo unser Hostel ist (obwohl wir ihm die Adresse nennen), nach ein wenig hin und her kommen wir an. Und wem laufen wir über den Weg? Einem deutschen Mitstudenten – war ja klar, die sind einfach überall. Da fliegt man mitten ins Nirgendwo und doch laufen einem bekannte Gesichter über den Weg. Unser Zimmer ist klein, aber es gibt einen Ventilator, der auch bitter nötig ist. Wir schwitzen und schwitzen, fast so, wie in der Sauna. Dusche und Klo sind draußen. Nach einer kurzen Rast machen wir uns auf den Weg, ein wenig durch Leticia, die Häuser sind hier alle sehr niedrig, bunt, manche etwas verkommen, andere gerade neu errichtet, es hat schon seinen ganz eigenen Charme, nicht schön, aber auch nicht hässlich.
Das Straßenbild wird hier von Schlaglöchern und Pfützen dominiert, und vor allem von Motorrädern und Rollern. Bis zu fünf Personen finden auf diesen Transportmitteln Platz, Kinder werden in einem Arm gehalten, Frauen sitzen wie in einem Damensattel in High-Heels hintendrauf, Helme sind anscheinend nicht wirklich von Bedeutung und das Mindestalter für einen Führerschein ist auch nicht zu identifizieren. Seltener sind Autos, Piaggios dienen als Taxis oder eben Moto-Taxis (Motorräder als Taxi, immer mal was Neues), Golfmobile und auch ausgeschlachtete VW-Käfer, die zum Cabrio umgebaut wurden kann man ebenfalls entdecken. Wir entscheiden uns für eines der kleinen italienischen Dreiräder und heizen Chris auf seinem ausgeliehenen Motorrad hinterher (und er hat keinen Motorradführerschein), auf nach Brasilien. Ein Nachmittag, drei Länder, so einfach ist das hier. Die Grenze entdeckt man nur bei genauem Hinsehen und man merkt es daran, dass das Spanisch seltsame Formen annimmt, da wird uns Feliz Natal anstatt Feliz Navidad gewünscht. Denn Weihnachten macht auch vor den Dschungelstädtchen nicht halt. Weihnachts- und Schneemänner überall, rosafarbene Delfine in Rot und Weiß, mit Rauschbart,
Blinklichter überall, abends werden die Straßen beleuchtet, aber wenigstens gibt es hier kaum Plastik-Weihnachtsbäume, sondern es werden einfach Palmen und andere natürliche Bäume geschmückt.
Wir sind also in Tabatinga, Brasilien. Am Hafen suchen wir uns eine Lancha, die uns innerhalb einer Viertel Stunde ans andere Amazonas-Ufer bringt. Dieser Fluss ist einfach unglaublich riesig, und überall rings herum grün, Bäume, die hoch in den Himmel ragen, das Wasser ist eher bräunlich, aber bei dem vielen Regen ist das auch kein Wunder, die Strömung des Flusses ist allerdings gar nicht so stark wie erwartet.
Bootshäuser und Geschäfte auf dem Wasser, Menschen, die ihre Wäsche, sowie sich selbst in dem Flusswasser waschen. Und dann sind wir auch schon in Peru, auf der Isla Santa Rosa, ein Dörfchen mit 1.300 Einwohnern, Strom gibt’s fast keinen, wenn die Dunkelheit um sechs Uhr abends hereinbricht liegt auch die Insel völlig im Dunkeln.
Peru also. Die Menschen scheinen nicht viel zu tun zu haben. Anders kann man sich die Heerscharen von Kindern nicht erklären. Und was dem Menschen Spaß macht, gilt wohl auch für die Tiere. Küken, Katzen- und Hundebabys. Sport scheint auch eine willkommene Beschäftigung zu sein, Fußball, Beach-Volleyball auf Rasen und es wird auch durchaus mal ein Netz quer über den einzigen betonierten Weg gespannt. Wir lernen den jefe de la justicia kennen, der in einem zusammengebastelten Rollstuhl sitzt (Untergestell mit Plastikstuhl) und uns ein wenig über das Leben auf der Insel erzählt. Die brasilianischen Soldaten kommen anscheinend gerne rüber auf die Insel um zu feiern und zu streiten…
Ein neues Krankenhaus wird gebaut und auch sonst wird viel Neues errichtet. Es gibt einen deutschen Architekten, der hier viel in die Hand nimmt – Horst.
Wir suchen uns ein Restaurant (Brisas del Amazonas) mit Blick auf den Fluss und die Kellnerin kommt widerwillig angeschlurft, reicht uns die Karte und wartet mit aufgestützten Händen auf unsere Bestellung. Dreimal Hünchen und einmal Fisch für mich. Es dauert und dauert, mein Fisch schmeckt gut, ist sogar gedünstet und nicht frittiert, wie sonst alles; das Hünchen sieht jedoch sehr seltsam aus, irgendwie überfahren. So ein wenig Witwe-Bolte-Hünchen-mäßig, nur platter. Dazu Wasser, nur ich bekomme aus undefinierbaren Gründen eine Inka-Kola, die so gar nichts mit Cola zu tun hat. Neongelb mit ein wenig Kohlensäure und Geschmack nach Kaugummi. Egal, Hauptsache Flüssigkeit.
Als die Dämmerung hereinbricht, werden wir aufgefordert zu zahlen. Kolumbianische Pesos werden auch angenommen. Und dann zurück nach Brasilien, mit der Lancha. Die Motoren sehen aus wie Angelstöcke mit nem Fisch am Ende, der fleißig paddeln muss, um ans andere Ufer zu kommen. In Tabatinga nehmen wir dann jeder ein Mototaxi, es gibt sogar Helme für uns, nur Spanisch sprechen die wenigsten, mit dem bisschen Portugiesisch, das ich beherrsche, kriegen wir sie dazu uns nach Leticia zu bringen. Alles läuft wunderbar bis wir irgendwann Prisca an einer der wenigen Ampeln hinter uns lassen. Wir kommen am Hostel an, nur Prisca eben nicht. Wir warten und warten, versuchen sie telefonisch zu erreichen, was schwierig, aber nicht unmöglich ist. Ihr Fahrer versteht kein einziges Wort Spanisch und Prisca wiederum nichts von dem, was der Taxifahrer in seinen portugiesischen Bart brummelt. Irgendwann wechselt sie dann das Moto-Taxi, der Kolumbianer findet das gewünschte Ziel ohne Probleme.
Nach diesem ersten Abenteuer schlafen wir recht gut. Der Morgen beginnt spät, sehr spät, die Hitze und die Feuchtigkeit machen uns zu schaffen. Nach einer ersehnten kalten Dusche fängt es dann so sehr an zu regnen, dass wir lieber keinen Fuß vor die Tür setzen, sondern uns unters Welldach setzen und dem Trommeln des Regens zuhören.
Die Geräuschkulisse ist hier so oder so eine ganz andere. Während des Tages typische Urwaldgeräusche, das Zirpen und Summen der Insekten, gegen Abend kommen dann die ganzen Vögel, tausende unterschiedliche Vogelstimmen, die die Däämerung erfüllen und auch die Nacht ist begleitet von Geräuschen. Aber es hat etwas Beruhigendes. Als der Regen dann aufhört, suchen wir uns ein Restaurant, um zu Mittag zu essen. Fisch, viel Fisch und dazu Säfte aus Sternfrucht, Maracuya und Copoazú. Der Tag geht vorbei ohne, dass wir großartig etwas machen. Außer unseren Dschungel-Trip zu planen. Gustavo, der Inhaber des Hostels erzählt uns viel von der Energie und den Eigenheiten des Dschungels und wir entscheiden uns dazu drei Tage im Urwald zu verbringen.
Morgens um sieben geht es mit wenig Wäsche, Gummistiefeln und Taschenlampen bewaffnet los. Die Lancha Dario I bringt uns nach einer einstündigen Fahrt nach Peru, zur Reserva Natural Marasha,
wo auch schon unser Mann auf uns wartet – Mario, er wird uns die nächsten drei Tage begleiten. Seine geografischen Kenntnisse sind ein wenig fraglich, seiner Meinung nach liegt Australien nah an Österreich (spanisch Austria), aber nun gut, er muss sich ja nur hier am Amazonas auskennen.
Nachdem wir uns nochmals mit Anti-Mücken-Spray versehen haben, geht es los. Ein Fußmarsch von etwa zwei Stunden durch den Dschungel.
Dann geht es weiter, shansho (oder auch Hoatzin) sitzen überall in den Ästen, Vögel die keinen wirklichen Evolutionsprozess durchgemacht haben und noch immer sehr stark ihren Vorfahren aus der Steinzeit ähneln, tausende andere bunte Vögel, Frösche, die man quaken hört und die Victoria Regia
Noch einmal auf die Toilette, in der man durchaus kleine Frösche finden kann. Nach dem Abendessen geht es dann erneut auf in den Dschungel, mit Hängematten, Moskitonetzen und Taschenlampen bewaffnet, um eine Nacht dort zu verbringen. Die Geräusche sind andere als am Tage. Mitten im Urwald halten wir, machen unsere Lampen aus und es ist stockdunkel. Das Zirpen und Kreischen und Quaken schleicht sich in die Hörgänge, es ist überwältigend, man fühlt sich so winzig klein und unbedeutend. Glühwürmchen tauchen auf, verstreuen ihr spärliches Licht, langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit, die Umrisse der Bäume lassen sich erkennen, aber nicht viel mehr. Dann schalten wir unsere Lichter wieder an und es geht weiter, tiefer hinein in den Dschungel. Bis wir zu einem riesigen Baum gelangen. Dort schlagen wir unser Lager auf, die Hängematten werden an Stämmen befestigt, Moskitonetze drüber (deren Löcher noch geflickt werden müssen) und dann ein kleines Feuer. Wir übernachten nicht ganz typisch wie Jäger, sondern bereiten Caipirinha zu, der Cachaça wird hier für wenig Geld in großen braunen Flaschen mit Kronkorken verkauft. Dazu gibt es Geschichten über den dueño de la selva – den Curupira – der einen nachts in Gestalt von Freunden versucht, in die Tiefen des Urwaldes zu locken. Man erkennt ihn nur daran, dass seine Füße umgedreht sind, Fersen vorne und Zehen hinten, so dass es aussieht als liefe er rückwärts. Um Mitternacht stoßen wir auf den Geburtstag von Mario an und verkriechen uns dann in unsere Hängematten. Die Stille, die keine wirkliche Stille ist, lässt einen klein werden, jedes Knacken schreckt einen auf, Schlangen, Jaguare, Kriechtiere oder doch der Curupira? Das Schnarchen von Steph hört sich an, als sei es ein wildes Tier auf der Suche nach Nahrung. (Sie gibt auch sonst viele natürliche Geräusche von sich, was oft zur Belustigung beiträgt.) Immer wieder hört man Schüsse, die keine Schüsse sind; der Pirarucú schlägt mit seiner gewaltigen Schwanzflosse auf das Wasser, um seine Beute anzulocken. Irgendwann schlafe ich ein, es ist ein seichter aber doch schöner Schlaf.
Morgens stehlen sich die ersten Sonnenstrahlen durch das Blätterdach, alles ist ruhig und feucht… Bis Mario beginnt uns zu wecken und unser Lager abzubauen. Der Weg zurück erscheint in ganz anderem Licht und auch kürzer als nachts. Eine ganz besondere Erfahrung, die mich mit viel Ruhe und Respekt zurücklässt und weiteren Andenken: Ich zähle mehr als hundert Mückenstiche an den unglaublichsten Körperstellen… Aber damit lässt sich leben. Die Dusche erfrischt (jedoch nur in der Zeit, in der man unter dem tröpfelnden Hahn steht, danach beginnt das Schwitzen wieder von vorn). Frühstück und dann ein entspannter Tag.
Hängematten am See, Regen, der hinabprasselt. Eigentlich wollten wir Pirañas fischen, aber wir haben eher ein paar kleine Fische gefüttert mit den halbherzigen Angelversuchen… Ein neues Tattoo habe ich auch, kein dauerhaftes, sondern mit pflanzlicher Farbe, die aus der genipa hergestellt wird. Fünfzehn Tage soll es halten, mal sehen, ein wenig verlaufen tut es schon, so wie Tusche, die mit zu viel Wasser angerührt wird. Kartenspielen und die Ruhe und Abgeschiedenheit genießen.
Die Nacht bricht herein und ein Sternenhimmel der Extraklasse tut sich auf. Noch nie habe ich so etwas Wunderschönes gesehen. Es scheinen viel mehr Sterne als Himmel zu sein. Der Mond ist kaum zu sehen, sodass der Sternenschein noch intensiver und wundervoller ist. Lichtjahre entfernt und doch so nah, zum Greifen nah. Ich könnte die ganze Zeit daliegen und mich verlieren. Doch Wolken ziehen auf und eine weitere Nachtexkursion steht an. Diesmal nicht hinein ins Dickicht, sondern hinaus auf den See. Nach Kaimanen Ausschau halten und sie vielleicht auch fangen. Ich sitze ganz am Ende und sehe nichts. Der See ist tiefschwarz, der Himmel zieht sich weiter zu, irgendwo in meiner Magengegend fühle ich ein Unwohlsein, vielleicht der Respekt vor der Gewalt der Natur. Immer wieder komme ich mir so winzig vor und doch bin ich dankbar für dieses Gefühl, es ordnet sich etwas neu im Kopf. Mario hat die einzige Taschenlampe, wir sitzen völlig lichtlos in dem kleinen Kanu. Meine Balance ist plötzlich nicht mehr die beste, habe Angst umzukippen und wünsche mir innerlich keinen Kaiman zu fangen. Zwei Versuche scheitern, aber die Kraft des Kaimans bringt das Boot zum Erschüttern. Man muss die Natur eben in Ruhe lassen. Und jeden in seinem eigenen Lebensraum lassen. Die Tiere, die ihre Laute von sich geben, machen das ganze irgendwie noch unheimlicher. Mario paddelt und paddelt vor sich her, immer weiter auf der Suche nach Kaimanen, wir sehen ein- zweimal die Augen, aber sie verstecken sich in der schützenden Dunkelheit. Es ist still, unsere Atmung flach und plötzlich schießt etwas aus dem Wasser, direkt auf meinen Hals zu, ich stoße einen unterdrückten Schrei aus, mein Herz explodiert fast und mein gesamter Körper zittert. Was auch immer es war, hart und schuppig, es landet wieder im Wasser. Ich will wieder an Land. Alleine sein, selbst bestimmen, wo es langgeht. Mit noch immer zitternden Beinen schwanke ich an Land und bin froh wieder festen Boden unter meinen Füßen zu spüren. Riesige Fledermäuse schießen übers Wasser, der Himmel ist wolkenverhangen und es beginnt zu schütten. In dieser Nacht sind wir die einzigen Menschenseelen hier draußen. Eine unruhige Nacht steht mit bevor. Schlafen kann man das nicht nennen. Das Bett ist hart, die Matratze kaum vorhanden, es ist stickig, die Mückenstiche jucken höllisch, mein Herz rast noch immer, die Papageien machen einen Höllenlärm und das Wildschweinchen rammt mit seiner gesamten Kraft gegen die Tür, Kotzgeräusche von sich gebend. In der Morgendämmerung finde ich Ruhe und schlafe ein bis wir morgens um acht zum Frühstück geweckt werden.
Danach eine zweistündige Wanderung durch den Dschungel, mein Autan neigt sich dem Ende zu, und eigentlich ist es auch egal bei den vielen Mückenstichen, die meinen Körper übersäen. Die Luft ist klar, der Schweiß rinnt einem ins Gesicht, eine Schlange schlängelt sich an uns vorbei, Kakao und andere Früchte wachsen. Mit der Machete machen wir uns den Weg frei, unglaublich große blaue Schmetterlinge flattern an uns vorbei, der mochilero gibt seinen einmaligen Ruf von sich (ein Vogel, der Nester baut, die einem Sack ähneln).
Dann noch eine kurze Pause im Hotel, ich hole ein wenig Schlaf nach. Mittagessen und dann unsere spärlichen Sachen packen. Ein weiterer Marsch durch den Dschungel, es hat recht viel geregnet in den letzten Stunden, dementsprechend quitscht und quatscht es auch. Mit der Lancha geht es zurück nach Tabatinga,
wo wir schon von Gustavo und einem Taxi erwartet werden. Eine Dusche und dann ins Bett. Wir haben in ein anderes Hostel gewechselt, ein wenig außerhalb von Leticia, mit einem großen See, in dem es Schildkröten und eine Boa gibt. Der Schlaf ist erholsam.
Der nächste Tag beginnt wiederum spät, wir tingeln ein wenig durch Leticia, sonntags haben hier die meisten Geschäfte geschlossen, wir lassen uns in einem kleinen Restaurant nieder, essen Fisch und trinken Saft der arazá, Geschmäcke, die sich mit nichts vergleichen lassen. Eigentlich wollen wir ins serpentario, einem „Schlangen-Zoo“, aber das macht schon um vier zu, also dümpeln wir noch ein wenig rum und genießen den Regen. Es beginnt zu schütten und wir stehen draußen lassen die Feuchtigkeit in jede Pore eindringen, atmen ein und spüren die Energie, die Kraft des Wassers.
Der Montagmorgen (man verliert das Zeitgefühl so ganz ohne Uhr, Handy und Internet, aber das ist doch auch das, was Urlaub bedeutet) beginnt recht früh. Ein Taxi steht bereit, um uns über eine der wenigen Straßen, die hinaus aus der Stadt führen, zu der Maloka von Gustavo zu bringen – ein indígena, der in einer kleinen Kommune im Dschungel wohnt.
Es geht über die betonierte Straße (es gibt sogar einen Fahrradweg) und dann biegen wir ab, ein Feldweg, vorbei an einzelnen Hütten, Felder, die noch rauchen, Kahlschlag, ein wenig trist. An einer Kreuzung werden wir abgeholt, zu Fuß geht es weiter, über Brücken aus Baumstämmen, Pfützen hin zur Maloka. Dort werden wir von Gustavo begrüßt. Er erklärt uns ein wenig seine Kultur, wir verstehen nur die Hälfte.
Die Zunge wird seltsam taub und Gustavo erzählt fleißig weiter. Die Geister seiner Großeltern haben ihn vieles gelehrt, er weiß viel über die Natur, kann viele Geschichten erzählen, jedoch nur nachts, wenn die Türen der Maloka verschlossen werden, damit die bösen Geister draußen bleiben. Ein kleiner Pfad führt uns zu einem kleinen Fluss.
Mit einer Liane stürzen wir uns ins Wasser, es ist erfrischend und macht Spaß. Danach bekommen wir ein Mittagessen, es wird mit Händen gegessen, es ist lecker und mein Magen verträgt viel.
Später schlagen wir uns erneut durch den Urwald, diesmal nicht auf Pfaden, sondern durch Gehölz und Geäst. Gustavo lässt uns Milch von Bäumen probieren, die Magenprobleme verhindert; uns an Baumrinden lecken, die gegen Nierenschmerzen hilft und Flöten aus frischen Palmblättern bauen. Er zeigt uns wie die verschiedensten Pflanzen wachsen.
Eigentlich wollen wir und nur noch mal versichern, dass der Flug nicht verschoben wurde, dazu müssen wir ins kleinere Hostel, in dem es Internet gibt. Nach fünf Minuten Fußweg beginnt es zu schütten, wir suchen Unterschlupf und warten und warten bis es irgendwann weniger wird. In dem Hostel treffen wir auf einen Kolumbianer und seine italienische Freundin, die vom Schmuckherstellen lebt, durch sämtliche Kontinente reist. Es ist unglaublich. Und der Schmuck wirklich schön und einzigartig. Wir reden und reden während der Regen auf das Dach trommelt und trommelt.
Vier Frauen unter zwei Regenjacken machen sich dann auf in die regnerische Nacht auf Suche nach Nahrung. Denn gut gestärkt müssen wir sein, für den nächsten Morgen, der in aller Frühe beginnt. Denn eines fehlt uns noch: Delfine. Wir haben sie noch immer nicht gesehen. Morgens um fünf stehen wir auf, um halb sieben besteigen wir die Lancha Camilo I, den Amazonas hinab. Erst tut sich ganz lange nichts, doch dann, eine Schnauze eines rosafarbenen Delfins, der männliche Part, sie verstecken sich gerne und lassen sich nicht allzu oft sehen.
Unser Kapitän hat eine gewisse Aura um sich, er weiß, wie man sie anlockt und man sagt, dass Delfine von Frauen angezogen werden. Alldas und die Ruhe weit weg von der Stadt führt dazu, dass wir sie sehen.
Süßwasserdelfine, die in Pärchen aus dem Wasser springen, immer wieder, wir folgen ihnen, sehen ihnen bei ihren Spielereien zu. Es ist ein wunderschöner Anblick, ich bin glücklich und zufrieden. Ein, zwei Stunden schippern wir immer wieder begleitet von ein paar Delfinen auf dem Amazonas umher, der vielmehr einem See ähnelt, da man rings um einen herum nur Wassermassen und in der Ferne Urwald sieht. Dann geht es stromaufwärts, es beginnt zu regnen und wir sind froh, dass wir eine Plane über dem Kopf haben. Alles erscheint bräunlich-grau, der Blick nach hinten, seltsam, es sieht wie das Ende der Welt aus, das Oben ist nicht vom Unten zu unterscheiden, der Regen prasselt von allen Seiten, kein anderes Geräusch ist zu hören.
Wir legen kurz an, um noch einmal ein See voller Seerosen der größten Sorte zu sehen,
dann nähert sich unser Aufenthalt am Amazonas dem Ende. Es geht zurück, Sachen gepackt und auf zum Flughafen.
Dort herrscht das Chaos. Es ist unglaublich wie langsam es vorangeht, immer wieder drängeln sich Kolumbianer vor, die nur eine kleine Frage haben. Wir haben etwa zehn Menschen vor uns, warten aber mehr als eine halbe Stunde, um unser Gepäck aufgeben zu können. Steph hat vergessen ihr Schweizer Messer in ihr Gepäck zu tun, aber es kommt ohne Probleme durch die Kontrolle des Handgepäcks, da weiß man nicht, ob man sich freuen soll. Was wohl sonst noch alles durchkommt, will man lieber gar nicht wissen…
Der Flug hat Verspätung, wie auch sonst. Aber irgendwann sitzen wir drin im Flieger und es geht ab in Richtung zu Hause. Das Atmen fällt wieder schwerer, der Großstadtlärm ist wieder da und der Urlaub ist zu Ende.
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