Keine Reiseberichte?
Im Süden bin ich schon und eine Reise mache ich auch, allerdings bin ich dieses Jahr noch nicht wirklich aus der Stadt rausgekommen… Was aber nicht weiter schlimm ist.
Ich versteh gar nicht, weshalb die Menschen um die Weihnachtszeit flüchten. Sowohl das Ende wie auch der Anfang des Jahres in Bogotá sind unglaublich schön. Das Klima ist angenehm, man könnte fast behaupten, dass der Sommer ausgebrochen ist.
Außerdem ist die Stadt unglaublich ruhig, es gibt kaum Staus, die Menschen, denen man begegnet, sind meist entspannt und haben ein Lächeln auf den Lippen und eine Sonnenbrille auf der Nase…
Und so seltsam und verrückt es auch klingen mag, aber ich hab gearbeitet in meinen Ferien, und noch seltsamer: Ich habe es genossen. Zwei Wochen in Gesellschaft, in einer kolumbianischen Familie, weit im Süden der Stadt. Das Ambiente im Süden ist anders, anfangs erinnerte es mich an das Viertel weit im Norden, in dem ich zu Beginn meines Aufenthalts in Kolumbien gewohnt habe. Es hat mehr etwas von einem kleinen Dörfchen: Kleine Geschäfte, Schlachtereien, Bäckereien, Ramschläden, Frisöre, viele streunende Hunde (die gerne mal kläffend hinter Taxis oder Motorrädern herlaufen), viele Kinder, viele junge Mütter, mehr Armut, einfachere Häuser, aber mehr Freude, mehr Feste, mehr Leben…
Das Haus meines Freundes braucht auf jeden Fall eine Komplettrenovierung, also habe ich geholfen (und werde auch in den nächsten Wochen weiter helfen), Maschinen, die hilfreich sein könnten, gibt es nicht, also ist Handarbeit angesagt. Mit einem Spachtel kratze ich tagelang die unglaublich hässliche Farbe mit Tropfenstruktur von den Wänden, um diese später mit Stuck zu verkleiden, der dann wiederum wieder per Hand abgeschliffen wird. Die metallenen Deckenstützen müssen im gesamten Haus vom Rost befreit werden, um dann zunächst mit einer Farbe, die sie vor Feuchtigkeit schützt, bestrichen zu werden, bevor die gesamten Decken in mehreren Durchgängen weiß gestrichen wird. Um den hässlichen Balken in einem Zimmer verschwinden zu lassen, zerhammere ich Reste von verschiedenen Fliesen, um dann mit Zement bewaffnet ein großes Mosaik zu basteln. Die meisten der Türen müssen abgeschliffen werden, alles per Hand versteht sich, um später bemalt werden zu können. Auch die neu verputzten Wände vertragen einen Farbanstrich und ich darf mich künstlerisch ausleben. Ein großer Kleiderschrank, der zuvor aussah als sei er bereit für den Sperrmüll, erstrahlt nun in neuem Glanz, Gelb- und Rottöne die miteinander harmonieren…
Aber die Arbeit hört nicht auf, es gibt noch viele Wände, die darauf warten abgeschliffen, verputzt und gestrichen zu werden, das Treppenhaus ähnelt noch immer einer Baustelle und die Terrasse hat zwar Fensterrahmen und das neue Zimmer von Julian (der nach zwanzig Jahren in einem Zimmer mit seinem Bruder, das allererste Mal einen Raum für sich haben wird) auch, aber noch fehlen die Fenster. Ebenso der Putz, sodass einen Backsteine in ihrem schönen Rot anstrahlen.
Es ist ein schönes Gefühl nach soviel körperlicher Arbeit das Ergebnis zu sehen und auch die Schmerzen im eigenen Körper zeigen einem, dass man etwas geschafft hat. Und wenn man in Gesellschaft arbeitet, geht’s gleich noch besser und schneller. Zwischendurch essen wir zusammen Mittag, die Familie strengt sich unglaublich an und ich bekomme oft vegetarisches Essen, was in dieser typisch karnivoren Familie dazu führt, dass ich oft aufgezogen werde. Das Fleisch sei einfach „buenísimo“ (oder auch hervorragend)…
Die Tage vergehen wie im Flug, die Nächte verbringen wir zu dritt auf zwei Matratzen und einem Bett (was vorher ein Hochbett war, jetzt aber abgesägt in zwei Betten umgewandelt wurde, von denen aber nur eines im Zimmer Platz findet), Tage ohne Dusche, da es sich einfach nicht lohnt, der Staub und Dreck macht sich im gesamten Haus breit…
Eine kurze Einführung in die Nachbarschaft:
Das Haus ist ein Reihenhaus, zwei Häuser weiter wohnt Nestor, eigentlich ein ganz netter Mensch, allerdings hat sich seine Frau von ihm verabschiedet mitsamt seinen Kindern, er lebt also alleine und vom Erbe, das ihm seine Eltern hinterlassen haben. Denn er arbeitet etwa alle zwei Wochen, indem er Eier und Bier verkauft, den Rest der Zeit ist er stockbetrunken und grölt in den Straßen nach seiner angebeteten Leydi (kein Scherz, es gibt hier Unmengen an Frauen, die Leydi, Leidie, Lydie oder ähnliche Varianten des englischen Wortes „lady“, also Frau oder Dame, als Namen haben; schlimmer noch sind allerdings Namen wie Usnavy oder Lincoln, wohlgemerkt als Vorname, es gibt hier niemanden, der einem sagt, dass man einem Kind einen angemessenen Namen verpassen sollte). Leydi ist sechzehn und erfreut sich so gar nicht an ihrem Verehrer, welcher älter als fünfzig ist.
Ein paar Häuser wohnt eine Familie, die sich eine unglaubliche Bassanlage geleistet hat und diese auch fleißig nutzt. Wenn sie angeschmissen wird, bebt das gesamte Viertel, man muss regelmäßig Angst haben, dass das Haus nicht einstürzt. Disko, die man nicht bezahlen muss.
Gegenüber befindet sich ein kleiner Fußballplatz, der oft von lärmenden Jugendlichen bespielt wird und Mittagsruhe gibt es hier eh nicht. Am Wochenende wird man morgens um sechs von „tamales“-schreienden Mädels geweckt, später dann kommt der Müllwagen mit seiner eindringlichen Melodie (die eher an einen Eiswagen erinnert) und immer wieder hört man Nestor rufen „Te amoooo Leydi“; wenn er einen guten Tag hat, dann hört man ihn übrigens verstört kichern, wenn nicht, dann weint er auch gerne stundenlang.
Ruhe ist ein Fremdwort. Aber so ist das hier in Kolumbien.
Aber es wurde nicht nur gearbeitet. Auch gefeiert und Schlittschuh gelaufen. Oh ja. Richtig, es gibt zwei Eisbahnen hier in Bogotá, gut, nichts im Vergleich zu deutschen Eisbahnen, aber immerhin. 40 Minuten gratis ein bisschen Winter fühlen (obwohl man dabei T-Shirt trägt), das hatte schon etwas für sich…
Und ein paar Abschiede standen leider auch an; viele machen sich wieder auf den Weg in ihr Heimatland und nur wenige bleiben, so wie ich…
Seit gestern sind meine Semesterferien allerdings vorbei und morgens um halb sechs hat mein Wecker geklingelt…
Jetzt gilt es noch einige Dinge zu erledigen und das geregelte Leben kann wieder beginnen.
My dear, Nestor hat vielleicht einfach ZUVIEL (Rind-)fleisch gegessen und jetzt den Wahnsinn inne?!? ;-)
AntwortenLöschenKuss
Deine Tine