Noch
vor Kurzem saß ich im Flugzeug, sah langsam die nächtlichen Lichtkonturen
Bogotás unter mir verschwinden, nächtigte kurze Zeit später am
neonlichtdurchfluteten Flughafen Limas und stieg nach einem überteuerten, unfreundlich
servierten Frühstück in das beflügelte Monstrum in Richtung Santiago de Chile.
Fast schon routinemäßig fülle ich den Zollbescheid aus, unterschlage dabei die
Riesenameisen in meinem Gepäck, deklariere stattdessen nur Schokolade (bei der
Einreise nach Chile muss man alle Produkte, die tierischen oder pflanzlichen
Ursprungs sind, angeben) und setze mich in den Bus in Richtung Zentrum. Denn
erst einmal bleibe ich diese Woche noch in dieser urbanen Brutstätte. Erstmal
unter die Dusche, nachdem ich im Hostel eingecheckt und eine Freundin
wiedergetroffen habe. Wegen ihr und der Sommerschule der Heinrich-Böll-Stiftung
zu Grüner Politik und Nachhaltigkeit fahre ich nicht gleich schnurstracks ins
sommertote Concepción. Da die Sommerschule jedoch nur abends stattfindet,
streunen wir tagsüber durch die Innenstadt, essen vegetarisch zu Mittag,
probieren uns an mote con huesillo,
einem erfrischend kalorienhaltigen, aus gekochten Weizenkörnern und dem
Kochwasser eines getrockneten Pfirsichs bestehenden „Getränk“, suchen das
Kulturzentrum La Moneda und flüchten bei jeder Gelegenheit in den Schatten.
Eigentlich sollte Marie, meine französische Mitbewohnerin, noch zu uns stoßen,
doch irgendwie meldet sie sich nicht. Abends erfahren wir einiges über Wind-
und Solarenergie, Belastung der Natur aufgrund der unterschiedlichen
Industriezweige Chiles, Klimaerwärmung und ihre möglichen Auswirkungen,…
Endlich ist der Kopf mal wieder gefordert, teils auch aufgrund der Hitze und
der Uhrzeit nicht einzuschlafen, doch vor allem aufgrund der meist
interessanten Vorträge und Diskussionen. Es ist eine spannende Woche, was wohl
auch an der gemeinsamen Zeit mit Rita liegt. Vielleicht steht sie aber auch nur
im krassen Kontrast zu den drei darauffolgenden Wochen. Um mir die Miete für
den Januar zu sparen, bleibe ich eine Woche lang bei einer guten Freundin in
Chiguayante, etwa 20 Minuten Busfahrt von Concepción entfernt. Und noch einmal
bin ich Teil einer kleinen, sehr besonderen Familie. Die Zeit zieht langsam
vorbei, manchmal in seichten Luftstößen durch all die geöffneten Fenster, dann
wiederum vor endlosen Filmtiraden. Mit jedem Tag des Nichtstuns werde ich
unruhiger.
Mittlerweile
sitze ich wieder in meinem malvenfarbenen Zimmer und flüchte vor der Hitze,
tagsüber ist kaum daran zu denken, vor die Haustür zu treten. Erst wenn die
Sonne vom grellen Sommerhimmel verschwunden ist und sich plötzlich die erste
herbstliche Kälte bemerkbar ist, schleiche ich aus meinem Schneckenhaus und
suche den Wind, der mir durch die Haare fährt.
Irgendwohin
sind die vergangenen drei Wochen tatsächlich verschwunden, plötzlich ist der
Valentinstag da, und plötzlich sind auch wieder alle Parks und Grünflächen von
knutschenden Pärchen übersät, oftmals noch mit kitschig-pinkfarbenen
Herzluftballons mit der Aufschrift „I love you“ in der Hand. Ich freue mich
über mein Valentinstagsdate: Rita. Gemeinsam kochen und schnacken. Bevor ich
mich morgen auf Reisen mache, denn das erste Mal bekomme ich Besuch hier weit
weg von Zuhause. Mein Bruder sitzt bereits im Flieger und schwirrt irgendwo
über dem Atlantik herum. Es stehen an: ein paar Tage Santiago, Patagonien,
Feuerland, ergo ans Ende der Welt reisen und auf dem Rückweg noch ein paar
verwegene Fleckchen Chiles mitnehmen, um dann gerade so zu Semesterbeginn
wieder im guten alten Concepción zu sein. Ein Glück, dass ich meinen Geburtstag
doch bei winterlichen Temperaturen feiern werden kann. ¡Hasta luego!
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