Sonntag, 11. August 2013

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht...


Zeitvertreib: Delta-Maschinen zählen

Der Wecker klingelt morgens um 4 Uhr, der Himmel ist blau und sonnenversprecherisch. Doch davon werde ich nicht allzu viel haben, denn mir stehen knapp 40 Stunden Reise bevor. Nachdem gestern Abend noch einiges von Gewicht aus meinem Koffer weichen musste, hoffe ich nun, am Frankfurter Flughafen damit durchzukommen. Doch der Weg zur Gepäckabgabe ist nicht ganz einfach. Da ich noch kein Studentenvisum habe (in meinen Unterlagen hieß es, es sei einfacher dies vor Ort in Chile zu beantragen), müsse ich einen Rückflug innerhalb von 90 Tagen haben, so zumindest einer der Zuständigen bei Delta Airlines. Trotz meiner Erklärungen würde er mich so nicht in die USA einreisen lassen, denn wenn ich unter falschen Umständen nach Chile reisen würde, müssten die USA 500 US-Dollar Strafe zahlen. Schön, dann buche ich halt meinen Rückflug für schlappe 120 Euro auf den 3. November um, damit ich ihn später noch einmal umbuchen kann. Endlich zur Gepäckabgabe freigegeben werde ich in die Schlange gelotst. Vor mir ein achtjähriges Mädchen mitsamt Vater und Großmutter, da das Kind allerdings alleine reist, dauert es 25 Minuten bis ich endlich an der Reihe bin. 23,2 Kilogramm wiegt mein Koffer – gerade noch so im Rahmen. Mit Flugticket in der Hand geht es direkt zur Sicherheitskontrolle, mein Magen hängt mir derweil in den Kniekehlen. Eigentlich wollte ich mit meinen Eltern noch entspannt frühstücken gehen, jetzt muss ein Croissant im Stehen reichen. Ein kurzer Abschied und schon trennen uns Sicherheitsmenschen und eine Wand voller Röntgengeräte. auf Wiedersehen. Kurz danach beginnt das Boarding. Um 10.15 Uhr hebt das Flugzeug ab, zwei Filme, etwas Schlaf und zwei Mahlzeiten später landen wir in Atlanta. Anderthalb Stunden dauert es, bis ich meinen Stempel im Reisepass habe und die USA Fotos und Fingerabdrücke von mir und ich dann noch sechs Stunden am Flughafen totschlagen muss. Ich warte am Gate, habe keine Lust, mir irgendetwas anzusehen, sondern arbeite an einer Übersetzung.
Um 22.35 Uhr setzen wir dann zum zweiten etwa 10-stündigen Flug an, diesmal mit dem Ziel Santiago de Chile. Ein Schlafflug. Dort angekommen heißt es wieder auf einen Stempel warten. Der ist zumindest schillernd bunt, geht vom Violettrot über ins Dunkelblau. Mein Gepäck ist angekommen, jetzt muss ich nur noch zum Geldautomaten, dann kann es weiter per Bus nach Concepción gehen – 500 Kilometer gen Süden. Tja, es wäre auch zu schön, wenn das funktionieren würde. Am Geldautomaten erhalte ich kein Geld und mitgenommen habe ich auch keine chilenischen Pesos, da man mir bei der Postbank versichert hat, es sei besser und günstiger, vor Ort Geld abzuheben. Ich komme an nichts. Einer der aufdringlichen Taxi-Besteller überredet mich, zu einer anderen Bank zu fahren, das Problem sei bekannt, es liege wohl an der Bank. Ganz kann ich dem keinen Glauben schenken, aber was soll ich machen. Am Flughafen festhängen und drei Monate dort ausharren, um meinen umgebuchten Rückflug zu nehmen? Also fahren wir zur Banco de Chile. Am Automaten wird mir wieder mitgeteilt, dass eine Abhebung nicht möglich sei. Grandios. Die Bankangestellten können mir nicht weiterhelfen, das sei nicht ihr Problem. Herzlichen Dank. Zurück im Taxi sehe ich Alex mit traurigen Rehaugen an, bin innerlich unglaublich nervös und weiß nicht weiter. Der wiederum ruft seinen Chef an, Pedro – derjenige, der mich am ersten Geldautomaten aufgegabelt hatte –, um nach Rat zu fragen. Western Union. Also in Deutschland anrufen, glücklicherweise sind dort noch vertretbare Uhrzeiten. Ich erreiche meinen Vater, der zunächst übers Internet nichts überweisen kann, also zur Bank muss. Das dauert. In dieser Zeit geht es zurück zum Flughafen, dort sammeln wir Pedro ein, fahren unter seinen Angaben zu einem Western-Union-Büro und dort stehen wir und warten. Und warten und warten. Mir dämmert bereits, dass es teurer wird als die so oder so schon wucherhaften Preise für eine Fahrt von 15 Minuten vom Flughafen zum Busterminal; 18 000 chilenische Pesos sind abgemacht. Immerhin sind beide nett und freundlich. Irgendwann steigt Pedro dann aus, Alex lädt mich auf einen Kaffee ein und irgendwann kommt dann die erwartete Nachricht: Das Geld ist da. Hinein ins Büro, Geld zählen, unterschreiben und ab ins Taxi, um nach etwa zweieinhalb Stunden den Weg zum Busterminal anzutreten. 45 000 chilenische Pesos hat mich der Spaß gekostet, ich rechne es lieber nicht um. Zum Vergleich: die sechsstündige Busfahrt nach Concepción kostet im Liegesessel 13 000 Pesos (und das ist schon fast doppelt so viel wie der Normalpreis).

Ich sitzliege in dunkelblauen Polstern, der Bus fährt stets geradeaus und die chilenische Landschaft zieht an mir vorbei: kahle Weinreben, überschwemmte Felder auf denen neben weidenden Kühen auch ein, zwei Gerippe ihrer Artgenossen liegen, Wald, unglaublich viel Nadelwald. Und es geht immer nur geradeaus. Vielleicht ist das Land tatsächlich nur so breit, dass man wie auf einem Drahtseil auf ihm balancieren muss. Die Sonne kriecht zwischen den sich dicht an dicht drängenden Wolken hervor, Apfelbäume reihen sich aneinander, ich gleite durch diese Landschaft und fühle mich an deutsche Autobahnen erinnert, auch wenn wir nicht ganz so schnell fahren. Die Scheiben beschlagen und ich nehme nur noch die Silhouetten der spitzen Bäume wahr, alles verschwindet hinter einem Schleier der Verschwommenheit. Es werden Törtchen und Saft gereicht wie auch ein unendlich gesüßter aufgelöster Kaffee. Vorne laufen Filme, die Kopfhörer hängen jedoch über meinem Haupt, es gibt WiFi an Bord. Und mit jeder Minute nähere ich mich meiner neuen Unterkunft. Da ich später als gedacht in Concepción ankommen werde, gibt es leider kein Empfangskomitee, also fahre ich alleine mit dem Taxi zur mir bekannten Adresse. Vor dem pinkfarbenen Haus stehen gerade zwei junge Frauen, Jara und Marie, zwei meiner künftigen neun Mitbewohner. Dann kommt die Hausbesitzerin, zeigt mir noch das zweite Haus für Studenten, doch ich habe mich bereits mit dem Pastelllila und dem vergitterten Fenster im ersten Haus angefreundet und noch viel mehr mit den Mitbewohnern: Lorena aus Kolumbien, Manuel und Gloria aus Ecuador, Izquel aus Mexiko, Jara aus Deutschland (die ebenfalls Übersetzung studiert, allerdings im Bachelor in Germersheim) und Marie aus Frankreich, drei fehlen noch, die im Laufe der nächsten Tage ankommen werden.

Mein Koffer steht im Zimmer, so langsam macht sich mein Magen bemerkbar. Ich schließe mich Marie und Jara an, die sich mit anderen Austauschstudenten zum Essen treffen. Ein erster Spaziergang im bereits dunklen Concepción (kurz Conce, daran muss ich mich noch gewöhnen), die fein säuberlich aufgereihten Straßen tragen Namen wie Las Vegas, Chacabuco oder Colo Colo. Eine Horde aufgedrehter Ausländerinnen mitsamt einem männlichen Vertreter aus Frankreich streifen durch den Abend und irgendwann lassen wir uns dann in einer Pizzeria nieder. Groß, gut belegt und lecker. Aber ich bin müde, unglaublich müde und wanke, trotz des nicht konsumierten Alkohols mit Jara, Marie und Maëlys, einer weiteren Französin, die in unserer Nähe wohnt, in Richtung Studentenpension. Schlafen. An meinem vergitterten Fenster hat es sich bereits eine Schicht Feuchtigkeit bequem gemacht.


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