Filmfiguren.
Das ist das Motto einer Party an diesem Samstag. Da muss ich mir jetzt etwas
einfallen lassen, ich will ja keine Spielverderberin sein, aber mich auch nicht
in horrende Ausgaben stürzen. Ich überlege und überlege, doch so richtig fällt
mir nichts ein, da ich eher Filme sehe, in denen ganz normale Menschen
auftreten. Und was tun, wenn man nicht weiter weiß? Mama fragen. Und die meint,
ich solle aus mir eine Marilyn Monroe machen. Dank dieser grandiosen Idee und
der Hilfe von Masiel und ihrer Schwester Paloma verwandle ich mich also in
einen (doch recht gut gelungenen) Abklatsch der Ikone. Als ich in den Spiegel
schaue, erkenne ich mich selbst kaum wieder: Löckchen, falsche Wimpern und
Makeup. Irgendwie seltsam, aber auch ganz schön, irgendwie. Nur nicht wirklich
ich selbst, aber darum geht es ja bei einer Kostümparty ja auch. Abends sitze
ich dann mit Lara Croft, William Wallace, Hellboy und vielen anderen Gestalten
am Tisch.
Am
Sonntag verspüre ich den dringenden Wunsch nach Ferien, denn so langsam fällt
mir die Unidecke auf den Kopf, mit all den Prüfungen und Tests, und
Lesekontrollen. Ich dachte nämlich eigentlich, dass ich mit meinem Abitur vor
mehr als sieben Jahren die Schule hinter mir gelassen hätte. Doch das
universitäre Bildungssystem hier in Chile katapultiert mich dann und wann in
schulische Fantasien zurück. Aber das Ende ist nah, das Semesterende zumindest.
Und weil ich eigentlich lernen sollte, steige ich am Donnerstagmorgen in den
Bus, der mich in die Hauptstadt bringt. Am späten Nachmittag komme ich in
Santiago an und meine Poren öffnen sich schlagartig und die Schweißproduktion
läuft auf Hochtouren. Das Thermometer lässt mehr als 30°C verlauten, es ist
Ende November, und hier steht der Sommer vor der Tür, aber gleichzeitig klopft
der Weihnachtsmann an jedes Schaufenster. Ob mein Kopf jemals Weihnachten vom
Winter trennen werden kann? Die einkaufswütigen Chilenen tun es den Deutschen
in der Vorweihnachtszeit zumindest gleich. Überall Angebote,
Mitternachtsshopping in den Malls, Glitzerkugeln hier, Plastiktannenbäume dort.
Da sehne ich mich plötzlich nach dem ersten Schnee im Jahr, verspüre plötzlich
das Verlangen nach einem Glühwein abends um 19 Uhr, wenn die Sonne schon längst
untergegangen ist, bei klirrenden Temperaturen und würde alles für einen
Flammkuchen geben.
Stattdessen schwitze ich und ärgere mich, nicht allzu viel
sommerliche Kleidung im Gepäck zu haben. Doch der Ärger ist schnell verflogen,
als Juan mich am Busterminal abholt, mich erstmal schnell seiner Mutter
vorstellt, ich meine Sachen dann bei ihm in seiner sehr kleinen, spärlichen
Bude ablade und mich schon fast wieder auf den Weg mache. Auf zum Konzert. Ins
Blondie. Eine Diskothek im unterirdischen Herzen der Hauptstadt. Und dort pocht
es ziemlich stark. An diesem Abend spielt dort die US-amerikanische Band
CocoRosie. Freak-Folk. Die wenigsten werden damit wohl etwas anfangen können,
aber nicht nur ich selbst bin ab und an ein wenig gewöhnungsbedürftig, sondern
eben auch mein Musikgeschmack. Seitdem ich Patti Smith in Leipzig sehen konnte,
war ich nicht mehr auf einem Konzert. Und dann ist es auch noch eines dieser
kleinen, kuschligen Konzerte in einer irgendwie passenden Räumlichkeit. Blaue,
würfelförmige Lampen hängen von der Decke herab, auf der Bühne zieht sich eine
Wäscheleine durchs Bild, an der Kleidungsstücke hängen. So langsam werden die
Chilenen unruhig, ich habe mich alleine in Reihe sechs oder sieben vorgekämpft,
doch wie es so ist, vor mir steht ein Riese, zumindest aus meiner Floh-Perspektive
gesehen. Sobald sich die Massen in Bewegung setzen, verschiebt sich auch das
Sichtfeld und ich lasse mich von der Musik treiben. Ich muss sagen, ich bin
gerne allein auf Konzerten, auch im Kino oder selbst im Theater. Doch gerade
bei Konzerten, ist es wundervoll, zwischen vielen fremden Menschen zu stehen,
sich einfach nur gehen zu lassen, sich den Rhythmen hinzugeben und den Bass im
gesamten Körper zu spüren. Wenn man dann noch in einem uralten Käfer, dessen
Baujahr mir unbekannt, aber in etwa mit dem meinigen zusammenfallen dürfte,
abgeholt und durch die sommerliche Nacht kutschiert wird, kann es für einen
winzigen Augenblick gar nicht besser sein.
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| Beinahe hätte ich mich getraut, zu fahren |
Die
Nacht ist glücklicherweise lau, doch der nächste Morgen bereits unglaublich
stickig. Wir befinden uns weit im Süden der Stadt, im Ghetto, wie Juan gerne
sagt. Meiner Meinung nach ist es aber eher ein ganz normales Arbeiterviertel
mit wenig Luxus eben. Die kalte Dusche ist sogar erfrischend, und wer braucht
schon Unmengen an Platz? Die Nachbarskatze schaut gelegentlich mal herein und
erst als es am Nachmittag ein wenig erträglicher wird, besteigen wir mein
liebstes Gefährt. Ziel des Tages: der Cajón del Maipo. Ein riesiger Park mit
Vulkan und Thermalquellen. Wir suchen uns ein schattiges Plätzchen am Fluss und
versuchen so, der Hitze ein wenig zu entfliehen.
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| Sommerliche Flussabkühlung |
Abends lerne ich Juans
Schwester mitsamt Familie kennen, die mich löchert, bis kaum noch etwas von mir
übrig ist. So ist eben hier in Chile, wenn schon, dann gleich das volle
Programm. Am Samstag ist es noch hitziger, da muss ich mich schon anstrengen,
damit wir die Bude verlassen. Zumindest ein klitzekleines bisschen vom Zentrum
würde ich gerne sehen. Und tatsächlich, neben der Eintrittskartensuche für das
nächste Konzert, schlendern wir über die plaza
de armas, durch eine der Fußgängerzonen, vorbei an einer der Fakultäten der
Universidad de Chile. Es ist nämlich
so, dass Manu Chao am 8. Dezember in Santiago de Chile spielt und den
wollen wir, ich und zwei Freundinnen, uns nicht entgehen lassen. Doch leider
kann man hier oftmals nur mit chilenischen Kreditkarten übers Internet
einkaufen, sodass ich vor Ort auf Kartenjagd gehe. Im vielsagenden Plattenladen
„The Knife“ kauft mir ein Chilene die letzten vier vorrätigen Karten vor der
Nase weg. Also wieder Bus fahren, in einer Pizzeria sollen Karten verkauft
werden, hoffentlich, hoffentlich. Und wirklich! Erfolgreich stranden wir in
einer Bar im Touristen-Viertel Bella Vista und genießen den Abend.
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| Abkühlung im Stadtzentrum |
Als
ich nach einer nächtlichen Busfahrt am Morgen wieder in Concepción ankomme, ist
Wahlsonntag. Noch ist alles ruhig, meine Schritte verlieren sich im
morgendlichen Schweigen, leise spaziere ich an den erstarrten Dinosauriern im
Park vorbei und sehe dabei zu, wie die Stadt aus ihrem Dämmerzustand erwacht.
Ob es nun die ersten Wähler sind, die ihre vielen Kreuze machen oder die
Frühsportler, denen die leeren Straßen mindestens genauso gut wie mir gefallen
dürften – es sind wenige Menschen unterwegs. Bis zum Abend darf weder Alkohol
in Supermärkten verkauft, noch in Kneipen ausgeschenkt werden, damit auch alle
nüchtern zur Wahl gehen. Es ist das erste Mal, seit dem Ende der Diktatur unter
Pinochet, dass die Stimmabgabe nicht mehr verpflichtend ist. Dementsprechend
hoch ist auch die Wahlbeteiligung: knapp 49 %. Und wie nicht anders zu
erwarten war, gewann die Ex-Präsidentin Michelle Bachelet, ihre Wahlversprechen
klingen nicht verkehrt – Reformierung der noch aus Diktaturzeiten stammenden
Verfassung, ein gerechteres Steuersystem, Bildung für alle –, doch wenn man die
Chilenen so reden hört, dann glauben die wenigsten an die Umsetzung dieser
Versprechen. Außerdem muss sich die Dame von links noch in der Stichwahl gegen die
rechtsgerichtete Evelyn Matthei am 15. Dezember durchsetzen, bevor sie
zeigen kann, dass sie ein „Chile für alle“ schaffen kann – und das dann im
zweiten Anlauf, schließlich hat sie es während ihrer ersten Amtszeit von 2006
bis 2010 keinen großen Wandel auslösen können.



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