Auf den Gleisen und über den Wolken
Blutige Hände, Muskelkater am ganzen Körper und blaue Flecken. Das sind die Resultate einer langen Reise.
Am Sonntagabend kam DIE Nachricht: Die Deutsche Bahn streikt am Montag mal wieder, GDL wie auch immer. Gut für mich, denn mein Flug und somit auch Zug zum Flug wäre damit nicht in Gefahr gewesen, da ich erst am Dienstag in den Flieger steigen wollte. Am Montagmorgen dann die Überraschung: Es gibt doch keine Streiks. Abends noch kurz in den Waschsalon in Zollstock. Das erste Mal Nightwash für mich, Standup Comedy für lau, man sitzt auf Waschmaschinen, darf Bier, sonstige Getränke und Essen mitbringen. So als letzter Abend sicherlich keine schlechte Idee. Nur mussten wir relativ früh da sein, denn wie gesagt, kostenloser Eintritt. In der Schlange frierend, unterhielten sich hinter uns zwei Mädchen über den Streik, der nun wohl am Dienstag stattfinden sollte. Na, Prost Mahlzeit. Also, bevor die letzten Dinge eingepackt wurden, nochmal schnell nachgeforscht und siehe da. Streiks von sechs bis acht Uhr morgens. Das sollte also klappen, denn der gebuchte Zug sollte um 9.45 Uhr vom Bahnhof Messe/Deutz abfahren. Die Nacht war kurz, ein bisschen Obst frühstücken, aufräumen und nochmal prüfen, ob der Zug auch pünktlich ist. Laut Internet passt alles. Abschied von Marina, das angenehme WG-Leben mit ihr werde ich schon vermissen und auch Köln. Viele sind vielleicht der Meinung, dass Köln nicht schön sei, dem kann man wohl nicht viel entgegen setzen. Sonderlich schön aus ästhetischer Sicht ist diese jecke Stadt nicht. Aber dafür umso uriger und genialer, dieser ganz bestimmte Menschenschlag ist nirgendwo sonst zu finden. Und die tollen Tage verpasse ich auch.
Ein letztes Mal in die Stadtbahn steigen. Bis zum Hansaring. Dort schwer bepackt, mit Reiserucksack, schwerem Koffer, Handgepäck (in Form eines Rucksacks vorm Bauch) sowie Handtasche beginnt das Abenteuer. Am Hansaring sollte ich eigentlich in die S-Bahn steigen. Nur leider hat diese aufgrund von Streikauswirkungen auf unbestimmte Zeit Verspätung. Wunderbar. Also schleppe ich meine Koffer nach kurzem Überlegen wieder hinunter. In der Hoffnung ein Taxi zu finden. Ein paar junge Leute, die die Welt kompakt verteilen, helfen mir. Zwar hält kein Taxi, aber sie haben zumindest eine Nummer parat. Also rufe ich an. In fünf Minuten, nun gut. das ist noch zu schaffen. Das Taxi hält, der Kofferraum ist zugefroren, kein Wunder bei minus zehn Grad. Also wird sämtliches Gepäck auf die Rückbank gewuchtet und dann rasen wir über die Kölner Straßen. Die Sonne strahlt aus allen Knopflöchern. Wir verlassen die linke Rheinseite, meine Wahlheimat, und die Sonne taucht alles in ein unglaublich schönes Licht, die beiden Türme des Doms strecken sich ihnen entgegen. Eine Sonnenbrille wäre jetzt wunderbar, doch würde sie das Bild auch verfälschen. Man sieht die Kälte, alles strahlt, ist aber zugleich in seltsam zarten Farben gehalten. Die Fahrt über unterhält mich dat jute alte kölsche Urjestein an meiner Seite, der Taxifahrer ist echt der Knaller. Zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges sind wir da. Rucksäcke auf, Handtasche in die Hand, mit der anderen den mit Backsteinen bepackten Koffer geschleppt – so laufe ich zum Bahnsteig. Dort steht schon ein Zug, Richtung München über den Frankfurter Flughafen, Abfahrt ist allerdings um 9.37 Uhr, also frage ich die Schaffnerin. Da ich leider eine zuggebundene Fahrkarte habe, kann ich nicht mitfahren, aber sie versichert mir, dass meine Bahn pünktlich kommt. Kaum sind die Türen geschlossen, der Zug setzt sich in Bewegung, da ertönt eine knatterige Stimme aus dem Lautsprecher, die den Wartenden mitteilt, dass der ICE ausfällt. Wunderbarer. Die nächste Reisemöglichkeit vom Hauptbahnhof aus, bitte die S-Bahn benutzen. Da die S-Bahn nur über hunderte, tausende von Treppenstufen erreichbar ist, muss ich wohl oder übel meine ganze Kraft zusammen nehmen und meine Backsteine hinauf auf den anderen Bahnsteig befördern. Glücklicherweise gibt es einen freundlichen Herren, der mir die letzten zehn Treppenstufen zumindest den Koffer abnimmt (die er dann nicht ohne Gestöhne bewältigt). Die S-Bahn ist natürlich hoffnungslos überfüllt, ich komme gerade noch so hinein, die Türen schließen. Da stehe ich und zittere, nicht weil mir kalt ist. Am Hauptbahnhof gehen die Türen wieder auf, die Menschenmassen strömen hinaus. Noch wunderbarer: Die Rolltreppen funktionieren nicht. Schleppen und das weiterhin auf fast leerem Magen. Auch die Treppen wieder rauf. Ich tausche auf dem letzten Absatz Koffer gegen Laptop-Tasche mit einem zuvorkommenden Herren. Da steht der Zug auch schon. Die Türen sind noch verschlossen. Sie gehen auf und ich habe nicht mal mehr die Kraft meinen Koffer ins Innere des Zuges zu befördern. Das Abteil ist leer, ich lasse mich auf den Sitz fallen. Und zittere. Natürlich verzögert sich die Abfahrt um etwa zwanzig Minuten, aber immerhin muss ich nicht mehr umsteigen. Das war die Zugfahrt.
Am Flughafen treffe ich dann kreidebleich meine Eltern, die sich noch von mir verabschieden wollen. Koffer und Rucksack auf die Waage, 41 Kilogramm – und das nur, weil die Hälfte davon Geschenke sind. Noch ist ein wenig Zeit, um sich den wunderschönen Frankfurter Flughafen anzusehen. Durch die Sicherheitskontrolle und in den Flieger. Letzte Reihe, Fensterplatz. Herrlich, endlich Ruhe. Der Kapitän stellt sich vor, es ginge sofort los. Doch es bewegt sich nichts. Nach zwanzig Minuten immer noch nichts. Nach einer halben Stunde kommt eine Durchsage. Es gebe ein Problem mit der Trinkwasseranzeige. Das müsse überprüft werden. Zehn Minuten vergehen und plötzlich öffnet sich die Hintertür, herein kommen fünf stämmige Männer mit gelben Warnwesten. Die Lufthansa-Techniker. Fehlt nur noch dramatische Musik im Hintergrund. Das Problem wird behoben, es müsse kein weiteres Trinkwasser getankt werden. Mit einer Stunde Verspätung verlassen wir Frankfurt. An sich kann man über die Lufthansa wirklich nicht meckern. Der Service stimmt, das Essen ist gut und der Alkoholpegel wird auch auf einem guten Level gehalten. Vor dem Essen, während des Essens, nach dem Essen. Als ich Schlange stehe, lerne ich Johannes kennen. Österreicher. Für einen Tag in Cali, geschäftshalber. Wir quatschen und quatschen, trinken und trinken bis wir müde sind. Um 18 Uhr kolumbianischer Zeit singe ich mir schon mal selbst still und heimlich ein kleines Geburtstagsständchen, denn in Deutschland wäre es bereits so weit. Der Flug vergeht nicht wie im Fluge, irgendwas stimmt mit dem Sprichwort nicht. Elf Stunden können trotz Filmen und anderweitiger Unterhaltung sehr lang sein. Dennoch gehen sie rum. Doch das Warten hat noch kein Ende. Aussteigen und auf zur Immigration. Hunderte von Menschen stehen Schlange. Nach einer weiteren Stunde bin ich offiziell in Kolumbien angekommen. Das Kofferlaufband mit den Koffern aus Frankfurt transportiert schon längst die Koffer aus Miami, ich scheine eine der letzten zu sein, die sich ihre Koffer schnappt. Raus an die Luft. Fünfzehn Grad und das abends um neun. Kike noch finden, ins Taxi und ab ins neue Zuhause. Da warten auch schon Nelson und Carla auf mich, meine beiden Mitbewohner. Es ist schön wieder hier zu sein. Kike fährt nach Hause, Carla geht schlafen und Nelson harrt noch bis kurz nach zwölf mit mir aus, um mir zum Geburtstag zu gratulieren. Dann falle ich ins Bett und schlafe…
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