Donnerstag, 29. April 2010

En la nada escuchando el silencio




Nichts außer Weite, Hitze, Natur und ein wenig Müll


Flucht. Flucht aus der Großstadt. Flucht vor dem Regen. Vor dem Grau. Vor den von schlechter Laune verzierten Gesichtern. Denn selbst auf dem meinigen war nur noch ein verzerrtes Lächeln zu verzeichnen. Ich musste mal raus aus dieser Stadt, so sehr ich sie auch mag. Es gibt Momente, in denen man sich ganz weit weg wünscht. Ein Fingerschnipsen, die Augen ganz fest zusammen gekniffen und schwups ist man an einem anderen Ort, fernab von Gehupe, Getöse, Geschrei. Ganz so einfach war es zwar nicht, aber auch die Reise ins Nichts war ein großes Abenteuer. Das einzige sichere an dieser Reise waren Hin- und Rückflug (selbst da gab es schlussendlich ein wenig Unsicherheit, aber davon später mehr). Donnerstagmorgen. Der Flieger Richtung Küste. Cartagena um genau zu sein. Ich kannte die Stadt bereits, Franzi jedoch nicht, deswegen noch mal auf in die Piratenstadt. Wieder einmal begrüßt uns strahlender Sonnenschein und eine frische Brise. Mit dem Bus geht’s Richtung Innenstadt. Die frische Meerluft, die durchs offene Fenster strömt, macht sich in den Lungen breit. Herrlich. Erstmal schleunigst zum Markt und uns mit Flipflops eindecken (die auch gerade so für die paar Tage halten werden), zwei Paar für umgerechnet 4 Euro. Das Abenteuer kann beginnen. Ein kleiner Rundgang mitsamt Gepäck durch Cartagena, die Innenstadt, die Festungsmauer, der Ausblick aufs Meer. Wunderbar.



Die Mittagshitze macht uns allerdings ein wenig zu schaffen, also suchen wir ein Restaurant, lassen uns nieder und trinken etwas Kühles. Auf dem Marktplatz gibt es dieses Mal keine Gruppe, die mapalé tanzt, auch der Kellner, der Prisca und mich damals auf ein Bier eingeladen hat, arbeitet gerade nicht. So bleibt uns nichts anderes übrig als allein durch die Altstadt zu ziehen.



Der Wind weht die Schweißtropfen davon, doch das Touristen-Dasein nicht. Und da ich weder Hut noch sonstige Kopfbedeckung auf meinem Haupt trage, spricht mich sogleich ein Straßenverkäufer an. Ein Strohhut (den ich nicht lange besitzen werde). Erst will er „nur“ „twenty dolares“ von mir haben, aber nicht mit mir, ich bin vielleicht Tourist, aber so sehr übers Ohr hauen lasse ich mich auch nicht. Da es bei der Sonne nicht schlecht ist, was auf dem Kopf zu haben, handele ich ihn runter auf 25.000 Pesos, immer noch teuer genug, aber meine wertvollen Hirnzellen werden zumindest für eine Weile vorm Austrocknen geschützt.
Baldigst machen wir uns auf zum Terminal, unser zweites Ziel für heute: Santa Marta. Nach etwas Hin- und Hergelaufe finden wir ein Busunternehmen, das uns für 20,000 Pesos etwa fünf Stunden durch die Gegend fährt.



Zwischenstopp in Barranquilla, es wird bereits dunkel, der Handyempfang ist schlecht, also ist es auch schwierig mit der Kommunikation zwischen Tobi, der bereits seit einigen Tagen in Santa Marta ist und dort auf uns wartet, und uns. Um acht sind wir dann endlich am Terminal. In den ersten Vororten stehen kleine Büdchen. Plastikdächer, Tisch darunter, Fisch auf Tisch, und was für welcher, da sind ganz schöne Brocken dabei, man bekommt sogleich Lust auf frisches Meeresgetier. Das Wasser kann einem da schon im Mund zusammenlaufen. Wir werden herzlich von Alberto empfangen, es gibt Kartoffelsalat und Fisch und ein Bett. Und Gespräche. Über Träume. Über Pläne. Über Zukünftiges und Vergangenes.
Ermattet von der Reise schlagen wir unsere Schlafstätte auf und schmeißen den Ventilator an, selbst bei offenem Fenster ist der von Nöten. Die Mücken bescheren mich diese Nacht mit ein paar neuen Stichen (die jedoch durch Sonne und Salzwasser schnell abklingen werden). Das Ventilator-Getöse stört nur unmerklich den Schlaf. Die kalte Dusche am Morgen hilft für ein paar Minuten das Schwitzen zu vergessen. Arepas mit Kümmel zum Frühstück, immer mal wieder was Neues. Sachen zusammen gepackt, den Wintermantel von Tobi lassen wir doch in Santa Marta, passt so oder so nicht in den etwas unhandlichen Koffer. Der Hut sitzt. Also perfekt auf Tobis Kopf (da wird er auch für den Rest der Reise bleiben, selbst im Schlaf).



Mit dem Taxi geht es vorbei an nicht funktionierenden Bankautomaten, was für uns bedeutet, dass wir ein wenig haushalten müssen, da Franzi vor der Reise kein Geld abheben konnte (wird aber kein großes Problem sein).



Santa Marta also wieder nur im Vorüberfahren gesehen, dabei haben wir direkt neben dem Strand geschlafen, aber wer weiß, irgendwann schaffe ich es auch noch mal… Zum Terminal also. Und dann ne Flotte finden, die uns Richtung La Guajira, eben so weit wie möglich nach oben fährt. 4 Vías. Hört sich seltsam an, wir steigen einfach mal ein. Suchen uns die letzten drei Plätze und nach ein wenig Warten geht es dann auch los – das Abenteuer. Wir tuckern die Berge hinauf und hinab, die Klima-Anlage macht die Fahrt recht angenehm. Vorbei an Bananenplantagen, kleinen Hütten. Ab und an steigen Verkäufer hinzu. Dann der erste Halt – Riohacha. Die Hauptstadt dieses departamentos. Viele steigen aus, wenige ein und weiter geht das Ruckeln. Das Grün verschwindet langsam, alles wird staubiger, karger. Die Pflanzen sind niedrig gewachsen, die Straße ist leer. Nur Ziegen und Kühe passieren die noch geteerte Straße. 4 Vías (zu Deutsch: 4 Wege) stellt sich als Kreuzung heraus. Wir trauen dem nicht so ganz und fahren weiter bis nach Maicao. Dort ist Endstation. Raus aus dem kühlen Bus, erstmal gegen eine Wand laufen. Eine Wand aus Hitze. Und schon werden wir quasi an den Armen zu den nächsten Autos gezerrt. Beinahe verschlägt es uns ins Feindesland. Unser Gepäck befindet sich nämlich schon fast im Kofferraum in Richtung Venezuela. Aber halt! Da wollen wir doch gar nicht hin. Missverständnis aufgeklärt. Und weitergesucht. Ab Richtung Markt. Vorbei an Hütten, Lärm und Leben überall. In einem Auto, das eigentlich jeden Augenblick auseinander fallen zu droht in die Stadt hinein. Wir finden jemanden, der bis nach Cabo de la Vela fährt. Übrigens (fast) die nordöstlichste Spitze Südamerikas, selbst der junge Che hat es auf seiner Motorradreise bis dorthin nicht geschafft. Wir bewältigen die Reise. Doch die dauert. Wir fragen nach, wie lange etwa. Ein, zwei Stunden wird uns gesagt. Das Gepäck wird auf dem Dach festgeschnallt, wir kommen auf die überdachte Ladefläche. Noch sind wir alleine, nicht lange und es gesellen sich Einheimische dazu. Erst wundern wir uns über den starken Dialekt, doch dann wird uns bewusst, das ist gar kein Spanisch, sondern Wayúu. Die Sprache der ebenso genannten indígenas hier. Man versteht rein gar nichts. So sehr man sich auch anstrengt…



Wir warten und warten und wundern uns. Es wird immer mehr aufs Dach verfrachtet, so langsam machen wir uns Sorgen, dass der Wagen das auch wirklich aushält. Vater und Sohn, die bereits mit uns auf den schmalen Bänken sitzen kaufen sich noch ein Eis bevor es losgeht. Der Eisverkäufer schiebt ein seltsames lautes Gerät vor sich her, was sich wirklich als Eismaschine entpuppt. Irgendwann ist die Ladefläche voll und wir können uns kaum noch bewegen, ich zähle elf Erwachsene und ein Kind. Dann wird der Motor angeschmissen. Allerdings erst nach ein paar Fehlversuchen. Ein paar Meter weiter rollen wir an den Straßenrand, Autowerkstatt an Autowerkstatt, doch unsere Fahrer werkeln lieber selbst dran herum. Wir warten und warten. Mit den ein, zwei Stunden war wohl eher Wartezeit gemeint, aber wir wollen uns ja nicht beschweren. Es springen wieder alle auf und erst als wir aus der Stadt raus sind, wird noch mal angehalten. Auftanken, etwa hundert Meter von der Tankstelle kommen junge Kerle mit Kanistern in der Hand angerannt und befüllen den Tank. Irgendwie ein wenig grotesk dieses Bild: Der Jeep hinter uns wird hin- und hergewackelt, mitsamt Insassen. Bei uns bleibt das Geschüttele aus. Gut so. Dann geht es rasant weiter, wenn der Wagen bis jetzt seine Mucken hatte, beschleunigen kann er ziemlich gut. Zwischendurch gabeln wir noch ein paar Mitfahrer auf, auch an 4 Vías kommen wir vorbei, halten kurz, nehmen uns ein paar leckere mit Käse gefüllte arepas mit und tauschen die einen Mitfahrer gegen andere aus. Vorbei an der Eisenbahnstrecke, auf der Kohlenstoff zum Hafen transportiert wird, wir sitzen und unser Gefährt rast. Wir machen Halt in Uríbia, einer kleinen Stadt, dort wird noch mehr aufgeladen. Ein weiteres Eis, diesmal rosafarben, für Vater und Sohn gekauft. Wir passieren Kilometeranzeigen. Ab und an steht einsam und allein ein Straßenschild am Straßenrand, was gelinde gesagt ignoriert wird. Manchmal gibt es ein Hupkonzert oder starkes Abbremsen, wenn mal wieder eine Ziege oder ein Esel gemütlich die Straße überquert. Dann ist die geteerte Straße zu Ende und wir biegen ab, noch kann man eine Straße erkennen, breit, Reifenspuren, das deutet auf einen Verkehrsweg hin. Zwischendurch wird jetzt gepfiffen oder wie wild an die Verkleidung gehämmert, Zeichen dafür, dass jemanden aussteigen will. Wie machen nur fragende Gesichter, denn es ist weit und breit kein Zeichen der Zivilisation zu erkennen. Der Wagen fährt an und die Ausgestiegenen wandern davon, hinein in Wüste. So leert sich langsam die Ladefläche. Irgendwann sichten wir ein Schild, auf dem Cabo de la Vela steht. Wir freuen uns. Endlich, aber nein, zu früh gefreut. Wir bleiben bis zum Schluss drin. Wir halten, laden ab. Und fahren weiter und weiter und weiter. Da kommt das Dorf in Sicht. Aber auch hier heißt es noch nicht aussteigen, nicht für uns. Nur für Vater und Sohn.



Die Sonne ist bereits untergegangen. Über den dürren Ästen und kargen Landschaften der Wüste. Wunderschön… Wir heizen direkt am Strand entlang, wie das alles geht so ohne Servo-Lenkung. Dann, wir können es kaum glauben, sind wir da. Das Aussteigen ist gar nicht so leicht, alles zittert und wackelt. Aber doch, weicher Sand unter den Füßen. Das Gleichgewichtsgefühl kehrt zurück. Hängematten werden gespannt, direkt am Meer, drei Meter etwa. Hier schlafen wir. Herrlich. Als wir dann so richtig angekommen sind, erschlägt es uns. Diese Stille, dieses Licht. Das Mondlicht ist einfach unglaublich, von Dunkelheit kann man kaum reden. Wir werfen Schatten fast wie bei Tage. Wir lassen uns im Restaurant nieder, essen Fisch und Ziegenfleisch (ich nicht, nein, keine Sorge). Schließen unsere Rucksäcke ein und lassen uns in unsere Hängematten fallen. Das Rauschen des Meeres und die Meeresbrise schaukeln uns langsam in den Schlaf. Nachts schrecke ich auf, ein Auto nähert sich und ein paar Minuten später haben wir Handylicht im Gesicht. „Transporte, transporte“ Völlig verschlafen, versuchen wir dem Kerl klar zu machen, dass das nicht für uns ist. Nebenan regt sich was und wir können beruhigt weiterschlafen. Die Sonnenstrahlen kitzeln uns am nächsten Morgen wach. Raus aus der Hängematte, hinein ins Meer. So kann der Tag gerne immer beginnen. Es ist jetzt schon warm. Und es wird noch wärmer werden. Die Brise vom Meer kühlt ein wenig…



Nach dem Frühstück aber erstmal wieder Richtung Hängematte. Buch dabei. Und schaukeln, bis wir drei synchron in der Matte schaukeln, gar nicht so einfach.



Ausgeschaukelt und fit spaziere ich ein wenig am Strand entlang und finde kleine Schätze. Muscheln, Schnecken, Fischgerippe. Mit der Kamera bewaffnet, überraschen mich zwei Vögel, die plötzlich vor meiner Linse auftauchen. Und ein Windstoß erwischt mich, nun ja, eher meinen Sonnenhut. Mein kleiner Finger streift ihn noch, doch fort ist er, landet auf den sanften Wellen, die ihn davon treiben. Für einen kurzen Augenblick zögere ich, doch nein mit meiner Kamera springe ich ihm nicht hinterher. Hab ja noch ein Tuch dabei, das binde ich mir einfach um den Kopf.
Am Nachmittag, nachdem sich die Mittagssonne ausgebrannt hat, ziehen wir zu dritt los. Zum Leuchtturm, angeblich eine Stunde Fußmarsch entfernt. Den Zeitangaben trauen wir schon lange nicht mehr. Erst ein wenig am Strand entlang, dann landeinwärts. Wir kommen an vielen leeren Hütten vorbei, verlassen alles. Eine Geisterstadt tut sich vor uns auf. Die Türen klappern, man entdeckt die letzten Hinweise darauf, dass es hier bis vor kurzem noch menschliches Leben gab.



Es fehlt nur die musikalische Untermalung und man könnte meinen man befinde sich in einem Horrorfilm. Niemand da außer uns und vielleicht ein paar Geistern… Man kann ja nie genau wissen. Aber Toiletten gibt es, zwei für Damen, eine für Herren, perfekt. Nur trocknet einem auch das letzte bisschen Flüssigkeit so weg.



Weiter der Straße folgend stoßen wir auf eine der vielen Ziegenherden und stellen waghalsige Theorien auf, weshalb sich eine der Ziegen fernab von ihresgleichen befindet. Ob sie wohl verstoßen wurde oder sich als Rebell entpuppt hat… Weiter und weiter, die Landschaft ist karg, ein paar Bäume und Büsche von niedrigem Wuchs, viele Kakteen, große wie auch kleine, der Untergrund wechselt von felsig über steinig bis hin zu sandig. Der Wind bläst uns um die Ohren, so sehr, dass wir uns nicht unterhalten können. Es ist ein unglaubliches Gefühl, ich halte mein Gesicht hinein, höre nur noch das Rauschen, das Rauschen eines so klaren Windes. Der Naturgewalt ausgesetzt, das Tuch um meinen Kopf flattert, unsere Schatten bilden sich scharfkantig auf dem Gestein ab. Hinauf zum Gipfel. Dort steht er, der Leucht-Turm. Ein Turm, der leuchtet. Wir hatten etwas anderes erwartet, ein alter schöner Turm, doch von jenem sehen wir nur rudimentäre Reste. Die Neufassung hier leuchtet den Schiffen den Weg vorbei an den Klippen, mehr aber auch nicht.



Keine Fortsetzung des Horrorfilmes. Unten an den Klippen sammelt sich ein Schwarm von Pelikanen, sie stürzen sich ins Wasser, mit einer Wucht und gleichzeitigen Eleganz. Dornen bohren sich in meine Flipflops, eine kleine Wunde an Franziskas Fußknöchel, aber es gibt Schlimmeres. Einsame Boote liegen an den hier recht felsigen Stränden, sehen intakt aus, aber wir laufen zurück. Vorbei an Adlern, die auf Kakteen sitzend warten – auf uns vielleicht.



Frischfleisch. Menschenfleisch vor allem. Ein wenig Abwechslung bei all den Ziegen und sehen wir richtig. Schafe. Langsam kommen sie näher, ein Haufen Schafe, dann formen sie eine Linie, langsam, als sie auf unserer Höhe sind, laufen sie los, schnell, schneller, so schnell eben Schafshufe tragen.



Zurück in der Hängematte genieße ich die Ruhe, diesen Frieden, so weit ab vom Schuss, nichtmal mein Handy hat hier Empfang, welch eine Erholung. Der Sternenhimmel tut sich auf, der zunehmende Mond versprüht sein kühles Licht. Ein paar Kolumbianer sind angekommen, sie bleiben für eine Nacht. Einer von ihnen, mit Namen Helmut, spricht sogar recht gut Deutsch, sein Vater ist Berliner und vor Jahrzehnten nach Kolumbien gekommen, um zu bleiben. Da wir jedoch noch nicht wieder gegessen haben, bestellen wir heute Hummer. Frisch gefangen, gegrillt. Köstlich. Anderthalb Hummer für zwei Personen und nicht mehr als umgerechnet etwa zehn Euro.



Das Leben kann so gemein sein. Dazu venezolanisches Bier. Da strahlt mich eine junge sehr leicht bekleidete Frau von der Dose aus an, ebenso wie ein Eisbär. Seltsam diese Venezolaner.



Wir lassen es uns schmecken. Die Scheren des Schalentiers sind noch nicht wie der Rest aufgebrochen und man kommt nur schwerlich ans Innere. Deswegen lasse ich es krachen bis es splittert.
Wir kommen zurück zu unserer Schlafstätte und kaum jemand ist noch da. Ein bisschen Nachtfotografie.



So sah es übrigens beinahe aus, die Belichtungszeit war ein bisschen länger als am Tage, aber viel dunkler war es nun wirklich nicht. Und künstliches Licht gibt es weit und breit nicht, nur der leuchtende Turm strahlt im Minutentakt sein Licht in die Ferne. Die Strom-Generatoren sind bereits abgeschaltet. Nur das Meeresrauschen und der Wind füllen die Nacht mit Geräuschen… Und diese Nacht werden wir nicht geweckt, sondern schlafen lange, eingemummelt in unseren Hängematten, trotz der gruseligen Geschichten, die wir uns zum Einschlummern erzählen.
Die Sonne kitzelt mich an der Nasenspitze wach, der Fuß im warmen Sand, Eidechsenspuren unter meiner Hängematte, Möwengekreische in der Ferne, ein paar Fischerboote weit draußen auf dem Meer, aber kein einziger großer Dampfer am Horizont zu entdecken. Den Vormittag dümpeln wir wieder ein wenig vor uns hin, das Meer direkt vor der Nase. Mittags verspeisen Franzi und ich einen Fisch, ziemlich riesig, pargo, Meeresbrasse scheint es zu sein, lecker, aber fiese Zähne und ein richtiges Trummteil, gut, dass wir zum Teilen übergegangen sind. Gegen Nachmittag machen wir uns wieder auf. Ein bisschen was tun müssen wir ja auch. Ziel: Pilón de Azúcar.



Ein Berg, der fern am Horizont aufragt, pyramidenförmig, immer der Straße folgen wird uns gesagt und uns dann links halten. Eine Stunde Fußmarsch (aus der mehr wird) durch die Wüste. Vorbei an ein paar einsamen Hütten und ärmlichen Bewohnern, Kinder rennen auf uns zu, schauen uns mit ihren großen Augen an, doch haben wir nichts dabei, was Kinderherzen höher schlagen lassen könnte.



Jeder ein wenig in sich gekehrt, folgen wir den Straßenwindungen. Eine innere Ruhe macht sich breit. Die Füße tragen wie von selbst. Der Zuckerhut rückt näher und näher. Ein Schild am Straßenrand weist darauf hin, dass man seinen Müll doch bitte mitnehmen solle, doch leider sieht man selbst hier im Nirgendwo immer wieder Plastikreste im Gezweig hängen. Wer mag in so einer verlassenen Gegend wohl lesen und schreiben können. So schön Kolumbien auch ist und so sehr die Kolumbianer ihr Land lieben und manchmal auch schönreden, ein Umweltbewusstsein herrscht hier kaum. Leider. Manchmal verspüre ich den Wunsch mit einer riesigen Mülltüte durch die Gegend zu ziehen und alles einzusammeln, was nicht hergehört, aber das wäre wohl mehr als eine Lebensaufgabe.
Noch ist die Straße laufbar, doch als wir uns mehr nach links begeben, gibt der Sand unter unseren Füßen immer mehr nach, die Schritte fühlen sich winzig an, als käme man kaum noch voran. Wenn ich alleine hier entlang laufen würde, könnte ich wohl einen Scheinriesen am nächsten Hügel ausmachen, doch ich zügle meine Fantasie. Am Fuße des Berges befindet sich ein unglaublich schöner Sandstrand, doch zunächst hinauf, das Geröll erschwert es uns ein wenig, der Wind bläst uns ebenfalls um die Ohren, nichts desto trotz erreichen wir die Spitze. Von hier oben aus blicken wir über die gesamte Guajira, so scheint es zumindest. Das Meer, die kargen Ebenen, die flachen Hügel…



Die Meeresoberfläche scheint glatt und doch zerschellen die Wellen an den Felsen. Die Kraft der Elemente. Ich könnte ewig hier oben sitzen, doch geht bereits die Sonne unter, wir machen uns an den Abstieg und stürmen zugleich hinunter zum Strand, Sachen aus und hinein ins Meer. Die Wellen kommen unregelmäßig, eine kleine, die andere türmt sich plötzlich auf und verschluckt mich. Einfach so. Kein einziger Stein an diesem Strand, die Sonne versinkt im Meer, der Rückweg bei Nacht. Wir folgen der Straße, Tobi läuft uns fast davon, wir sehen nur noch schwach seine Umrisse, aber der Hut, der Hut… Der ist klar und deutlich auszumachen. Die Füße sind ein wenig ermattet, da kommen ein paar Lichter von hinten auf uns zu. Ein Auto, ein netter Fahrer, der schon zwei Ausländer in der Wüste aufgegabelt hat, für uns ist nur noch Platz im Kofferraum, geht aber auch. Er nimmt uns ein gutes Stück des Weges mit, als er dann nach Cabo de la Vela abbiegt, lässt er uns raus. Kurzes Orientierungsproblem, dann laufen wir direkt am Meer, das gerade so gar nicht nach Meer aussieht, da es unglaublich ruhig und ebenmäßig ist, entlang. Wir hinterlassen Spuren im Sand, der Mond taucht die ganze Umgebung in ein seltsames Licht. Alles wirkt so irreal, schon als wir vor zwei Tagen hier angekommen sind, waren die Farben anders. Irgendwie sanfter, schmeichelnder. Wie in einer anderen Welt. Wir schauen hinauf, hinauf in die unendlichen Weiten des Alls, erst trauen wir unseren Augen nicht, doch dann können wir nicht anders als festzustellen, dass man an diesem entlegenen Ort ohne Lichtverschmutzung die Milchstraße mit bloßem Auge sehen kann. Das ist sie. Wirklich und wahrhaftig. Wie gerne würde ich mich jetzt einfach in den Sand legen und nur nach oben starren, in unsere Galaxie. Aber, wenn wir noch etwas zum Abendbrot haben wollen, dann muss das wohl ein Kopfbild bleiben. Ein letztes Mal Wasser aus dem Brunnen schöpfen (lassen) und sich mit Süßwasser das Salzwasser vom Körper waschen, sich beim Anziehen den Eidechsen beim Verschwinden zusehen und ihnen dennoch zuhören können. Sie machen so seltsame vogelähnliche Geräusche. Frisch gespült gibt es Reis mit Scampis. Schnell noch Sachen packen, Wecker stellen, denn morgens um drei sollen wir abgeholt werden. (Man sollte Deutschen gegenüber nicht immer so unbedarft irgendwelche Uhrzeiten oder Stundenangaben nennen.) Punkt drei sind wir wach, aber niemand ist da. Gegen vier Uhr kommt der Wagen, und wir haben bereits zwei Mitfahrerinnen, zwei Frauen des Stammes der Wayúu. Sie tragen alle lange Kleider (manche erinnern stark an Nachthemden, andere sind hübsch und selbst gewebt), widmen sich dem Herstellen von artesanías. Wir sammeln ein: mehr Menschen, Kinder, Einkaufszettel, Waren, die zum Verkauf angeboten werden. So befinden sich mitsamt den vierzehn Menschen auch zwei große Tonnen Fisch auf der Ladefläche. Langsam macht sich die Morgendämmerung breit. Ein paar Hähne schreien ihr morgendliches Kikeriki, verlieren aber auf den letzten Metern die Kraft, sodass es eher einem grippalen Gezeter ähnelt. Die Fahrt scheint noch rasanter als die Hinfahrt zu sein und tatsächlich, zwei Stunden später befinden wir uns bereits in Uribia. Dort herrscht bereits buntes Markttreiben. Auf den Gehwegen liegen Tiere, deren Beine zusammengeschnürt sind. Eine Ziege stößt Todesschreie aus, sie scheint ganz genau zu wissen, dass ihr heutiger Tag im Kochtopf enden wird. Ein Wildschwein hingegen liegt völlig apathisch am Straßenrand. Am nächsten Stand bluten gerade zwei Ziegen aus, daneben werden günstig Mangos und Bananen verkauft, ein Mann bietet uns das Fell einiger Ziegen an. Wir überlegen nur, ob wir hier aussteigen, wo es am besten ist wieder Richtung Cartagena zu kommen. Letztendlich springen wir von der Ladefläche, die beiden Wayúu-Frauen neben mir waren übrigens fasziniert von meinem Augenbrauen-Piercing. In dem Gewusel finden wir jemanden, der nach Manaure fährt, eines unserer Ziele. Wir wollen die Salzberge sehen. Rein ins Auto, auf dem Weg dorthin gabeln wir etwa acht weitere Personen auf, die es sich im Kofferraum bequem machen müssen. In Manaure angekommen, die Sonne ist bereits aufgegangen, es ist etwa sieben Uhr morgens (und es wird noch ein langer Tag werden), die Berge sind schon zu sehen. Wahrlich, sie gleichen eher Schnee- als Salzbergen. Lastwagen, die an uns vorbeidonnern. Wir spazieren einfach fröhlich weiter, ohne dass wir auch nur ein einziges Mal aufgehalten werden. Am Fuße des Berges schuften Männer ohne Hemden mit Spaten bewaffnet. Franzi und ich versuchen die Kristalle zu bezwingen, leichter gesagt als getan, scharfkantig schneiden sich kleine Risse in meine Handflächen, die Flipflops machen das auch nicht mehr lange mit. Fotos fürs Album und weiter geht es.





Nächstes Ziel: Camarones. Problem: Transport finden. Am Strand entlang, zu einer der Hauptstraßen, an denen es Fahrdienste gibt. Wir sind zu dritt, die Fahrt ist aber für vier Personen, also fahren wir im klimatisierten Auto mindestens fünfmal einen riesengroßen Bogen, es wird hier und da gehupt, immer Ausschau gehalten nach möglichen Mitfahrern. Da hätte ich glatt noch mal aussteigen können und mir ein paar wayreñas kaufen können, das typische Schuhwerk hier. Stofflatschen mit alten Autoreifen als Schuhsohle, vielleicht ist man doch nicht so umweltUNfreundlich hier. Es steigt eine junge Frau zu uns und endlich steuern wir unserem nächsten Ziel entgegen. Camarones ist ein kleiner Ort, ein wenig entfernt von Riohacha, den wir nach einer Militärkontrolle auch gesund erreichen (nur Tobi musste seinen prall gefüllten Koffer öffnen und hatte Spaß diesen dann auch wieder zuzubekommen). Noch ein kleines Stück weiter befindet sich ein Naturreservat, wo man zu der richtigen Jahreszeit Schildkröten in freier Wildbahn sehen kann. Die, die wir sehen konnten, waren leider in große Becken eingesperrt.



Ein Projekt des SENA zur Artenerhaltung. Ganz glücklich sahen sie nicht aus, nach zwei bis drei Jahren würden sie angeblich wieder frei gelassen werden, dann, wenn die Gefahr von größeren Tieren gefressen zu werden eher gering sei. Und der größte Feind ist doch der Mensch, es ist zwar illegal, aber hier hat niemand ein Problem damit, Schildkröte auf seine Speisekarte zu schreiben. Die größte versteckt sich vor uns oder befindet sich bereits für immer auf dem Grund ihres Bassins, das werden wir nie erfahren.



Der Nationalpark besteht außerdem aus einer riesigen Lagune, die nur zehn bis fünfundvierzig Zentimeter tief ist. In einem kleinen Boot geht es aufs Wasser. Vögel über Vögel scharen sich hier.



Silberreiher, Ibisse, Enten, Schwalben und auch fünf junge Flamingos bekommen wir zu Gesicht.



Erst ist es recht bewölkt, dennoch warm, dann kommt die Sonne raus und verbrennt mir meine Knie, sowie meine Oberarme, die ich bis jetzt immer brav eingecremt habe. Dafür entschädigt die Natur, die Stille, ja es ist windstill, man hört nur das Vogelgezwitscher, das Flügelschlagen. Plötzlich überholt uns ein Schwarm Enten, ein nicht enden wollender Schwarm wohlgemerkt. Ob sie im Kreis drehen und uns arme Touristen verwirren wollen… Ein wenig geschützter tummeln sich eine andere Art von Enten, rosafarbenes Gefieder, breiter Schnabel, langsam nähern wir uns ihnen bis sie dann mit einem Mal davonfliegen, der Himmel färbt sich rosa, so viele sind es.



Das nächste Opfer sind die schwarzen Enten, die sich an einem anderen Ort gesammelt habe. Als sie merken, dass sich ein Fremdkörper ihnen nähert, stellen sie sich auf. Blick und Schnabel schräg nach oben gerichtet, eine Pfeilspitze, ein Anführer vorne, dahinter in immer größer werdenden Reihen die anderen.



Wie auf Pistolenschuss flattern sie mit lautem Geschnatter auf, die nächste Gruppe startet sofort mit der Vorbereitung… Schon wieder leichtes Horrorfilm-Gefühl, diesmal werden Erinnerungen an Hitchcock wach. Ein Wind kommt auf, vorausgesagt von unserem einheimischen Begleiter, mit einem improvisierten Segel geht es zurück ans andere Ende der Lagune.



Ab ins Auto und damit auch zurück nach Riohacha, wir haben uns dazu entschieden noch heute zurück nach Cartagena zu fahren (was sich im Nachhinein als sehr gut herausstellt). Unsere Zielangaben lassen den Taxifahrer kurz überlegen. Nicht Spaß, Spiel und Überraschung soll es sein, sondern günstiges Restaurant, funktionierender Bankautomat und ein Ort, an dem ich mir meine mochila kaufen kann, eine Tasche aus Wolle typisch für diese Region, das was mir noch fehlt in meiner kolumbianischen Sammlung. Und er bringt uns direkt an den Strand, wirklich hübsch, hohe Palmen, heller Sand, leichter Wellengang. Und es geht alles unglaublich schnell. Kurzes Verhandeln, mochila in der Hand, Franzi hält wieder ihr eigenes Geld in den Händen und das Restaurant ist auch bezahlbar. Danach geht es mit einem erzählfreudigen Taxifahrer durch die Stadt, wir sehen einen Mazda vor uns, wir sollen doch mal schätzen wie teuer der sei und dann mit der Info, dass er aus Venezuela sei, wir liegen völlig daneben, nicht mehr als sieben Millionen Pesos, weil er geklaut sei, so wie in etwa 98% aller kostspieligeren Autos hier. Am Terminal werden wir gleich abgefangen, uns werden Städtenamen entgegen gebrüllt. Cali. Bogotá. Nein, bitte nicht, Bogotá mit dem Bus dürfte ziemlich lange dauern, Cartagena, jep, ich frage wie viel, 35,000 Pesos pro Person, ich versuch’s und sag 30 und er okay. So schnell hab ich noch nie verhandelt. Unser Gepäck findet keinen Platz mehr im Kofferraum, also so mit rein in den vollen Bus, die letzten drei Plätze für uns und los. Die Klimaanlage ist auf erfrieren eingestellt. Acht Stunden Fahrt, drei schreckliche Filme und ganz viel frieren liegen vor uns. Um halb zwölf kommen wir an, hoffen, dass wir noch ein offenes Hostal finden, und ja, um eins liegen wir in unseren Betten. Duschen und schlafen. Nochmal durch die Stadt, denn Tobi kennt sie auch noch nicht, glücklicherweise, habe ich mein Handy aufladen können, denn als wir gerade Essen, bekomme ich eine SMS. Von Aires, unserer Fluglinie. Unser Flug sei gestrichen worden. Wir könnten einen Flug früher nehmen. Das bedeutet schnell fertig werden, zurück zum Hostal, Gepäck geschnappt und ab zum Flughafen. Gut, dass wir nicht wie geplant noch im Bus Richtung Cartagena sitzen. Aus der Hitze hinein in den Flieger, der Flug an sich ist ein wenig seltsam, wir erfahren, dass der Flughafen in Bogotá am Morgen gesperrt war aufgrund von schlechten Wetterbedingungen, da geht einem doch das Herz auf. Und ja, der Regen erwartet uns. Zurück im Grau, mit viel Sonne und Ruhe im Kopf.

Freitag, 16. April 2010

Nadaremos, nada ’remos, nada haremos




Theaternachschlag – „Rain“ und auch sonst mehr Regen

Nach dem riesigen Theaterspektakel war ich so richtig angestachelt. Es fehlt. Einfach mal wieder selbst auf der Bühne zu stehen. Mit verrückten Leuten. Aus sich rausgehen. Bekloppte Dinge machen. Habe also ein kleines süßes Theater gefunden, in dem man „Talleres“ belegen kann. Jeden Morgen um acht eine Stunde Körperarbeit. Unsportlich bin ich zwar nicht, aber nach zwei Tagen kann ich keinen einzigen Muskel bewegen ohne, dass sich mein Gesicht vor Schmerzen zu einer angsteinflößenden Fratze verzieht, gut, dass es einen Aufzug für die eine Etage gibt zu meiner Wohnung. Ungelogen. Treppen sind tagelang Folter. Kann ein Muskelkater, der sich im ganzen Körper eingenistet hat, eigentlich das Immunsystem schwächen? Wenn dem so ist, weiß ich, weshalb ich Tage später so richtig flach gelegen habe. Gut, liegt wohl auch stark am momentanen Wetter hier. Drei Wochen lang schon grau, Regen, Fluten, die die Gehwege und Straßen überspülen. Irgendwann dürften sich die Wolken doch mal ausgeregnet haben. Und die lustigen Wetterfrösche prognostizieren weiterhin nur Schlechtes. Bis Mitte oder sogar Ende Mai. NICHTS DA! Ich will meine brennende Sonne wiederhaben. Regen ist zwar toll, aber nicht ständig. Dan bin ich schon dem Winter entflüchtet. Aber genug des Gemeckers. A propos Gemecker, meine wirren Gedankengänge verknüpfen dieses Wort sofort mit Ziegen und dieses wiederum mit Ziegenkäse. Dinge, die ich vermisse. Zehn Wochen noch, haargenau. Dann werde ich bereits mein Gepäck aufgegeben haben, mich von den letzten Freunden hier verabschieden und weinen, ganz viel weinen. Aber auch ein bisschen aus Freude, zurück nach Deutschland, ein paar winzige Gründe gibt es schon.
Zurück zur Realität. Regen also. Rain. Ein Samstagnachmittag im Theater. Schon wieder, ja. Es gibt einige internationale Gruppen, die länger geblieben sind wegen der großen Nachfrage. Rain. Aus Kanada. Sprachenmix aus Spanisch, Englisch, Französisch. Im renovierten Teatro Jorge E. Gaitan, in dem ich bereits Caligula gesehen habe. Nur diesmal sitzen wir ziemlich nah dran an der Bühne. Perfekte Sicht. Das Klingeln ist hier eine Durchsage („Su atención por favor, primera llamada, primera llamada.“) Sehr seltsam.
Eine Zirkustruppe übt für ihren Auftritt. Grandiose Artisten. Da werden aus Menschen und Räder menschliche Räder, die über die Bühne rollen. Da passieren Unfälle, Schlägereien entwickeln sich, es regnet Schuhe von oben (einer der bekloppten Techniker), es wird mit Perücken jongliert, die zuvor einer Artistin vom Kopf gerissen wird. Da werden aus Menschen Trampoline und andere wiederum fliegen graziös durch die Luft. Saltos, Pirouetten, einfach Unglaublich. Die Fetzen fliegen aber auch, sind ja schließlich nur die Proben, außerdem ist es moderner Zirkus. Darüber wird ebenfalls philosophiert, was das Ganze denn überhaupt zu bedeuten hat. Es gibt eine Pause von zwanzig Minuten, die sogar strikt eingehalten wird, nur wenige kommen zu spät wieder rein. Und weiter geht die bunte Mischung. Wie sehr sich Menschen verbiegen können, was man alles mit seinem Körper anstellen kann, ist immer wieder faszinierend. Zwei Männer, nur in roten Boxershorts, natürlich eng anliegend, bewegen sich so grazil, verschmelzen miteinander, stehen aufeinander, indem sich nur ihre Schulterblätter berühren. Fünf Frauen an schwarzen Tüchern, hängend, fallend, kletternd. Alles sieht so einfach aus, ist es aber überhaupt nicht. Den Frauen, vor allem sieht man ihre Kraft an, jeder einzelne Muskel springt einem ins Auge, kein Wunder, bei den Fähigkeiten. Und weshalb „Rain“? Nicht wegen der Schuhe, die von oben herab gepoltert sind. Nein, der Regen wäscht alles weg, reinigt, und so regnet es auch minutenlang zum Schluss des Stücks. Auf die Bühne. Fußball im Regen, Rutschpartien… Und das gesamte Stück über wird gesungen, gelacht, geschrieen, gespielt. Klavier, Akkordeon.
Als wir aus dem Theater treten, ist es bereits später Nachmittag, noch immer ist alles grau, selbst wenn es bereits dämmern würde, könnte man es nicht von dem vorherigen Zustand unterscheiden. Wir laufen ein Stückchen die Septima entlang und lassen uns in dem ältesten Cafe der Stadt nieder. Café Florida (die Betonung liegt hierbei auf dem I) und trinken heiße Schokolade, typisch für Bogotá. Dazu gibt es natürlich Käse, den man nach Herzenslust hineinbröselt in die heiße Schokolade. Und Gebäck: almojabana, pan de bono sowie andere Kleinigkeiten. Angenehm. Warm. Fehlt nur eine Badewanne. Die wäre perfekt oder eben eine Sauna. Herrlich. Der Gedanke… Wie man sieht, diese Tage verlocken einfach zu sehr sich in Traumwelten oder Erinnerungen zu flüchten.
Verabredungen platzen, andere ergeben sich kurzfristig und so verbringe ich den Sonntag draußen im Regen. Im strömenden Regen. Freiwillig. Mit Ronald.



Wir machen einen kleinen, sehr nassen Spaziergang. Und machen Fotos. Die erste halbe Stunde ist alles perfekt, es nieselt nur leicht, wir versuchen die Kamera so gut es geht zu schützen. Entdecken winzige Details. Die SONNENblume im REGEN zum Beispiel, adrett positioniert in einem Mülleimer.



Spiegelungen. Angenervte Sicherheitskräfte.



Aber keinen, der sonst so zahlreichen Verkäufer von Regenschirmen, wie ausgestorben. Sogar einen der kleinen Stände, an denen man einzelne Zigaretten kaufen könnte, wenn man wollte, kann man nur schwerlich finden. Es scheint, als habe der Regen bereits alles davon gespült. Und dann fängt es an. Es schüttet nicht nur wie aus Eimern, nein, das müssen ganze Schwimmbecken sein. Und es kracht und blitzt und scheppert. Vereinzelt laufen Menschen um ihre trockene Kleidung, allerdings vergebens. So auch wir. Am schrecklichsten ist das Wasser, das sich von unten an hochzieht, die Hosenbeine werden schwerer und schwerer, alles quitscht und quatscht. Die Chucks sind schon lange durchgeweicht, aber gut, dass ich Omas selbst gestrickte Socken trage, da ist es wenigstens kuschelig warmes Wasser im Schuh. Quitsch, quatsch, plitsch, platsch. Wir laufen und springen.



Über die Straßen, die sich in Flüsse verwandelt haben, schlängeln uns an den Hauswänden entlang bis wir endlich einen Verkäufer rufen hören „paraguas, paraguas, paraguas“. Eng aneinander geklammert setzen wir nun um einiges entspannter unseren verregneten Spaziergang fort. Bis hin zu einem kleinen Restaurant. Bei vegetarischer Lasagne wärmen wir uns auf. Und das tut gut. Richtig gut. Gestärkt und gewärmt ziehen wir weiter, durch die einsamen Straßen.





Selbst als wir an dem riesigen Plaza Simón Bolívar ankommen herrscht gähnende Leere, nicht mal die sonst so zahlreichen Tauben tummeln sich. Nur die Riesen-Ameisen hängen noch immer am Gebäude des Kongresses.



Eine Kunstinstallation, die bereits auf viel Protest gestoßen ist. Für den Rückweg nehmen wir uns ein Taxi, wir zittern, sind bis auf die Knochen durchweicht und dieser Ausflug war zwar nicht unbedingt förderlich für unsre Erkältung, aber es war ein durchaus spaßiger Nachmittag. Gut getrocknet und mit Tee bewaffnet starren wir aus dem Fenster, sehen dem Regen zu… Und entschwinden, jeder für sich, in ferne Welten.

Mittwoch, 7. April 2010

Un primer abril sin chistes malos




April, April, der macht was er will – auch in Kolumbien


Es scheint als hätte Punkt zwölf der Wettergott auch hier den Schalter umgelegt. Dabei hätte man meinen sollen, dass Aprilwetter eine typisch deutsche Angelegenheit ist, stimmt aber nicht. Morgens strahlt die Sonne mit meinem Lächeln um die Wette, gegen Mittag zieht es sich dann schon ein wenig zu und nachmittags will man lieber keinen Fuß mehr vor die Tür setzen müssen. Denn es schüttet wie aus Eimern, das geht jetzt schon genau sechs Tage so. Sechs Apriltage lang. Man könnte meinen jeder Tag gliche dem anderen, aber das bezieht sich glücklicherweise nur auf das Wetter.

Noch im März gab es ein ja, verfrühtes Osteressen. Zwei Tage lang kein Theater, da hat mich die Langeweile überkommen… Eigentlich war es schon länger geplant. Meine Versprechungen halte ich zumindest. Und der Truppe, mit der ich ab und an mal sonntags im Simón Bolívar Ultimate Frisbee spiele, hatte ich schon vor geraumer Zeit versprochen ihnen etwas typisch Deutsches zu kochen. Da auch unsere Küche recht fleischlastig ist, habe ich mich als Vegetarierin überwunden und die Messer gewetzt.
Ein Tag Vorbereitung und ein weitere Vor- und Nachmittag kochen. Gut, dass ich Unterstützung von Franziska hatte. Da war es gleich viel angenehmer für zwölf Personen zu kochen. Auf dem Speiseplan stand:



Möhrensuppe mit frisch gebackenem Brot als Vorspeise, Kaninchen in Rotwein ertränkt, dazu Semmelknödel, Rotkohl und Salat, zum krönenden Abschluss Apfelstrudel mit Vanilleeis. Da versteht sich, weshalb so viel Arbeitsaufwand betrieben werden muss. Suppe und Brot, schnell gemacht und auch schon Übung drin. Apfelstrudel, hervorragendes Rezept meiner Großmutter, aber bis jetzt immer nur zugeschaut. Also Teig kneten und kneten und fluchen und fluchen, weil er immer wieder reißt… Irgendwann ist er aber doch dünn genug, das Verteilen der Zutaten darauf ist nicht sonderlich schwierig, aber das Ineinanderschlagen, nicht gerade das Einfachste der Welt. Irgendwie kriege ich das Getüm von Strudel auf das Backblech gehievt, noch mit Butter einstreichen (mit den Händen natürlich, Pinsel gibt’s in diesem Haushalt nicht) und ab in den Ofen. Nach einer dreiviertel Stunde kann ich mein Glück kaum fassen, er ist perfekt, nun gut, fast. Nicht ganz so weich wie der von meiner Oma, aber er schmeckt, sieht gut aus und kommt noch viel, viel besser an. Rotkohl marinieren dürfte auch nicht sonderlich schwierig sein. Wenn man jedoch keine vernünftigen Messer hat, dann kann das Zerkleinern von zwei Rotkohl (der Plural von Rotkohl, Rotkohle, Rotköhle oder doch Rotkohls?) zur Tortur werden.



Für die zarten Hände. Am nächsten Morgen werde ich reich beschenkt mit Blasen an eben diesen aufwachen. Wacholderbeeren gibt es hier auch nicht, gut, dass niemand weiß, wie es schmecken muss, Lorbeerblätter und Nelken geben aber schon einiges an typischem Geschmack her. Die beiden Kaninchen, die wirklich nicht leicht zu bekommen waren, wurden erst mal einen Tag lang in Rotwein eingelegt (oder ertränkt, ich weiß es nicht mehr) um dann fachfräulich auseinander genommen zu werden. Soweit das eben mit stumpfen Messern und ohne Erfahrung möglich war. Eine ziemlich widerwärtige Angelegenheit. Ich weiß zumindest, was ich nicht werden will, wenn ich groß bin: Schlachterin und ebenso wenig Fleischfachverkäuferin. Das Fett der kleinen Tierchen lässt sich mit den Fingern rauszupfen, die Leber ist noch drin und auch zwei kleine Nierchen tauchen aus dem Inneren hervor, Eierstöcke lassen sich auch finden. Eine kleine Anatomie-Stunde also. Mit aller Kraft säbeln wir Schenkel ab, braten fleißig an und dann mit noch mehr Wein und Gemüse für zwei Stunden im Ofen brutzeln lassen. Semmelknödel. Die sind einfach, es macht Spaß rumzumanschen und sie werden sogar richtig gut. Irgendwie paradox, dass ich hier in Kolumbien lerne Deutsch zu kochen. Schön, dass es allen schmeckt. In weiser Voraussicht habe ich natürlich auch nicht alles punkt acht fertig, wir fangen etwa gegen neun an zu essen…



Nachdem das Chaos am nächsten Morgen beseitig ist, genieße ich die Ruhe… Mein Mitbewohner ist bei seinen Eltern in Cali, denn diese Woche haben wir frei. Ich würde ja reisen, aaaaaaaber… das Festival. Mitwochabend: Condición Aérea. Vorher ein Stück in einem Einkaufszentrum, also kostenfrei. Aber das ist das erste Mal, dass ich mich vergeblich auf den Weg mache. Als ich ankomme machen zwei Kerle gerade ein wenig Impro-Theater, ganz nett, ganz witzig. Das Stück beginnt eine Stunde später als angekündigt. Aber es sind einfach zu viele Menschen. Man sieht nicht viel und da das Stück in Bewegung ist ziehen sie einen gewaltigen Schweif von Zuschauern hinterher, die ihre Sicht mit Ellenbogen verteidigen. Nach einer halben Stunde gebe ich auf, schlendere ein wenig durch die Geschäfte und mache mich dann auf den Weg zum kommerziellen Stück. Auch hier viele Menschen. Zunächst noch nicht ganz so viele. Denn ich bin ziemlich früh da, obwohl ich ein gutes Stück zu Fuß gelaufen bin. Warten, das bin ich ja mittlerweile gewöhnt. Und so langweilig wird es diesmal nicht. Mich sprechen zwei junge Polizisten an, die gerade ihren Militärdienst ableisten. Und wir kommen so ins Quatschen, reden und erzählen fleißig, bis es fast acht ist und ich schnellstens hinein muss ins Kolosseum. Es ist riesig, viel zu groß, das erste Mal, dass die Sitzplätze unglaublich schlecht sind, die Bühne ist meilenweit entfernt. Und dann, purer Zufall, setzt sich genau neben mich eine Freundin einer Freundin, die ich vor einigen Tagen kennen gelernt habe. Und das inzwischen von tausenden von Menschen. Direkt neben mir. Condición Aérea aus Argentinien.



Tanz, allerdings an der Wand, viel moderner Tanz, an Seilen, es sieht alles so leichtfüßig und einfach aus, doch in Wirklichkeit ist es unglaublich schwierig und anstrengend. Insgesamt sind es zwölf kleine Geschichten die da erzählt werden, mit den unterschiedlichsten Tanzstilen.



Einiges mutet an Ballett an, anderes dem Tango und wieder anderes ist eher dem Modern Dance zuzuschreiben.



Und eben alles entweder hoch oben in der Luft, an Seilen, an der Wand wie Käfer, in der Mitte der Bühne wie Schmetterlinge. Die Musik ist live und ziemlich gut, Schlagzeug, E-Gitarre, Bass, Saxophon. Das Licht ist perfekt gesetzt, erzeugt Bilder, nur schade, dass die Sicht so schlecht ist.

Der erste April. Hier wird nicht gescherzt. Nicht während des Tages, das heutige Stück hingegen ist schon recht witzig. Break Out aus Korea. Wieder einmal Tanz. Breakdance. Normalerweise interessiere ich mich nicht übermäßig dafür, aber man will ja etwas von jedem Kontinent sehen. Und die Asiaten bestätigen dieses Klischee, was man von ihnen hat. Dieses Bild einer Karaoke-Witz-Gesellschaft, zumindest was Fernsehen und so betrifft.



Fünf Insassen eines Gefängnisses brechen aus. Sie finden ein magisches Buch. Sie schlagen es auf. Um sie herum beginnen alle zu tanzen. Es gibt wirklich lustige Elemente, das Publikum lacht sich kringelig. Und auch ich muss öfters mal ein Zeichen der Heiterkeit von mir geben. Es wirkt ein wenig wie eine Parodie, ist es aber gleichzeitig auch wieder nicht.



Die Flucht geht durch unterirdische Labyrinthe, durch ein Krankenhaus, in dem Spritzen mit seltsamem Inhalt den Flüchtigen seltsame Fantasien verschaffen, da wird eine Geisel aus dem Publikum genommen, ihr eine Bombe umgehängt bis sie der S.W.A.T befreit, Nonnen werde dazu angestiftet Brot zu stehlen, selbst auf der Karibikinsel werden die Ausbrecher von durchgeknallten Wächtern gejagt.





Der Polizist rappt zwischendurch Atemberaubendes in sein Maschinengewehr und die Protagonisten springen und tanzen mit einem Elan durch die Gegend, der schon nicht mehr normal ist. Ein spaßiger Abend mit Gesangs- und Tanzzugabe und einem ausgelassenen Publikum.
Der Bus zurück führt über leere Straßen. Gründonnerstag. (Und für die wenigen, die gemeinsam mit mir Religion oder auch Deutsch bei Herrn Engelhardt hatten: Jedes Jahr wieder vermisse ich seine Geschichten, wir werden wohl niemals vergessen, dass es sich nicht um die Farbe Grün handelt, sondern der Ursprung vom Verb „greinen“ kommt.) Die Stadt ist wie ausgestorben.
So auch am Karfreitag. Große Supermärkte haben zwar geöffnet, aber andere Geschäfte. Da steht man nur vor verschlossenen Türen. Es scheint eh, dass sämtliche Türen geschlossen sind und sich die Menschen dahinter verbergen. Nur die Türen der Kirchen sind weit geöffnet. Der einzige Ort, an dem man auf Menschen trifft.

Oder eben abends im Theater. Ich suche alleine und einsam meinen Weg zu einem Theater. Heute gibt’s Theater aus den Staaten. Darwin aus den USA.



Schwarzlichttheater. Unglaublich niedlich. Ein Wissenschaftler erschafft seine Kreatur, nein, keinen Frankenstein, sondern einen Dinosaurier. Der ist zunächst wild und ungebändigt, bis, ja bis ihm Darwin ein Herz einpflanzt. Schon wird er zu einem treuen Gefährten. Doch auch weil Darwin ein gutes Herz hat, weiß er, dass er ihn ziehen lassen muss. So erlebt der Dino Abenteuer, muss sich gegen einen größeren gefährlicheren Dinosaurier behaupten, findet Freundschaft in einer kleinen aufgeregten Schildkröte und verliebt sich in einen Fisch. All das ohne Worte, eindringliche Musik und Figuren und Tiere, die nur durch Lichtkonstruktionen und die Schauspieler in ihren schwarzen Klamotten auf die Bühne gebracht werden. Da tanzen und lachen Blumen, Dinosaurier tauchen hinab in die Tiefen eines Meeres, Flugsaurier heben ab und entschwinden in gleitenden Bewegungen in der Ferne. Die Bewegungen sind unglaublich. Das aufgeregte Hin- und Herwedeln mit den Flossen der Schildkröte, die Schwimmbewegungen der Fische, das sanfte Gleiten der Flugsaurier – so wunderbar natürlich.



Irgendwann hält Darwin es ohne seinen Saurier nicht mehr aus, macht sich auf die Suche und wird angegriffen vom großen bösen roten Saurier mit den scharfen Zähnen. Im letzten Moment eilt ihm sein Saurier zu Hilfe, doch Darwin ist bereits verletzt. So setzt ihm sein Freund, der Dino, sein Herz ein. Darwin kann seine Wissenschaft fortführen und der Dino verwandelt sich in einen Fisch, um mit seiner Liebe des Lebens sein zu können.

Samstag. Vorletzter Tag. Da es regnet und regnet lasse ich das Straßentheater sausen. Stattdessen geht es abends zu Medea aus Burkina Faso und Frankreich.
Eine kleine Irrfahrt im Taxi, weil wir uns mit dem Ort vertun. Fünf nach sechs sind wir dann doch dort, wo wir hinmüssen.
Das Szenenbild sehr karg, erinnert an Bilder von Vororten oder Ghettos großer Städte. Eine Feuerstelle, große Tonnen, in denen das Regenwasser gesammelt wird, Pappwände, Maschendrahtzäune, Backsteine, die als Stühle dienen. Medea eine Afrikanerin. Auch Jason und alle weiteren Beteiligten. Die griechischen Sprechchöre verwandeln sich in dieser Inszenierung in unglaublich schöne Psalme gesungen von unglaublich schönen Stimmen. In einer fremden und doch sehr anmutenden Sprache. Die Stimmorgane dieser Frauen, gehüllt in Decken, darunter lange Gewänder, barfuss, einfach atemberaubend.
Es ist schwierig dem Stück zu folgen, es ist zwar auf Französisch, aber Medea ist einfach sehr sprachenlastig, wenig Handlung im Handeln, sondern mehr im Sprechen, im Ausdruck… Und doch werden große Bilder geschaffen mit den einfachsten Mitteln. Und immer wieder die klagenden, kraftvollen Stimmen der Frauen.
Nach diesem tragischen Stück gibt es einen tosenden Applaus und plötzlich kommen die Frauen unter ihren Decken hervor, es wird getrommelt, getanzt, eine plötzliche Fröhlichkeit strömt durch die Halle, die alle mitreißt.

Der Sonntag verbrennt mir fast die Nase, so grell scheint sie, die Sonne. Ich gehe mit einer Freundin Mittagessen. Asiatisch. Lecker. Vorgeschmack auf meine Reise im September. (Da geht es für zwei Wochen nach Singapur, Tokio und Bangkok.)
Wir fahren zur Universidad Nacional und schauen, ob wir noch Karten für eine Adaption von Romeo und Julia bekommen. Radio y Julieta. Ballett zur Musik von Radiohead. Und siehe da, wir kaufen einem Kerl seine zwei Karten ab und haben perfekte Plätze. Ballett ist einfach ein wunderschöner Tanz. So geschmeidig und gleichzeitig von so viel Kraft und Energie erfüllt. Die triste, melancholische Musik von Radiohead passt perfekt zu der Verzweiflung, zum Tod, zu einer dramatischen Liebesgeschichte wie Romeo und Julia.
Dann ein Kaffee bei Nina, Und weiter zum endgültig letzten Stück des Festivals.

Warum, warum von Peter Brook. Einer der größten Theatermacher weltweit. Ein Stück über das Theater. Theater im Theater. Miriam Goldschmidt philosophiert, spielt, macht sich lustig, tritt auf, tritt ab, lacht, weint, drückt ihren Plexus, stirbt, verzweifelt. Ein Stück auf Deutsch zum Abschluss, und was für eines. Eines der besten, die ich bis jetzt gesehen habe. Und das von einem Monolog zu sagen, bedeutet schon einiges. Vielleicht hat Gott wirklich aus Langeweile am achten Tag das Theater erschaffen, vielleicht benötigen wir Menschen das Theater wirklich, um das große WARUM verstehen zu können.