Sonntag, 3. Oktober 2010

Reis(e)fieber

Reis(e)fieber – eine Asienrundreise


Die Krankheit holt mich immer wieder ein. Ansteckend scheint sie nicht unbedingt zu sein. Es kommt wohl stark auf den jeweiligen Menschen und dessen Immunsystem an. Fieber. Kein normales, nein, Reisefieber. Trägt mich hinfort, besser gesagt uns. Christine und ich, wir machen uns auf den Weg, fernab von allem Bekannten tauchen wir ein, alles steht Kopf, und doch irgendwie nicht. Asien. Drei Länder, drei Städte, drei Kulturen (oder auch viel mehr). Die fliegenden Zeuge bringen uns nach Singapur, Tokio und Bangkok.
Anfang September, noch ist der Sommer zu spüren (nicht so zum Zeitpunkt unserer Rückkehr, da erwartet uns bereits ein herbstlich warmes Licht und kühle laubschwangere Luft), mit der Deutschen Bahn geht es pünktlich und zuvorkommend nach Frankfurt (derjenige, der in diese Worte Ironie legt, liegt falsch); nur die Mitreisenden sind gelinde gesagt schwierig bis schwer. Eine Familie: Großeltern, Mutter und Kind, allesamt sehr schwere Knochen und schwere E-Rollis dabei, ohne vorbestellt zu haben. Wir arrangieren uns, es geht ja gerade erst los. Der Umstieg ist eher eine Umfahrt auf der Rampe, denn nur wenige Minuten auf dem gegenüberliegenden Gleis fahren wir zum Flughafen. Bekannte Gefilde auf dem „Fraport“, mit der Skyline zum Terminal 2 – oder auch nicht, da der Fahrstuhl defekt ist, müssen die Rollstuhlfahrer wieder hinein; eine kostenlose Rundfahrt mit herrlichem Blick auf die Autobahn entgeht uns somit nicht. Als wir trotz dessen pünktlich am Check-In-Schalter von Emirates erscheinen, ist unser Flieger nicht mehr ganz so pünktlich – zwei Stunden Verspätung. So müssen wir Zeit totschlagen, am einfachsten scheint uns das mit dem Tablett von McDonalds und dem faden Veggie-Burger. Mahlzeit. Mit Aussicht aufs Rollfeld. Irgendwann können wir uns zum Gate bewegen, die Sicherheitskontrolle: Rollstuhl und unser ominöses Atemgerät werden auf Sprengstoff getestet, Gürtel ausziehen, Taschen leeren, die normale Prozedur eben. Auf das Duty-Free-Shopping können wir getrost verzichten, die Parfümwolken nebeln uns auch so schon ein. Wider erwarten kann der Rollstuhl mit an Bord und wir müssen nicht darum bangen, ob wir in Dubai zum Umsteigen einen dieser klapprigen Gestelle mit Rädern erhalten. Emirates sorgt sogar für einen Sternenhimmel im Flieger, wunderschön und sehr empfehlenswert diese Fluggesellschaft (auch wenn es lange nicht so unterhaltsam war wie auf unserer ersten Reise nach Hongkong). Durch die zweistündige Verspätung haben wir in Dubai gerade so Zeit einmal aufs Örtchen zu verschwinden, Sicherheitskontrollen sind hier eher lasch, wir werden quasi einfach durchgewunken… Das einzige Manko: Schieben bleibt mir untersagt, als ob ich nach jahrelangem Rollstuhlschieben nicht wüsste, wie das funktioniert.
Nach langer Reise, Flugzeugessen, das durchaus essbar war, sind wir da, unser erstes Ziel: Singapur, Stadtstaat mit etwa 5 Mio. Einwohnern (und mindestens genauso vielen Verbotsschildern). Schon bin ich geübter im Rollstuhl zusammen- und auseinanderbauen; schieben darf ich hier, allerdings nur das Gepäck, Stempel in den Reisepass, noch kurz ein paar Singapur-Dollar abheben und erste Eindrücke auf der Taxi-Fahrt sammeln. Es brausen viele Motorräder an uns vorbei, die Fahrer tragen seltsamerweise alle ihre Jacken falsch herum (mit dem Reißverschluss nach hinten). Linksverkehr. Der Rollstuhl ragt halb aus dem Kofferraum, aber ohne ein bisschen Nervenkitzel wär’s ja auch langweilig. Und aus dem Radio dröhnt beruhigend „Dancing Queen“ von Abba…
Holiday Inn – vier Sterne. Nett, schon irgendwie, riesige Eingangshalle, schwarzer Marmor, hübsch alles. Und erst das Zimmer. Rollstuhltauglicher geht’s fast gar nicht mehr, ein riesiges Badezimmer, Doppelbett scheint irgendwie „normal“ zu sein. Erschlagen von allem stöbern wir im Menü und entscheiden uns dekadent auf dem Zimmer zu essen, noch viel schlimmer: im Bett. „Miss Christine“ bin ich plötzlich, laut des Zimmerservice. Nach Essen, Duschen und kurzem Nickerchen machen wir uns an die Planung der zwei Tage, die wir hier verbringen werden. So viel wie möglich mitnehmen, uns allerdings auch so wenig wie möglich stressen. Ankommen, und endlich, so langsam kommt die Freude auf, Freude auf eine abenteuerliche Reise – zwei Verrückte lost in Translation (zumindest manchmal; das Englische kommt nur langsam zurück, Umgangssprache ist für mich noch immer das Spanische)…
Der erste wirkliche Morgen nach erster wirklicher Nacht beginnt mit einem unglaublichen Frühstück (im Preis mit inbegriffen); ein riesiges Buffet, da weiß man gar nicht wofür man sich entscheiden soll, frisch gepresster Saft, Obst, Bircher Müsli, Dori-Fisch, Miso-Suppe; alles, was das Herz begehrt.
Frisch gestärkt geht es hinaus- und siehe da, mehr als einen Tag benötigt man für den Schnelldurchlauf Singapur auch gar nicht. Der Vormittag ist geprägt von der Glaubensvielfalt und dem friedlichen Nebeneinander unterschiedlichster Kulturen. Die Sacred Heart Church, an der gerade fleißig gebaut wird, der Hong San See Temple, zu dem es die vielen Stufen hinauf sogar Treppenlifte für den Rollstuhl gibt. Und all das zwischen großen Straßen, die man auch ja nur bei Straßenübergängen überqueren sollte, denn sonst droht Strafe. Die Sultan’s Mosque mit riesiger güldener Kuppel, Schuhe müssen ausgezogen werden vor dem Betreten. Eine monströse Gebetshalle gen Mekka gerichtet eröffnet sich mir, Besuchern bleibt es verwehrt sich zwischen Betenden aufzuhalten, die Absperrung durch rotes Samtband hält davon ab, ebenso von der Erfrischung durch einen der vielen Standventilatoren. Das Viertel ist geprägt von kleinen Häuserfronten, winzige Geschäfte überall, die Mittagssonne scheint auf uns herab, wieder zurück auf die großen Straßen. An den Ampeln auf den grünen Mann warten (hiermit sind keine Außerirdischen gemeint, obwohl das mal eine interessante Ampel wäre, sondern das Ampelmännchen mit der tickenden Uhr über ihm). Das älteste und wohl auch teuerste Hotel der Stadt, das Raffles Hotel, ist auch für Besucher geöffnet, man darf allerdings nur über den Seitengang hinein, nicht wie die normalen Gästen über den roten Teppich. Ein wenig die überteuerten Hotelgeschäfte bestaunen. Dann an den in den Himmel ragenden Essstäbchen Pause einlegen. Es ist warm, sommerliche Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit. Die Odyssee beginnt, eigentlich müssen wir nur einer großen Straße folgen und wir sollten direkt auf den Singapore Flyer, das weltgrößte Riesenrad, zulaufen. Doch Baustellen machen uns den Weg schwer, das Überqueren ist wegen meterhohen Gitterzäunen unmöglich und die Unterquerungen leider nur über Treppen und noch mehr Treppen möglich, also nichts für uns. Wir irren hin und her, landen irgendwann nach mehrmaligem Fragen im Suntec, einem der vielen Einkaufszentren, erstmal eine Abkühlung. Starbucks, unser altbewährter Freund ist uns auch auf dieser Reise treu. Und das beste Getränk gibt es leider in Europa nicht zu kaufen: Matcha Tea Latte. Milchgetränk auf Basis von Grüntee-Pulver. Dann weiter, über Straßen (mittlerweile ist uns egal, wo man überqueren darf oder nicht). Hier entlang, dort entlang, als wir zwei freundlich wirkende Herren fragen, helfen die uns weiter und siehe da, nach kurzem Fußmarsch tut es sich vor uns auf. Das größte Riesenrad der Welt, mehr als eine halbe Stunde Fahrt, es bewegt sich so langsam, man könnte meinen es stehe still. Die Aussicht ist atemberaubend. Von oben herab peilen wir die nächsten Ziele an. Die neuerbaute Marina Bay (noch gar nicht im Reiseführer vorhanden), ein riesiges Einkaufszentrum, ansonsten eine schöne Promenade, um einmal um die gesamte Bucht zu wandern. Neuerliche Bewässerungssysteme. Ein Fest von Ben&Jerry’s ist in vollem Gange, Hochhäuser, eines höher als das andere. Der Merlion, das Wahrzeichen Singapurs. Hundere von Touristen tummeln sich hier, auch wir bitten jemanden ein Foto von uns machen zu lassen… So langsam sollten wir etwas zu uns nehmen, weit und breit nichts als Edelschuppen zu erblicken. Eines von diesen hat allerdings eine breitgefächerte Snack-Karte. Wir lassen uns nieder, die Menü-Karten lassen uns einmal kurz husten, der Geldbeutel reicht doch nur für was kleines, dafür gibt’s Kühles Wasser gratis und den Ausblick auf das Wasser ist auch nicht zu verachten. Dämmerung, Essen, Dunkelheit. Nicht ganz, denn alles ist hell erleuchtet. Der Rückweg, wieder in Richtung Einkaufszentrum, diesmal von der anderen Seite aus und schon wieder stehen wir vor demselben Baustellen-Problem. Verzweifelt versuchen wir die Treppenstufen der Unterführung zu meistern, da rettet uns eine kleine süße dickliche Asiatin. Sie erklärt uns nicht nur den Weg, sondern begleitet uns eine geschlagene Viertelstunde, damit wir auch ankommen wo wir hinwollen: der Fountain of Wealth steht noch auf dem Programm (den einzigen Nachtzoo der Welt haben wir gestrichen). Ein Brunnen, der nach innen fließt, eine Lasershow, an deren Ende man Nachrichten für seine(n) Liebste(n) in den Wasserstrahl projizieren lassen kann. Herzallerliebst. Das Bett ruft, ziemlich laut. Der Rückweg ist nach kurzem Blick auf die Karte nicht sonderlich schwierig, einfach der großen Straße folgen. Da stolpern wir an einem der Einkaufszentren am Wegesrand noch auf Live-Musik. System of a Down, na ja, zumindest ein paar junge Asiaten, die’s versuchen.
Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen verheißt nichts Gutes: Regen. Erstmal frühstücken und dann weitersehen, bei weiteren (R)ausblicken: Regen. Das bedeutet wohl oder übel auf unseren Strandtag auf Sentosa zu verzichten. Bei der kurzen Erholpause vom Frühstück überlegen und überlegen wir, Markus Lanz erzählt uns derweil Wissenswertes über Sex im Weltall, nur kann uns der gerade egal sein… Gegen Mittag hört es allmählich auf, wir nehmen die Orchard Road in Angriff; im Grunde ist Singapur sehr Rollstuhl-freundlich, nur ein paar Umwege muss man in Kauf nehmen, wenn es mal wieder eine Straßenunterführung gibt. Plötzlich sind die Straßen voll – Asiaten im Kaufrausch, die scheinbare Lieblingsbeschäftigung: Einkaufen in riesigen Einkaufszentren der ganz großen Marken, vielleicht auch nur, weil dort Tiefkühltemperaturen herrschen. Der Pflichtbesuch im Hardrock-Café, mein Bruder reist nicht gerne, also muss die große Schwester T-Shirts aus aller Herren Länder besorgen. Als wir den Rückweg einschlagen, kommen wir an einem Thai-Festival vorbei. Da könnte man ja, so zur Einstimmung auf Bangkok… Auch wenn Tine erst nicht will, ich kaufe mir ein Stück (eher drei ganze, anders wollten man mir sie nicht verkaufen) Durian-Frucht, der König unter den Früchten, die meisten nennen sie allerdings profan: Stinkfrucht. Denn ja, sie stinkt, sogar so sehr, dass sie in Hotels und in öffentlichen Gebäuden nicht geduldet wird. Auch als ich sie probiere, verziehen Vorübergehende ihr Gesicht. Mir schmeckt’s, Tine wird schlecht (als sie dann doch probiert, mundet es auch ihr). Der Magen ist geweitet und wir trauen uns an eine weitere Spezialität heran: Eis in Brot. Das Eis wird vom Block gesäbelt und einem in einer Toastbrot-Scheibe gereicht. Das ist grün, quietschgrün. Schmeckt.
Um der Stadt zu entflüchten, suchen wir den Fort Canning Park, bergauf, irgendwie erinnert das an das Park-Abenteuer in Hongkong. Es geht steil bergauf, und plötzlich ist nichts zu hören, nur das Schwirren der Mücken und das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln. Kein Laut der Großstadt. Da der Park nicht gerade barrierefrei ist, ich von Mücken zerstochen werde und noch ein Programmpunkt offen ist, geht’s wieder bergab. Von der Selgie Road aus in Richtung Little India. Es ist Sonntag. Und irgendwie sind nur Männerauf der Straße. Allesamt indischer Abstammung, tragen lange Hosen und ein Hemd. Keiner unterscheidet sich vom anderen, leider auch nicht ihre Blicke. Die sind abschätzig, von oben herab, hinter unserem Rücken wird getuschelt. Unangenehm, aber auch eine Erfahrung wert. Menschenmassen, ich umklammere die Rollstuhlgriffe, innerlich verkrampfe ich ein wenig. Tausende von Menschen und kein Platz, nach einem der vielen Tempel wird es leerer, eine kurze Pause, ich sehe mich um, das erste Mal so richtig, vorher immer darauf bedacht niemandem über die Füße zu fahren, mein Blick hebt sich und es erschlägt mich. Dieses Menschengewirr, die Häuser und Geschäfte bunt, Gewürzschwaden hängen in der Luft. Leben, ziemlich viel Leben. Zurück müssen wir da noch mal durch. Aber da machen wir es wie fast alle anderen (was wahrscheinlich in jedem anderen Viertel Singapurs mit Höchststrafen geahndet wird): auf der Straße laufen. Voller Erschöpfung lassen wir uns in ein kleines indisches Restaurant lotsen. Hervorragendes Essen, etwas scharf, aber ein wunderbarer Mango-Lassi und Naan-Brot verschaffen Linderung. Als uns das Hintergrund-Geplänkel zu den Ohren herauskommt, gehen wir, zurück zum Hotel. Da stolpern wir schon wieder über etwas. Ein Breakdance-Wettbewerb. Und man muss sagen, einige von den Jungs haben es wirklich drauf. Wir müssen unglaublich hungrig aussehen, denn ansonsten könnte ich mir nicht erklären, weshalb wir von einer der Organisatorinnen mit Eis und Sandwiches versorgt werden. Gesättigt, zurück, die letzte halbe Nacht in der saubersten Stadt der Welt.
Kaum geschlafen, da klingelt auch schon der Wecker, mitten in der Nacht auschecken, noch die Postkarten abgeben, dann mit dem Taxi zum Flughafen, die Stadt noch einmal bei Nacht wahrnehmen. So ruhig, nur das Blinken auf der Zielanzeige im Taxi schreckt mich auf: „Please drive carefully“ (Bitte vorsichtig fahren), na, da ist wohl jemand zu schnell unterwegs.
Am Flughafen müssen wir dann gefühlte Tausend Fragen über uns ergehen lassen, ob wir unsere Sachen auch brav alleine gepackt haben, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen, wo wir herkommen usw. Und dann die Überraschung: Wir dürfen alleine über den Flughafen rollern. Diesmal fliegen wir mit Delta, und wenn es etwas gibt, was die US-Amerikaner nicht beherrschen dann ist es Kaffee kochen. Als wir nach dem vollen und turbulenten 7-Stunden-Flug in Tokio landen, erwarten uns Sonne und 34°C. Der Rollstuhl, den wir dieses Mal leider zum normalen Gepäck geben mussten, ist glücklicherweise heile geblieben. Tokyo konnichiwa. Wir stellen uns an die lange Schlange an, um immigrieren zu dürfen. Irgendwann werden wir herausgewunken und ein kleiner süßer alter Japaner nimmt uns unsere Pässe ab, macht Fotos von uns und auch unsere Fingerabdrücke müssen wir elektronisch hinterlassen. Da ich unbedingt erste japanische Toiletten-Erfahrungen sammeln muss, wird beinahe unser Gepäck weggebracht. Es hat schon etwas Seltsames an den Po mit warmem Wasser abgespült zu bekommen, auch noch warm, selbst den Wasserdruck kann man einstellen und falls es einem unangenehm ist, das jemand einem beim Geschäft zuhört, kann man auch Hintergrundrauschen als Musikbeschallung einstellen.
Auf zur Information, Englisch scheint nicht unbedingt die Stärke der Japaner zu sein, aber mit Händen und Füßen und ein paar Bröckchen Japanisch kommen wir schon zurecht. Wir müssen vom Narita-Flughafen, der etwa 50 Kilometer außerhalb von Tokio liegt, zum Hotel kommen. Zum Hyatt Regency Tokyo wohlgemerkt. Fünf Sterne. Ich bin gespannt. Letztendlich bleibt uns nichts anderes übrig als die Friendly Airport Limousine zu nehmen, ein Bus. Nach etwa 2 Stunden Fahrt sind wir da. Noch sind die Straßensysteme undurchschaubar. Verkehr wird auf vier Straßenebenen geregelt, Hochhäuser über Hochhäuser, auch an den Randbezirken streben hunderte von Wohnblocks gen Himmel, auf jedem Balkon ist Wäsche aufgehängt, Tausende von Menschen müssen in diesen Wolkenkratzern untergebracht werden. Platzmangel. In der größten Metropolregion der Welt. An die 40 Millionen Menschen leben hier und auch die müssen ihre Wäsche trocken kriegen.
Alles, was wir jetzt wollen, ist ein Zimmer. Auch wenn alle sehr nett und freundlich sind, es stellt sich heraus, dass dieses Fünf-Sterne-Hotel gar kein barrierefreies Zimmer bietet, so wie vorher angekündigt. Das Housekeeping ist sehr bemüht, Sho ist freundlich und kann ein paar Brocken Deutsch. Dann beginnt die Zimmer-Odyssee. Vom 13. ins 23. Stockwerk, vom 23. wieder ins 13., und dann ins 10. in welchem wir dann erschöpft das Zimmer nehmen, zumindest sind die Türen relativ breit und es gibt zwei Einzelbetten, im Bad sind schon Griffe montiert und auch auf der Badewanne gibt es eine Sitzhilfe. Eher schlecht als recht, nur was will man machen, letztendlich geben wir uns geschlagen, irgendwie kommen wir schon zurecht. Die Aussicht ist auf jeden Fall grandios.
Dann schlafen wir in einen tiefen Dornröschenschlaf. Einzige Voraussetzung für den nächsten Tag: ohne Wecker aufstehen. Reisen ist anstrengend. Zwar machen wir es nicht so wie die Japaner, ist aber trotzdem alles nicht ohne. Unser erster Tag in Tokio.
Wir gehen erst gegen Mittag los, zunächst „unser“ Viertel: Shinjuku. Hier leben wir also, direkt vor uns ein kleiner Park in dem sich Schildkröten sonnen, und der ausgestattet ist mit barrierefreien Toiletten, da sollte sich das Hyatt mal ne Scheibe von abschneiden. Auf der Suche nach einem mittäglichen Frühstück verschlägt es uns ins Starbucks – getreu dem Motto, erstmal alles ruhig angehen zu lassen. Erstmal „Bekanntes“ bevor wir die Unweiten und –bekanntheiten Tokios erkundschaften. Nicht weit von hier, stehen die Metroploitan Government Offices, in denen es eine Touristen-Information gibt, wir erfahren, dass eigentlich alle U-Bahnstationen rollitauglich sind und nehmen uns einen Haufen an Stadtplänen mit. Dann geht’s in den 45.Stock. Großartiges Panorama Tokios. Die Stadt scheint einfach nicht zu enden, und auch die Sonne scheint uns wohlgesinnt zu sein. Man sieht sogar den Fujisan. Außer der Aussicht gibt es auch allerlei Kitsch, vor allem Hello-Kitty-Kram, und Automaten, Maschinen, darauf stehen die Japaner.
Wirkliche Sehenswürdigkeiten gibt es nicht, aber das muss es auch gar nicht, es ist vielmehr das Flair der Stadt. Auch mehrmaliges auf die Karte schauen, hilft oft nicht weiter, wir irren durch die Straßen, lassen die Bilder einströmen. Straßen rauf und runter, Menschen, Sonne, irgendwann kommen wir dann am Park an, den wir sehen wollten, der ist allerdings schon zu. Ein paar Ecken weiter entdecken wir einen Schrein, der in Tücher verhüllt ist, da gerade gebaut wird, was die geschäftigen Tokioter allerdings nicht davon abhält, diesen zu besuchen. Mitten in der Großstadt ein Ort der Ruhe, ein paar Bäume und schon hört man nur noch das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen. An Tempeln und Shintō-Schreinen findet man ein Becken mit Wasser, eine Schöpfkelle. Hände werden gereinigt, Mund ausgespült, das Wasser darf dabei nicht wieder im Becken landen, dann schreitet man die Stufen zum Schrein empor, verbeugt sich, wirft eine 5-Yen-Münze in ein Becken, läutet die Glocke, klatscht zweimal in die Hände, verharrt einen Augenblick, in dem man still für sich seinen Wunsch formuliert, verbeugt sich und geht wieder. Und dann taucht man wieder in den Alltag ein.
So wie wir, unsere Mägen wollen gefüllt werden nach der ganzen Umherirrerei. Gar nicht so einfach. Es dämmert bereits. Es werden zwar immer alle Gerichte im Schaufenster präsentiert, als Plastik-Nachahmung wohlgemerkt, aber ohne zu wissen, was es genau ist, wird es schwierig. Die Suche nach einer englischsprachigen Karte geben wir auf und entdecken ein kleines Restaurant, in dem wir uns niederlassen. Und siehe da, wir bekommen sogar ein englische Menü-Karte. Heiße Tücher, um die Hände und das Gesicht zu reinigen. Und eine Menge Zeit zum Auswählen. Über eine kleine rote Klingel ruft man den Kellner wieder zu sich, dieser geht vor einem in die Knie, sodass er fast den Tisch auf Augenhöhe hat und nimmt unsere Bestellung entgegen. Miso-Suppe, Reis, gegrillten Tintenfisch, gebratene Nudeln. Da steht Tine plötzlich vor einem kleinen Problem. Messer, Gabel, Schere, Licht – das ist hier für niemanden nichts. Stattdessen: Stäbchen. Für sie gibt es aber doch noch eine Gabel. Auch anders: Das Essen wird in die Mitte des Tisches gestellt, sodass sich jeder nach Belieben auf sein kleines Tellerchen auftun kann. Gefällt mir. Einen Nachtisch gönnen wir uns auch noch. Eis von schwarzem Sesam auf Reisbällchen und Sahne. Mein neues Lieblins-Dessert. Und auch sonst ist das Essen ein Erlebnis. Sobald jemand das Restaurant betritt, werden die Gäste von allen Kellnern mit einem lauten „Konnichiwa“ begrüßt, bei jedem Klingeln, jeder Bestellung hört man Stimmen einstimmig freudig sich Dinge auf Japanisch zurufen, es hat Charme, die Tische der Gäste sind jeweils mit einem schwarzen Vorhang getrennt…
Als wir wieder hinaustreten auf die Straße (mit lautstarkem „ongegai shimas“ begleitet), hat sich das Straßenbild komplett verändert. Alles leuchtet, Neonlichter, Straßenlaternen, das Schaufenster gegenüber lässt mich ins Schwärmen geraten: alte Leicas. Im Strom der Menschen, denn jetzt sind die Straßen eindeutig voller, schwimmen wir im Lichtermeer zurück in Richtung Hotel. So langsam versteht mein Hirn auch die Dimensionen, kann Karten-Informationen besser verarbeiten und schon haben uns die glitzernden Aufzüge und die monströsen Kronleuchter der Eingangshalle wieder.
Der nächste Tag wird unser imaginärer Strandtag. Es regnet, in Strömen. Strandtag, so nennen wir diesen Mittwoch, das Rauschen der Klimaanlage und das Trommeln des Regens gegen die Scheibe regen dabei unsere Fantasie an. Wir warten und warten, hoffen auf besseres Wetter, welches uns heute leider nicht beschert wird. Eine kleine Zwangspause. Da hilft wohl nur der Selbst-Bringdienst, ich gehe alleine vor die Tür, die Luft ist feucht, es ist warm und irgendwie ist es angenehm den Regen auf der Haut zu spüren. Gut, dass es bei unserem besten Freund auch alles zum Mitnehmen gibt, so betrete ich die Eingangshalle mit brauner Papiertüte (es befinden sich nur Heißgetränke und Frühstück darin). Die Hoffnung geben wir nicht auf, sie aber uns. Es regnet und regnet. Ab und an mal scheint es, als ob, doch nein, der Regen perlt weiterhin am mannshohen Fenster ab. Die Wolkenkratzer unserer Umgebung verschwinden in den Wolken, die ziemlich tief hängen. Muss seltsam sein, in einem dieser Büros zu sitzen und beim Blick aus dem Fenster nichts als feinstes Grau zu sehen. Unter uns überqueren hunderte von Regenschirmen die Brücke. Schöne Schirme, mit Spitze versehen. Jeder Tokioter hat scheinbar einen Regen- oder auch Sonnenschirm, vornehme Blässe, und ein kleines Handtuch, mit dem stets und ständig das Gesicht vom Schweiß befreit wird, der einem aufgrund der sommerlichen Hitze hineingeschrieben steht.
Es ist still oben über der Stadt, im zehnten Stock, ein perfekter Lesetag. Pascal Merciers Nachtzug nach Lissabon zieht mich in den Bann. Eine Kopfreise, portugiesische Wörter, der Klang hallt in meinen Ohren nach und ich verliere mich in Erinnerungen.
Gegen Abend traue ich mich noch mal raus, die Luft ist mittlerweile etwas klarer. Ich mache mich auf die Jagd nach Essbarem (der Zimmer-Service, sowie die hoteleigenen Restaurants sind leider unbezahlbar), aber nur ein paar Meter weiter gibt es einen FamilyMart, in dem es eine riesige Auswahl gibt. Sushi für mich, ein Chicken-Terriyaki-Sandwich für Tine. Mit ein paar Brocken Japanisch – oder doch eher mithilfe meiner Hände wird dieses sogar warm gemacht. Im Bett essen hat auch etwas, grüner Tee dazu und der Regentag findet ein genüssliches Ende. Zum Nachtisch gibt es noch einen typischen Keks, gefüllt mit süßer Bohnenpaste. Die Begeisterung hält sich in Grenzen.
Roppongi. Eines der vielen Viertel, für das wir uns an diesem wieder sonnigen Tag entscheiden, nicht nur meiner T-Shirt-Mission wegen. Mit der U-Bahn geht es nach einer leckeren Matcha Tea Latte und Gebäck OHNE U-Bahn-Schubser los. Es gibt Aufzüge über Aufzüge, man muss einiges mehr zu Fuß zurücklegen, aber es ist alles mit dem Rollstuhl erreichbar. Und die U-Bahn ist recht leer. Es bilden sich Schlangen, obwohl kaum jemand einsteigen wird. Niemand stellt sich neben einen, drängelt sich vor, nein, es wird Abstand gehalten, zuerst lässt man die Menschen aussteigen, dann wird eingestiegen. Es ist wie im Traum. Auch in der U-Bahn hält man einen gewissen Abstand ein, es ist mucksmäuschenstill, kein Handygeklingel, keine lautstarken Telefonate, niemand gibt seine Musik zum Besten und es findet auch kein Bettler oder Ramsch-Verkäufer den Weg in die unterirdischen Straßen Tokios. Die Menschen sitzen oder stehen, starren auf ihre Handy- oder Laptopbildschirme. Aber nicht nur, viele, vor allem junge Tokioter haben immer ein Buch parat. Angenehmer kann man gar nicht U-Bahn fahren.
Als wir wieder das Tageslicht erblicken, hat sich das Straßenbild verändert. Großes Gewirr, keine Baustellen, die uns die Orientierung erschweren, das bedeutet wir irren diesmal auch nicht ziellos umher, außerdem kann ich die Karteninformationen eindeutig besser verarbeiten und wir kommen dort an, wo wir hinwollen. Im Tokyo Midtown (eines der vielen Einkaufszentren) werden wir im Hinokicho-Garten von den Vorzeichen des Oktoberfestes heimgesucht, nein kein japanisches Fest, als Anlehnung an die Wiesn gibt es hier Brezn und ne Maß Paulaner. Da überrascht es einen kaum, dass fast überall Deutschsein mit Lederhosen, Dirndl und einer Menge Bier in Verbindung gebracht wird. Ich geb’s auf dieses Bild ändern zu wollen (und trotzdem mag ich weder Schweinshaxen noch Weißwürschtl). Ein kleiner grüner japanischer Garten, mit Teich und viel, viel Grün lädt zum Pausieren ein, dann wieder auf die große Straße, den Pflichtbesuch im Hardrock-Cafe absolvieren und uns treiben lassen. Dieses Viertel ist nicht ganz so schick, es versprüht ein bisschen mehr Leben. In der Axis-Gallerie werden wir von einer kleinen Japanerin herumgeführt. Es präsentieren sich neue Konzepte für Spielzeug (auch wenn sich ihr „play“ eher nach „pray“ anhört, also beten statt spielen begreifen wir irgendwann den Sinn und Zweck des ganzen). Sie war auch für zwei Monate in Deutschland (hier mag man die Deutschen sehr gerne, liegt wohl an den kulturellen Ähnlichkeiten), und hat zwei hilfreiche „Sätze“ erlernt, die da wären: „Ich will ein Bier, bitte.“ und „Schnitzel.“ Nun gut, letzteres ist grammatikalisch gesehen kein Satz, aber da sehen wir mal drüber hinweg. Sie zeigt uns allerlei interessante Dinge. Mit automatischen Säbeln aus Plastik und dem richtigen Schwung kann man einen imitierten Bambusstab entzweiteilen, zur Förderung der Motorik und des Weltverständnisses. Auch eine neuartige Fernbedienung für Licht gibt es, die auf Bewegung basiert, ein Farbensammler und viele andere verrückte Ideen, die wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft Alltagsgegenstände sind.
Dann statten wir dem Tokyo Tower einen Besuch ab, ganze acht Meter hoher als der Eiffelturm, aber nicht halb so schön, in seinem orange-weißen Anstrich hebt er sich zwar von seiner Umgebung und dem strahlend blauen Himmel ab, aber ob das immer von Vorteil ist, wage ich zu bestreiten. Der Shibaen-Park und der Zojo-Schrein bieten Schatten, Vogelgezwitscher, in Richtung Azabu Juban entdecken wir viele kleine niedliche Gässchen, ein weiterer Park, viele Ausländer hier, sehr schick gekleidet, vor allem Frauen mit kleinen Kindern, plötzlich meint man sich in Europa zu befinden, so viele unterschiedliche Sprachen auf einem Fleck, aber kein Wunder, an jeder Straßenecke befindet sich hier eine Botschaft. Der Arisugawanomiya-Gedenkpark ist wunderschön, alles grün, sehr verwinkelt, sehr groß, Bächlein… Jedes Viertel hat hier mindestens einen Park, was diese Großstadt in ihrer allgemeinen Gelassenheit noch unterstützt. Kein Fünkchen von Chaos, Stress oder Hektik ist zu spüren. Nichts dergleichen. Von dieser inneren Ruhe beeindruckt, machen wir uns auf den weg zum Aoyama-Friedhof, der auf einem der wenigen Hügel Tokios liegt. Und wieder scheint man in eine ganz andere Welt einzutauchen, die Gräber sind wunderschön, die Nachmittagssonne taucht alles in goldenes Licht. Auf den Gräbern gibt es kaum Blumen, und doch sind sie sehr schön, friedlich. Da bietet das riesengroße moderne Einkaufszentrum Roppongi Hills einen drastischen Kontrast. Hierher bahnen wir uns den Weg, die überteuerten Markenboutiquen, etwas Essen und dann ins Mori-Kunstmuseum. Sensing Nature heißt die Ausstellung, es geht um den Umgang mit der Natur in einer Großstadt wie Tokyo, ein paar schöne Installationen, viele Videos, die auf Großleinwand ohne Kommentare, ohne Hintergrundmusik gezeigt werden. Schlicht und schön. Mittlerweile ist es dunkel und die Eintrittskarte beinhaltet auch den Zugang zum City View, ein Stockwerk, das mit riesigen Fensterfronten versehen ist. Einmal rundherum und man hat ein unglaubliches Panorama dieser schier endlosen Stadt. Nach gefühlten Stunden des Staunens haben wir uns sattgesehen und machen uns auf den Heimweg. Oft gibt es nur einen Zugang mit Aufzügen, das wissen wir allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht und fragen einen Polizisten um Rat, dieser verschwindet darauf kurzerhand und bedeutet uns zu warten. Er scheint sich mächtig ins Zeug zu legen, denn wir warten und warten, die Vorübereilenden sehen uns etwas seltsam an, ein Rolli-Fahrerin mit Begleitung direkt vor einer kleinen Polizeistation. Irgendwann taucht er dann wieder auf, der hilfsbereite Polizist und versucht uns mit ein paar Bröckchen Englisch den Weg zu erklären, als ich mich auf Japanisch dankend verabschiede, strahlt er im ganzen Gesicht.

Der Freitagmorgen beginnt früher als die bisherigen Tage, zwar nicht so früh wie für die Händler auf dem Tsukij-Fischmarkt, dem größten der Welt, aber dennoch kann man es nicht ausschlafen nennen. Zehn U-Bahn-Stationen weiter und schon wieder hat sich das Straßenbild komplett verändert. Fabrikbauten, große leere Straßenkreuzungen. Ein leichter Fischgeruch hängt in der Luft. Wir passieren das Schild, auf dem Besucher darauf hingewiesen werden, vorsichtig zu sein und dann sind wir mittendrin im Gewusel, Holzschubkarren, Styropor-Kisten, Fischköpfe, Gemüse und Obst, Getummel, Geschrei, motorisierte Gefährte auf denen meterhoch Kisten gestapelt werden, und Fisch in allen Farben und Formen, Muscheln, Meeresgetier, riesige Krebse, Garnelen, Tonnen von Meeresbewohnern; der Himmel auf Erden sozusagen. Überall Leben (abgesehen vom vielen toten, aber frischesten Fisch), Handeln, Rufen, da zieht sich der ein oder andere Arbeiter auf eine Zigarette und einen Happen frischen Sushis hinter ein paar Pappkartons zurück. Ansonsten spritzen Fischwasser und –schuppen nur so herum. Mit krakeligem Japanisch wird die Ware angepriesen, mal gar nichts von der sonst so ruhigen Megastadt. Ein ganz anderes Bild. Wir gelangen zu einem kleineren Teil des Marktes, dort, wo es auch ein paar winzige Sushi-Buden gibt. Ein kleiner quirliger Japaner in fliederfarbenem Hawaii-Hemd lädt uns zu sich ein. Um halb elf Uhr morgens eine riesige Sashimi-Platte. Köstlicher Thunfisch, Riesengarnelen, dazu Tee im Überfluss, Reis, Ingwer, Wasabi, Miso-Suppe und wie so oft Stäbchen. Ich brauche nichts mehr um glücklich zu sein. Ein Paradies mitten im Chaos. Und unser Gastgeber ist ganz erpicht darauf uns ein bisschen Japanisch beizubringen und ein Foto mit uns, und von uns. Auch sonst geht er wunderbar auf seine Kunden ein, er liest jedem seiner Gäste von den Augen ab, welches Gericht am besten zu ihm oder ihr passt. Es ist einfach unglaublich. Schweren Herzens nehmen wir Abschied von diesem einmaligen Ort. Aber es ist noch früh und wir wollen noch einiges erleben.
Es ist warm, sehr warm, die Sonne brennt auf uns hinab und der erste Sonnenbrand kündigt sich an. Wir suchen Schutz in einem der kaiserlichen Gärten direkt an der Tokyo Bay, mal ein bisschen Meeresluft schnuppern, der Wind erfrischt, weht durch die vielen grünen Kirschbäume, zur Kirschblüte muss es wie im Märchen sein. Wenn all diese Bäume vor aufplatzenden Knospen nur so ächzen. Ein bisschen Ruhe einatmen. Und dann auf, wieder in die U-Bahn und in ein ganz anderes Viertel; ganz im Norden liegt Ueno. Auf der Ameyoko-Arkade wimmelt es nur so vor kleinen Marktständen, in den Straßen drängen sich Menschen, man findet allerlei Krimskrams, viele sehr billige Klamotten, Lädchen ganz in Rosa, Spiehallen, Pornoläden (die allerdings auf Mangas spezialisiert sind). Auch hier ist es nicht leise. Aus Kegeln zur Straßenabsperrung werden kurzerhand Megafone, eine andere Möglichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen ist hier zweimaliges in die Händeklatschen. Ein bisschen frisches Obst für unterwegs und dann weiter in den Ueno-Park. Es ist Nachmittag und viele Tokioter halten sich hier auf, ein Künstler, der auf wundersame Art und Weise eine Glaskugel schweben lässt, ein anderer, der aus Luftballons Pink Panther bastelt. Dann stehen wir vor dem Zoo, aber irgendwie ist uns nicht danach, auch wenn es hier angeblich die schönsten Panda-Bären gibt. Stattdessen stromern wir noch ein bisschen durch den Park. Als uns plötzlich bewusst wird, dass wir von vielen Obdachlosen umgeben sind. Eine riesige Schlange tut sich vor uns auf und da entdecken wir, dass es sich um eine ähnliche Einrichtung wie die Tafeln in Deutschland handelt, jeder von ihnen erhält eine warme Mahlzeit und ein paar Lebensmittel.
Ein paar Straßen weiter genießen wir die Sonne, die kleinen Gässchen, das Viertel ist nicht wie die meisten geprägt von Hochhäusern, sondern vielmehr von kleinen zweistöckigen Häusern, alles wirkt gemütlicher, ursprünglicher. Ich möchte noch gerne die Universität sehen, wir machen uns auf die Suche und mit etwas Glück und ein wenig Verstand finden wir den großen Campus. Neue Gebäude, in denen noch alte Torbögen ihre Standfestigkeit behaupten. So langsam sind wir erschöpft und machen uns auf den Rückweg. Noch ziemlich satt vom Morgen entschließen wir uns nur eine Kleinigkeit zu essen. Sushi zum Selbstbasteln. Und ein Kirin-Bier, muss man ja auch mal probiert haben.
Shinjuku – diesmal ohne großes Umherirren, das Wetter ist himmlisch, die Sonne strahlt, es ist Samstag, und das bedeutet, dass einiges mehr los ist auf den Straßen. Wir müssen noch Postkarten kaufen und das ein oder andere Musikgeschäft nach japanischem Rock durchkämmen. Als wir schließlich fündig geworden sind, tauchen wir ein in alte Edo-Zeiten, es geht zum Bahnhof von Tokio, der gerade komplett in Grau gehüllt ist, da er umgebaut wird. Es geht entlang an schicken Straßen, das erste Mal, dass es hier ein wenig Kopfsteinpflaster gibt. Von der Enge in die Weite. Plötzlich eröffnet sich ein riesiger Platz vor uns. Wir kommen den kaiserlichen Palästen näher, jedoch nicht zu nah, denn der Kaiser und seine Familie wohnen fernab von allem, gut bewacht hinter dicken Steinmauern. Durch diese Gräben sind auch früher nicht viele unbemerkt gekommen. Auch heute bleibt einem der Eintritt verwehrt. Zweimal im Jahr ist der Palast für die Öffentlichkeit zugänglich, an Neujahr und am Geburtstag des Kaisers. Verzweifelt suchen wir Schatten, immerhin gibt es an jeder Ecke Trinkwasserspender und wir können unsere Wasserflaschen auffüllen. Ein Hauch von Wind kühlt unsere schwitzenden Körper ein wenig ab, an uns vorbei joggen ein paar Tokioter. Der größte kaiserliche Garten steht auch Besuchern offen. So viele Gärten und Parks wie in Tokio, habe ich noch nirgends auf der Welt besucht. Auch hier reihen sich Kirschbaum an Kirschbaum, ein Tokioter zeigt uns anhand von Fotografien (natürlich digital) wie es hier im Frühling aussieht, wenn alle Blumen erblühen. Atemberaubend bunt, dafür leuchtet jetzt das Grün umso satter, trotz der großen Hitze. Der Weg führt uns weiter nach Kanda und Akihabara. In einem kleinen Viertel gibt es ein Buchladen hinter dem anderen. Keine großen Ketten, sondern viele kleine Antiquariate. Allein ein Buch in die Hand zu nehmen, es durchzublättern, diesen etwas alten vollen Buchgeruch einatmen, die Seiten spüren… (Ich nutze zwar weitreichend die neuesten Technologien, aber es geht nichts über ein schönes altes Buch, rein gar nichts.) Beinahe kaufe ich mir ein japanisches Buch, die Versuchung ist groß, doch da ich kein einziges Wort, besser kein einziges Schriftzeichen lesen kann, widerstehe ich. Aus den Buchläden werden Sportgeschäfte. Kein Wunder, weshalb so viele Tokioter Rad fahren, die Preise für ein gutes Rennrad sind derart niedrig, aber die Kosten eins im Flugzeug zu transportieren wahrscheinlich immens, nochmals widerstehe ich. Irgendwann kommen wir dann nach Akihabara, zur riesigen Elektromeile. Die muss man gesehen haben, hier drängen sich Menschen, alle auf der Suche nach Schnäppchen, als Ausländer werden einem auch die Steuern erlassen. Es gibt wirklich alles, von riesigen Flachbildfernsehern über die neusten Mac-Produkte bis hin zu jedem erdenklichen Kleinmist. Zum Beispiel computerbegattende Hunde oder Elmos, die kichernd Situps machen, sobald man sie in den USB-Slot steckt. Nicht das einzige ubglaubliche. Viele junge Mädchen machen hier in kurzen Röckchen, ganz im Manga-Look gekleidet, Werbung für Cafés und andere Einkehrmöglichkeiten. Das Animé-Center zeigt die neusten Mangas, es ist auf jeden Fall ziemlich bunt und laut und hektisch. Da findet man nur kurze Pausen in den Seitenstraßen… Die Eindrücke ersticken mich, mein Kreislauf ist dem Zusammenbruch nahe, Nahrung, aber schnell. Wir enden in einem Selbstbedienungsladen, alles ist komplett auf Japanisch. Gut, dass ich nen kleinen Sprachführer mithabe. Da kann ich wenigstens auf den Satz zeigen, dass ich kein Fleisch essen kann (einfacher als zu sagen, man sei Vegetarier). Es gibt vor allem Nudeln, in einer Brühe, meine zumindest, mit Sesam bestreut. Dicke, lange Nudeln. Tines Portion ist kalt. Seltsame Angelegenheit, kalte Nudeln, die zaubern nicht gerade ein Lächeln ins Gesicht. Wir machen es einfach den Japanern nach und schlürfen was das Zeug hält. Nudeln mit Stäbchen zu essen sieht doch reichlich unbeholfen aus, außerdem darf man hier auch gerne den Teller, besser die Schüssel, zum Mund führen…
Auf der Suche nach einem Zugang zur U-Bahn irren wir noch ein wenig durch die recht einsamen Straßen. Aber es passiert nichts, es ist angenehm sich nicht immer Gedanken um seine Wertsachen machen zu müssen. Zurück im Hotel geht’s ans Kartenschreiben, dass so unglaublich viele Menschen eine Postkarte aus Tokio haben wollen…
Der letzte Tag in Tokio bricht an. Es ist ein Sonntag und anscheinend ganz Tokio auf den Beinen.Die Straßen sind noch voller, die Anzüge und Kostüme in den Schränken verschwunden, sie wurden gegen sommerliche Kleidung ausgetauscht, immer noch sind die Tokioter sehr elegant gekleidet, aber es ist eine angenehme Eleganz, keine pompösen Mode-Allüren. Zu Fuß machen wir uns auf, es ist warm, aber nicht so drückend heiß wie am Vortag. Immer besser und besser werde ich Kartenlesen. Dem größten Schrein Tokios müssen wir noch einen Besuch abstatten, dem Meiji-Schrein in Harajuku. Dieser liegt mitten in einem Park, fast schon ein Wald müsste man sagen, denn die Bäume sind so riesengroß, dass sie die breite Kies-Allee in vollkommenen Schatten tauchen. Die ersten Kimonos werden gesichtet, dazu trägt man typische Holzsandalen. In dem Tempel findet gerade eine japanische Hochzeit statt, die Braut wird an beiden Händen gehalten ins Freie geführt. In einer kleinen Prozession schreiten sie einher und werden von hunderten von Touristen fotografiert. Vorbei an den kaiserlichen Weinfässern kommen wir am anderen Ende des Parks an. Dort gelangt man vom Traditionellen ins Moderne. Auf der Jingu-Brücke hat die so genannte cos-play-Szene ihr Zuhaues, hier treffen sich am Wochenende junge Erwachsene, die sich kleiden wie ihre großen Stars, und zwar Manga-Stars, da können schon ziemlich schräge Sachen bei rauskommen. Auch sonst ist das Viertel, das sich nun vor uns auftut eher moderner, rockiger. Vorbei an Condomania, kleinen Designer-Läden, großen Ketten, für alle ist etwas dabei. Wir steuern geradewegs auf die am stärksten frequentierte Kreuzung Tokios zu: Shibuya-Crossing. Diese Menschenmengen kann man sich nicht vorstellen. In jeder Rotphase sammeln sich hunderte, ach, was red ich, tausende Menschen an, sobald die Ampel auf Grün springt, schießen sie über die Straße, in alle Richtungen, aus allen Richtungen. Ein und dasselbe Schauspiel bietet sich uns immer und immer wieder. Eine Menschentraube hat sich auch um die Statue eines Hundes gebildet. Hachiko. Er soll immer auf sein Herrchen gewartet haben an der Haltestelle auch jahrelang nach dessen Tod, bis er selbst irgendwann gestorben ist, das fanden die Japaner so süß, dass sie ihn vor der Shibuya-Station verewigen mussten.
Hinfort vom Trubel bahnen wir uns den Weg nach Ebisu. Das einzige Viertel, das im Reiseführer nicht sonderlich gut dargestellt wird, also kartentechnisch, da heißt es sich ein bisschen auf den Instinkt verlassen. Wir laufen auch richtig irgendwie. Und nehmen gleich noch eine Portion Tradition mit. An jeder Straßenecke finden sich kleine Gruppen zusammen, in gleicher Kleidung, mit Tuch um die Stirn gebunden, Schrein auf den Schultern, Stoffschuhen. Klanghölzer, Klatschen, rhythmische Rufe begleiten diese Prozessionen, in die Seitengassen, in denen es vor Straßenständen nur so wimmelt. Dann erreichen wir unser letztes Ziel: Wir gehen ins Yebisu-Biermuseum. Wenn man schon mal in Japan, dem Land des Bieres ist, ähm, okay, aber das Bier ist nicht schlecht, denn schließlich wird es nach deutschem Reinheitsgebot gebraut. Sie sind „loyal to German beer“. Im Museum kann man die 0,5-Liter oder sogar 1l-Flaschen bestaunen, auch das typische Essen, das früher dazu gereicht wurde, wird einem als Plastiknachahmung präsentiert: Würstchen und Sauerkraut. Der biertrinkende Deutsche, vielleicht doch nicht ganz unberechtigt. Wir schlendern durch die Straßen, vorbei an Luxus-Restaurants. Wir laufen zur nächsten JR-Station und fahren zurück nach Shinjuku, der Fußmarsch hatte es in sich, das ganze zurück, nein danke. Unseren letzten Abend zelebrieren wir in dem Restaurant des ersten Abends. Sushi und einen trockenen, sehr schmackhaften Sake in einer noch viel schöneren Glaskaraffe, eisgekühlt, dazu ein winziges Gläschen. Morgen heißt es dann Tokyo sayonara.
Noch schnell die Portkarten abschicken, aus dem ersten und letzten Fünf-Sterne-Hotel ausschecken, in dem ich jemals genächtigt habe. Ein wenig im Park verweilen, das Rauschen des kleinen Wasserfalls in Einklang mit den Worten Merciers lassen mich in eine andere Welt eintauchen. Gegen Mittag fahren wir wieder mir der Friendly Airport Limousine zwei Stunden bis zum Flughafen. Am Schalter werden wir herzlich willkommen geheißen, das werde ich vermissen: die asiatische Freundlichkeit. Mit einem „Dankeschön“ und „Auf Wiedersehen“ werden wir von der Dame am Delta-Schalter verabschiedet, dann streifen wir durch die Einkaufspassage des Flughafens, wir haben noch eine Menge Zeit. Die Zeit plätschert so vor sich hin. Ein bisschen Grüntee-Schokolade, aber eine schöne Sake-Karaffe finde ich leider nicht mehr. Irgendwann ist es dann an der Zeit zum Gate zu gehen. Sogar der Rolli kann dieses Mal mit an Bord. Der Flug ist turbulenzenreich, der Pilot gewitzt („The weather in Bangkok, well, as you’d expect it to be: hot and humid. We’ll arrive there in 5 hours 59 minutes, sound less than 6 hours.“) Ich döse immer wieder ein. Als wir landen verabschiedet sich die Stewardess mit den Worten “We apologize, ehm. No! We do not have to apologize, we’re on time.“ Allerdings gibt es keine Gangway, also müssen wir darauf warten, dass ein Wagen uns aus dem Flugzeug hilft. Und ja, es ist reichlich feucht, ich werde eingeladen duschen zu gehen, es gleicht eher einem Wasserfall. Feucht ist eine leichte Untertreibung, würde man nur für eine Sekunde nach draußen treten, wäre man komplett durchnässt. So warten wir mit der Crew darauf, dass es weniger wird. Dadurch kommen wir mal wieder in den Genuss des Business-Class-Essen. Der Co-Pilot führt mir vor wie man das Himbeer-Törtchen mit zwei Bissen verschlingen kann und fordert mich auf es ihm nachzutun. Geschenke bekommen wir auch, Pantoffeln und Kulturtaschen, mit allem Brauchbaren für den Flug, nur nicht für den Regen da draußen. Das Gefährt dockt an, doch es sind noch locker fünf Meter bis ins Trockene, da wird kurzerhand eine Decke geholt, über Tine gehalten und sie wird vom Pilot persönlich hineingeschoben. Mir drückt er dann mit den Worten „A merry Christmas“ die Delta-Decke in die Hand. Am Flughafen müssen wir in die Kamera lächeln, nein, lachen, der Beamte ermuntert uns mit einem „Smile, smile, smile“ dazu. Gepäck und dann ein Taxi suchen. Es ist bereits Mitternacht vergangen, wir hoffen noch irgendwie zum Hotel zu kommen. Die Verständigung ist reichlich schwierig und den Zettel, den wir von der Taxi-Koordinatorin in die Hand gedrückt bekommen, ist auch nicht sonderlich vertrauenserweckend. Beschwerdegründe wie zu früh rausgelassen, zu viel Geld verlangt, etc. drauf. Auch sonst ist unser Fahrer weder hilfsbereit noch gewillt uns Auskunft darüber zu geben, ob er weiß, wo wir hinwollen. Den Rollstuhl muss ich komplett auseinandernehmen, Räder abmontieren, aber mittlerweile bin ich ja geübt. Es ist heiß und mehr als feucht, der Schweiß rinnt nur so hinab. Die Klima-Anlage kühlt das Innere des Wagens auf Eiszeit-Temperaturen hinab. Die Straßen sind geschmückt mit Bildnissen der Königin und des Königs. Lang lebe die Königin. Und lächelnde Thai-Buddhas. Immer lächeln, dann wird alles gut. Und tatsächlich, auch wenn unser Fahrer einmal mitten im strömenden Regen links ranfährt (denn auch hier herrscht Linksverkehr) und auf die Adresse starrt, die ich ihm in die Hand gedrückt habe, als ob ihm dadurch die Erleuchtung käme, fährt er weiter und wir kommen an. Nach Minuten der Angst, denn wirklich schön sehen die Viertel nicht aus, durch die wir fahren. Tine malt sich insgeheim schon die schlimmsten Geschichten aus. Aber wie Roman so schön sagte: Taxi-Fahrer sind deine Freunde. Wir landen mitten im Touristen-Viertel, auf einer der vielen „Ausgeh“-Meilen befindet sich unser Ibis-Hotel. Ein Neubau mit durchaus hellhörigen Zimmern. Und wie nicht anders zu erwarten sind die nicht unbedingt leise. Egal, nur noch schlafen.
Beim Frühstück im Hotel gibt es frische Ananas und Papaya, die nach etwas schmeckt, seit drei Monaten warte ich fieberhaft darauf das orangefarbene Fruchtfleisch auf der Zunge zergehen lassen zu können. Zweifel. Irgendwie hängt uns die nächtliche Fahrt noch in den Knochen. So richtig schön ist Bangkok nicht, insbesondere das nächtliche hinterlässt einen traurigen Eindruck, viele ältere Europäer, Amerikaner und Russen und viele junge Thailänderinnen, die sich um sie scharen. Das Vor-die-Tür-Gehen schieben wir ein wenig vor uns her, doch letztendlich überwiegt die Neugier. Es ist laut, feucht, heiß. Der Schweiß läuft, die Anstrengung ist größer, der Kontrast krasser, eben ein ganz besonderes Flair. Die Gehwege, insofern sie vorhanden sind, haben tiefe Schlaglöcher, sind zudem auch mit Essensständen zugepflastert, mit dem Rollstuhl gibt es so gut wie kein Durchkommen. Die Straßenverkäufer bieten zu Spottpreisen gegrilltes, frittiertes Fleisch, mundgerecht geschnittenes Obst, frische Säfte, eingelegtes Gemüse, Kleidung, Sonnenbrillen und Schmuck preis. Und je näher wir dem Erawan-Schrein kommen (mit enormen Umwegen, da die Straßen sich kaum überqueren lassen) desto öfter kann man Opfergaben, Blumengirlanden, Räucherstäbchen, Elefanten-Pärchen käuflich erwerben. Nach gefühlten Stunden, die ich damit verbracht habe Tine so sanft wie möglich über Schlaglöcher, zerbrochene Betonplatte, und um Betonsäulen, die plötzlich so inmitten des Gehweges stehen, zu schieben, machen wir eine kurze Pause. Sehen den Thailändern dabei zu, wie sie sich mit dem Wasser reinigen und ihre Opfergaben darbieten. Es gibt zwar ein Brückensystem, auf dem ausschließlich Fußgänger laufen dürfen, doch da hinauf zukommen ist fast unmöglich. Über das Centre of Culture & Art (in dem wir ein wenig verweilen) gelangen wir doch hinauf und machen uns ein Bild vom Ausmaß des Chaos dieser Stadt. Zumindest kann man hier frei der Schnauze nach schieben. Allerdings kommen wir nirgendwo runter, wir finden Zutritt zu einem der vielen Einkaufszentren, doch uns ist gar nicht nach Einkaufen zumute. Im Gegensatz zu den meisten Touristen hier. Mir scheint, wenn man nach Bangkok fährt, offenbar nur, um billig Markenware einkaufen zu können und natürlich wegen der vielen jungen Thailänderinnen. Es gibt aber auch hier keinen Aufzug. So langsam stehe ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Zu der Reizüberflutung mischt sich Ratlosigkeit. Ich weiß einfach nicht weiter. Dann entscheide ich mich dazu, Tine über die steile Treppe auf Straßenniveau zu bringen. Ein frischgemixter Guaven-Saft und so langsam kehren meine Energien zurück. Das Hardrock-Café nach einigem Suchen gefunden, wir streifen noch durch die nicht ganz so geschäftigen Seitenstraßen, über einen kleinen Markt. Und doch, diese Stadt versprüht auch einen gewissen Charme. Die Tuk Tuks knattern an uns vorbei (kleine motorisierte Dreiräder, die als Taxi genutzt werden), auf den Lippen der Thailänder immer ein Lächeln, das umso breiter wird, wenn sie uns sehen. Ein Lachen, das aus dem tiefsten Innern kommt. Egal wie viel Armut und Zerfall um sie herum zu erblicken ist, irgendwie scheinen sie im Reinen mit sich zu sein. Ich falle gar nicht auf mit meinem Dauergrinsen, das ich mir bei all dem Stress plötzlich selbst auferlege, und siehe da, meine Laune bessert sich, eigentlich ist schon wieder alles so absurd, dass man über sich selbst lachen muss. Man wird auch immer nach seiner Herkunft gefragt, wenn man daraufhin antwortet aus Deutschland zu kommen, hat jeder von ihnen einen Brocken Deutsch auf Lager, ob ich das gutheißen soll, weiß ich nicht. Da wir schon mal unterwegs sind, machen wir uns auf den Weg zum einzigen Park Bangkoks, dem Lumpini Park. Auf dem Weg dorthin müssen wir einige vierspurige Straßen überqueren, weit und breit keine Ampel zu sehen, also frage ich einen Polizisten, wo es die nächste Möglichkeit geben könnte. Genau hier, aha!? Kurzerhand hebt er die Hand, und siehe da, der gesamte Verkehr kommt zum Erliegen, die Autos und Roller halten einfach an, lassen uns passieren. Und auch als uns später ein Thailänder auf die gleicht Art und Weise mit erhobener Hand die Straße freiräumt, passiert uns nichts. Selbst als ich es später einmal ganz alleine ausprobiere, funktioniert’s. Unglaublich. Aufgrund eines starken Regengusses sehen wir uns gezwungen unter einen ausgedienten Bushaltestelle Unterschlupf zu suchen. Es rauscht nur so hinab. Nach einer dreiviertel Stunde, endlich dann. Und ab ins Grüne. Das tut gut, nach so viel Stadt, ein kleiner See, große Grünflächen, ein recht antikes Freiluft-Fitness-Studio, nur wenige Menschen. Viele ältere Herren, die joggen, bei den Temperaturen tödlich. Wir atmen tief ein und lachen, lachen über die Idee nach Bangkok zu reisen, darüber, dass wir uns im Vornherein keinerlei Gedanken darüber gemacht haben, lachen, einfach lachen. So tanken wir Energie für den Rückweg, denn die Schnellbahn bleibt uns verwehrt, Zugang nur über steile Treppen. Also wieder über Schlaglöcher, auf der Straße entlang, immer lächeln, die Luft ist geschwängert von Gerüchen, der Süße des Regens… Wir beschließen im Hotel zu essen. Ein riesiges Thai-Mal, Som Tum, Pad Thai, Bua-Loi, Thord-Man-Goong und einen riesigen frische gepressten Obstsaft aus Mango, Papaya und Ananas. Im Bett essen, liegen, das tut gut. Außerdem kommt heute Nacht Verstärkung an. Die ist in dieser Stadt auch wirklich von Nöten. Roman kommt für anderthalb Tage aus Hongkong.
Die Stadt am nächsten Morgen erweckt, und auch wir werden morgens von einem „Wake-Up-Call“ überrascht, Roman ist angekommen. Wir frühstücken gemeinsam im Hotel und dann machen wir uns auf den Weg. Nicht zu Fuß diesmal. Wir wollen Tuk Tuk fahren, und als wir eines finden, in dem wir auch irgendwie den Rollstuhl unterbringen können, genießen wir die Fahrt, eine ganz andere Perspektive. Mein liebstes Fortbewegungsmittel der gesamten Reise: Wer braucht schon ein Auto, wenn er ein Tuk Tuk besitzt. Wir befinden uns mittendrin im unübersichtlichen Straßenverkehr, lassen uns die Stadtluft um die Nase wehen, es wird fleißig gehupt. Nach einer halben Stunde Fahrt kommen wir am Bootsanleger an, nach ein wenig verhandeln kriegen wir ein Langschwanzboot für eine eigene Bootstour zur Verfügung gestellt. Erst Tine, dann der Rollstuhl kommt an Bord, unsere Fahrerin lenkt das Bötchen über die Wellen des Mae Nam Chao Phraya. Die Aussicht auf die Stadt vom Fluss aus ist eine andere, und auch das Klima hier ist angenehmer. Die Stadt wirkt sehr zerrissen, von Städteplanern, die ihr Handwerk verstehen, keine Spur, prunkvolle Neubauten neben purem Zerfall, neben Elend uns Armut. Wir steuern den Wat Arun an, einer der ältesten und imposantesten Tempel, der Tempel der Morgenröte. Steile Treppen führen hinauf. Die Aussicht ist allerdings die Mühen wert. Die Außenfassade ist mit vielen Figuren und Blumen aus zerbrochenen Tellern gestaltet. Auch wenn er auf den ersten Blick sehr grau wirkt, bei näherem Hinsehen lässt sich viel Liebe zum Detail erkennen. Es ist heiß, unglaublich heiß, die Sonne brennt auf uns nieder. Wieder zurück auf dem Boot, lassen wir zunächst den Königspalast rechts liegen und fahren durch das alte Bangkok, viele Häuser auf Stelzen, die Stadt ist direkt am Fluss erbaut worden. Wir knattern vorbei, passieren Boote, auf denen sich Horden von Touristen tummeln, denen mit Megafon lautstark erklärt wird, was sie zu ihrer Rechten und Linken entdecken können. Da sind wir froh in Ruhe einfach die Umgebung wahrnehmen zu können. So langsam ist es alles zu viel. Die Bilder passen nicht mehr in den Kopf, stets und ständig Neues, das wird irgendwann zu viel. Ein Souvenir-Verkäufer will uns von seinem Boot aus kitschige Anhänger, Fächer und erfrischende Getränke andrehen, ein Bier für unsere Fahrerin, da lehnen wir dankend ab. Irgendwann drehen wir um, und werden am Königspalast rausgelassen. Einen Markt müssen wir noch passieren. Da entdecke ich Mangostinos, das beste Obst der Welt und Rambutan, sozusagen haarige Litschis, die Königin unter den Früchten. Noch eine frische Kokosnuss zur Abkühlung, Wasser und dann auf zum Palast. Monströs. Vergoldet. So viel Protz und Prunk an einem Ort ist schwierig zu fassen. Wandmalereien, die die Sagen und Geschichten der Stadt erzählen, ein riesiger Tempel, den man nur ohne Schuhe betreten darf. Das erste Mal, dass es wirklich still ist in dieser Stadt. Das Wetter macht uns zu schaffen, es ist unglaublich heiß, wir scheinen auszutrocknen. Ab in ein Taxi, der fährt uns zu einem Restaurant, angeblich ganz in der Nähe unseres Hotels. Da sind wir wohl auf den Taxi-Fahrer hereingefallen. Aber jetzt ist es auch egal. Frühlingsrollen, Tom Yum-Suppe, die höllisch scharf ist, ein Red Snapper in rotem Curry, Reis dazu. Ein herrliches Mahl mit stattlichem Preis, der uns zuvor nicht genannt wurde und wir in dem Irrglauben gelassen wurden, dass der Fisch ziemlich günstig sei. Nach langem Hin und Her erlassen sie uns einen Teil des Preises. Da das Hotel zu Fuß sicherlich noch eine Stunde entfernt ist, nehmen wir uns ein Tuk Tuk, meine Hand dient Tine als Kopfstütze, nur leider verbrennt mein Arm dabei noch ein bisschen mehr. Pause. Dachte ich mir so. Eigentlich wollte ich duschen. Anstatt dessen muss ich mich mit einer Ameisenhorde abplagen. In einer der Mangostinos hatte eine Kolonie ihr zu Hause gefunden, mit lautem Fluchen und Rumgeschreie und vor allem viel Wasser rücke ich ihnen zu Leibe. Sie sind zwar klein und flink, aber diesen Kampf gewinne ich. Erschöpft genieße ich die Dusche, ameisenfrei. Um 19 Uhr sind wir wieder verabredet, mit frischen Klamotten in die gar nicht frische Abendluft. Wir fahren zum Suam Lum Nachtbasar, auf dem es alles Erdenkliche zu kaufen gibt. Hosen, T-Shirts, Lampen, viele Plagiate natürlich (fast ausschließlich), handeln, immer handeln, und hart bleiben. So gehe ich einfach, als ich die Hose nicht für meinen Preis bekomme und siehe da, ich werde an die Hand genommen, zurückgeführt und mit einem breiten Lächeln erstehe ich die Hose für meinen Höchstpreis. Eine kurze Kaffee-Pause und von da aus gleich weiter zum Abendmahl. Ein Papaya-Krebs-Salat, der mir vor Schärfe die Tränen in die Augen treibt. Gut, dass ein frischer Mango-Saft Linderung verschafft. Wir reden und reden, es wird später und später. Und dann wollen wir nach Patpong. Die Touri-Meile schlechthin, ein Puff an dem nächsten, halbnackte Mädels an den Eingängen zu den Bars. Unser Taxi-Fahrer erzählt ganz aufgeregt von seinen Favoriten. Es gibt Striptease-Bars in denen man eine Banana-Show oder auch eine Open-CocaCola-Show geboten bekommt. Die Neugier überwiegt erneut und wir lassen uns diese einmalige Bangkok-Erfahrung nicht nur die Finger rinnen lassen. An diesem Punkt wäre es leider nicht mehr jugendfrei, aber wer gerne Details erfahren möchte, der wendet sich einfach an mich, ich habe so einiges Neues erfahren. Mit einem Wort kann man es ganz gut beschreiben: Genital-Akrobatik. Wen interessiert, was man mit Zigaretten, rohen Eier oder Dartpfeilen so alles anstellen kann, ich berichte euch gerne Dinge aus quasi zweiter Hand.
Als wir wieder in unserem Viertel sind, das Patpong erschreckenderweise in vielem gleicht, wird unser männlicher Begleiter von nicht nur einer Thailänderin umgarnt, auch wenn er vielleicht mit dem Gedanken spielt, für uns war dieser Abend genug.
Eine kurze Nacht, ein sehr langer Tag. Ein letztes Frühstück auf asiatischem Grund, noch einmal fahren wir Tuk Tuk zur Red Cross Snake Farm. Es gibt viele hübsche, aber sehr giftige Schlangen zu sehen, wir werden sogar Zeugen davon, wie einigen von ihnen das Gift abgemolken wird. Das wiederum bekommen Pferde gespritzt, um Anti-Körper zu bilden. Wenn man die vielen unterschiedlichen Arten so in natura sieht, möchte man ungern wieder im Dschungel umherstreifen.
Bevor Roman wieder zum Flughafen muss, essen wir noch gemeinsam zu Mittag, in einem kleinen Restaurant an der Straße. Das Essen ist so scharf, dass wir heulen müssen, vielleicht ist es auch der Abschiedsschmerz… Pandanus-Saft und Kokosnuss-Eis kühlt die Zunge, beruhigt den rebellierenden Magen. Es ist unglaublich lecker, aber auch nicht gerade gut für einen empfindlichen Magen. Ein kurzer Spaziergang durchs Viertel, Abschied von Roman und dann regnet es, so verbringen wir den späten Nachmittag im Hotelzimmer, es isr auch unser letzter Tag. Eine lange Rückreise steht uns bevor. Zwei anstrengende Flüge, Aufenthalt in Dubai. Dort werden wir von einem Ort zum nächsten geschickt, denn wieder einmal gibt es keine Möglichkeit für Tine sich ein wenig hinzulegen. Bis uns jemand ein paar Decken bringt und sie auf dem Boden liegen kann. Die Flüge sind pünktlich, doch als wir in Frankfurt am Flughafen auf die Bahn warten, kommt die ziemlich spät und dann ist sie auch noch völlig überfüllt. Zu unserem reservierten Platz kommen wir wohl nicht, geschweige denn überhaupt in den Zug. Na herrlich, alles, was man nach mehr als 48 Stunden ohne Schlaf braucht, ist das absolute Chaos. Der Lokführer wartet so lange, bis wir irgendwie hineinpassen. Aufgrund der Verspätung werden wir in Frankfurt in einen anderen Zug verfrachtet, das bedeutet unsere Platzreservierung ist dahin. Und doch, irgendwann kommen wir wieder in Göttingen an.
Frische Herbstluft erwartet uns.
Das war Asien. Einmal mehr.

Montag, 28. Juni 2010

Adiós Colombia… bienvenido Alemania

 
Es ist soweit, llegó el tiempo de despedirse
 
Este texto será escrito en español para todos los que me ayudaron acá en Colombia, tendrá algunos errores gramaticales pero lo que importa es el mensaje...
 
Quiero decir gracias a mucha gente, espero que no vaya a olvidarme de nadie, si alguien no se encuentra en eso, por favor no se siente ofendido, tengo un caos enorme en mi cabeza. También quiero a ellos que no mencionará, ya lo saben.
Empiezo donde empezó mi viaje, en el aeropuerto El Dorado que antes de venir pensé que era mucho más grande sólo por el nombre, pero bueno. En ese aeropuerto me esperó una mujer muy amable, me recibió sin saber quien soy, me ayudó un resto en mis primeros días, semanas, meses. En los primeros días tampoco me sentía tan perdida como creía, aprendía muchas cosas, probaba mucha comida colombiana (mis primeros tamales, tenía que tomarme agua panela con QUESO: guacala), y aprendía la frase más importante: “La pola aguanta”. Es ella, Luz Stella, quien me presentó a mis compañeras de piso, que fue realmente lejos del centro, allá en la 183 con autopista. Y ambas Carolinas me facilitaron mi estadía, cocinábamos juntas, nos reíamos, nos contábamos historias sobre “nuestros” hombres. O sea fue un placer vivir con dos chicas muy “chicas”, no sabía que también puedo ser así, antes me veía mucho más masculina en el sentido de hablar, de comportarme, de mucho. Me invitaron a conocer su iglesia que me impresionó aún no hace parte de mi vida. Además muchas gracias a Diego y Flor – el hermano y la madre de Luz – por preocuparse mucho por mi y dejarme saber que siempre tenía algo donde ir.
La orientación en la universidad era fácil gracias al grupo de “Interandes”, un grupo de estudiantes colombianos que nos ayudó a los extranjeros... Había mucha gente dentro de este grupo con quienes espero mantener en contacto. La primera vez en Bogotá por la chiva, una noche bastante genial pero terminé en el hospital. A mi no me pasó nada, solamente acompañé a Mauricio quien se pegó la cabeza. Una alemana borracha (la primera vez guaro) y un colombiano herido, pero lo logramos. Con este grupo también me fue de viaje por primera vez – a Villa de Leyva. Allá conocí a unos amigos muy buenos. Maddalen, la primera española que conozco, una mujer increible con una fuerza enorme y un corazón gigante, de verdad la amo con todo lo que soy. Fueron muy pocos los momentos que compartimos pero ese tiempo disfruté como ningún otro. Madda, nos vamos a ver pronto! Su compañero de piso, un italiano, Gabriele que también es una persona extraordinaria. Tan querido, tan lindo, tan italiano, con todos sus gestos, su manera de ser, su ideología o más bien la mirada al mundo, siempre tratando de ver lo bueno que también es una cosa que me enriquezó a mi. Hay que hacerlo con un punto de vista crítico mas es una manera de vivir que me conviene bastante. Viajar por el mundo sin olvidarse de donde viene uno. Damien, un francés, muy tierno, también muy querido, con ideas muy buenas, buscando los lugares de la tierra menos ocupados, un greñudo que voy a ver otra vez, todavía no sé si sea en Francia, Alemania, Colombia o en cualquier otro lugar. Simon que vino con todos nosotros en este segundo semestre de 2009 me cayó rebien, un loco más en Bogotá...
Y la mujer más importante acá en Bogotá para mi: la francesa guapa. Fue y todavía es una de las amistades más bonitas que tengo. Siempre puedo contar con ella, también tiene ese caos en su cabeza que nos une, dos almas parecidas en una ciudad lejos de Europa. Le envidio por poder regresar tan pronto a este país maravilloso pero igual sé que nos vamos a ver en un rato. Nina, te quiero, te quiero con todo mi corazón, ya me haces falta. En un lado del mundo nos encontramos otra vez y otra vez.
Ahora es la hora de la pinche mexicana, un mes viviendo con ella en el centro fue lo máximo. Tal vez sea arquitecta y por eso ordenada con sus estudios pero las ideas y pensamientos tuvimos que arreglar y ordenar muchas veces juntas. Tomándonos un tinto, chupando una cosa rara mexicana. El segundo viaje, y ese a Buenaventura, sin ningún plan, casi nos morimos de miedo cuando llegamos a este lugar. Podíamos experimentar una maravilla juntas: Vimos ballenas yubartas, uno de los momentos que nunca olvidaré en toda mi vida... Me haces falta, Angie, vamos juntas al gimnasio un día... y muchas gracias por presentarme a Eduardo, mi hermano gemelo de la alma, tan lejos de este mundo a veces, tan pilo, tan hermoso. Su cabeza está demasiado llena de muchas cosas, nuestros tardes todos los jueves en nuestro bar favorito, nuestros conversaciones en alemán y muchas más en español sobre cualquier cosa. Creo que nunca he encontrado un hombre que le gusta tanto hablar y hablar y hablar, pero hablando sobre lo que sabe. Me visitó cuando estuve enferma, me cuidó un resto, me aguantó en cualquier estado de ánimo, solamente una vez tuvo miedo de mi... Mi casa es tu casa, Eduardo, un día vamos a hacer nuestro tour por Alemania en bicicleta tándem.
Hay un montón de personas más... A ver... A sí, hay dos antropólogos de la Nacho. Que puedo decir de ellos, digamos no nos hemos visto muchas veces pero los momentos que pasamos juntos siempre eran divertidos. Pode falar um porquinho de português com o Emerson... Y fuimos a bailar en un concierto como nos gustó bailar, nos toca hacerlo otra vez. Pode ser no Brasil no próximo ano... David, un hombre vivaracho que me encanta, unos de los colombianos más altos que conocía. Y pues, todos nos conocimos en una fiesta de “pre-Halloween” en la cual casi nadie me reconocía por mi disfraz como muñeca muerta. Solamente nos hemos visto en el principio y al fin de mi estadía mas los momentos que pasamos juntos me encantaron, hombres pilos.
¿Quién sigue? Stephanie, una colombiana que pasó un año en mi patria pero no quería hablar ninguna palabra alemana conmigo en su patria, ya se había olvidado de todo;) (menos la comida alemana rica). Aguantaron muchos los sábados de cine, de buena comida, del mejor salpicón que tomé en mi vida, de sentirme parte de la familia. Muchas gracias a Esmeralda, Geiner y Sebastián y todos los otros de esta familia que me abrió las puertas sin prejuicios, sin esperanzas. Me facilitaron pasar Navidad sin mi familia, fue una fiesta de p... Bailé mucho, comí mucho y tuve un muy bien tiempo en su casa. La natilla con coco hay que aprender a hacer.
Ahora viene una cantidad de gente que conocí más por azar que por cualquier otra cosa. Cuando escuché que tocara Ska-P,me compré una boleta sin saber con quien ir, por eso me fui sola (estuve en punto de vender mi boleta), hice fila por horas y horas. Entré y tuve que hacer fila otra vez y enfrente de mi estuvieron tres colombianos y les empecé a hablar como ya aburrida que estuve. Salió que eran Julian, Laura y Kike. Pasamos el concierto juntos, les conté algo sobre la banda alemana que tocó antes de Ska-P (“Die Toten Hosen”), yo estuve la única gritando las canciones en este parte del concierto, el resto del público me miró si fuera de otra planeta escupiendo palabras incomprensibles. Y gracias a Kike, quien es un hombre muy pilo, a quien no le gusta levantarse ;) conocí a la gente más querida del mundo. Todos ustedes son la razón porque me quedé más tiempo (aparte de mi amor por el país como tal) y por la cual volveré, volveré lo más pronto que posible. Es difícil de escribir algo de cada uno porque se repetiría muchísimo. Igual lo haré: Carlos quien sabe tocar el piano como nadie más, una persona muy, muy bacana y se lo pusieron un poco loco mis galletas de la felicidad; Jessica, una chica  muy pila que intenta ordenar un poco el desorden del grupo y que sabe mover su cintura bailando así que yo ya no quería bailar más. Las gemelas, Lida y Carolia, dos personas impresionantes que me regalaron una blusa bonita para el verano como a mi piel no le gusta mucho el sol. Nos quemamos juntas en Lagosol, bebimos harto (las únicas mujeres que conocí allá quienes aguantan beber de la misma manera como yo o tal vez más), nos divertimos, nos reímos. Y seguiremos haciéndolo en el futuro. Jonathan, el colombiano más alto del mundo, siempre que escuche el “Waka-Waka” de Shakira veo a él en mi mente, moviendo sus brazos hacia la izquierda, derecha, abajo, arriba. Me gusta mucho su honradez, su sencillez, la facilidad de hablar con él, de reírse de cualquier cosa y al mismo tiempo crítica, piensa, se da cuenta de lo que está pasando. Alguien que también se rió mucho (de mi ataque de risa) es Wilson, hasta que Carlos dijera “ya” y ya se acabó la risa, por lo menos la mía. Lo emborrachemos en una fiesta de sorpresa. Mauro que tiene el mejor carro de toda Colombia con el mejor sistema de música, además de lo material es un hombre con un gran corazón, siempre que lo he visto fuera amable, quería ayudar, es responsable, se recuerde de no tomar cuando maneje;) Ariel, que a veces es demasiado chistoso sin darse cuenta. Lucho, el primer colombiano a quien pegué (durísimo) porque era su sueño (no el mío). Michel quien marqué por toda su vida, ahora lleva una herida de una alemana loca que todavía se siente muy culpable, y lo siente mucho, deberías rasgarme también, aparte de eso lo pasamos bien, no te parece? Ya no necesita hacerse un tatuaje, lo que tiene es algo mucho más especial.
Con Jonathan intenté mejorar mi oreja para la música, es que si me encanta la música mas nunca puedo decir que canción está sonando, ni de cual artista es. En fin nunca éramos capaces de intercambiar toda nuestra música pero un montón más que mucha gente quiere trasmitir por la música. Fueron encuentros raros y bonitos al mismo tiempo.
Todavía falta... A pensar. Las dos alemanas que conocí en la universidad. Nos fuimos de viaje varias veces, sea el Amazonas para nadar con las piranhas o pasar una noche en la selva escuchando a un animal gigante que resultó que era nuestra acompañante australiana Steph – roncando. Con Prisca me fui al Carnaval de Barranquilla donde nos echamos harina y espuma por todo lado, bailamos con desconocidos, nos embriagamos con Whiskey y sobre todo tuvimos un muy bien tiempo gracias a Andrea y Tonny. Ellos nos recibieron como amigos sin saber en que se metieron, al principio era un poco difícil de entender a Tonny pero no fue mucho y nos podíamos comunicar sin ningunos problemas. Andrea os cocinó todos los días, se fue con nosotros a mostrarnos la locura del carnaval.
Con Franziska (que no parece alemana, ya lo sabemos) me fui a la Guajira, el lugar que me impresionó más de Colombia, me encantaría quedarme un poco más tiempo allá en la nada. Con Franzi tuve muchas conversaciones, se volvió muy buena amiga y espero que en unos días nos podamos ver para seguir hablando sobre todo y todos. Los sábados de ir a almorzar juntas me quedan conscientes, la última caminata hacia la casa de Nina. Nos acompañó a nuestro viaje Tobias, un amigo que conozco hace más de diez anos, pero últimamente siempre nos hemos pasado. Él estuvo en otro lugar que yo, después de tres anos logramos vernos en Colombia, hablamos mucho, perdimos el tiempo juntos, nos fuimos al teatro, o sea recuperamos muuuuuuuuuuuucho tiempo en conversaciones que normalmente tengo con mis amigas, durante las noches sin sueno.
Mi compañero de piso me aguantó un resto, a mi y mis peculiaridades, no solamente de mi manera de ser, sino también me encanta escuchar música de alto volumen, estar con amigos, compartir con ellos lo que tengo. Nunca peleamos, estuvo una vida bien tranquila, sin problemas. Gracias al caleño Bastian...
Ya casi... Ronald, nuestra amistad empezó hace poco pero tengo tu flor en mi cabeza. Me encantó nuestra caminata bajo la lluvia, un día lo hacemos otra vez pero esta vez tengas tu cámara... Me sigues contando como te va en las situaciones difíciles.
Ahora hay que decir gracias a la persona más importante durante mi estadía. Ya es difícil que es por lo menos medio año sin ver a Kike. Vas a morirte del frío acá en Alemania. Empezamos a conocernos durante el tiempo y todavía nos falta mucho para conocer, para aprender, para vivir. Tantas cosas pendientes. Ya compartimos muchos momentos muy especiales y van a ser más cuando nos volvamos a ver. Muchas gracias por dejarme entrar a tu casa, para poder dejar mis huellas en la casa, en ti. Muchas gracias a tu familia, a Yolanda, a Jorge, a Julian y obviamente a Utría, la primera perra que toqué en toda mi vida.

Eso es que quería decir, quería decirles mucho más que no puedo expresar con palabras, ya casi estoy muda como no me siento cómoda hablando alemán, tampoco tengo a nadie acá con quien podría hablar español, ni conozco a nadie que tuvo la oportunidad de vivir lo que vivía yo. Cambié, disfruté, aprendí y espero que no me olviden. Volveré. Y necesito a todos ustedes.
Muchas gracias por aguantarme.

Montag, 21. Juni 2010

El tiempo está corriendo…

Ich würde so gerne noch ein bisschen mehr Zeit haben


Kann mal jemand bitte die Zeit anhalten? Es ist so verdammt schwierig sich verabschieden zu müssen. Und ich will es auch nicht müssen. Nur der Gedanke, dass ich in neun Monaten möglicherweise wieder hier sein werde, tröstet mich ein wenig.
Ich werde ein wunderschönes Land mit ganz vielen wunderbaren Menschen zurücklassen müssen. Aber keine Angst, ein wenig Vorfreude auf das gute alte Deutschland ist auch mit dabei, noch verstehe ich es eben nicht ganz, dass es sehr bald zurück in bekannte (mir mittlerweile recht unbekannte) Gefilde geht. Das beste ist wohl nicht allzu viel darüber nachzudenken, sondern alles, was geht, mitzunehmen.

Da die Augenblicke nur so vorbeifliegen, gibt es auch in diesem Beitrag nur augenblickliche Einsichten.

Dienstag: Sonnebrand plagt mich, meine Schultern tun noch immer weh. Die oberste Hautschicht löst sich bereits, doch bei dieser wird es nicht bleiben. Wäsche waschen. Einkaufen. Alltag und doch bald kein Alltag mehr. Handy vergessen bei Kike, und das, obwohl ich es in den letzten Tagen doch brauche, um alles zu organisieren, sich an Treffpunkten zu finden. Wie kann man nur jemals ohne Handy überlebt haben. Man kann. Dank der vielen Straßenverkäufer, die auch Gespräche verkaufen. Und nicht ganz dumm ist es ebenfalls, Handynummern aufzuschreiben, auf Papier, also ganz analog.
Treffen mit einem Freund, den ich seit acht Monaten nicht gesehen habe. Erst in einem Café, dann Kneipe, dann Wohnung. Auch ein anderer Freund, den ich lange Zeit nicht gesehen habe, schaut spät abends noch vorbei. Ein Fingerschnipsen und der Tag ist um.

Mittwoch: Ruhe. Zumindest äußerlich, innerlich wird es immer schlimmer. Wirklich wahrhaben kann ich es noch immer nicht. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit hier. Aber das will nicht in meinen Kopf hinein. Wird es wohl auch nicht. Deutschland wird mir wie ein Traum vorkommen. Ob es ein guter sein wird, wer weiß.

Donnerstag: Ein typischer Donnerstag. Treffen mit Eduardo. Die Gespräche sind lang, aber einseitig, ich kann ihm nicht wirklich folgen, immer wieder schweifen meine Gedanken ab, ich versuche es ernsthaft. Aber es geht nicht. Ich habe das Gefühl, mein Kopf explodiere jeden Augenblick. Einatmen, ausatmen. Transmilenio. Zur Nacional. Die Dämmerung bricht hinein. Treffen mit Kike. Endlich wieder in der modernen Welt mit Handy und dem ganzen Stress und ständigem Erreichbarsein.

Freitag: Das allererste Fußballspiel, das ich mir anschauen werde. Oder auch nicht. Der Plan war es etwas bei einer Freundin abzuholen. Rauf aufs Rad, die Sonne scheint. Den Menschen ausweichen. Ich werde beinahe von einem Straßenhund in die entblößte Wade gebissen. Das Spiel hat schon begonnen. Die beiden Jungs machen fleißig typische Geräusche und Gesten. Nina und ich unterhalten uns lieber über die vergangenen Tage und Reisen. Bei Spielabpfiff muss ich auch schon wieder nach Hause. Verabredung mit meinen beiden ehemaligen Mitbewohnerinnen. Caro und Caro. Seit Weihnachten haben wir es nicht geschafft uns zu treffen. Doch noch ein letztes Mal. Und immer fühlt es sich noch nicht wie Abschiednehmen an.

Samstag: Einladung zur Fundación Mano Latente. Im Süden. Gute Freunde haben diese Stiftung gegründet. Sie helfen Kindern, Kindern aus Vierteln Bogotás, in denen es noch immer Holzhütten gibt. Manche von ihnen sind Müllsammler. Andere haben ein recht stabiles zu Hause und zumindest ein vernünftiges Dach überm Kopf. In einer Schule haben sie jeden Samstag einen Raum zur Verfügung. Es wird gelernt zu lernen und vor allem werden Grundwerte vermittelt, das wichtigste hier: dem Gegenüber Respekt zollen, Toleranz zeigen, Neugierde entwickeln. Und das sind sie. Etwa 40 Kinder im Alter von fünf bis zwölf. Eine Deutsche zu Besuch, das gab es noch nie. Ein Land fern jeglicher ihrer Vorstellungen oder Realitäten. Sie fragen mir Löcher in den Bauch. Ganz aufgeregt schnellen immer wieder die Hände in die Höhe.



Ob es Kleidung in Deutschland gibt, und Fahrräder und Helikopter, ob es genauso viele Kinder wie in Kolumbien gibt, ob die auch in die Schule gehen dürfen. Ob es anders ist in Deutschland, was Jahreszeiten sind, warum es dort schon sechs Stunden im Voraus ist, wie das bekannteste Museum heißt, wie sich Schnee anfühlt… Fragen über Fragen, die ich nach bestem Wissen fleißig beantworte. Mir geht das Herz auf, ich habe ganz vergessen, wie wunderbar es ist mit Kindern zu arbeiten. Meine Rückkehr wird wohl auch mit sozialem Engagement zu tun haben. Vielleicht Englisch-Unterricht. Danach gehe ich mit den vier Jungs, die den Kern von Mano Latente gründen, Mittagessen. Es wird viel gelacht, auf einen Kaffee zu Ariel. Musik. Wakawaka. Und nach ein paar Minuten stehen wir zu viert da und imitieren Shakiras Tanzstil. Wenn schon nicht die kolumbianische Fußballmannschaft bei der Weltmeisterschaft dabei sein kann, dann zumindest eine der bekanntesten Sängerinnen Kolumbiens.

Sonntag: Ein ruhiger Sonntag bei Kike. Pizza-Teig („Piksa“ ausgesprochen) gemacht für den nächsten Tag. Malen. Reden. Auf Kikes Bett liegen, in die Ferne starren. Weit, weit weg. Situationen tauchen vor mir auf, Erinnerungen werden wach, nicht nur an die erste Zeit in Kolumbien, sondern auch an Kleinigkeiten in Deutschland, das hektische Überqueren der Straßenbahngleisen in Köln zum Beispiel.

Montag: Piksa und Busfahren. Aufwachen und kurz nicht wissen, wo ich bin. Die Orientierung verlieren. Große Lust haben einfach zu weinen. Aber keine einzige Träne kommt heraus aus mir. Die Busfahrt nach Hause ist einsam. Die Caracas ist einsam und verlassen, das erste mal fühle ich mich unwohl, als ob jeden Moment etwas Schlimmes passieren könnte. Doch es passiert nichts. Das Apartment ist ruhig. Mein Herzschlag beruhigt sich ebenfalls.

Dienstag: Früh aufstehen. Der Tag wird lang. Zum El Espectador. Mir fehlt noch ein wichtiges Interview mit der Chefin der Kultursparte. Sara empfängt mich. Wir reden und reden. Danach nehme ich mir noch das Zeitungsarchiv vor, vergleiche Kultursparten in verschiedenen Epochen, mache Fotos. Treffe mich dann mit Kike, diesmal habe ich meinen Tageskalender vergessen. Gemeinsames Mittagessen. Es schüttet. Der Regenschirm ist natürlich wohlbehalten zu Hause geblieben. Dann steige ich in den Bus zum Flughafen. Nicht um mir meinen Abschied besser vorstellen zu können, nein, ich kriege Besuch. Jana kommt. Aus Nicaragua. Mit anderen Augen gesehen, wird einem erst wieder bewusst, wie groß Bogotá eigentlich ist. Und wie anders. Abends ins noblere Viertel, das erste mal hier, dass ich Shisha rauche. Lange ist’s her.

Mittwoch: Ausschlafen, ankommen. In das Zentrum. Zu Fuß über die Septima. Zum Plaza Bolívar, durch die Candelaria, alte kleine Gässchen sehen, ein bisschen antikes Bogotá. Ich muss noch ein Interview machen mit einer Anthropologin, lasse Jana ein wenig alleine durch die große Stadt ziehen. Treffe mich mit Eduardo. Der später Jana viel über die Geschichte, Architektur, Mentalität Kolumbiens erzählt. Einmal noch in unsere Stammkneipe. Sich bereits von allem verabschieden. Von jedem Riss in der Wand, den plastischen Wolken am Himmel, dem zum Ritual gewordenen Donnerstag, so langsam könnte man meinen einen Hauch von Abschied in der Luft zu schmecken. Abends zu Nina, zusammen mit Eduardo und Jana.

Donnerstag: Nach einer fast schlaflosen Nacht (so wie die letzten fünf Tage) zu Nina, zur Nacional, mich verabschieden, von dem Ort, an dem ich in einem Jahr vielleicht studieren werde. Die Pläne konkretisieren sich. Eine Rückkehr ist nicht ausgeschlossen und das gibt mir ein wenig Kraft dieses Land zu verlassen. Letzte Einkäufe erledigen. Bloß niemanden vergessen. Dann in den Norden. Treffen mit Luisa. Einladung zum Muffin-Essen. Weiße Schokolade mit Macadamia-Nüssen. Abends Video-Abend bei Steffi. Und trotzdem von Abschiedsgefühlen keine Spur.

Freitag: Aufräumen. Sauber machen. Heute Abend ist Abschiedsparty. Möbel rücken. Gemüse schnippeln. Es gibt nur gesunde Kleinigkeiten, keine Chips. Zusammen mit Nina geben wir unsere gemeinsame Party. Auch wenn Nina die Zusage zum Master bekommen hat und in einem Monat wieder in Kolumbien ist. Heute ist ley seca, ab sechs Uhr abends kann man keinen Alkohol mehr kaufen, also machen wir uns zu dritt auf und kaufen zwei Kisten Bier. Ziehen durch die Straßen. Drei Mädels, zwei Kisten Bier. Viele Kommentare, verschmitztes Grinsen. Die letzte Fete kann beginnen. Und wir genießen sie. Viele Menschen, die gekommen sind um auf Wiedersehen zu sagen.

Samstag, 12. Juni 2010

Lagosol o una quemadura fuerte





Eine letzte kurze Reise

Was als Schnapsidee – oder eher Biermarathonidee – begann, resultierte in einem sonnigen feuchtfröhlichen Wochenende ohne Marathon wenige Stunden entfernt von der Hauptstadt, die noch immer von grauen Wolken und niedrigen Temperaturen dominiert wird. Am Freitagabend fahre ich zunächst in einem kleinen colectivo in den Süden, habe dabei etwas Angst, weil der Bus eine ganz andere Route einschlägt als gewohnt. Irgendwie komme ich dann aber doch an. Ich bin schon ein bisschen zu spät, aber Enrique hat noch nichtmal gepackt. So schwierig ist es nicht, schließlich geht’s ab in Richtung Sonne und damit verbunden: Hitze. Zwölf ganz unterschiedliche Menschen treffen sich im Viertel. Zwei Autos. Und viel Bier. Nach ein paar Zwischenstopps fahren wir in die blaue Nacht hinein. Hier ein Halt und dort ein Halt. Kurvige Straßen. Stau. All das führt dazu, dass wir erst gegen halb zwei Uhr nachts ankommen in dem Ferienzentrum „Lagosol“, nah bei Girardot und Melgar. Obwohl es schon so spät oder auch früh ist, erschlägt uns die Hitze. Die Schwimmbecken sind allerdings schon lange geschlossen. Es bleibt uns nichts anderes übrig als die Ventilatoren anzuschmeißen und darauf zu hoffen, dass die Nacht doch noch ein wenig Kälte mit sich bringt. Auf den Terrassen lassen wir uns nieder bis uns die Äuglein zufallen und wir uns vor Müdigkeit beinahe auf allen Vieren in die Betten begeben. Irgendjemand hat klugerweise den Wecker gestellt und nach nur wenigen Stunden Schlaf werden wir von lautem Türgehämmere geweckt. Zeit fürs Frühstück. Das mit dem vegetarischen Essen scheint zunächst etwas kompliziert, denn selbst das Rührei ist mir Schinken gespickt. Doch ist es kein Problem ein paar Dinge zu ändern am Menü. Ich muss sogar nichtmal mehr anstehen so wie der Rest der Truppe und mit dem pinkfarbenen Bändchen ums Handgelenk mein Essen entgegennehmen. Sehr seltsam. Das ganze erinnert stark an Hotelurlaub, den ich nie erfahren musste oder auch an absichtlich verpasste Abschluss-Fahrten. Die gesamte Parkanlage ist adrett hergerichtet, es gibt einen kleinen See, auf dem man sich tretbootfahrenderweise die Nase verbrennen kann, Schwimmbecken, ziemlich viele, ziemlich flache, ein Spielsalon mit Billard, Tischtennis, rana und noch so einigem mehr. Gegen neun Uhr morgens schwitzen wir schon so sehr, dass wir uns dringend ins kühle Nass schmeißen müssen. Wir kapern eines der vielen Becken mit viel Geschrei und Gespritze. Auch sonst fallen wir während unseres Aufenthalts ein wenig auf, den größtenteils genießen hier Familien das verlängerte Wochenende, Montag ist mal wieder Feiertag. Wir hechten von Schwimmbecken zu Schwimmbecken (übrigens sind Badekappen auch hier Pflicht), verschrecken ein paar Kinder als wir uns die Rutsche runterschlittern lassen bis wir rausgepfiffen werden.



Die Bademeister als Spaßverderber, dabei sind wir ganz vorsichtig und belästigen auch niemanden. Später liefern wir uns eine Wasserballschlacht und dann gibt es auch schon Mittagessen. Tische werden gerückt. Eine große Tafel für uns alle. Gesättigt treibt sich die Meute im Spielsaal rum, Schatten, denn die Sonne brennt erbarmungslos auf uns nieder. Ich gewinne haushoch gegen Enrique beim Tischtennis – lange ist’s her, aber es gab Zeiten, da stand eine Tischtennisplatte bei uns im Keller und das hat sich gelohnt. Der Rest spielt Billard oder rana. Enrique und ich beschließen uns mit dem Tretboot auf den See zu begeben – geschätzte Tiefe ein halber Meter und trotzdem müssen wir Schwimmwesten anlegen. Nun denn. Wir strampeln fleißig und merken gleichzeitig wie die Sonne sich in unser Fleisch brennt trotz Sonneschutzfaktor 50.



Eine kurze Pause im Schatten, den Libellen und bunten Schmetterlingen beim Flattern zusehen und mit ein paar Lenkschwierigkeiten zurück zum Ufer.
Es gibt sogar jeden Tag ein reichhaltiges Programm, Fußballturniere, Aquaerobic und einen Entspannungskurs, den einige von uns mitmachen. Atemtechniken, autogenes Training, Dehnungsübungen, ein bunter Mix aus allem vermischt mit typischem Entspannungstirili und abgedunkeltem Raum. Nach anderthalb Stunden sind unsere bereits jetzt schon sonnengeplagten Körper entspannt. Ziel des Wochenendes erreicht. Die anderen treffen wir in unseren Apartments, sie haben bereits die Tassen gehoben und sind leicht angeheitert. Auch wenn es so scheint, als ob ich in letzter Zeit öfters mal feiere, ich widme mich auch ernsthaften Dingen und arbeite bereits fleißig an meiner BA-Arbeit oder besuche Lesungen mit nationalen Autoren oder oder oder. Gleichzeitig muss jeder mir noch bleibende Tag ausgekostet werden und wenn das nun mal feiern bedeutet, gerne doch. Nach dem leckeren Abendessen fahren ein paar von uns nach Melgar, um alkoholischen Nachschub zu besorgen, denn der ist relativ teuer in unserer Wochenendbleibe. Wir warten und warten und warten und nciken auch schon mal weg unter dem Ventilatorgebläse. Als alle da sind, fällt unser Plan ins Wasser, denn wir wollten eigentlich de Abend im Whirlpool verbringen, doch die sind schon geschlossen. Da müssen wir wohl oder übel Billard spielen, denn selbst die Fete, die gegen neun Uhr begonnen hat, hält sich in Grenzen, was den Spaßfaktor angeht. Carolina, eine der beiden Zwillingsschwestern, und ich suchen nach einem einigermaßen funktionierenden Kicker, was alles andere als einfach ist, die Spieler sind entweder kopflos, verdreht, nicht vorhanden oder sehr träge. Nichts desto trotz geben wir uns eine Partie deutschen Kneipen-Nationalsport und niemand muss kriechen. Perfekt. Dabei wird Wasser getrunken, natürlich verantwortungsbewusst wie wir sind, haben wir Flüssigkeit gegen Flüssigkeit getauscht und nun umso mehr Spaß. Die Jukebox haben wir auch ausgetrickst, es gibt Musikwünsche bis zum Umfallen ohne dafür zahlen zu müssen. Und das tun einige fast. Vor Müdigkeit. Als wir um fünf Uhr morgens in Richtung Betten stolpern. Die Nacht ist wiederum kurz, denn das Frühstück wartet noch immer nicht auf uns. Verschlafen gibt es ein richtig kolumbianisches Mahl – fleischhaltig natürlich. Da freue ich mich bereits auf ein gemütliches Sonntagmorgen-Frühstück auf der Terrasse mit frischen Brötchen, Marmelade, Käse, Kaffee und was sonst noch so dazu gehört.
Danach schmeißen wir uns wieder mit aller Kraft ins Wasser – was kann man auch anderes machen bei der unglaublichen Hitze, allen läuft der Schweiß am Körper herunter…
Arschbomben einigermaßen synchron hinzubekommen ist gar nicht so einfach. Wir versuchen es dennoch bis die Trillerpfeife ertönt und wir aufgefordert werden, es doch bitte zu unterlassen. Den Spaß lassen wir uns nicht nehmen und toben weiter durchs Becken, reichlich unterhaltsam sind die Versuche um die Wette zu schwimmen, denn „tschawuman“ (so betonen Kolumbianer das deutsche „schwimmen“) kann nicht einer von ihnen. Die Versuche, ihnen ein wenig beizubringen scheitern nicht komplett, aber dennoch. Zur Messe wollen wir nicht, also weiter zum Mittagessen.
Später dann sind wir unterwegs nach Girardot, um Familie von Carolina und Lida zu besuchen. Fenster auf, Musik auf(gedreht). Und los. Diesmal sitze ich hinten im „Kofferraum“ zusammen mit Michel (was „Mietschel“ ausgesprochen wird, hat also nichts von dem kleinen süßen blonden schwedischen Jungen zu tun), anschnallen ist so oder so nur für Fahrer und Beifahrer Pflicht und wie viele Personen in einem Auto transportiert werden, ist auch nicht von großer Bedeutung. Tante und Onkel der Zwillingsschwestern besitzen einen kleinen Laden und wir lassen uns großzügig mit Getränken bewirten, die Musik wummert weiterhin, die Nachbarn, die gegenüber in ihren Schaukelstühlen hin- und herwippen, sehen uns schmunzelnd zu. Ein kleiner Junge kommt auf seinem winzigen quietschgrünen Fahrrad angeradelt und kauft sich für ein bisschen zusammengespartes Münzgeld eine Cola. Wir tanzen und reden und haben unseren Spaß, vergessen Kälte und Alltag Bogotas.
Die Sonne ist bereits untergegangen, wir wollen zurück, doch es gibt Startschwierigkeiten, so verzögert sich unsere Rückfahrt und wir kommen recht spät zum Essen. Zurück in den Apartments fallen einige in einen komatösen Schlaf, aber wir Mädels nutzen die Gelegenheit und reservieren zwei Whirlpools. Wer nicht kommt, hat Pech, umso besser, mehr Platz für uns. Der Himmel ist sternenklar und es blubbert nur so vor sich hin. Abkühlung für den Sonnenbrand, trotz der vielen Sonnencreme haben sich die meisten von uns in nur zwei Tagen dermaßen verbrannt, ich ebenso. Meine Schultern ertragen es nicht jegliche Last zu tragen, selbst die Handtasche muss ich mit Händen tragen. Aber besser als zu bibbern. Diese Nacht ist glücklicherweise etwas länger, vor Erschöpfung und Hitze fallen wir in einen tiefen, tiefen Dornröschenschlaf. Und morgens wieder ähnliches Programm: frühstück, Schwimmbecken. Diesmal unterhalten wir unsere Miturlauber mit unseren lustigen Spielchen. Um die Wette schwimmen, tauchen, durch die Beine der anderen tauchen usw.
Dann ist das verlängerte Wochenende auch schon vorbei. Zimmer aufräumen, Sachen packen, ein letztes Mittagessen und dann fliehen wir vor der Hitze. Heute scheint die Sonne noch unerträglicher, schnell in die Autos, in denen man sich wie in der Sauna fühlt, aber besser als sich noch stärker zu verbrennen.

Fracasos políticos por todo lado

Von Demokratien und Scheindemokratien


Dieser Eintrag ist ein kurzer, aber sehr wichtiger. Auch ist er im Nachhinein geschrieben, aber das soll ihm nichts von seiner Wichtigkeit nehmen. Ich schreibe diesen Blog zwar hauptsächlich, um euch die schönen Seiten Kolumbiens näher zu bringen, aber nichts desto trotz muss auch die traurige Realität mal benannt werden. Und da kommt man um das Thema Politik nicht vorbei.
Es scheint zwar auch in Deutschland eine Menge zu passieren, sei es der Rücktritt Köhlers und darauffolgende unverständliche Kandidatenvorschläge, wie zum Beispiel der unserer achso volksnahen Frau Ministerin von der Leyen, die immer noch nicht abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfahlen, die für uns (Wahl-)Kölner die Abschaffung der Studiengebühren bedeuten könnten, oder die Verabschiedung des millionenschweren Sparpakets, welches wiederum die Besserverdiener gutstellt, der Vertrauensverlust in unsere Kanzlerin und ihre Regierung, der mich daran zweifeln lässt, ob es wirklich so weitergehen kann. Es passiert also eine Menge. Im Gegensatz zu Kolumbien. Eigentlich geschieht eine Menge, aber nichts führt zu Veränderungen, nur zu Verschlechterung und Enttäuschung.
Die grüne Welle scheint verebbt. Zumindest, wenn man die Wahlergebnisse betrachtet. Es war ein schöner Sonntag, zuerst bin ich mit dem Rad in den Süden gefahren bei herrlichem Sonnenschein, doch langsam aber sicher zog es sich zu, immer grauer und grauer wurde der Himmel. So wie auch die Aussicht auf die politische Zukunft Kolumbiens. Denn aus dem prognostizierten Kopf-an-Kopf-Rennen wurde ein haushoher Sieg für Santos. Er hat nur knapp die absolute Mehrheit verfehlt, die er benötigt hätte, um auf einen Schlag Präsident zu werden. Nun wird ohne sonderlich große Spannung der 20.Juni abgewartet, an dem es zur Stichwahl zwischen Mockus und Santos kommen wird. Das Ergebnis steht jedoch bereits fest. Die Politik Kolumbiens wird sich leider einmal mehr auf die Bekämpfung des „Terrors“ stützen, die Spanne zwischen arm und reich vergrößern, die Bildung außer Acht lassen, der Korruption freien Lauf lassen… Und es scheint so als sei es mal wieder nicht mit rechten Dingen zugegangen bei den Wahlen in der angeblich ältesten Demokratie Lateinamerikas. Viele Stimmen wurden gekauft, Tote und Verschwundene haben gewählt, ebenso Menschen ohne gültigen Ausweis und das Unfassbare: Bei den Auszählungen der Stimmen wurden einfach die Kreuze vertauscht. Und doch passiert nicht viel. Niemand tut etwas dagegen. Die Bewegung im Internet geht weiter. Präsidentschafts-Debatten im Fernsehen. Wahlkampagnen und doch weiß jeder, dass Mockus nur ein Hoffnungsschimmer am fernen Horizont war, der bereits am Verbleichen ist. Aufgrund von Missinterpretationen der gegnerischen Partei wurden ihm oft die Worte im Mund umgedreht, der größte Skandal war wohl als Mockus sich dazu bekannt hat Atheist zu sein. In einem so gläubigen Land wie Kolumbien fatal, denn die Trennung zwischen Staat und Kirche ist fast nicht vorhanden. Natürlich wäre auch der Kandidat der Grünen Partei nicht der beste Präsident, er ist sehr neoliberal eingestellt, und gerade hier muss man vorsichtig sein mit der Politik. Aber besser, umso vieles besser als ein Präsident, der sich selbst widerspricht und verspricht gegen Korruption vorzugehen, die erste Person, die er da anprangern müsste, wäre wohl er selbst.
Viele der jungen Wähler können es noch immer nicht glauben, viele sagen, dass es ohne Hilfe von außerhalb niemals Veränderung geben wird, so langsam glaube ich es auch. Wir haben uns zu sehr auf den guten Willen vieler verlassen und haben dabei vergessen, dass wir in Kolumbien sind. Ein Land, ein wunderschönes Land mit so viel Potential, das noch immer von einer kleinen korrupten Oberschicht regiert wird. Jahr für Jahr verschwinden Menschen, die Zahl der Binnenflüchtlinge ist immens hoch, der Konflikt innerhalb des Landes und der verschiedenen Gruppen – FARC, Paramilitär, Militär, Regierung – ist unüberschaubar und hat an Boden verloren. Meinungsfreiheit existiert so gut wie nicht, con Pressefreiheit ganz zu schweigen, es ist nicht einmal Zensur, vielmehr Auto-Zensur aus Angst den nächsten Morgen aufgrund eines einzigen „falschen“ Satzes nicht zu erleben. Es ist traurig. Traurig mit ansehen zu müssen, dass ein Land, das so viel schaffen könnte, scheinbar niemals aus dem Sog herauskommen wird.
Und doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass man die Hoffnung hier nicht aufgibt. Man kann wunderbar hier leben und doch die Vorurteile, die gegen dieses Land stehen und nicht unbegründet sind, bestimmen das Leben oftmals. Die eigene Realität ist nicht so schlimm, denn vieles bekommt man selbst nicht mit… Und vielleicht schaffen wir es in naher Zukunft Veränderungen herbei zu führen.

Freitag, 11. Juni 2010

Soledad en la isla caribeña




Wenig Schatten nach Schattenseiten Kolumbiens

Der Sonntag ist seltsam, Flughafen, Abschied in dem Wissen selbst bald dran zu sein, die Worte „Wir sehen uns in sechs bis acht Wochen wieder“ kommen zwar aus meinem Mund, aber in meinem Kopf sind sie noch immer nicht angekommen. Nicht zu viel Zeit damit vergeuden traurig zu sein, lieber noch ein wenig reisen. Als ich mir damals im Februar den Flug gekauft habe, der mich am Montag in die Karibik gebracht hat, da hab ich auch nicht großartig überlegt, wann bekommt man schon mal für etwa 40 Euro so einen Luxus geboten…
Am Montagabend steh ich also einsam und alleine in den verlassenen Straßen, nach einem kurzen Abschied von meinem Mitbewohner Bastian, es ist mal wieder Feiertag und ich warte auf den Bus zum Flughafen, aber nein, die wenigen Busse die abends um sieben noch fahren, sind natürlich nicht dorthin unterwegs. Nach ewigem Warten nehme ich mir ein Taxi, wie so oft ist es ein sehr gesprächiger Fahrer. Bin überpünktlich am Flughafen, der Schalter ist bereits offen, kann mein Gepäck aufgeben, muss für ein Touristen-Wisch noch was blechen (was aber auch Kolumbianer zahlen müssen), nachdem der freundliche Herr der „señorita Constanza“ mindestens zehnmal eine schöne Reise gewünscht hat, heißt es warten. Noch eine Kleinigkeit essen, durch die Sicherheitskontrolle und standardgemäß zum Gate 1, bei Aires werden erstmal fleißig sämtliche Fluggäste gestapelt bevor es anhand von Lautsprecherdurchsagen zu dem richtigen Gate geht. Warten und ein österreichisches Pärchen erspähen, kurz überlege ich sie anzusprechen, aber ich bin schließlich auf meiner ganz eigenen einsamen Reise. Durchsage. Verspätung. Warten. Durchsage. Zum Gate 3. Warten. Durchsage. Zwei Reihen formen. Männer und Frauen. Erneute Sicherheitskontrollen, weshalb auch immer, als ob man innerhalb der fünfzehn Meter noch irgendwas reinschmuggeln könnte. Durchsuchen des Handgepäcks. Warten. Durchsage wegen Touristen-Wisch. Warten. Durchsage. Endlich das Boarding. Mit einer dreiviertel Stunde Verspätung starten wir. Ich sitze am Fenster, ist zwar Nacht draußen, aber gerade das ist super. Ein riesiges Lichtermeer unter uns. Nein, eher eine Lichterinsel im Ozean der Dunkelheit. Langsam verschwindet sie, die Großstadt-Insel, nur ab und an tauchen kleine Lichtlein auf, wie Sterne am Boden-Himmel. Alles steht Kopf. Der Sandmann kommt und meine Äuglein fallen zu. Kurz vorm Landeanflug werde ich wach. Die Küstenzeile ist beleuchtet, eine Straßenlaterne reiht sich an die nächste wie eine Lichterkette, die sich um den Weihnachtsbaum schlängelt. Unter uns Meer, nichts als Wasser, Wasser, Wasser und dann, im scheinbar allerletzten Moment taucht die Landebahn unter uns auf. Aussteigen, von der Wärme der Nacht halb erschlagen werden, Gepäck schnappen, Sicherheitskontrolle, ein kurzer Anruf wie versprochen nach Bogotá, gleich ein bisschen Wärme mitsenden in die verregnete Hauptstadt zum verschlafenen frierenden Kike.

In die warme Nacht hinaus und Werner sofort erkannt. Ein großer dicker Tauchbär, wie man ihn sich so vorstellt, blaue Augen, großer Bierbauch und ein freundliches Lächeln auf den Lippen, den Exil-Aachener hat es vor etwa fünfzehn Jahren auf die Insel verschlagen, klein angefangen, und mittlerweile betreibt er eine der wenigen Tauchschulen, vermietet ein paar Zimmer und ein Apartment, ist verheiratet mit Amalia, einer Einheimischen. Mit dem typischen Fortbewegungsmittel der Insel einem weinroten Roller, meinen Reiserucksack zwischen seinen Füßen, fahren wir durch die Nacht. Den Fahrtwind in den Haaren, genieße ich die Stille (Helme gibt es hier nicht, man fährt auch gerne in Flipflops Moped), da überquert schon mal der ein oder andere Krebs die Straße, als wir ankommen, werden wir von Amalia empfangen, meine Sachen in meinem geräumigen Zimmer abgeladen und noch auf eine Limonade auf die Terrasse. Dann falle ich vor Müdigkeit in einen tiefen Dornröschenschlaf, die Hitze… Ich stehe erst gegen elf Uhr am nächsten Morgen auf, eine kalte Dusche lässt mich in der wunderschönen Inselwelt der Karibik erwachen, ich tapere in T-Shirt, Rock und FlipFlops auf die Terrasse, lerne Mathilde kennen, eine junge Frau, die Amalia im Haushalt hilft. Heute hat sie frei und schaut eben nur mal nach, das Leben verläuft hier in ganz anderen Bahnen, alles recht entspannt, wie ich merke ein wenig zu entspannt um auf Dauer auf dieser kleinen Insel zu leben, zumindest für mich. Aber ich bin ja auch „nur“ eine Woche auf Urlaub hier, Urlaub von meinem achso anstrengenden Leben.



Mit frisch vom Baum gefallenen Mangos, vor Saft triefenden Händen, denn die Mangos, die hier wachsen, sind die kleineren süßen Mangos, beginnt der erste Tag im trügerischen Paradies. Es hätte genauso gut die erste Einstellung eines Thrillers oder zumindest eines interessanten Tatorts werden können. Denn nachdem ich den Tag am Strand verbracht habe, man will gar nicht raus aus dem herrlichen Meerwasser, einfach nur dahin treiben lassen und sich verbrennen trotz Sonnencreme, abends dann, erfahre ich, was in der Nacht zuvor passiert ist und im Laufe der Woche klärt sich oder auch nicht, was wirklich geschehen ist. Ungefähr zu der Zeit als ich gelandet bin, gab es einen mysteriösen Brand auf der Insel, sogar recht nahe meiner Bleibe, in San Luis, dort, wo die meisten der Insulaner wohnen und nur sehr wenig Touristen zu finden sind. Dabei sind Großmutter und Enkelin ums Leben gekommen. Tochter (und zugleich Mutter) lebt ein paar Straßen weiter. Sie hatten am Abend zuvor einen Streit. Ging um Geld. Ein Check, den die Tochter bei der Mutter gefunden hatte und einlösen wollte, was aber ohne Unterschrift der Mutter nicht ging. So munkeln die ersten bereits. Das Seltsame ist, dass Großmutter und Enkelin nicht aus dem Haus fliehen konnten, sodass ihre Leichen vom Feuer verstümmelt aufgefunden wurden. Anscheinend habe die noch nicht ganz so alte Dame, die sonst auch sehr fit war, an diesem Abend ein paar Schlaftabletten genommen wegen des Streits. Die Enkelin hatte dauerhaft bei der Großmutter gelebt, weil die Mutter wohl so unzuverlässig war (aufgrund von psychischen Problemen und Drogenabhängigkeit). Und noch seltsamer ist, dass Amalia eine Nacht vorher in ihrem Traum gesehen hat, wie beide verbrennen. Gruselig. Im Laufe der Woche tauchen weiterhin Gerüchte auf, andere Versionen und Visionen kommen ins Spiel, doch wirklich aufgeklärt wird der kleine Insel-Krimi nicht.



Nach der zweiten durchschwitzten Nacht, die Klima-Anlage rattert und rattert, der Ventilator hilft da schon einiges mehr, mache ich erstmal einen Morgenspaziergang zum Strand. Von dort aus wate ich zu einer klitzekleinen vorgelagerten Insel, Hayne Cay, dort ist vor Jahren ein Frachter gestrandet, der nun langsam aber sicher vor sich hinrostet. Direkt von einem Hotel aus werden Touristen zu diesem kleinen grünen Fleckchen im Meer der sieben Farben (wie es hier rund um San Andrés genannt wird, und das zu Recht, man erblickt die unterschiedlichsten Blau- und Türkistöne) geführt. Hüfttief ist das Wasser, aber da die alltägliche Kleidung hier so oder so nur der Bikini sein wird, vielleicht noch ein leichtes Sommerkleid auf dem sonnengeröteten Leib, macht das auch nichts aus. Wie überall auf der ganzen Insel, wollen sie Einheimischen auch hier Geld machen, sie „vermieten“ Tauchmasken, um sich ein wenig die bunte Unterwasserwelt anzusehen, ich lehne dankend ab, genieße ein wenig die schattigen Palmenblätter über meinen Kopf, Jorge will mir seine Tauchermaske leihen, aber ich habe eigentlich gerade eher den Drang in die Stadt zu kommen, um etwas zu essen. Also wate ich zurück durch das angenehme Wasser und laufe dann der Straße entlang in Richtung Zentrum. Die Sonne brennt auf mich nieder, ich flippe und floppe die nicht vorhandenen Gehwege entlang, komme an kokosnussschlachtenden Arbeitern vorbei, sehe einsame Schiffe langsam vor sich hinrosten und zerfallen, atme frische Meeresluft tief in meine Lungen ein, leider auch ein wenig Moped-Abgase, denn auf der Insel fahren hauptsächlich motorbetriebene Zweiräder durch die Gegend. Auch das ein oder andere Taxi ist zu erspähen, allerdings keine kleinen gelben Knutschkugeln, sondern jegliche Art von Autos, kleine niedliche Busse, in denen man immer einen Sitzplatz bekommt haben kleine Pappschilder im Fenster stehen mit dem Ziel der Fahrt, Unmengen an mit Touristen beladenen Golfkarts, ein paar monströse Automobile, bei denen man sich wundert wozu man solche Ausmaße auf so einer winzigen Insel benötigt.



Auf den gesamten 32 km gibt es genau drei Tankstellen. Was die Mopeds und Motorräder angeht, wenn jemand an einem hupend vorbei fährt, dann ist das das Zeichen dafür, dass es sich um ein „Mototaxi“ handelt, aufspringen und los geht die bunte Fahrt, natürlich ohne Helm, versteht sich von selbst, nicht wahr? Auf jeden Fall sind diese Mototaxis eigentlich illegal, aber auch nur eigentlich. Zwischen 8.30 morgens und 12.30 mittags darf niemand mitgenommen werden. Logik und Kolumbien…



Der Weg ist lang, auf der einen Seite befindet sich die Einfahrt zu einem Hotel, der Portier scheint Interesse an mir zu haben, herrlich, nicht, nun denn, er meint, ich solle den nächsten Bus nehmen, er empfiehlt mir sogar ein gutes Restaurant und lässt mich bis auf ein paar Bemerkungen zu der Schönheit meiner Hautfarbe in Frieden. Das erste vernünftige Essen in perfektem Ambiente. Direkt am Strand befindet sich „The Fisherman’s Place“, im Schatten sitze ich einsam und alleine an einem Tisch für vier, ordere caracol, Meeresschnecke, dazu gibt es fruta de pan (Brotfrucht), Kokosreis und einen kühlen Saft. Nebenan herrscht reges Treiben, die Fischer kommen hier an Land und wiegen ihre Beute, da sind ordentliche Brocken dabei, denen man lebendig nicht so gerne begegnet hätte wollen. Eine leichte Brise weht und ich lasse mir das Meeresgetier schmecken. Und dann einfach am Strand entlang schlendern, nichts weiter als den Touristen zusehen, den Sand unter den bloßen Füßen zu spüren, das sanfte Meeresgeräusch. Urlaub. Sich fallen lassen in den weißen Korallen-Sand. Und einfach nur in die Ferne starren. Seine Gedanken verlieren. Bis. Ja, bis einer der Strandverkäufer ankommt und mir einen cocoloco (eine „verrückte Kokosnuss“) oder doch lieber ein Bier andrehen will. Ich lehne dankend ab, in praller Sonne und alleine betrinken, ich kann mir besseres vorstellen. Aber es scheint durchaus gut angenommen zu werden, denn des Öfteren stolpert man über leere Bierdosen trotz der vielen Mülleimer, die es hier gibt. Auch schattengeschützte Liegestühle werden mir hergerichtet, ich sitze aber viel lieber im Sand unter einer Palme als irgendwelche Plastikstuhl-Abdrücke auf meinem Allerwertesten zu sammeln. Die Frauen, die mir trenzas („Strähnen“) flechten wollen, gucke ich auch nur ungläubig an, bei der Länge meiner Haare?! Und ich möchte auch keinen Schmuck, nein, einfach nur hier sitzen, meine Füße im Sand vergraben und ab und an mal ins (kühle) Nass eintauchen. Danke. Das funktioniert hier sogar. Man sagt nein und man wird in Ruhe gelassen. Irgendwann kommt dann Mango vorbei, ein Jamaikaner, der mir Muscheln schenken will für gerade mal 10,000 Pesos, er ist ganz nett und wir reden ein wenig, ein wenig Angst hab ich vor dem Baumstamm, den er schultert, ein Instrument wie sich herausstellt. Die Muscheln nehme ich nicht, aber die Einladung zum gemeinsamen Musikmachen verschiebe ich auf später. Gegen Abend kaufe ich noch ein wenig ein, dann versuche ich den Bus zu finden. Ranwinken, einsteigen, bezahlen, hinsetzen. Nur als ich aussteigen will, suche ich vergebens die Klingel, hier muss man rufen „parada“. Die Hitze macht einen schon recht schlapp.

Am nächsten Morgen fahre ich zusammen mit Guillermo, dem Schwager von Amalia und gleichzeitig Mitarbeiter im Tauchcenter von Werner, ins Zentrum. Angenehm, so morgens, wenn es noch keine 30 Grad im Schatten sind. Ein kleiner Stadtrundgang mit Werner. Es ist schon eine seltsame Stadt. Ihr Bild wird von riesigen Geschäften dominiert und deren Schaufenster wiederum von unglaublichen Angeboten. Vier Flaschen Whiskey für 50,000 Pesos oder doch lieber einen Wodka für 6,000 Pesos. Genauso die ganzen Parfums oder Elektrogeräte, die hier für nichts und wieder nichts rausgehauen werden. San Andrés ist steuerfrei. Deswegen kosten Luxusgüter hier in etwa die Hälfte. Nur die Alltagsgegenstände und Lebensmittel sind um einiges teurer (wenn es sich nicht um Kekse, Süßigkeiten oder Chips handelt, die sind ebenfalls spottbillig). Ein wenig Malle oder Ibiza für Reiche eben. Hotel an Hotel, obwohl auch die Probleme haben, denn die Insel ist nicht groß, nur an der Westseite gibt es Strand, der Rest besteht aus Korallenfelsen, spitzkantig und gefährlich. Grundstücke sind klein und man darf auch nicht höher als vier Stockwerke bauen. Die Strandpromenade ist gepflastert mit teuren Restaurants, es gibt sogar ein Café, in dem man guten saftigen Kuchen bekommt. Außer des Chaos, das hier herrscht, gibt es sonst kaum noch etwas zu erwähnen. Den Nachmittag verbringe ich am Strand, lerne eine Exil-Insulanerin und ihre Tochter kenne, wir unterhalten uns nett und essen zusammen empanadas gefüllt mit Krebsfleisch, den Abend auf der Terrasse, lese viel, höre Musik und ärgere mich, dass ich keinen Handy-Empfang habe. Ist zwar gut und schön von der Realität abgeschaltet zu sein, aber wenn man so allein ist, freut man sich schon mal über ein Gespräch. Am nächsten Morgen wartet Guillermo wieder auf mich, rauf aufs Motorrad, über die mit Schlaglöchern bedeckten Straßen. Ich lerne Peter, Amerikaner, und seine Frau Zuury, Kolumbianerin, kennen. Die beiden kommen schon seit Jahren zum Tauchen nach San Andrés und ja, heute ist es so weit. Mein erster Tauchgang nach (ich weiß nicht wie viel) Jahren, es ist schon Ewigkeiten her und so viel im Meer getaucht bin ich auch noch nicht. Da ist der Salzgittersee eher heimatliches Tauchgebiet. Mit der Natty geht es raus, raus aufs Meer, das heute sehr ruhig ist, fast spiegelglatt, ideal zum Einstieg. Das schlimmste am Tauchen habe ich schon hinter mir, sich in den Neopren-Anzug zwingen müssen. Das Meer ist nicht kalt, aber als Schutzschicht ist das schon nicht schlecht. Jacket um, der Bleigurt ist integriert, neu für mich, noch mal abklären; links, Tauchcomputer, Inflator, Messgeräte; rechts, Atemregler und Ersatz. Tauchermaske aufgesetzt, mit Hilfe von Edwin, unserem Kapitän, hinaufgehievt auf den Bootsrand, ich zittere, nicht vor Kälte, vor Aufregung.



Einfach fallen lassen, nach hinten, einfach fallen lassen, ganz einfach. Platsch. Orientierungsprobleme, Blau um mich herum, wo ist oben, wo unten, aber dann, treibe ich fröhlich an der Wasseroberfläche. Mit Werner an der Hand geht es langsam aber sicher in die Tiefe, Druckausgleich klappt perfekt und auch meine Atmung wird ruhiger. Wir kommen auf dem Korallen-Plateau an, Anemonen, Korallen, Schwämme in allen Formen und Farben. Da wir ohne Handschuhe unterwegs sind, kann man auch die unterschiedlichen Begebenheiten der Unterwasserwelt taktil wahrnehmen.



Riesige kraterförmige Korallen fühlen sich ganz weich an, andere kleinere, die mit den Meeresbewegungen wanken, sind hart und fast steinig, wieder andere Pflanzen ziehen ihre Blüten ein sobald man sie berührt. Und Fische, ganz viele bunte kleine Fische, auch größere ziehen an uns vorbei. Ein Hummer, noch einer und ein dritter strecken uns ihre Fühler entgegen. Es geht tiefer hinab ohne dass ich viel davon merke, ich genieße es einfach in meinem Element zu sein, noch ein wenig weiter hinab, durch einen kleinen Unterwasser-Canyon, ein bisschen unheimlich, aber der Tauchbär begleitet mich ja und in der 12-Liter-Flasche ist auch genug Luft. Nur vergeht die Zeit im tiefen Blau irgendwie viel schneller als an Land… Nach einem 48-minütigen Tauchgang und einer maximalen Tauchtiefe von 29,7 Metern, heißt es wieder ohne Automat Frischluft atmen.



Tauchklamotten ablegen, über die Leiter wieder hinein ins Boot und die Eindrücke sacken lassen. Nach einer kurzen Pause an Land wieder hinein, ein zweiter Tauchgang. Diesmal geht alles schon viel einfacher, schwups, hinein ins Wasser, abtauchen in die blau-bunte Unterwasserwelt. Es ist soviel spannender als an Land, die Formen sind so anders und alles ist ruhiger, ausgeglichener, eben noch nicht so sehr vom Menschen geprägt. Eine unerforschte Welt, spannender als das All, warum so weit weg von der Erde, wenn es doch auf dem Planeten selbst noch so viel unerforschtes Leben gibt. Und es stimmt mich traurig, wenn ich mir klar mache, dass der Mensch so viel von der natürlichen Schönheit zerstört, nur um seine ökonomischen Interessen zu wahren. Da kann ich nur fassungslos den Kopf schütteln, durch den Menschen herbei geführte Naturkatastrophen. Also genieße ich den Moment jetzt, genau diesen Augenblick und speichere ihn ab, in meinem Kopf und digital oder auch auf Papier.
Wie schön es auch ist mit dem Boot übers Meer zu schnellen, die frische Meeresluft mit dem Hauch von Salz und Fisch in der Luft einzuatmen und sich dem schier unendlichen Horizont hinzugeben. Das Boot knallt auf die Wellen, man hüpft unweigerlich mit auf und ab, unter dem Sonnendeck geschützt.

Auf der Suche nach einem kleinen Restaurant komme ich zwar an zweien vorbei, doch die bieten keinen Fisch an, da hält plötzlich Carlos neben mir, auf seinem Moped, fragt, wonach ich Ausschau halte, wir kommen ins Gespräch und als er hört, dass ich Werner kenne, soll ich einfach aufspringen und er fährt mich zu drei kleineren Restaurants, wovon mir dann auch eines zusagt. Mein Fahrer setzt sich auf eine Suppe zu mir und wir unterhalten uns ein wenig – immer wieder die gleichen Fragen, warum Kolumbien, wie lange ich hier bin, usw. Ich irre ein wenig durch die Straßen, so ganz habe ich das verworrene Straßensystem noch nicht begriffen, aber nach ein paar Mal im Kreis laufen, finde ich zurück zum Tauchcenter. Da steht auch schon der Tauchbär und wartet auf mich, wir machen eine kleine Inselrundfahrt, damit ich auch alle Touristenattraktionen der Insel mal zu Gesicht bekomme – es sind nicht unbedingt viele… Die Mittagshitze hat sich bereits gelegt und bei dem Fahrtwind ist es auch ganz angenehm, auf dem tiefroten Roller geht es einmal rund herum, 32 km ist die Straße lang. Drei Tankstellen, schön sind auch die Kilometerangaben, eines der Schilder besagt nämlich, dass sich die nächste Tankstelle in 30km befindet. Etwas befremdlich. Nun denn. Über die holprige Straße fahren wir immer schön direkt am Meer entlang, halten kurz am West View, trinken zusammen ein Bierchen (der einzige Tropfen Alkohol, den ich hier zu mir nehme), sehen den Touristen dabei zu, wie sie vom installierten Sprungbrett hinab springen oder auch mit Taucherhelmen auf den Grund tauchen. Hier gibt es schon keinen Sandstrand mehr, alles besteht aus spitzen, dunklen Korallenfelsen, nur wenige klettern hier herum. Wir fahren weiter und es ist immer dünner besiedelt, viele Häuser stehen leer, verfallen langsam, der hohe Salzgehalt in der Luft lässt das Metall erodieren, alles rostet langsam vor sich hin. Ab und an kommt einer der kleinen Busse vorbei mit einem kleinen Pappschild im Fenster, worauf entweder Cueva de Morgan oder Hoyo Soplador steht.



Ersteres ist eine angebliche Piratenhöhle des Captain Morgan, dessen Schatz noch immer im Verborgenen liegt, zweiteres stelle ich mir als Geysir vor, entpuppt sich aber als ein normales Loch im Korallenfelsen, aus dem das Meerwasser hochgeschossen kommt, wenn die Wellen gegen die Küste schlagen. Nichts Atemberaubendes. Wirklich nicht. Der Ausblick ist hier allerdings wunderschön, da wir uns auf der windgeschützten Seite befinden, ist das Meer spiegelglatt…

Weiter der Straße entlang, wir kommen an dem Gebäude vorbei, was einmal die erste Universität auf der Insel werden sollte, mittlerweile ist es gut bemoost. Es wird ein wenig urwaldiger, alles ergrünt. Wir biegen kurz ab, hinauf auf den höchsten Punkt – La Loma – von hier aus hat man einen netten Blick. Und dann der Magic Garden. Wer sich fragt, ob das ein besonderer botanischer Garten ist, in gewisser Weise vielleicht schon. Hier wachsen Müllberge in den Himmel, vor drei Jahren hat es wohl einmal hier gebrannt, da musste die Feuerwehr aus Bogotá kommen. Hinter dem magischen Garten liegt nur noch das gut belegte Gefängnis, vor allem wegen Drogen- oder Menschenschmuggel werden die meisten hier eingebuchtet. Zurück auf der Hauptstraße umrunden wir die Insel weiter. Die Straße bricht an vielen Stellen schon weg, da sie direkt am Meer konstruiert wurde. Das Örtchen San Luis beginnt, auch hier stehen einige Hotels, der schmale Strandstreifen ist von rotgebrannten Touristen überbevölkert. Wir biegen nochmals ab und ich sehe ein typisches Insulaner-Haus, mehrstöckig, bunt, Spitzdach, hölzern. Und auch die älteste Kirche der Karibik bekomme ich zu sehen.



Dann werde ich in meiner Unterkunft abgesetzt, unterhalte mich ein wenig mit Amalia, die mir zugleich unheimlich und doch sehr weise vorkommt. Mit all ihren Visionen und ihrem Wissen. Die nächsten Tage über fahre ich morgens mit raus aufs Meer, allerdings nur zum Schnorcheln. Viele bunte Fische, kleinere, größere, einzelne, in Schwärmen und auch einen Stachelrochen schwimmt an mir vorbei. Ich schnorchele an einer kleinen Insel entlang immer darauf bedacht nicht von Motorbooten oder Jetskis übergebrettert zu werden. Die zweite Station ist weiter draußen, außerhalb des Außenriffs, welches die Hälfte der Insel umrundet. Hier sind es vor allem die Formen der Korallen, die einen faszinieren, einige riesige pilzförmige Gebilde geben der Unterwasserwelt einen ganz besonderen Reiz, Elchkorallen sehen wirklich aus wie riesige Geweihe… Und die Wellen sind hier draußen ein wenig höher, ein schwappt direkt über mir zusammen, reißt mir beinahe die Maske hinfort, lässt mich verschlucken und plötzlich geht der Herzschlag schneller. Vielleicht sollte ich doch nicht so nah ans Riff, wo die Wellen zerschellen. Lieber wieder Richtung Boot.

Am Sonntagmorgen fahren wir raus zu Johnny Cay, eine weitere vorgelagerte Insel. Ich werde ausgesetzt, bewaffnet mit ABC-Ausrüstung und Kamera. Und das tolle ist, ich kann ein wenig Freitag spielen, denn ich bin ganz allein auf der Insel. Zu Fuß einmal rund herum. Ich finde meine Fußspuren wieder, der Wind weht durch die Palmenblätter, noch ist alles still. Niemand sonst hier, auch die ganzen Restaurants sind noch geschlossen, die Liegestühle einsam und verlassen.



Da erspähe ich am Horizont ein kleines Boot, die erste Ladung Angestellter kommt an, sieht mich etwas verwundert an, sagt aber nichts. Ich drehe weiter meine Runden, lass mich in den Sand fallen und genieße diesen Sonntagmorgen, noch immer in der Illusion mich alleine auf der Insel zu befinden. David, ein Insulaner, der hier arbeitet, joggt fleißig um das Inselchen bevor wir uns ein wenig unterhalten… Ein bisschen ins Wasser, dann treffe ich mich mit dem Tauchertrupp nach deren ersten Tauchgang und trinke einen alkoholfreien Kokos-Cocktail. Der Inhaber des kleinen Geschäfts ist ein eingesessener Insulaner, dunkelhäutig, Rastas, Zahnlücke, die bei seinem breiten Grinsen zum Vorschein kommt. Der Akzent ist auch nicht allzu leicht zu verstehen, aber das hat man mir eh schon vorhergesagt… Zum Abschied sagt er mir „Te quiero“ und schenkt mir eine Kokosnuss. Damit kann ich leben. Es sind bereits eine Menge Touristen angekommen, aber das stört mich kaum, ich begebe mich alleine ins Wasser und umrunde die Insel, Maske auf der Nase, Schnorchel im Mund und Flossen an den Füßen. Eine gute dreiviertel Stunde bin ich unterwegs, so klein ist es doch nicht und sehr vielfältig. An einigen stellen flach und felsig, an anderen lässt es sich den Ausblick auf den weißen Sand bis weit in die Ferne genießen. Es ist ein wenig wellig, so dass ich strampeln muss, um nicht ans Ufern geklatscht zu werden. Plötzlich taucht unter mir ein Stachelrochen auf, direkt unter mir, mein Schattenumriss ist so groß wie das Tier oder anders herum, da schwimmt mit einem Mal ein Stachelrochen meiner Größe unter mir, fast verschlucke ich mich. Ich beobachte ihn still, wie er sich immer wieder versucht mit seinen wellenartigen Bewegungen in den Sand zu vergraben. Ein schönes Schauspiel.

Auch am letzten Tag darf ich nochmals diesem Spektakel beiwohnen, allerdings eine kleinere Ausgabe und da ich so kurz vor dem Flug nicht mehr tauchen darf, verpasse ich die Delfine, die die anderen sehen. Man kann eben nicht alles haben. Als die Taucher zu zweiten Mal in die Tiefe verschwinden, bleibe ich im Boot bei Edwin, denn die Wellen werden immer höher, der Himmel zieht sich zu, das Inselende verschwindet in einem dichten Wolkengetümmel, es rauscht, der Regen prasselt hinab und hüllt die grüne Insel in einen grauen Schleier. Die Wellen sehen ganz seltsam aus, es spritzt und spritzt, auch das Boot füllt sich langsam, aber für den Fall der Fälle haben wir eine kleine Pumpe an Bord. Später erzählt mir Amalia, dass der Himmel geweint hat, das Begräbnis der beiden Toten des Brandes sind heute beerdigt worden. Irgendwie fasziniert es mich. Dieser Glaube, diese Visionen, dieses Anderssein. Man mag es kaum in Worte fassen. An diesem Abend erzählt sie mir, dass etwas mit der Insel passieren wird, dass sie bereits nicht mehr ist, was sie mal war und es wird noch viel, viel schlimmer kommen.
Am Montag gönne ich mir noch Krebs zum Mittagessen zwischen all den Fischern, ziehe nochmals durch die Straßen, sitze im Sand am Strand, schaue in die weite Ferne und lasse mich davontreiben. Mango taucht nochmals auf, mit mir macht er glücklicherweise keine Musik, aber ein paar andere Touristen überzeugt er mit ihm rumzuhampeln und ihm dafür danach dann ein wenig Geld zu geben. Nachdem er drei kleineren Gruppen seine improvisierten Musikinstrumente in die Hand gedrückt hat, kommt mir das Lied schon aus den Ohren. Eigentlich wollte ich nur glücklich unter meiner Palme verweilen und den letzten Nachmittag voll Sonne genießen bevor es wieder zurück ins graue Bogotá geht.
Sachen packen, Klimaanlage abstellen, Abschied von Amalia, auf zum Flughafen. Es ist etwa neun als ich ankomme, der Flug geht erst um Mitternacht. Ich treffe mich noch auf ein gemeinsames Abendessen mit Werner, ab auf den roten Flitzer. Bei Gesprächen über das Leben auf der Insel geht die Zeit vorüber. Zurück am Flughafen ist die Schlange zum Einchecken ewig lang. Zumindest unterhalte ich mich mit einem Pärchen, das vor mir in der Reihe steht. Noch sieht alles gut aus, der Flieger scheint pünktlich zu kommen, unglaublich, was die Kolumbianer alles mitschleppen, wie viel Gepäck aufgegeben wird. Im Wartesaal dann setze ich mich, höre Musik und hoffe auf mein Bett. Ein älterer Herr steuert auf mich zu, setzt sich neben mich, erzählt mir er habe mich bereits auf dem Hinflug gesehen, ich denke mir nichts weiter dabei, unterhalte mich ein wenig. Er ist Spanier mit einem kleinen Apartment am Strand, seit 15 Jahren geschieden, Sohn und Tochter von etwa 40 Jahren, er geht seit Jahren allein auf Reisen. Irgendwie nimmt das Gespräch eine seltsame Wendung und plötzlich lädt er mich zu sich nach Spanien ein und auch auf ein gemeinsames Mittagessen. Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber ich lehne dennoch ab und muss noch nichtmal vorgeben müde zu sein, denn die Augen fallen mir schon so zu. Es ist bereits Mitternacht, es kam noch keine Durchsage, normalerweise sollten wir schon in der Luft sein. Aber das wird noch dauern. Gegen eins kommt eine unverständliche Durchsage, der Flieger würde um 2.15 landen. Na großartig. Auch andere Flieger haben Verspätung, wohl weil es so stark in Bogotá geregnet hat, dass der Flughafen eine zeitlang gesperrt werden musste. Der Flug nach Pereira wird angekündigt, vom Wartesaal 1 geht es in den Wartesaal 4. Die Stimme die da plötzlich durch die Lautsprecher dröhnt, ist hoch und schrill als ob das Ziel sei alle ertauben zu lassen. Und immer wieder, in Sekundenabständen kreischt es in unsere Köpfe. Die ersten Buh-Rufe werden laut. Doch nein, kein Erbarmen. Menschen beginnen zu laufen. Einer, und noch einer, und noch einer. Und dann wieder einer. Die Wartenden beginnen zu rufen, zu grölen, als ob wir schon bei der Fußballweltmeisterschaft angekommen wären. Es ist zu lustig. Und wieder einer, Anfeuerungsrufe. Und noch einer. Grölerei. Irgendwann kehrt wieder Ruhe ein. Letztendlich starten wir morgens um halb vier, kommen um halb sechs in Bogotá an, ich könnte nen Bus nehmen, aber ich bin viel zu müde, nehme mir ein Taxi, wir rauschen wortwörtlich durch die tiefen Pfützen, der erste morgendliche Stau hat sich bereits gebildet. Um halb sieben falle ich in mein Bett. Gute Nacht.