Mittwoch, 27. Januar 2010

Sensación de un día

Großstadt ist wieder Großstadt

Und plötzlich war sie wieder voll, die Stadt. Voll von Menschen. Voll von Lärm. Voll von Abgasen. Und die Sonne erhitzt alles. Bis irgendwann alles eingekocht ist. Die ersten Waldbrände entfachen, riesige Smogwolken hängen plötzlich über der Stadt.
Die Gehsteige sind wieder überfüllt, die Busse und Transmilenio quillen über vor Städtern, die soeben vom ruhigen Lande oder der überbevölkerten Küste zurück gekehrt sind. Sie jagen durch die Straßen, versuchen Busse anzuhalten, während sie wichtige Telefonate mit „Mami“ oder eben sonst irgendjemandem führen, immer schön ins Handy schreiend, damit auch ja alle in ihrer näheren Umgebung mitbekommen welch ach so wichtiges Leben sie führen. Taxis, die einen beim Überqueren der Straße beinahe mitnehmen, allerdings nicht als zahlender Gast, sondern als Unterboden-Trittbrettfahrer. Das Gehupe und Geschrei ist groß. Unvorsichtige Busfahrer, die die Türen schließen, obwohl ein Kleinkind sich mit dem Fuß in der Tür verkeilt hat, Geheule, Gekreische.

Vielleicht schlägt mir das alles so sehr auf den Magen, dass dieser nicht mehr weiß, wo oben und wo unten ist. Drei Tage lang schleppe ich mich eher schlecht als recht zu meinen Vorlesungen, vom Bett zur Uni, von der Uni zum Bett. Drei Tage Nahrungsverweigerung seitens meines Körpers. Vielleicht ein schützender Reinigungsprozess. So wie der Regen. Nach mehr als einem Monat Hitze und Dürre kommt er, der große Regen. Der ganze Dreck verschwindet von den Straßen, man kann die Luft wieder einatmen, die Tropfen auf der Nasenspitze spüren, das Geräusch der durch die Pfützen bretternden Autos, der Geruch des Regens auf dem Asphalt, die langsam durchweichende Kleidung bis der letzte Knochen die Feuchtigkeit zu spüren bekommt. Nach Hause kommen, triefend, sich seiner Klamotten entledigen, die Badtür öffnen und den heißen Duschstrahl auf der Haut spüren.
Ein lange herbeigesehnter Regentag.

Dienstag, 19. Januar 2010

Vamos a la playa, o o o no?




Keine Reiseberichte?

Im Süden bin ich schon und eine Reise mache ich auch, allerdings bin ich dieses Jahr noch nicht wirklich aus der Stadt rausgekommen… Was aber nicht weiter schlimm ist.
Ich versteh gar nicht, weshalb die Menschen um die Weihnachtszeit flüchten. Sowohl das Ende wie auch der Anfang des Jahres in Bogotá sind unglaublich schön. Das Klima ist angenehm, man könnte fast behaupten, dass der Sommer ausgebrochen ist.
Außerdem ist die Stadt unglaublich ruhig, es gibt kaum Staus, die Menschen, denen man begegnet, sind meist entspannt und haben ein Lächeln auf den Lippen und eine Sonnenbrille auf der Nase…

Und so seltsam und verrückt es auch klingen mag, aber ich hab gearbeitet in meinen Ferien, und noch seltsamer: Ich habe es genossen. Zwei Wochen in Gesellschaft, in einer kolumbianischen Familie, weit im Süden der Stadt. Das Ambiente im Süden ist anders, anfangs erinnerte es mich an das Viertel weit im Norden, in dem ich zu Beginn meines Aufenthalts in Kolumbien gewohnt habe. Es hat mehr etwas von einem kleinen Dörfchen: Kleine Geschäfte, Schlachtereien, Bäckereien, Ramschläden, Frisöre, viele streunende Hunde (die gerne mal kläffend hinter Taxis oder Motorrädern herlaufen), viele Kinder, viele junge Mütter, mehr Armut, einfachere Häuser, aber mehr Freude, mehr Feste, mehr Leben…

Das Haus meines Freundes braucht auf jeden Fall eine Komplettrenovierung, also habe ich geholfen (und werde auch in den nächsten Wochen weiter helfen), Maschinen, die hilfreich sein könnten, gibt es nicht, also ist Handarbeit angesagt. Mit einem Spachtel kratze ich tagelang die unglaublich hässliche Farbe mit Tropfenstruktur von den Wänden, um diese später mit Stuck zu verkleiden, der dann wiederum wieder per Hand abgeschliffen wird. Die metallenen Deckenstützen müssen im gesamten Haus vom Rost befreit werden, um dann zunächst mit einer Farbe, die sie vor Feuchtigkeit schützt, bestrichen zu werden, bevor die gesamten Decken in mehreren Durchgängen weiß gestrichen wird. Um den hässlichen Balken in einem Zimmer verschwinden zu lassen, zerhammere ich Reste von verschiedenen Fliesen, um dann mit Zement bewaffnet ein großes Mosaik zu basteln. Die meisten der Türen müssen abgeschliffen werden, alles per Hand versteht sich, um später bemalt werden zu können. Auch die neu verputzten Wände vertragen einen Farbanstrich und ich darf mich künstlerisch ausleben. Ein großer Kleiderschrank, der zuvor aussah als sei er bereit für den Sperrmüll, erstrahlt nun in neuem Glanz, Gelb- und Rottöne die miteinander harmonieren…

Aber die Arbeit hört nicht auf, es gibt noch viele Wände, die darauf warten abgeschliffen, verputzt und gestrichen zu werden, das Treppenhaus ähnelt noch immer einer Baustelle und die Terrasse hat zwar Fensterrahmen und das neue Zimmer von Julian (der nach zwanzig Jahren in einem Zimmer mit seinem Bruder, das allererste Mal einen Raum für sich haben wird) auch, aber noch fehlen die Fenster. Ebenso der Putz, sodass einen Backsteine in ihrem schönen Rot anstrahlen.

Es ist ein schönes Gefühl nach soviel körperlicher Arbeit das Ergebnis zu sehen und auch die Schmerzen im eigenen Körper zeigen einem, dass man etwas geschafft hat. Und wenn man in Gesellschaft arbeitet, geht’s gleich noch besser und schneller. Zwischendurch essen wir zusammen Mittag, die Familie strengt sich unglaublich an und ich bekomme oft vegetarisches Essen, was in dieser typisch karnivoren Familie dazu führt, dass ich oft aufgezogen werde. Das Fleisch sei einfach „buenísimo“ (oder auch hervorragend)…
Die Tage vergehen wie im Flug, die Nächte verbringen wir zu dritt auf zwei Matratzen und einem Bett (was vorher ein Hochbett war, jetzt aber abgesägt in zwei Betten umgewandelt wurde, von denen aber nur eines im Zimmer Platz findet), Tage ohne Dusche, da es sich einfach nicht lohnt, der Staub und Dreck macht sich im gesamten Haus breit…

Eine kurze Einführung in die Nachbarschaft:
Das Haus ist ein Reihenhaus, zwei Häuser weiter wohnt Nestor, eigentlich ein ganz netter Mensch, allerdings hat sich seine Frau von ihm verabschiedet mitsamt seinen Kindern, er lebt also alleine und vom Erbe, das ihm seine Eltern hinterlassen haben. Denn er arbeitet etwa alle zwei Wochen, indem er Eier und Bier verkauft, den Rest der Zeit ist er stockbetrunken und grölt in den Straßen nach seiner angebeteten Leydi (kein Scherz, es gibt hier Unmengen an Frauen, die Leydi, Leidie, Lydie oder ähnliche Varianten des englischen Wortes „lady“, also Frau oder Dame, als Namen haben; schlimmer noch sind allerdings Namen wie Usnavy oder Lincoln, wohlgemerkt als Vorname, es gibt hier niemanden, der einem sagt, dass man einem Kind einen angemessenen Namen verpassen sollte). Leydi ist sechzehn und erfreut sich so gar nicht an ihrem Verehrer, welcher älter als fünfzig ist.
Ein paar Häuser wohnt eine Familie, die sich eine unglaubliche Bassanlage geleistet hat und diese auch fleißig nutzt. Wenn sie angeschmissen wird, bebt das gesamte Viertel, man muss regelmäßig Angst haben, dass das Haus nicht einstürzt. Disko, die man nicht bezahlen muss.
Gegenüber befindet sich ein kleiner Fußballplatz, der oft von lärmenden Jugendlichen bespielt wird und Mittagsruhe gibt es hier eh nicht. Am Wochenende wird man morgens um sechs von „tamales“-schreienden Mädels geweckt, später dann kommt der Müllwagen mit seiner eindringlichen Melodie (die eher an einen Eiswagen erinnert) und immer wieder hört man Nestor rufen „Te amoooo Leydi“; wenn er einen guten Tag hat, dann hört man ihn übrigens verstört kichern, wenn nicht, dann weint er auch gerne stundenlang.
Ruhe ist ein Fremdwort. Aber so ist das hier in Kolumbien.

Aber es wurde nicht nur gearbeitet. Auch gefeiert und Schlittschuh gelaufen. Oh ja. Richtig, es gibt zwei Eisbahnen hier in Bogotá, gut, nichts im Vergleich zu deutschen Eisbahnen, aber immerhin. 40 Minuten gratis ein bisschen Winter fühlen (obwohl man dabei T-Shirt trägt), das hatte schon etwas für sich…

Und ein paar Abschiede standen leider auch an; viele machen sich wieder auf den Weg in ihr Heimatland und nur wenige bleiben, so wie ich…

Seit gestern sind meine Semesterferien allerdings vorbei und morgens um halb sechs hat mein Wecker geklingelt…
Jetzt gilt es noch einige Dinge zu erledigen und das geregelte Leben kann wieder beginnen.

Montag, 4. Januar 2010

¡Feliz año nuevo!




Ein wunderschönes neues Jahr…


29.Dezember:
Sonne, leichter Wind, Temperaturen um die 23°C.
Entspannter Tag. Aufräumen. Fernsehen. Lesen. Zeichnen. Verabredung in einem kleinen niedlichen Café. Bei der Eingangstür muss sogar ich mich bücken, um unverletzt eintreten zu können. Der Innenraum ist vielseitig gestaltet. Dunkel. Kamine. Kuschelige Ecken. Kissen auf de Boden. Niedrige Tische. Eine riesige reichlich verzierte Karte. Ein frischer Saft. Eine heiße Schokolade. Und endlose Gespräche. Eine Stunde. Zwei Stunden. Drei Stunden. Die Zeit vergeht. Plötzlich ist es spät abends. Wir müssen los, um den letzten Transmilenio noch zu erwischen. Gute Nacht.

30.Dezember:
Sonne, kein Lüftchen, Temperaturen um die 26°C.
Ausschlafen. Spaziergang bei sommerlichen Gegebenheiten. Einkaufen. Und dann backen. Oder erstmal Zutaten mischen. Hefeteig ansetzen. Kneten. Ruhen lassen. Kneten. Ruhen lassen. Kneten. Ruhen lassen. Kleine brötchenartige Kugeln formen. Gehen lassen. Der Abend bricht bereits an.
Hinein ins heiße Fett. Die ersten selbst gemachten Berliner meines Lebens. Ein bisschen deutsches Silvester. „Ein Herz und eine Seele – Der Sylvesterpunsch“ und „Dinner for One“ dürfen nicht fehlen.

31.Dezember:
Sonne, ein frischer Wind, Temperaturen um die 24°C.
Der Wecker klingelt um acht Uhr morgens. Sachen zusammenpacken. Warten. Auf den Anruf eines Freundes. Dann klingelt’s. Nicht das Telefon, sondern die Sprechanlage. Meine cédula de extranjería ist da. Zur Rezeption. Unterschrift. Und dann zum Transmilenio. Ab in den Süden. Die Sonne strahlt aus allen Knopflöchern. Kurze Hosen. Knappe Röcke. Sonnenbrillen. Sonnenschirme. Spiegelungen in den Fenstern. Auf dem heißen Asphalt. Zwanzig Minuten Fahrt und das Stadtbild ist ein völlig anderes. Kleiner Spaziergang. Kleine Wohnung. Recht kahl. Viel Musik. Kolumbianische. Fotos. Familien-Fotos. Gedichte. Gespräche. Spaziergang durch die Straßen. Besuch bei einem Freund in einem der ärmsten und heruntergekommensten Teilen Bogotás: Ciudad Bolívar. Kolumbianischer Wein (nicht zu empfehlen, wir teilweise aus Rosinen hergestellt, ist also ziemlich süß und klebrig.) Zurück. Umziehen. Sechs Uhr abends: Anstoßen auf das neue Jahr, das zu dem Zeitpunkt in Deutschland beginnt. Treffen mit weiteren Freunden. Das ein oder andere Bierchen. Immer ein Auge auf die Uhr. Telefonate. Sorgen, wo ich bleibe. Es ist bereits dunkel. Bus, Transmi oder Taxi? Alleine oder in Begleitung? Taxi in Begleitung. Und plötzlich steh ich im Mittelpunkt. Eine Deutsche. In Kolumbien. Musik. Tanz. Viel Tanz.

Viel Alkohol. Auch Silvester wird im Familienkreis gefeiert. Kurz vor Mitternacht. Linsen werden verteilt. Entweder in den Schuh damit oder in die Hosentasche. Für den Geldsegen im nächsten Jahr. Dann zu jedem der zwölf Glockenschläge eine Weintraube. Eine Traube, ein Wunsch. Umarmungen und die besten Wünsche. Dann erhält jeder eine Kerze. Die erste wird angezündet und die Wünsche für das kommende Jahr in ein Gebet verfasst. Die nächste Kerze wird angezündet. Weitere Wünsche. Und die nächste Kerze. Und Wünsche. Bis der Kreis geschlossenen ist. Das Vaterunser. Und dann beginnt das neue Jahr. Es werden tamales gegessen,



die Berliner danach. Feuerwerk ist kaum zu sehen. Ein paar Knaller sind zu hören, aber vor allem Musik dröhnt von überall her.




Es wird wieder getanzt und gelacht und getrunken bis die ersten sich verabschieden und schlafen gehen. Zu siebt in einem kleinen Zimmer, die Nacht ist kurz.

1.Januar:
Sonne, kein Lüftchen regt sich, Temperaturen um die 27°C.
Frühstück auf der Terrasse. Tamales, Brot und heiße Schokolade. Einige müde Gesichter.


Foto-Session mit Mariana, der einzigen kleinen im Kreise.



Kissenschlachten.



Kabbeleien. Lachen, viel lachen. Und dann den Grill anschmeißen. Traditionelles Grillen zum Jahresbeginn, der sich gar nicht nach Jahresbeginn anfühlt. Januar, was ist das schon hier?
Es wird gegrillt. Aber anders als in Deutschland. Plátanos. Fleisch, viel Fleisch, Innereien. Kartoffeln und Yuca dazu. Guacamole. Für mich gibt’s einen Fisch.
Teller gibt’s nur ein paar. Besteck so gut wie gar nicht. Es wird mit den Fingern gegessen. Geteilt. Gelacht und getrunken. Die Sonne strahlt.
Gegen Nachmittag wird aufgeräumt. Ein wenig Ruhe. Familienfoto. Das Haus feiert seinen fünfzehnten Geburtstag. Kuchen. Und dann später zu den Cousinen und Cousins väterlicherseits. Der Grill wird angeschmissen. Aber es ist nichts zum Grillen da. Also ab ins Auto. Und ein offenes Geschäft suchen. Leichter gesagt als getan. Es ist halb acht. Feiertag. Da ist das meiste dann doch schon geschlossen. Aber wir finden etwa. Wir haben eine Viertel Stunde. Vier Kerle und ich. Schwierigkeiten sich für die richtigen Würstchen zu entscheiden. Fleisch oder doch Gehacktes? Welche arepas. Wie viel. Das Bier. Zu teuer oder nicht? Fünfzehn Minuten gehen schneller um als man denkt und schon wird die Nationalhymne gespielt. Und die ersten Türen werden verriegelt. Schnell zur Kasse. Ab ins Auto. Zurück. Auf dem weg noch ein Kasten Bier.
Dann wird wieder viel gelacht, erzählt… Ich bin mal wieder die Hauptattraktion. Nestor weiß lange Zeit nicht, dass ich Deutsche bin, sondern glaubt ich sei Kolumbianerin, bis er irgendwann aufgeklärt wird. Noch mehr Gelächter. Wörter, die mir erklärt werden. Seltsame „Tischsitten“. Alles wird auf ein Tablett gepackt und jeder greift zu. Mit den Fingern versteht sich. Wir ziehen uns gegenseitig auf. Ich würde eine Studie verfassen. Seltsame Gewohnheiten der Kolumbianer und hätte mir nach Kriterien bestimmte Personen herausgepickt. Irgendwann geht das Bier zur Neige. Also gibt es Glühwein. Ein bisschen heimelig wird’s mir da. Auch wenn ich noch nie Glühwein vom Grill getrunken habe…
Dann macht die Vegetarierin unter uns – also ich – aus dem Gehackten Frikadellen. Und wie gut die ankommen. Irgendwann starten wir dann Karaoke. Das erste Mal in meinem Leben. Schrecklich. Der Wein ist auch leer. Und die Augen werden schwer.
Das Haus ist klein, der Schlafplatz begrenzt. Sofas werden gerückt. Schlafplätze in Autos hergerichtet. Es geht halt irgendwie. Ich ergattere mir ein Stück Sofa. Von den Knien abwärts gibt’s nichts, aber egal. Wir schlafen.

2.Januar:
Sonne, leichte Brise, Temperaturen um die 26°C.
Müdigkeit herrscht vor. Ein Spaziergang zur Avenida Boyacá, um den Bus in Richtung Süden zu nehmen. Aufpassen, dass wir nicht einschlafen. Die Sonne taucht alles in ein gleißendes Licht. Ab ins Haus, die Frische genießen. Frühstück. Schlafen. Reden. Gedichte. Schlafen. Mittagessen. Schlafen. Fotos. Noch ein Kaffee und dann aufbrechen in Richtung nach Hause.
So beginnt also hier ein neues Jahr.