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April, April, der macht was er will – auch in Kolumbien
Es scheint als hätte Punkt zwölf der Wettergott auch hier den Schalter umgelegt. Dabei hätte man meinen sollen, dass Aprilwetter eine typisch deutsche Angelegenheit ist, stimmt aber nicht. Morgens strahlt die Sonne mit meinem Lächeln um die Wette, gegen Mittag zieht es sich dann schon ein wenig zu und nachmittags will man lieber keinen Fuß mehr vor die Tür setzen müssen. Denn es schüttet wie aus Eimern, das geht jetzt schon genau sechs Tage so. Sechs Apriltage lang. Man könnte meinen jeder Tag gliche dem anderen, aber das bezieht sich glücklicherweise nur auf das Wetter.
Noch im März gab es ein ja, verfrühtes Osteressen. Zwei Tage lang kein Theater, da hat mich die Langeweile überkommen… Eigentlich war es schon länger geplant. Meine Versprechungen halte ich zumindest. Und der Truppe, mit der ich ab und an mal sonntags im Simón Bolívar Ultimate Frisbee spiele, hatte ich schon vor geraumer Zeit versprochen ihnen etwas typisch Deutsches zu kochen. Da auch unsere Küche recht fleischlastig ist, habe ich mich als Vegetarierin überwunden und die Messer gewetzt.
Ein Tag Vorbereitung und ein weitere Vor- und Nachmittag kochen. Gut, dass ich Unterstützung von Franziska hatte. Da war es gleich viel angenehmer für zwölf Personen zu kochen. Auf dem Speiseplan stand:
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Möhrensuppe mit frisch gebackenem Brot als Vorspeise, Kaninchen in Rotwein ertränkt, dazu Semmelknödel, Rotkohl und Salat, zum krönenden Abschluss Apfelstrudel mit Vanilleeis. Da versteht sich, weshalb so viel Arbeitsaufwand betrieben werden muss. Suppe und Brot, schnell gemacht und auch schon Übung drin. Apfelstrudel, hervorragendes Rezept meiner Großmutter, aber bis jetzt immer nur zugeschaut. Also Teig kneten und kneten und fluchen und fluchen, weil er immer wieder reißt… Irgendwann ist er aber doch dünn genug, das Verteilen der Zutaten darauf ist nicht sonderlich schwierig, aber das Ineinanderschlagen, nicht gerade das Einfachste der Welt. Irgendwie kriege ich das Getüm von Strudel auf das Backblech gehievt, noch mit Butter einstreichen (mit den Händen natürlich, Pinsel gibt’s in diesem Haushalt nicht) und ab in den Ofen. Nach einer dreiviertel Stunde kann ich mein Glück kaum fassen, er ist perfekt, nun gut, fast. Nicht ganz so weich wie der von meiner Oma, aber er schmeckt, sieht gut aus und kommt noch viel, viel besser an. Rotkohl marinieren dürfte auch nicht sonderlich schwierig sein. Wenn man jedoch keine vernünftigen Messer hat, dann kann das Zerkleinern von zwei Rotkohl (der Plural von Rotkohl, Rotkohle, Rotköhle oder doch Rotkohls?) zur Tortur werden.
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Für die zarten Hände. Am nächsten Morgen werde ich reich beschenkt mit Blasen an eben diesen aufwachen. Wacholderbeeren gibt es hier auch nicht, gut, dass niemand weiß, wie es schmecken muss, Lorbeerblätter und Nelken geben aber schon einiges an typischem Geschmack her. Die beiden Kaninchen, die wirklich nicht leicht zu bekommen waren, wurden erst mal einen Tag lang in Rotwein eingelegt (oder ertränkt, ich weiß es nicht mehr) um dann fachfräulich auseinander genommen zu werden. Soweit das eben mit stumpfen Messern und ohne Erfahrung möglich war. Eine ziemlich widerwärtige Angelegenheit. Ich weiß zumindest, was ich nicht werden will, wenn ich groß bin: Schlachterin und ebenso wenig Fleischfachverkäuferin. Das Fett der kleinen Tierchen lässt sich mit den Fingern rauszupfen, die Leber ist noch drin und auch zwei kleine Nierchen tauchen aus dem Inneren hervor, Eierstöcke lassen sich auch finden. Eine kleine Anatomie-Stunde also. Mit aller Kraft säbeln wir Schenkel ab, braten fleißig an und dann mit noch mehr Wein und Gemüse für zwei Stunden im Ofen brutzeln lassen. Semmelknödel. Die sind einfach, es macht Spaß rumzumanschen und sie werden sogar richtig gut. Irgendwie paradox, dass ich hier in Kolumbien lerne Deutsch zu kochen. Schön, dass es allen schmeckt. In weiser Voraussicht habe ich natürlich auch nicht alles punkt acht fertig, wir fangen etwa gegen neun an zu essen…
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Nachdem das Chaos am nächsten Morgen beseitig ist, genieße ich die Ruhe… Mein Mitbewohner ist bei seinen Eltern in Cali, denn diese Woche haben wir frei. Ich würde ja reisen, aaaaaaaber… das Festival. Mitwochabend: Condición Aérea. Vorher ein Stück in einem Einkaufszentrum, also kostenfrei. Aber das ist das erste Mal, dass ich mich vergeblich auf den Weg mache. Als ich ankomme machen zwei Kerle gerade ein wenig Impro-Theater, ganz nett, ganz witzig. Das Stück beginnt eine Stunde später als angekündigt. Aber es sind einfach zu viele Menschen. Man sieht nicht viel und da das Stück in Bewegung ist ziehen sie einen gewaltigen Schweif von Zuschauern hinterher, die ihre Sicht mit Ellenbogen verteidigen. Nach einer halben Stunde gebe ich auf, schlendere ein wenig durch die Geschäfte und mache mich dann auf den Weg zum kommerziellen Stück. Auch hier viele Menschen. Zunächst noch nicht ganz so viele. Denn ich bin ziemlich früh da, obwohl ich ein gutes Stück zu Fuß gelaufen bin. Warten, das bin ich ja mittlerweile gewöhnt. Und so langweilig wird es diesmal nicht. Mich sprechen zwei junge Polizisten an, die gerade ihren Militärdienst ableisten. Und wir kommen so ins Quatschen, reden und erzählen fleißig, bis es fast acht ist und ich schnellstens hinein muss ins Kolosseum. Es ist riesig, viel zu groß, das erste Mal, dass die Sitzplätze unglaublich schlecht sind, die Bühne ist meilenweit entfernt. Und dann, purer Zufall, setzt sich genau neben mich eine Freundin einer Freundin, die ich vor einigen Tagen kennen gelernt habe. Und das inzwischen von tausenden von Menschen. Direkt neben mir. Condición Aérea aus Argentinien.
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Tanz, allerdings an der Wand, viel moderner Tanz, an Seilen, es sieht alles so leichtfüßig und einfach aus, doch in Wirklichkeit ist es unglaublich schwierig und anstrengend. Insgesamt sind es zwölf kleine Geschichten die da erzählt werden, mit den unterschiedlichsten Tanzstilen.
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Einiges mutet an Ballett an, anderes dem Tango und wieder anderes ist eher dem Modern Dance zuzuschreiben.
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Und eben alles entweder hoch oben in der Luft, an Seilen, an der Wand wie Käfer, in der Mitte der Bühne wie Schmetterlinge. Die Musik ist live und ziemlich gut, Schlagzeug, E-Gitarre, Bass, Saxophon. Das Licht ist perfekt gesetzt, erzeugt Bilder, nur schade, dass die Sicht so schlecht ist.
Der erste April. Hier wird nicht gescherzt. Nicht während des Tages, das heutige Stück hingegen ist schon recht witzig. Break Out aus Korea. Wieder einmal Tanz. Breakdance. Normalerweise interessiere ich mich nicht übermäßig dafür, aber man will ja etwas von jedem Kontinent sehen. Und die Asiaten bestätigen dieses Klischee, was man von ihnen hat. Dieses Bild einer Karaoke-Witz-Gesellschaft, zumindest was Fernsehen und so betrifft.
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Fünf Insassen eines Gefängnisses brechen aus. Sie finden ein magisches Buch. Sie schlagen es auf. Um sie herum beginnen alle zu tanzen. Es gibt wirklich lustige Elemente, das Publikum lacht sich kringelig. Und auch ich muss öfters mal ein Zeichen der Heiterkeit von mir geben. Es wirkt ein wenig wie eine Parodie, ist es aber gleichzeitig auch wieder nicht.
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Die Flucht geht durch unterirdische Labyrinthe, durch ein Krankenhaus, in dem Spritzen mit seltsamem Inhalt den Flüchtigen seltsame Fantasien verschaffen, da wird eine Geisel aus dem Publikum genommen, ihr eine Bombe umgehängt bis sie der S.W.A.T befreit, Nonnen werde dazu angestiftet Brot zu stehlen, selbst auf der Karibikinsel werden die Ausbrecher von durchgeknallten Wächtern gejagt.
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Der Polizist rappt zwischendurch Atemberaubendes in sein Maschinengewehr und die Protagonisten springen und tanzen mit einem Elan durch die Gegend, der schon nicht mehr normal ist. Ein spaßiger Abend mit Gesangs- und Tanzzugabe und einem ausgelassenen Publikum.
Der Bus zurück führt über leere Straßen. Gründonnerstag. (Und für die wenigen, die gemeinsam mit mir Religion oder auch Deutsch bei Herrn Engelhardt hatten: Jedes Jahr wieder vermisse ich seine Geschichten, wir werden wohl niemals vergessen, dass es sich nicht um die Farbe Grün handelt, sondern der Ursprung vom Verb „greinen“ kommt.) Die Stadt ist wie ausgestorben.
So auch am Karfreitag. Große Supermärkte haben zwar geöffnet, aber andere Geschäfte. Da steht man nur vor verschlossenen Türen. Es scheint eh, dass sämtliche Türen geschlossen sind und sich die Menschen dahinter verbergen. Nur die Türen der Kirchen sind weit geöffnet. Der einzige Ort, an dem man auf Menschen trifft.
Oder eben abends im Theater. Ich suche alleine und einsam meinen Weg zu einem Theater. Heute gibt’s Theater aus den Staaten. Darwin aus den USA.
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Schwarzlichttheater. Unglaublich niedlich. Ein Wissenschaftler erschafft seine Kreatur, nein, keinen Frankenstein, sondern einen Dinosaurier. Der ist zunächst wild und ungebändigt, bis, ja bis ihm Darwin ein Herz einpflanzt. Schon wird er zu einem treuen Gefährten. Doch auch weil Darwin ein gutes Herz hat, weiß er, dass er ihn ziehen lassen muss. So erlebt der Dino Abenteuer, muss sich gegen einen größeren gefährlicheren Dinosaurier behaupten, findet Freundschaft in einer kleinen aufgeregten Schildkröte und verliebt sich in einen Fisch. All das ohne Worte, eindringliche Musik und Figuren und Tiere, die nur durch Lichtkonstruktionen und die Schauspieler in ihren schwarzen Klamotten auf die Bühne gebracht werden. Da tanzen und lachen Blumen, Dinosaurier tauchen hinab in die Tiefen eines Meeres, Flugsaurier heben ab und entschwinden in gleitenden Bewegungen in der Ferne. Die Bewegungen sind unglaublich. Das aufgeregte Hin- und Herwedeln mit den Flossen der Schildkröte, die Schwimmbewegungen der Fische, das sanfte Gleiten der Flugsaurier – so wunderbar natürlich.
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Irgendwann hält Darwin es ohne seinen Saurier nicht mehr aus, macht sich auf die Suche und wird angegriffen vom großen bösen roten Saurier mit den scharfen Zähnen. Im letzten Moment eilt ihm sein Saurier zu Hilfe, doch Darwin ist bereits verletzt. So setzt ihm sein Freund, der Dino, sein Herz ein. Darwin kann seine Wissenschaft fortführen und der Dino verwandelt sich in einen Fisch, um mit seiner Liebe des Lebens sein zu können.
Samstag. Vorletzter Tag. Da es regnet und regnet lasse ich das Straßentheater sausen. Stattdessen geht es abends zu Medea aus Burkina Faso und Frankreich.
Eine kleine Irrfahrt im Taxi, weil wir uns mit dem Ort vertun. Fünf nach sechs sind wir dann doch dort, wo wir hinmüssen.
Das Szenenbild sehr karg, erinnert an Bilder von Vororten oder Ghettos großer Städte. Eine Feuerstelle, große Tonnen, in denen das Regenwasser gesammelt wird, Pappwände, Maschendrahtzäune, Backsteine, die als Stühle dienen. Medea eine Afrikanerin. Auch Jason und alle weiteren Beteiligten. Die griechischen Sprechchöre verwandeln sich in dieser Inszenierung in unglaublich schöne Psalme gesungen von unglaublich schönen Stimmen. In einer fremden und doch sehr anmutenden Sprache. Die Stimmorgane dieser Frauen, gehüllt in Decken, darunter lange Gewänder, barfuss, einfach atemberaubend.
Es ist schwierig dem Stück zu folgen, es ist zwar auf Französisch, aber Medea ist einfach sehr sprachenlastig, wenig Handlung im Handeln, sondern mehr im Sprechen, im Ausdruck… Und doch werden große Bilder geschaffen mit den einfachsten Mitteln. Und immer wieder die klagenden, kraftvollen Stimmen der Frauen.
Nach diesem tragischen Stück gibt es einen tosenden Applaus und plötzlich kommen die Frauen unter ihren Decken hervor, es wird getrommelt, getanzt, eine plötzliche Fröhlichkeit strömt durch die Halle, die alle mitreißt.
Der Sonntag verbrennt mir fast die Nase, so grell scheint sie, die Sonne. Ich gehe mit einer Freundin Mittagessen. Asiatisch. Lecker. Vorgeschmack auf meine Reise im September. (Da geht es für zwei Wochen nach Singapur, Tokio und Bangkok.)
Wir fahren zur Universidad Nacional und schauen, ob wir noch Karten für eine Adaption von Romeo und Julia bekommen. Radio y Julieta. Ballett zur Musik von Radiohead. Und siehe da, wir kaufen einem Kerl seine zwei Karten ab und haben perfekte Plätze. Ballett ist einfach ein wunderschöner Tanz. So geschmeidig und gleichzeitig von so viel Kraft und Energie erfüllt. Die triste, melancholische Musik von Radiohead passt perfekt zu der Verzweiflung, zum Tod, zu einer dramatischen Liebesgeschichte wie Romeo und Julia.
Dann ein Kaffee bei Nina, Und weiter zum endgültig letzten Stück des Festivals.
Warum, warum von Peter Brook. Einer der größten Theatermacher weltweit. Ein Stück über das Theater. Theater im Theater. Miriam Goldschmidt philosophiert, spielt, macht sich lustig, tritt auf, tritt ab, lacht, weint, drückt ihren Plexus, stirbt, verzweifelt. Ein Stück auf Deutsch zum Abschluss, und was für eines. Eines der besten, die ich bis jetzt gesehen habe. Und das von einem Monolog zu sagen, bedeutet schon einiges. Vielleicht hat Gott wirklich aus Langeweile am achten Tag das Theater erschaffen, vielleicht benötigen wir Menschen das Theater wirklich, um das große WARUM verstehen zu können.
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