Das Leben als Journalistin ist schon schrecklich
Ein kleiner Einblick in mein momentanes Leben. Irgendwie ist es ein wenig von heute auf morgen, von Tag zu Tag. Chaotisch, spontan. Sowohl Einladungen als auch Absagen. Man weiß nie genau, was im nächsten Moment passiert, was der nächste Anruf oder das nächste Treffen so bringt. Mein Kalender ist ein einziges Bleistift-Kugelschreiber-Massaker. Aber das ist gut so. Ein Job in einem Büro, morgens um sieben beginnen, damit man um vier Uhr nachtmittags schön nach Hause gehen kann und keinen Gedanken mehr an seine Arbeit zu verschwenden müssen. Das ist wohl nichts für mich.
Es kann zwar auch anstrengend sein, wenn man sich gerade für ein großes Mode-Event im Marriott Hotel schick macht und dann doch noch einen Anruf bekommt, dass das ganze geplatzt ist. Dafür wird man morgens zu kurzfristig zu einer Foto-Ausstellung von einer der bedeutendsten indischen Fotografinnen geschickt. Dayanita Singhs Arbeiten werden momentan im Museo de Arte del Banco de la República ausgestellt. Ein ganz anderer Blick auf Indien. Schwarz-Weiß-Fotografien größtenteils. Sie zeigen nicht dieses sonst so bunte und chaotische Leben, keine Kühe auf den Straßen, keine Märkte mit Bergen von Stoffballen oder Säcken voll von Gewürzen. Nichts dergleichen. Vielmehr ein sehr intimes Bild, das das von diesem überbevölkerten Land gemalt wird. Personen zwischen westlicher Moderne und indischer Tradition. Das Porträt eines Außenseiters unter Außenseiter – ein verstoßener Eunuch, Mona Ahmed. Oder die Ladies of Calcutta, Fotografien von Menschen, wie sie gesehen werden wollen. Erst in den neueren Arbeiten Blue Book oder Dream Villa wird Farbe eingesetzt. Und dennoch sind es fast noch immer Schwarz-Weiß-Fotografien, denn die bläulichen Farben scheinen zu verschwinden. Das künstliche Licht, das unser selbst kreiertes Nachtleben in Szene setzt. Eine Rezension über diese Ausstellung. Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir auch gleich eine weitere Foto-Ausstellung ansehen. Kolumbiens Geschichte durch Fotografien. Von Bürgerkriegen bis zur Ermordung Gaitans oder dem Gewinner der Vuelta a España 1987: Luis Herrera. Ein komplexes Gesamtbild eines sehr aufregenden Landes. Jeden Tag will ich mehr hierbleiben. Aber noch immer zieht mich vieles wieder weg hier. Unentschlossenheit.
Als Entschädigung für ein geplatztes Mittagessen wird man dann mit einer Eintrittskarte fürs Theater überrascht, in einem Moment, in dem man sich schon mit seiner Einsamkeit und einem Film abgefunden hat. Jeder Tag bringt immer etwas Neues mit sich – sei es im positiven oder negativen Sinne. Ein kurzer Anruf und schon bin ich auf dem Weg zum Casa del Teatro Nacional: Pintura Performance. Aktionskunst. Eine Art Theater, die man hier in Kolumbien nur sehr selten zu sehen bekommt. Rosario Jaramillo, eine der wichtigsten Schauspielerinnen inszeniert sich selbst und ihren nackten Körper in Entre nosotros La Folie als Homenage an ihren verstorbenen Bruder Lorenzo. Eine spannende Auseinandersetzung mit Homosexualität, Körper und Tod. Auch ist es seltsam mit einem aguardiente begrüßt zu werden. Nach einer kurzen Pause lässt Juan Aldana in seinem Werk No es lo mismo Dinamarca que Cundinamarca (Cundinamarca ist nicht da gleiche wie Dänemark) Worte auf der Mauer wachsen, die zwischen uns wächst. Eine zeitgenössische Interpretation des Hamlets. Beides sind atemberaubende Arbeiten, aber auch schwierig, erdrückend. Im Anschluss gibt es ein Glas Wein frei aufs Haus. Das ist das gute am Journalistendasein, man muss weder für die Eintrittskarte, noch für die Getränke zahlen (und Wein hier ist leider purer Luxus). Aber man hat ja auch eine Aufgabe, es geht nicht nur ums Genießen, sondern auch um Kritik. Mit jeder Ausstellung, jedem Theaterstück ergibt sich auch ein weiteres Stück Arbeit.
Nächste Woche ist es dann endlich soweit: Die nächste Ausgabe der monatlich erscheinenden Zeitung The City Paper wird gedruckt. 24 Seiten und drei davon sind von mir ausgefüllt. Ein großer Artikel und zwei Rezensionen. So langsam steigt die Nervosität an. Eine erste wirkliche Veröffentlichung meines Schreibens in einem Print-Medium. (Wenn man mal Berichte in der Vereinszeitung außer Acht lässt.) Wer weiß wie viele Augenpaare meinen Artikel lesen werden. Mittlerweile haben wir eine Auflage von 11.000 Zeitungen. Vor allem Ausländer hier in Bogotá werden mein Geschreibsel lesen. Spannung pur.
Was in Kolumbien begonnen hat, führt mich weiter. Das Schreiben über Reisen. Santiago de Compostela habe ich zu Fuß erreicht. Nach Santiago de Chile muss ich wohl per Flieger. Und dann weiter in den Süden: Concepción.
Donnerstag, 31. März 2011
Freitag, 25. März 2011
Hechar un vistazo desde la hamaca
All die Dinge, die ich vermisst habe
Ein x-beliebiger Morgen in der kolumbianischen Hauptstadt. Die Sonne strahlt trotz der ersten sich ankündigenden Wolken. Sie brennt sich in mein Fleisch. Diese kolumbianische Sonne, sie muss eine andere sein, so wie es die Wolken sind, die Baumwipfel, die Berggipfel. Der Kaffee köchelt vor sich hin in der kleinen italienischen Espresso-Kanne auf dem Gasherd. Ein Gasherd, wie wunderbar. Frisch gepresster Orangensaft, Rührei mit Zwiebeln und Tomaten, dazu arepa und nicht zu vergessen die Hängematte. Der riesige Wohnraum. Alles in wohliges Tageslicht getaucht. Morgens ist es einfach herrlich. Da steht man gerne auf. Anfangs hatte sich zwar die Dusche gegen mich verschworen, aber auch sie wird mittlerweile heiß. Meistens kann ich mir die Zeit nehmen aufzuwachen, der Traumwelt zu entfliehen. Da klingelt der Wecker schon zwei- , dreimal. Aber was soll’s, dann geht es eben ein wenig später ins Bettchen. Das ist ja das Gute am Journalistendasein, man kann sich seinen Tag mehr oder weniger selbst einteilen, Spontanität muss an den Tag gelegt werden. Auf die winzigen Details muss man besonders Acht geben, da verstecken sich die besten Geschichten. Vielleicht erzählt mir die kleine Plastikkuh unterm Mandarinenbäumchen mal was Neues. Und frühes Aufstehen funktioniert auch. Wenn es sein muss, außerdem funktioniert mein sprechender Wecker auch weiterhin einwandfrei.
Und noch immer habe ich nicht alle Menschen wiedergesehen. Seit langem steht eine Einladung zum Essen aus. Juan Diego lud mich in die falsche Tür ein. „La puerta falsa“ ist die älteste Gaststätte, die noch immer intakt ist und zu einem der hundert Orte gehört, die man in Südamerika besucht haben muss, sonst war man nicht wirklich hier;) Die Spezialität des Hauses: Tamales. Eine kurze Wiederholung der kolumbianischen Köstlichkeiten. Auch wenn die Cuisine nicht immer die beste ist, nach einigem leckt man sich doch die Finger. Tamales: Eine Maismehlmasse inklusive Hühnchen (das ich weglasse), gegart im Bananenblatt. Dazu gibt es heiße Schokolade, in die man je nach Geschmack Käse brockt und almojábana, kleine Maiskrapfen mit salzigem Frischkäse gebacken. Wie schon erwähnt, die falsche Tür ist DER Anlaufpunkt in dem noch sehr ursprünglichen kolonialem Viertel La Candelaria. Und so stürmen plötzlich große blonde Personen die kleine Empore, auf der normalerweise die Einheimischen ihre „Onces“ genießen. Once bedeutet elf und ist mehr oder das, was bei uns Kaffee und Kuchen oder bei den Briten Teatime ist. Die Horde Ausländer versucht sich ebenfalls an der verpackten Maismasse und es scheint zu munden. Kein Wunder, irgendwie muss ich noch jemanden finden, der mir beibringt, wie man diese Leckerei herstellt, nur die Möhrenscheibe darf man nicht mitessen, da sammeln sich sämtliche Schadstoffe drin. Eine weitere wunderbare Erfindung sind arepas con huevos. Maisfladen, in denen sich ein Ei befindet, diese kleinen goldgelben Dinger triefen nur so vor Fett, denn wie fast alles, werden sie gut ausgebacken. Dazu ají, eine scharfe Soße, oder guacamole, Avocado-Creme. Ein typisches Essen auf der Straße, dabei lernt man auch immer mal wieder ein neues kolumbianisches Gesicht kennen. Aber es gibt auch gesunde Sachen: die Obst-Verkäufer. Für etwa 35 Cent erhält man frisch aufgeschnittene Mango, Papaya und Ananas. Kleinigkeiten, die den Tag schöner machen.
Um über tiefgreifende Dinge zu schreiben: Das Wetter bessert sich. Der erste Sonnenbrand ist da. Die Nasenspitze und der Nacken sind krebsrot. Aber was soll’s, gegen Sonne habe ich definitiv nichts, dieses Gestirn hebt die Laune. Ein Lächeln wird zum Lachen bevor sich wieder die nächste große graue Wolke auftut.
Ein x-beliebiger Morgen in der kolumbianischen Hauptstadt. Die Sonne strahlt trotz der ersten sich ankündigenden Wolken. Sie brennt sich in mein Fleisch. Diese kolumbianische Sonne, sie muss eine andere sein, so wie es die Wolken sind, die Baumwipfel, die Berggipfel. Der Kaffee köchelt vor sich hin in der kleinen italienischen Espresso-Kanne auf dem Gasherd. Ein Gasherd, wie wunderbar. Frisch gepresster Orangensaft, Rührei mit Zwiebeln und Tomaten, dazu arepa und nicht zu vergessen die Hängematte. Der riesige Wohnraum. Alles in wohliges Tageslicht getaucht. Morgens ist es einfach herrlich. Da steht man gerne auf. Anfangs hatte sich zwar die Dusche gegen mich verschworen, aber auch sie wird mittlerweile heiß. Meistens kann ich mir die Zeit nehmen aufzuwachen, der Traumwelt zu entfliehen. Da klingelt der Wecker schon zwei- , dreimal. Aber was soll’s, dann geht es eben ein wenig später ins Bettchen. Das ist ja das Gute am Journalistendasein, man kann sich seinen Tag mehr oder weniger selbst einteilen, Spontanität muss an den Tag gelegt werden. Auf die winzigen Details muss man besonders Acht geben, da verstecken sich die besten Geschichten. Vielleicht erzählt mir die kleine Plastikkuh unterm Mandarinenbäumchen mal was Neues. Und frühes Aufstehen funktioniert auch. Wenn es sein muss, außerdem funktioniert mein sprechender Wecker auch weiterhin einwandfrei.
Und noch immer habe ich nicht alle Menschen wiedergesehen. Seit langem steht eine Einladung zum Essen aus. Juan Diego lud mich in die falsche Tür ein. „La puerta falsa“ ist die älteste Gaststätte, die noch immer intakt ist und zu einem der hundert Orte gehört, die man in Südamerika besucht haben muss, sonst war man nicht wirklich hier;) Die Spezialität des Hauses: Tamales. Eine kurze Wiederholung der kolumbianischen Köstlichkeiten. Auch wenn die Cuisine nicht immer die beste ist, nach einigem leckt man sich doch die Finger. Tamales: Eine Maismehlmasse inklusive Hühnchen (das ich weglasse), gegart im Bananenblatt. Dazu gibt es heiße Schokolade, in die man je nach Geschmack Käse brockt und almojábana, kleine Maiskrapfen mit salzigem Frischkäse gebacken. Wie schon erwähnt, die falsche Tür ist DER Anlaufpunkt in dem noch sehr ursprünglichen kolonialem Viertel La Candelaria. Und so stürmen plötzlich große blonde Personen die kleine Empore, auf der normalerweise die Einheimischen ihre „Onces“ genießen. Once bedeutet elf und ist mehr oder das, was bei uns Kaffee und Kuchen oder bei den Briten Teatime ist. Die Horde Ausländer versucht sich ebenfalls an der verpackten Maismasse und es scheint zu munden. Kein Wunder, irgendwie muss ich noch jemanden finden, der mir beibringt, wie man diese Leckerei herstellt, nur die Möhrenscheibe darf man nicht mitessen, da sammeln sich sämtliche Schadstoffe drin. Eine weitere wunderbare Erfindung sind arepas con huevos. Maisfladen, in denen sich ein Ei befindet, diese kleinen goldgelben Dinger triefen nur so vor Fett, denn wie fast alles, werden sie gut ausgebacken. Dazu ají, eine scharfe Soße, oder guacamole, Avocado-Creme. Ein typisches Essen auf der Straße, dabei lernt man auch immer mal wieder ein neues kolumbianisches Gesicht kennen. Aber es gibt auch gesunde Sachen: die Obst-Verkäufer. Für etwa 35 Cent erhält man frisch aufgeschnittene Mango, Papaya und Ananas. Kleinigkeiten, die den Tag schöner machen.
Um über tiefgreifende Dinge zu schreiben: Das Wetter bessert sich. Der erste Sonnenbrand ist da. Die Nasenspitze und der Nacken sind krebsrot. Aber was soll’s, gegen Sonne habe ich definitiv nichts, dieses Gestirn hebt die Laune. Ein Lächeln wird zum Lachen bevor sich wieder die nächste große graue Wolke auftut.
Mittwoch, 16. März 2011
Papapapapapapa locococolocococo…
Ein sprechender Wecker
„El niño quiere naranjitas“ „Coco loco loco coco“ „Jorgiiiiiiito, comer aveeeena“ „Hola, hola, hola“ Gruuaaarrrr, grrrrruuuarrrr…
Eigentlich liegt mein Zimmer wunderbar ruhig, viel ruhiger als in Köln oder an sonst irgendeinem Ort, an dem ich bis jetzt gelebt habe (bis auf vielleicht Elliehausen, aber selbst da wird man morgens vom Hochdruckreiniger der Nachbarn geweckt). Also, eigentlich. Ruhe und Entspanntheit. Wenn, ja wenn da nicht der Papagei unserer Nachbarn wäre. Da ich liebend gerne bei geöffnetem Fenster schlafe, brauche ich mir keinen Wecker zu stellen. Pünktlich zum Sonnenaufgang beginnt mein Tag mit einer markerschütternden Stimme. Eben der eines Papageis. Anfangs dachte ich es seien mehrere, aber nein, dieser sprachtalentierte Vogel scheint auch mehrere Stimmlagen zu beherrschen. Herrlich. Jeden Tag verstehe ich mehr, von dem, was er so vor sich herbrabbelt. Verrückte Kokosnüsse, aber genauso gut will das Jungchen Orangen…
Vielleicht habe ich mich zu sehr angestrengt, um das zu verstehen, was dieses Federvieh so von sich gibt. Darüber scheine ich ein wenig in Bedrängnis zu kommen. Vier erste Tage habe ich beschrieben und nun bin ich schon drei Wochen hier ohne viel von mir zu geben. Wie gesagt, der Papagei unterhält mich, nur, wen unterhalte ich…
Mittlerweile bin ich angekommen. Ich habe mich an die Höhe gewöhnt, an den Smog, an das Chaos (das sich exponentiell ausgebreitet zu haben scheint während meiner achtmonatigen Abwesenheit), an das Zuspätkommen, an die Fülle von Menschen. Die ersten beiden Wochen waren zugegebenermaßen anstrengender als zunächst gedacht. Zwar hatte ich nicht viel zu tun, aber wahrscheinlich lag genau da das Problem. Nichtstun oder scheinbares Nichtstun, eigentliches Warten. Jedoch konnte ich das wechselhafte Wetter in vollen Zügen genießen. Morgens Sonne, sodass man zu Fuß durch die Straßen spazieren kann und somit auch kein Geld für den Bus oder Transmilenio ausgibt. Sich mit unterschiedlichen Menschen treffen, die sich alle freuen mich wieder in der Stadt zu wissen. Ein Kaffee hier, ein Mittagessen dort. Es ist nett und das nicht im Sinne des kleinen Bruder dieses Wortes. Angenehm. Bis dann gegen Nachmittag sich der Himmel schlagartig verdunkelt und innerhalb von Minuten ein Wasserfall sondergleichen vom Himmel stürzt. Oft gibt es noch Blitz und Donner gratis dazu. Auch das Wetter ist chaotischer geworden, vielleicht ist nicht nur der Bürgermeister der Hauptstadt an Korruption erkrankt, sondern ebenso der Herr dort oben in den Bergen.
A propos Krankheit, in der zweiten Woche war so ungefähr jeder Mensch erkältet, man munkelte bereits von Schweinegrippe, aber daran stirbt man ja glücklicherweise nur in Göttingen. Nun denn, ich bin glimpflich mit einem Tag Fieber davon gekommen, ein wenig Schnupfen, der aber auch vom übermäßigen Smog herrühren könnte. Wie bereits erwähnt, es ist chaotisch. Sehr. Und gefährlicher wohl auch. Ich habe bereits mindestens fünf verschiedene Menschen gehört, die in den kleinen busetas überfallen worden sind, sei es mit Messern oder dann doch schonmal mit Schusswaffen. Bis jetzt ist mir das erspart geblieben, aber die Kleinkriminalität steigt. Auch die Bereitschaft zur Demonstration. Sonst sind die Kolumbianer ein ruhiges Völkchen, wohlgesonnen, vor allem Ausländern gegenüber immer freundlich. Doch wenn es zum Beispiel um Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union geht, sehen viele Bauern hier schwarz. Oder eher weiß. Der Konkurrenzkampf würde vor allem die Milchbauern hier erdrücken. Also geht man auf die Straße, wenn die Demokratie schon nicht vernünftig funktioniert, dann muss man zumindest seine Meinung kundgeben. Auch an den öffentlichen Universitäten wird ordentlich gegen die Privatisierung protestiert, weswegen auch des Öfteren diese für mehrere Tage geschlossen werden, damit den Studenten der Raum zur Kundgebung genommen wird. Klappe zu, Affe tot. Das mag alles sehr beunruhigend klingen, ist es vielleicht auch, aber im Grunde notwendig. Die Welt ist im Umschwung, an so vielen Ecken und Enden wird nach Veränderung geschrien. Gekämpft. Die Frage ist, wer schließt sich wem an und wohin führt uns das alles.
Zurück zu meiner winzigen Wenigkeit, vor einem halben Jahr noch an einem Ort, von dem momentan alle Ausländer aus Angst flüchten, sodass nur eine riesige Menge nicht zu evakuierender Menschen zurückbleibt, eben jene, die in der größten Stadt der Welt versuchen das Leben dort zu meistern. Schon bin ich wieder auf einem anderen Kontinent. Und was mache ich hier. Zunächst schien es so, als hätte mich die Zeitung, bei der ich mittlerweile angefangen habe, vergessen. Immer wieder wurde mein Einstiegstermin verschoben. Und nochmal verschoben. Aber dann. An einem Donnerstagmorgen, dem letzten, ging es endlich los. In einer hübschen Wohnung in einem der teuersten Viertel der Stadt lernte ich schlussendlich dann doch meine neuen Vorgesetzten kennen. Richard und María Claudia. Wunderbare Menschen. Richard ist in Venezuela geboren, teils in Deutschland aufgewachsen, und hat den Großteil seiner Studienzeit in Kanada verbracht. Er hat vorwiegend als Kriegsfotograf in Ländern wie Angola gearbeitet, ist dann in den neunziger Jahren nach Kolumbien gesandt worden, um über den blutigen Wahlkampf zu berichten für viele internationale Medien, insbesondere britische. Dort lernte er dann María Claudia kennen, seine jetzige Frau und Geschäftspartnerin, Kolumbianerin, Journalistin und eine Seele von Mensch. Richard ließ sich hier nieder, kennt das Land wie seine Westentasche, steht allem sehr kritisch gegenüber, weiß, dass er vor allem für die Elite des Landes schreibt und doch, er bleibt objektiv, begibt sich in unbekanntes Terrain. In der Zeitung arbeiten wir mit Journalisten aus dem englischsprachigen Raum, Briten, Kanadier, Australier, US-Amerikaner, alle tätig für internationale Medien wie The New York Times oder den US-amerikanischen Fernsehsender Fox. Kurzum, es ist großartig, alle arbeiten für die einzige englischsprachige Zeitung Kolumbiens und das auf freiwilliger Basis. Ein guter Grundstein, meiner Meinung nach, die Artikel werden geschrieben, weil sie geschrieben werden wollen. Und auch ich muss keinen Kaffee kochen, der wird mir von meinem Chef gekocht. Nein, ganz im Gegenteil, ich als unbeschriebenes Journalistenblatt darf Zeitungsseiten beschreiben. In jeder der monatlichen Ausgaben wird mindestens ein Artikel von mir erscheinen. Die Themen sind so gut wir frei, nur das erste, noch streng geheim, wurde mir vorgegeben, da ja bald Ostern ist. Der Rest wächst frei nach meiner Schnauze. Es ist schon ein gutes Gefühl ernst genommen zu werden. Am Telefon stellt man sich als Journalistin vor und schon hat man Kontakt zu den wichtigsten Personen. Aber man verbringt auch ganze Nachmittag mit Recherchearbeiten in der größten Bibliothek Lateinamerikas während nach langen unbeständigen klimatischen Bedingungen endlich mal die Sonne scheint. Das nimmt man jedoch gerne in Kauf. Auf, auf, die Suche nach guten Geschichten hat begonnen, kein heiliger Gral, viel lieber sind mir interessante Gesichter, spannende Geschichten, Orte, Gegenstände.
Auch vom kulturellen Leben bekomme ich viel mehr mit als zuvor. Vielleicht kann ich sogar demnächst einem Telefoninterview mit Botero lauschen, auch dem wichtigsten Kurator Kolumbiens konnte ich bereits ein Küsschen auf die Wange drücken, oder eben auch einem der bekanntesten Künstler Jim Amaral. Morgen geht es ganz alleine auf die Eröffnung einer Ausstellung, Bicentenario Pop, Freiheitskämpfer Lateinamerikas mal anders, poppig eben. Arbeitstechnisch ist also alles im Lot, endlich. Das Visum macht noch ein wenig zu schaffen, aber auch das wird noch.
Zum Leben. Langsam taste ich mich wieder heran an die kolumbianische Lebensart. Ich musste mich leider von einem sehr guten Freund verabschieden, Nelson, von nun an werde ich niemanden mehr zum Frühstücken haben, aber immerhin konnte ich anderthalb Wochen mit ihm teilen. Durch die Straßen ziehen, schlechten Witzen lauschen, viel passiv rauchen, aber vor allem leben, reden, philosophieren. Nun sitzt er in Buenos Aires in seinem Büro und entwirft fleißig neue Dinge. Vielleicht ein nächstes Ziel, wer weiß. Aber der Abschied war großartig, so muss es sein. Kolumbianisch. Viel Musik, laute Musik, die zum Tanzen animiert. Salsa, Merengue, Samba, alles, was das Herz oder vielmehr die Füße begehren. Die Hüfte schwingt im Takt (auch ich komme langsam wieder dorthin mich einfach mitreißen zu lassen). Es wird gefeiert. Keine Sorge, ich werde hauptsächlich arbeiten. Und das stelle ich auch direkt am nächsten Tag unter Beweis. Denn nachdem die Polizei bereits drei Mal an der Tür stand, gehen die letzten Gäste gegen fünf. Ich stehe eine halbe Stunde später wieder auf, noch leicht verdünntes Blut in den Adern, um mich in den Süden der Stadt zu begeben. Diesmal sind mehr Kinder erpicht darauf Englisch zu lernen. Und so vergeht ein Vormittag ganz ohne Kater, verantwortungsbewusst bevor ich abends um acht todmüde ins Bett falle.
Ein anderer Tag, ein anderes Wochenende, das Szenario verhält sich ähnlich, doch diesmal befinden wir uns an einem seltsamen Ort, Café Terra. Eine Bar, Kneipe mit allerlei Raritäten, alte Radios genauso wie Rollschuhe hängen von der Decke. Neben Marilyn Monroe räkelt sich Shakira und John F.Kennedy an der Wand, in den Fernsehern an den Pfeilern läuft nur Schneegestöber, jeder Stuhl ein Unikat, alte Nähtische dienen als Bierunterlage. Und es gibt ein widerwärtiges Getränk, das nur gemischt wurde, um sich geschwind in einem angeheiterten Zustand zu befinden. Wir sind hier, weil wir eine Band sehen wollen: Coretta Molly, ein guter Freund von mir spielt Schlagzeug. Und die Schlagzeuger sind wie man weiß, die besten. Wir lauschen dem wohligen Rock, Hardrock und wohlig ist es auch nicht, laut, aber gut, wir mögen Musik eben nur, wenn sie laut ist. Glücklicherweise bin ich beim Blick auf die Uhr wieder stocknüchtern und mache mich schleunigst auf den Weg nach Hause, nicht, dass gleich mein Papagei wieder mit einstimmt ins Lallen.
Vielleicht wird der Eindruck vermittelt, ich feiere zu viel, trinke zu viel, denke zu wenig nach, lasse es mir zu gut gehen. Vielleicht. Aber im Grunde arbeite ich hart. Ernsthaft. Es gibt noch viele Hürden zu überwinden. Vieles klingt einfacher als man denkt. Und doch. Es war die richtige Entscheidung wieder zurückzukehren. In diese zweite Heimat. Da bin ich wieder. Hin- und hergerissen. Wir werden sehen, welcher Teil von mir, wo landet. Das innere Tauziehen.
„El niño quiere naranjitas“ „Coco loco loco coco“ „Jorgiiiiiiito, comer aveeeena“ „Hola, hola, hola“ Gruuaaarrrr, grrrrruuuarrrr…
Eigentlich liegt mein Zimmer wunderbar ruhig, viel ruhiger als in Köln oder an sonst irgendeinem Ort, an dem ich bis jetzt gelebt habe (bis auf vielleicht Elliehausen, aber selbst da wird man morgens vom Hochdruckreiniger der Nachbarn geweckt). Also, eigentlich. Ruhe und Entspanntheit. Wenn, ja wenn da nicht der Papagei unserer Nachbarn wäre. Da ich liebend gerne bei geöffnetem Fenster schlafe, brauche ich mir keinen Wecker zu stellen. Pünktlich zum Sonnenaufgang beginnt mein Tag mit einer markerschütternden Stimme. Eben der eines Papageis. Anfangs dachte ich es seien mehrere, aber nein, dieser sprachtalentierte Vogel scheint auch mehrere Stimmlagen zu beherrschen. Herrlich. Jeden Tag verstehe ich mehr, von dem, was er so vor sich herbrabbelt. Verrückte Kokosnüsse, aber genauso gut will das Jungchen Orangen…
Vielleicht habe ich mich zu sehr angestrengt, um das zu verstehen, was dieses Federvieh so von sich gibt. Darüber scheine ich ein wenig in Bedrängnis zu kommen. Vier erste Tage habe ich beschrieben und nun bin ich schon drei Wochen hier ohne viel von mir zu geben. Wie gesagt, der Papagei unterhält mich, nur, wen unterhalte ich…
Mittlerweile bin ich angekommen. Ich habe mich an die Höhe gewöhnt, an den Smog, an das Chaos (das sich exponentiell ausgebreitet zu haben scheint während meiner achtmonatigen Abwesenheit), an das Zuspätkommen, an die Fülle von Menschen. Die ersten beiden Wochen waren zugegebenermaßen anstrengender als zunächst gedacht. Zwar hatte ich nicht viel zu tun, aber wahrscheinlich lag genau da das Problem. Nichtstun oder scheinbares Nichtstun, eigentliches Warten. Jedoch konnte ich das wechselhafte Wetter in vollen Zügen genießen. Morgens Sonne, sodass man zu Fuß durch die Straßen spazieren kann und somit auch kein Geld für den Bus oder Transmilenio ausgibt. Sich mit unterschiedlichen Menschen treffen, die sich alle freuen mich wieder in der Stadt zu wissen. Ein Kaffee hier, ein Mittagessen dort. Es ist nett und das nicht im Sinne des kleinen Bruder dieses Wortes. Angenehm. Bis dann gegen Nachmittag sich der Himmel schlagartig verdunkelt und innerhalb von Minuten ein Wasserfall sondergleichen vom Himmel stürzt. Oft gibt es noch Blitz und Donner gratis dazu. Auch das Wetter ist chaotischer geworden, vielleicht ist nicht nur der Bürgermeister der Hauptstadt an Korruption erkrankt, sondern ebenso der Herr dort oben in den Bergen.
A propos Krankheit, in der zweiten Woche war so ungefähr jeder Mensch erkältet, man munkelte bereits von Schweinegrippe, aber daran stirbt man ja glücklicherweise nur in Göttingen. Nun denn, ich bin glimpflich mit einem Tag Fieber davon gekommen, ein wenig Schnupfen, der aber auch vom übermäßigen Smog herrühren könnte. Wie bereits erwähnt, es ist chaotisch. Sehr. Und gefährlicher wohl auch. Ich habe bereits mindestens fünf verschiedene Menschen gehört, die in den kleinen busetas überfallen worden sind, sei es mit Messern oder dann doch schonmal mit Schusswaffen. Bis jetzt ist mir das erspart geblieben, aber die Kleinkriminalität steigt. Auch die Bereitschaft zur Demonstration. Sonst sind die Kolumbianer ein ruhiges Völkchen, wohlgesonnen, vor allem Ausländern gegenüber immer freundlich. Doch wenn es zum Beispiel um Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union geht, sehen viele Bauern hier schwarz. Oder eher weiß. Der Konkurrenzkampf würde vor allem die Milchbauern hier erdrücken. Also geht man auf die Straße, wenn die Demokratie schon nicht vernünftig funktioniert, dann muss man zumindest seine Meinung kundgeben. Auch an den öffentlichen Universitäten wird ordentlich gegen die Privatisierung protestiert, weswegen auch des Öfteren diese für mehrere Tage geschlossen werden, damit den Studenten der Raum zur Kundgebung genommen wird. Klappe zu, Affe tot. Das mag alles sehr beunruhigend klingen, ist es vielleicht auch, aber im Grunde notwendig. Die Welt ist im Umschwung, an so vielen Ecken und Enden wird nach Veränderung geschrien. Gekämpft. Die Frage ist, wer schließt sich wem an und wohin führt uns das alles.
Zurück zu meiner winzigen Wenigkeit, vor einem halben Jahr noch an einem Ort, von dem momentan alle Ausländer aus Angst flüchten, sodass nur eine riesige Menge nicht zu evakuierender Menschen zurückbleibt, eben jene, die in der größten Stadt der Welt versuchen das Leben dort zu meistern. Schon bin ich wieder auf einem anderen Kontinent. Und was mache ich hier. Zunächst schien es so, als hätte mich die Zeitung, bei der ich mittlerweile angefangen habe, vergessen. Immer wieder wurde mein Einstiegstermin verschoben. Und nochmal verschoben. Aber dann. An einem Donnerstagmorgen, dem letzten, ging es endlich los. In einer hübschen Wohnung in einem der teuersten Viertel der Stadt lernte ich schlussendlich dann doch meine neuen Vorgesetzten kennen. Richard und María Claudia. Wunderbare Menschen. Richard ist in Venezuela geboren, teils in Deutschland aufgewachsen, und hat den Großteil seiner Studienzeit in Kanada verbracht. Er hat vorwiegend als Kriegsfotograf in Ländern wie Angola gearbeitet, ist dann in den neunziger Jahren nach Kolumbien gesandt worden, um über den blutigen Wahlkampf zu berichten für viele internationale Medien, insbesondere britische. Dort lernte er dann María Claudia kennen, seine jetzige Frau und Geschäftspartnerin, Kolumbianerin, Journalistin und eine Seele von Mensch. Richard ließ sich hier nieder, kennt das Land wie seine Westentasche, steht allem sehr kritisch gegenüber, weiß, dass er vor allem für die Elite des Landes schreibt und doch, er bleibt objektiv, begibt sich in unbekanntes Terrain. In der Zeitung arbeiten wir mit Journalisten aus dem englischsprachigen Raum, Briten, Kanadier, Australier, US-Amerikaner, alle tätig für internationale Medien wie The New York Times oder den US-amerikanischen Fernsehsender Fox. Kurzum, es ist großartig, alle arbeiten für die einzige englischsprachige Zeitung Kolumbiens und das auf freiwilliger Basis. Ein guter Grundstein, meiner Meinung nach, die Artikel werden geschrieben, weil sie geschrieben werden wollen. Und auch ich muss keinen Kaffee kochen, der wird mir von meinem Chef gekocht. Nein, ganz im Gegenteil, ich als unbeschriebenes Journalistenblatt darf Zeitungsseiten beschreiben. In jeder der monatlichen Ausgaben wird mindestens ein Artikel von mir erscheinen. Die Themen sind so gut wir frei, nur das erste, noch streng geheim, wurde mir vorgegeben, da ja bald Ostern ist. Der Rest wächst frei nach meiner Schnauze. Es ist schon ein gutes Gefühl ernst genommen zu werden. Am Telefon stellt man sich als Journalistin vor und schon hat man Kontakt zu den wichtigsten Personen. Aber man verbringt auch ganze Nachmittag mit Recherchearbeiten in der größten Bibliothek Lateinamerikas während nach langen unbeständigen klimatischen Bedingungen endlich mal die Sonne scheint. Das nimmt man jedoch gerne in Kauf. Auf, auf, die Suche nach guten Geschichten hat begonnen, kein heiliger Gral, viel lieber sind mir interessante Gesichter, spannende Geschichten, Orte, Gegenstände.
Auch vom kulturellen Leben bekomme ich viel mehr mit als zuvor. Vielleicht kann ich sogar demnächst einem Telefoninterview mit Botero lauschen, auch dem wichtigsten Kurator Kolumbiens konnte ich bereits ein Küsschen auf die Wange drücken, oder eben auch einem der bekanntesten Künstler Jim Amaral. Morgen geht es ganz alleine auf die Eröffnung einer Ausstellung, Bicentenario Pop, Freiheitskämpfer Lateinamerikas mal anders, poppig eben. Arbeitstechnisch ist also alles im Lot, endlich. Das Visum macht noch ein wenig zu schaffen, aber auch das wird noch.
Zum Leben. Langsam taste ich mich wieder heran an die kolumbianische Lebensart. Ich musste mich leider von einem sehr guten Freund verabschieden, Nelson, von nun an werde ich niemanden mehr zum Frühstücken haben, aber immerhin konnte ich anderthalb Wochen mit ihm teilen. Durch die Straßen ziehen, schlechten Witzen lauschen, viel passiv rauchen, aber vor allem leben, reden, philosophieren. Nun sitzt er in Buenos Aires in seinem Büro und entwirft fleißig neue Dinge. Vielleicht ein nächstes Ziel, wer weiß. Aber der Abschied war großartig, so muss es sein. Kolumbianisch. Viel Musik, laute Musik, die zum Tanzen animiert. Salsa, Merengue, Samba, alles, was das Herz oder vielmehr die Füße begehren. Die Hüfte schwingt im Takt (auch ich komme langsam wieder dorthin mich einfach mitreißen zu lassen). Es wird gefeiert. Keine Sorge, ich werde hauptsächlich arbeiten. Und das stelle ich auch direkt am nächsten Tag unter Beweis. Denn nachdem die Polizei bereits drei Mal an der Tür stand, gehen die letzten Gäste gegen fünf. Ich stehe eine halbe Stunde später wieder auf, noch leicht verdünntes Blut in den Adern, um mich in den Süden der Stadt zu begeben. Diesmal sind mehr Kinder erpicht darauf Englisch zu lernen. Und so vergeht ein Vormittag ganz ohne Kater, verantwortungsbewusst bevor ich abends um acht todmüde ins Bett falle.
Ein anderer Tag, ein anderes Wochenende, das Szenario verhält sich ähnlich, doch diesmal befinden wir uns an einem seltsamen Ort, Café Terra. Eine Bar, Kneipe mit allerlei Raritäten, alte Radios genauso wie Rollschuhe hängen von der Decke. Neben Marilyn Monroe räkelt sich Shakira und John F.Kennedy an der Wand, in den Fernsehern an den Pfeilern läuft nur Schneegestöber, jeder Stuhl ein Unikat, alte Nähtische dienen als Bierunterlage. Und es gibt ein widerwärtiges Getränk, das nur gemischt wurde, um sich geschwind in einem angeheiterten Zustand zu befinden. Wir sind hier, weil wir eine Band sehen wollen: Coretta Molly, ein guter Freund von mir spielt Schlagzeug. Und die Schlagzeuger sind wie man weiß, die besten. Wir lauschen dem wohligen Rock, Hardrock und wohlig ist es auch nicht, laut, aber gut, wir mögen Musik eben nur, wenn sie laut ist. Glücklicherweise bin ich beim Blick auf die Uhr wieder stocknüchtern und mache mich schleunigst auf den Weg nach Hause, nicht, dass gleich mein Papagei wieder mit einstimmt ins Lallen.
Vielleicht wird der Eindruck vermittelt, ich feiere zu viel, trinke zu viel, denke zu wenig nach, lasse es mir zu gut gehen. Vielleicht. Aber im Grunde arbeite ich hart. Ernsthaft. Es gibt noch viele Hürden zu überwinden. Vieles klingt einfacher als man denkt. Und doch. Es war die richtige Entscheidung wieder zurückzukehren. In diese zweite Heimat. Da bin ich wieder. Hin- und hergerissen. Wir werden sehen, welcher Teil von mir, wo landet. Das innere Tauziehen.
Dienstag, 8. März 2011
Me llaman la desaparecida
Noch immer keine Flaschenpost in Sicht
So wenig Grüße die ich nach Deutschland gesendet habe und doch viel mehr Gedanken. Es ist anders wieder hier zu sein, es ist schön, wieder hier zu sein, es ist seltsam, wieder hier zu sein. In diesen zwei Wochen ist vieles und doch auch noch nicht sehr vieles passiert.
Tag 1
In Deutschland schon einen halben Tag lang ein Jahr älter, stehe ich hier in Kolumbien früh auf. Nelson ist schon auf und ich werde mit einer weiteren Geburtstagsumarmung begrüßt. Tee und mantequada (Kuchen) zum Frühstück. Das erste Mal in diesem Jahr, dass ich Bogotá bei Sonnenlicht sehe. Es kommt mir doch alles sehr bekannt vor. Alles fühlt sich fremd und doch vertraut an. Die Straßen durch die wir streifen begrüßen mich mit ihrem alltäglichen Lärm, die Sonne sticht auf meinen Kopf ein und im nächsten Moment regnet es in feinen Fäden vom Himmel. Hupen, Geschrei, Quietschen und vor allem Blicke. Die Straßen rauf und runter, Baustelle an Baustelle, zur Uni, ins Architektur-Gebäude, Design-Studenten beobachten, einen Vortrag über Tradition und Moderne. Raus, rein, raus, rein. Laufen, kurz verschnaufen. Obwohl, das mit dem Atmen klappt noch nicht so ganz. die Höhe macht sich bemerkbar. Gegen fünf Uhr Nachmittag bin ich hundemüde. Herzlichen Glückwunsch. Und noch nicht Mal die Aussicht auf ein gemeinsames Essen mit Kike macht es mir schmackhaft. Denn etwas ist mit der Atemluft noch auf der Strecke geblieben: mein Appetit. Verschwunden. Der kleine Araber zu dem wir wollten, hat bereits geschlossen. Pizza oder doch nur ein Eis für mich. Und ein kleines Geburtstags-Törtchen. Zu Hause wartet auch noch ein Geschenk auf mich. Und Carla, meine Mitbewohnerin, die mit mir noch ein Geburtstagsbierchen trinken geht, auch nur eines, bevor ich in der Traumwelt versinke.
Tag 2
Frühstück zusammen mit Nelson. Die Sonne scheint ins Wohnzimmer, die ersten Rauchschwaden ziehen hinaus ins Freie. Rauchen ist hier erlaubt, doch meine Lungen rebellieren vehement, bloß keine Tabakzufuhr. Besser so. Noch haben sich meine roten Blutkörperchen nicht vermehrt. Ein weiterer Tag von Büro zu Büro, von Hausecke zu Geschäft, Schlüssel nachmachen lassen, Nelson zu seiner Arbeit begleiten. La Yogutera, der einzige Ort in ganz Bogotá, an dem man Natur-Joghurt bekommt, allerdings angepasst an den kolumbianischen Geschmack, also stark verflüssigt. Hier trinkt man Joghurt. Gewöhnungsbedürftig. Zurück nehme ich eine kleine buseta, gülden mit der Aufschrift Metrópolis. Zuhause räume ich meinen Koffer aus, meinen Schrank ein. Begrüße mein neues zu Hause ganz für mich und gewöhne mich an den Gedanken wieder hier zu sein, frage mich, ob es das ist, was ich will, finde noch keine Antwort.
Tag 3
Ein erster Gang alleine in die Stadt. Und da schau her. Eine Blondine in Bogotá. Man fühlt sich wie im Zoo. Als ich vor acht Monaten hier war, dunkles Haar und nun, was habe ich mir da eingebrockt mit meinem Versprechen mir selbst gegenüber, mir meine Haare ein Jahr lang nicht zu färben. Eine harte Probe dieses halbe Jahr hier. ¡Que chimba esa señorita! ¡Ey mona! ¡Uuuuuuuish! Und dann auch noch so flott unterwegs. Kurzum ich falle auf. Nun gut, ich werde wohl wieder lernen müssen, damit umzugehen. Genauso muss ich wieder die Fragen beantworten, warum Kolumbien. Und wenn sich dann herausstellt, dass ich das Essen hier nicht als köstlich empfinde (bis auf die paradiesische Auswahl an Früchten), dann muss ich auch erklären, was man isst, wenn man sich vegetarisch ernährt. Nein, man kommt nicht um vor Hunger.
Tag 4
Frühes Aufstehen. Ab in den Süden Bogotás. Die Straßen der Stadt sind herrlich ruhig an einem Samstagmorgen um sechs. Wie ausgestorben. Irgendwie unglaublich. Nichts und niemand rührt sich. Auf dem Weg zum Transmilenio begegnet mir keine Menschenseele. Auch im Bus ergattere ich ohne Probleme einen Sitzplatz. Am Südportal warte ich noch ein paar Minuten und auch noch ein paar mehr bevor Kike mich abholt. Rührei und Milch mit löslichem Kaffee, Brot, ein typisches kolumbianisches Frühstück bevor wir noch ein Stück weiter in den Süden in das Viertel Bosa fahren, wo ich von nun an jeden Samstagvormittag verbringen werde. Im Rahmen der Fundación Mano Latente unterstützen wir, eine Gruppe von jungen Leuten, Kinder aus bildungsschwachem Hintergrund. Lernen und spielen mit ihnen. Meine Aufgabe wird es sein, zusammen mit Maryory den Kleinen Englisch beizubringen. An diesem ersten Tag nach den Ferien sind nur sehr wenige Kinder da, aber Diego, ein kleiner hyperaktiver Zehnjähriger erkennt mich von meinem ersten und einzigen Besuch wieder. Da heute noch kein wirkliches Programm vorhanden ist und auch nur wenige der Betreuer da sind, machen wir uns daran sich in verschiedenen Sprachen vorzustellen und nach den Namen der anderen zu fragen. Und die ganze Zeit wird man mit „profe“ angeredet. Seltsam, seltsam. Später dann noch ein Treffen, in dem der rechtliche Rahmen der Fundación abgesteckt wird. Dann ein Blick auf die Uhr. Die ersten Gäste sind schon fast unterwegs. Ein bisschen Geburtstag feiern. Also düse ich los, als ich gerade im Transmilenio sitze, rumpelt und poltert es. Nein, kein Unfall. Ein Gewitter sondergleichen. Es schüttet, es blitzt und donnert als ob die Welt sich verabschieden wolle. Herrlich. Ich liebe Gewitter. Ich tanze durch den Regen. Kaum bin ich zu Hause, klingeln, zumindest versuchen sie es, die ersten Gäste. Denn unsere Klingel funktioniert nicht. Steinchen schmeißen oder anrufen. Das klappt meistens. Ein wenig umständlich vielleicht, aber was soll’s. Der Abend wird feuchtfröhlich, so wie das hier nunmal ist. Die Tanzfläche wird früh eröffnet und ich falle auch früh ins Bett. Zu viel des Guten.
Und damit sage ich auch für heute Gute Nacht. Es sind zwar bislang nur die ersten Tage, die hier geschildert wurden, aber die denen folgenden verlangen nach einem neuen Morgen.
So wenig Grüße die ich nach Deutschland gesendet habe und doch viel mehr Gedanken. Es ist anders wieder hier zu sein, es ist schön, wieder hier zu sein, es ist seltsam, wieder hier zu sein. In diesen zwei Wochen ist vieles und doch auch noch nicht sehr vieles passiert.
Tag 1
In Deutschland schon einen halben Tag lang ein Jahr älter, stehe ich hier in Kolumbien früh auf. Nelson ist schon auf und ich werde mit einer weiteren Geburtstagsumarmung begrüßt. Tee und mantequada (Kuchen) zum Frühstück. Das erste Mal in diesem Jahr, dass ich Bogotá bei Sonnenlicht sehe. Es kommt mir doch alles sehr bekannt vor. Alles fühlt sich fremd und doch vertraut an. Die Straßen durch die wir streifen begrüßen mich mit ihrem alltäglichen Lärm, die Sonne sticht auf meinen Kopf ein und im nächsten Moment regnet es in feinen Fäden vom Himmel. Hupen, Geschrei, Quietschen und vor allem Blicke. Die Straßen rauf und runter, Baustelle an Baustelle, zur Uni, ins Architektur-Gebäude, Design-Studenten beobachten, einen Vortrag über Tradition und Moderne. Raus, rein, raus, rein. Laufen, kurz verschnaufen. Obwohl, das mit dem Atmen klappt noch nicht so ganz. die Höhe macht sich bemerkbar. Gegen fünf Uhr Nachmittag bin ich hundemüde. Herzlichen Glückwunsch. Und noch nicht Mal die Aussicht auf ein gemeinsames Essen mit Kike macht es mir schmackhaft. Denn etwas ist mit der Atemluft noch auf der Strecke geblieben: mein Appetit. Verschwunden. Der kleine Araber zu dem wir wollten, hat bereits geschlossen. Pizza oder doch nur ein Eis für mich. Und ein kleines Geburtstags-Törtchen. Zu Hause wartet auch noch ein Geschenk auf mich. Und Carla, meine Mitbewohnerin, die mit mir noch ein Geburtstagsbierchen trinken geht, auch nur eines, bevor ich in der Traumwelt versinke.
Tag 2
Frühstück zusammen mit Nelson. Die Sonne scheint ins Wohnzimmer, die ersten Rauchschwaden ziehen hinaus ins Freie. Rauchen ist hier erlaubt, doch meine Lungen rebellieren vehement, bloß keine Tabakzufuhr. Besser so. Noch haben sich meine roten Blutkörperchen nicht vermehrt. Ein weiterer Tag von Büro zu Büro, von Hausecke zu Geschäft, Schlüssel nachmachen lassen, Nelson zu seiner Arbeit begleiten. La Yogutera, der einzige Ort in ganz Bogotá, an dem man Natur-Joghurt bekommt, allerdings angepasst an den kolumbianischen Geschmack, also stark verflüssigt. Hier trinkt man Joghurt. Gewöhnungsbedürftig. Zurück nehme ich eine kleine buseta, gülden mit der Aufschrift Metrópolis. Zuhause räume ich meinen Koffer aus, meinen Schrank ein. Begrüße mein neues zu Hause ganz für mich und gewöhne mich an den Gedanken wieder hier zu sein, frage mich, ob es das ist, was ich will, finde noch keine Antwort.
Tag 3
Ein erster Gang alleine in die Stadt. Und da schau her. Eine Blondine in Bogotá. Man fühlt sich wie im Zoo. Als ich vor acht Monaten hier war, dunkles Haar und nun, was habe ich mir da eingebrockt mit meinem Versprechen mir selbst gegenüber, mir meine Haare ein Jahr lang nicht zu färben. Eine harte Probe dieses halbe Jahr hier. ¡Que chimba esa señorita! ¡Ey mona! ¡Uuuuuuuish! Und dann auch noch so flott unterwegs. Kurzum ich falle auf. Nun gut, ich werde wohl wieder lernen müssen, damit umzugehen. Genauso muss ich wieder die Fragen beantworten, warum Kolumbien. Und wenn sich dann herausstellt, dass ich das Essen hier nicht als köstlich empfinde (bis auf die paradiesische Auswahl an Früchten), dann muss ich auch erklären, was man isst, wenn man sich vegetarisch ernährt. Nein, man kommt nicht um vor Hunger.
Tag 4
Frühes Aufstehen. Ab in den Süden Bogotás. Die Straßen der Stadt sind herrlich ruhig an einem Samstagmorgen um sechs. Wie ausgestorben. Irgendwie unglaublich. Nichts und niemand rührt sich. Auf dem Weg zum Transmilenio begegnet mir keine Menschenseele. Auch im Bus ergattere ich ohne Probleme einen Sitzplatz. Am Südportal warte ich noch ein paar Minuten und auch noch ein paar mehr bevor Kike mich abholt. Rührei und Milch mit löslichem Kaffee, Brot, ein typisches kolumbianisches Frühstück bevor wir noch ein Stück weiter in den Süden in das Viertel Bosa fahren, wo ich von nun an jeden Samstagvormittag verbringen werde. Im Rahmen der Fundación Mano Latente unterstützen wir, eine Gruppe von jungen Leuten, Kinder aus bildungsschwachem Hintergrund. Lernen und spielen mit ihnen. Meine Aufgabe wird es sein, zusammen mit Maryory den Kleinen Englisch beizubringen. An diesem ersten Tag nach den Ferien sind nur sehr wenige Kinder da, aber Diego, ein kleiner hyperaktiver Zehnjähriger erkennt mich von meinem ersten und einzigen Besuch wieder. Da heute noch kein wirkliches Programm vorhanden ist und auch nur wenige der Betreuer da sind, machen wir uns daran sich in verschiedenen Sprachen vorzustellen und nach den Namen der anderen zu fragen. Und die ganze Zeit wird man mit „profe“ angeredet. Seltsam, seltsam. Später dann noch ein Treffen, in dem der rechtliche Rahmen der Fundación abgesteckt wird. Dann ein Blick auf die Uhr. Die ersten Gäste sind schon fast unterwegs. Ein bisschen Geburtstag feiern. Also düse ich los, als ich gerade im Transmilenio sitze, rumpelt und poltert es. Nein, kein Unfall. Ein Gewitter sondergleichen. Es schüttet, es blitzt und donnert als ob die Welt sich verabschieden wolle. Herrlich. Ich liebe Gewitter. Ich tanze durch den Regen. Kaum bin ich zu Hause, klingeln, zumindest versuchen sie es, die ersten Gäste. Denn unsere Klingel funktioniert nicht. Steinchen schmeißen oder anrufen. Das klappt meistens. Ein wenig umständlich vielleicht, aber was soll’s. Der Abend wird feuchtfröhlich, so wie das hier nunmal ist. Die Tanzfläche wird früh eröffnet und ich falle auch früh ins Bett. Zu viel des Guten.
Und damit sage ich auch für heute Gute Nacht. Es sind zwar bislang nur die ersten Tage, die hier geschildert wurden, aber die denen folgenden verlangen nach einem neuen Morgen.
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