Knapp
zwei Stunden bin ich wieder zu Hause in Concepción und eigentlich auch recht
müde – nach zwei Stündchen Schlaf und einer langstündigen Argentinienrückreise
– treffe ich mich mit Masiel, einer mittlerweile sehr guten Freundin, an einer
Straßenecke, um dort in den Bus nach Lirquén zu steigen. In Concepción ist es
angenehm mild, aber uns wurde angeraten, warme Kleidung einzupacken. Ich habe
also noch meine Jacke, die mir im winterlichen August hier das Erfrieren von
einigen Körperteilen erspart hat, im Gepäck und ein paar Alpaka-Handschuhe, das
kommt mir zwar reichlich übertrieben vor, aber man weiß ja nie. Zum Strand soll
es eigentlich gehen. Aber Miguel und Juan haben es sich anders überlegt: Nach
langem Hin und Her und hier noch etwas einpacken und da noch etwas vergessen
haben, stiefeln wir in die Nacht hinein, genau entgegengesetzt zum Meer. Am Straßenrand
steht im abendlichen Laternenlicht ein noch recht junges Fohlen, das
Mutterpferd im Halbschatten angepflockt. Plötzlich biegen wir links ab, ein
kleiner Feldweg, ich bezweifle ein wenig, dass wir öffentliches Terrain
betreten, schweige aber. Statt zu protestieren, stolpern Masiel und ich Arm in
Arm den beiden Männern hinterher, die uns den Großteil des Gepäcks abnehmen,
als wir bei Handy-Taschenlampenschein über eine wacklige Brückenkonstruktion
einen (laut unsere männlichen Begleitung) reißenden Fluss überqueren. Bei
Tageslicht stellt sich dann aber doch heraus, dass es eher ein gut gefülltes
Bächlein ist. Immer weniger Stadtlicht dringt hier oben zwischen den Bäumen
hervor, ein kurzer Moment des Beklommenseins und ein kleiner Herzstillstand
später und wir stehen auf einer Lichtung mitten im kleinformatigen Nirgendwo.
Um uns herum hängt die Stille einsam in den Bäumen und die Sterne vielzählig am
Himmelszelt. Wir bauen unser eigenes auf, richten es so, dass wir nicht direkt
in den angetrockneten Pferdemist treten und entzünden ein Feuer. Unerwartet und
mit ein wenig Rest-Adrenalin vom Aufstieg entspanne ich mich und starre in die
Flammen, die sich in den Nachthimmel schlagen – noch wärmt das Feuer, doch bald
bin ich froh um meine wärmende Jacke, meine Handschuhe und die warme Decke,
denn die Feuchtigkeit kriecht in jede Ritze. Und doch: Welch eine wunderschöne
Nacht unter freiem Himmel…
Am
Morgen brütet die Sonne auf unserem Zelt und wir torkeln wohlig-warm an die
frische Luft, sammeln Sack und Pack zusammen und frühstücken Torte bei Miguel.
Kann ein Sonntag besser beginnen? Später spaziere ich zusammen mit Masiel noch
zum Strand, wir essen herrlich fettige empanadas
gefüllt mit allerlei frischen Meeresfrüchten und lassen uns noch ein wenig
Sonne ins Gesicht brennen, bevor wir zurück nach Conce fahren. Duschen und
schlafen, auch wenn das Wetter eigentlich nach viel Zeit draußen verlangt, der
Frühling steht in seiner ganzen Pracht, der babyblaue Himmel lockt, aber mir
fallen die Augen zu.
Gegen
späten Nachmittag dann klingelt mein Handy und ich werde gebeten, den Einbruch
ins eigene Haus zu verschleiern. Andrea hatte sich ausgesperrt, die einzige
Möglichkeit war das Abschrauben des Küchenfenstergitters und der Einstieg ins
eigene Haus, da weder Mitbewohner vor Ort, noch Handy in der Tasche, noch
Schlüssel für das unüberquerbare Tor zur Hand waren. Also komme ich doch
nochmal raus an die frische Luft, schwinge mich auf meinen etwas klapprigen und
ungefederten Drahtesel, von dem ich allerdings ein kurzes Stück absteigen muss,
da ich Angst habe, von dem kläffenden Straßenköter zerfleischt zu werden und
eile herbei. Denn das Gitter alleine wieder anzubringen, das würde dann doch an
ein Wunder grenzen. Eine Schraube hier, eine Schraube dort, noch ein wenig zurechtrücken,
anziehen und man sieht nichts mehr. Mein Magen grummelt und Andrea lädt mich
zum Dank zu einer Pizza ein. Alles dabei? Schlüssel? Ja. Geld? Ja. Handy? Nein.
Also kurz nochmal ins Haus. Hallo? Ins Haus! Mist, die Tür lässt sich nicht
öffnen. Das kann doch jetzt nicht… Wer hat sich den Scherz erlaubt? Universum,
wir lachen. Lauthals, aber ein wenig Verzweiflung mischt sich auch darunter.
Sollen wir das Gitter nochmal abschrauben? Lieber nicht, die Passanten schauen
schon ein wenig seltsam. Immerhin können wir das Tor in die Freiheit öffnen.
Also klingeln wir beim Nachbarn, der erst Andreas Mitbewohnerin und dann den
Vermieter anruft, welcher auch ziemlich schnell mit einer Auswahl an Schlüsseln
da ist und sich selbst dem Versuch des Türaufschließens widmet. Doch da tut
sich nichts. Also laufen wir drei Straßenblöcke bis zu seinem Haus, nehmen in
seinem wohl geordneten Wohnzimmer auf dem Ledersofa Platz und sehen dem
Spektakel zu, wie er versucht, einen Schlüsseldienst an einem Sonntagabend
anzurufen. Das ist schwieriger, als gedacht. Aber irgendwann erreicht er
jemanden, der innerhalb von sieben chilenischen Minuten an der Tür steht und
mit Hilfe von Taschenlampenlicht am Schloss herumwerkelt, bis es nachgibt. Hätte
ich mal bloß besser aufgepasst. Nach der ganzen abenteuerlichen Aufregung
schmeckt die Pizza zwar deutlich später, als geplant, aber dennoch sehr gut.
Und
das nächste Abenteuer? Ein weniger erfreuliches, würde ich behaupten. Es
beginnt eigentlich sehr ruhig an einem Dienstagabend im Hause von Masiel und
Paloma, ihrer Schwester, die an diesem Tag Geburtstag hat. Ein kleiner
Freundeskreis sitzt zusammen, nimmt onces
zu sich, das, was in Deutschland vielleicht Kaffee und Kuchen sein könnte, ein
spätnachmittaglicher Imbiss, auch wenn es zeitlich eher Abendbrot ist.
Irgendwann, nach reichlich aufgerollten, mit manjar (einer Karamellcreme) oder wahlweise Kastanienpüree gefüllten
Eierkuchen, macht sich der Großteil auf den Weg zurück nach Hause, da die
letzten micros nach Conce fast schon
nicht mehr fahren. Gemeinsam mit einem Freund besteige ich den
höchstwahrscheinlich allerletzten Bus, wundere mich über die überhöfliche Art
und Weise des Fahrers, den sturzbetrunkenen Fahrgast, der mit einer Hand seine
3-Liter-CocaCola-Flasche liebkost und mit der anderen auf eine Plastiktüte
eindrischt und der seltsamen Stimmung der anderen Fahrgäste. Mir dämmert es,
aber es ist bereits zu spät. Wir sind auf dem Weg zurück nach Conce, der Fahrer
nicht mehr ganz bei Sinnen, mal schrammt er ein wenig zu dicht am Bordstein
entlang, mal versagt der Motor. Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir im
Stadtzentrum und ich kann aussteigen, flüchtig verabschiede ich mich von meinem
Freund und springe erleichtert aus dem Bus. Demnächst vertraue ich wohl lieber
wieder nur meinen eigenen Füßen, frei nach Bob Marley. Genug Aufregung. Ich
habe wohl ein bisschen zu laut nach Abwechslung gerufen. Erleichtert falle ich
ins Bett und bin für die mündliche Prüfung am nächsten Morgen mehr als
gewappnet.
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