Samstag, 30. April 2011

Una hermana que nunca tenía

Eine kleine große gleiche Schwester


Sie heißt Maddalen. Das mit der Aussprache des Namens ist ein wenig schwierig, ungefähr so schwierig wie mein Nachname, egal ob in Deutschland oder hier in Kolumbien. Madda, Maya, Madlen… Jeder nennt sie anders. Und sie ist anders. Eine ganz besondere Person in meinem Leben. Wir haben uns vor mehr als anderthalb Jahren kennen gelernt, hier in Bogotá. Sie war für etwa zwei Monate hier. Oft haben wir uns nicht gesehen, aber gleich zu Beginn während einer Reise mit all den anderen damaligen Austauschstudenten nach Villa de Leyva herrschte eine gewisse Magie zwischen uns. Eine Anziehungskraft. Normalerweise mache ich mir nichts aus Sternzeichen und so, aber eventuell hängen unsere Geburtszahlen doch verstärkt zusammen, mehr als ich manchmal glauben will. Meine kleine Schwester ist nämlich gerade mal zwei Tage jünger als ich. (Und immer noch bin ich die älteste von allen.) Fische. Und Madda ist definitv ein Fisch, ein ganz bunter schillernder Regenbogenfisch. Nicht nur, weil sie genau wie ich das Wasser liebt, sondern auch wenn sie Anwältin ist, doch ziemlich verrückt ist. Ein bisschen durchgeknallt, extrovertiert. Eben wie ich, aber gleichzeitig auch ganz unterschiedlich.

Seit etwa zwei Wochen teilen wir uns das Zimmer (bald bekommt sie ihr eigenes). Als Madda nämlich in Guatemala für die UNO gearbeitet hat, kam ihr die grandiose Idee zurück nach Kolumbien zu kommen. Die Ansteckungsgefahr hier scheint groß zu sein. Eine Menge der Ausländer, die ich hier kennen gelernt habe, wollen wiederkommen. Und ich bin ja eigentlich auch das beste Beispiel dafür, dass man sich in ein Land wie Kolumbien verlieben kann. Madda kam also vor zwei Wochen aus Guatemala in Bogotá an. Das letzte Mal hatten wir uns im Sommer gesehen, als ich es in Deutschland nicht mehr ausgehalten habe und mich kurzerhand ins Flugzeug nach Barcelona setzte. Eine Woche Sommer und spanisches Lebensgefühl (was ich bis dahin noch nicht wirklich kannte, denn Spanien war für mich immer unbekanntes Terrain gewesen). Eine Woche Großstadt und Strand, eine Woche voll von ewig langen Gesprächen, unzähligen Salaten, spätem Essen, Freiluftkino, Gaudí, der Sagrada Familia (die zu dem Zeitpunkt noch nicht vom Papst geweiht)und vielem mehr. In dieser Woche hat sich die Bindung nur noch mehr gefestigt.

Und jetzt sind wir wieder vereint, in unserer alten Heimat, in diesem Land, von dem wir noch immer nicht genau wissen, warum wir es so lieb gewonnen haben. Warum der Schritt weg von Kolumbien unmöglich erscheint. Ich auf jeden Fall will bleiben, erste Pläne brauen sich zusammen. Aber gut, erstmal genieße ich es eine europäische Seele an meiner Seite zu haben. Manchmal ist vieles einfacher, auch wenn wir aus noch immer sehr unterschiedlichen Kulturen kommen, so sind wir uns in vielen Bereichen doch sehr viel ähnlicher. Ich muss nicht erklären, warum ich etwas, wie mache, ich muss mich nicht rechtfertigen, ich muss nicht andauernd erzählen, wie es mir geht, was ich machen will, warum gerade Kolumbien. Ich kann mich einfach anstecken lassen von dieser Energie und Freude, die von Maddalen ausgeht. Ein Wirbelwind, auch wenn es gerade vielleicht nicht einfach ist, aber Schritt für Schritt finden wir unseren Weg und es ist grandios diesen Weg zumindest ein Stück weit, zusammen gehen zu können. Auch wenn ich die Einsamkeit sehr schätze, neben jemandem aufzuwachen hat auch seine Reize. Ähnliche Erfahrungen in ähnlichen Situationen zu sammeln, ähnliche Ansichten zu vertreten und im Grunde doch ganz verschieden sein.

Der Geruch nach spanischer Tortilla liegt noch immer in der Luft…

Dienstag, 26. April 2011

Un viaje chiquito

Flucht vor Wasser von oben und Freude über Wasser von unten




Nach zwei Monaten, die mehr oder weniger grau waren, zumindest was den Himmel angeht, verbringen wir ein, zwei Tage im Grünen…

Es ist Semana Santa, kaum jemand muss arbeiten und diejenigen, die Anfang der Woche doch noch früh rausmüssen, für die endet am Mittwochabend der Arbeitsalltag. Gründonnerstag, Karfreitag und auch das Wochenende scheint eine einzige Prozession zu sein. Kirchen werden geschmückt, jedermann und jederfrau ist in den heiligen Mauern zu Hause, hört sich Predigten an, betet als ob es um Leben oder Tod ginge. Und dass, obwohl wir uns hier in Bogotá noch nicht einmal in der katholischen Hochburg befinden. In Popayan zum Beispiel scheint man erst gar nicht zu schlafen, sondern durchgehend Tag und Nacht den Heiligenbildern zu huldigen.

Unsere Flucht gestaltet sich schwieriger als gedacht. Nicht nur in den Monaten Dezember und Januar hat es hier stark geregnet und Überschwemmungen gegeben, sondern auch in den letzten Monaten leidet das gesamte Land unter ungeheuren Wassermassen, die vom Himmel hinabstürzen. Mittlerweile sind viele Straßen unpassierbar, teilweise sind ganze Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten oder stehen kurz davor wie Granmalote im Dezember dem Erdboden gleichgemacht zu werden. Erdrutsche verwüsten ganze Landstriche. So ist auch die direkte Verbindung nach Sasaima, unserem Zielort, am Donnerstag komplett gesperrt, alle Alternativen ebenso. Also bleiben wir noch eine Nacht in Bogotá, den Tag verbringen wir mit viel Essen, frischem Fisch (der nach dem Frittieren nicht mehr ganz so gesund aussieht), Videos aus alten Zeiten – es ist amüsant meine kolumbianischen Freunde zu sehen, wie sie in ihren Jugendjahren waren, da kann ich mir ein Lachen ab und zu nicht verkneifen. Am Freitagmorgen dann versuchen wir unser Glück erneut, Kolumbianer morgens um fünf zu wecken ist gar nicht mal so einfach, aber spätestens unter der Dusche mit kaltem Wasser erwacht man selbst ebenfalls. Auf zum Bus-Terminal, es regnet, der Himmel weist nicht mal ein paar unterschiedliche Farbnuancen auf, sondern ist eine einzige graue Suppe. Der Teminal ist leer, kaum eine Menschenseele ist zu sehen, was wohl zum Einen damit zu tun hat, dass Karfreitag ist und zum anderen aufgrund der klimatischen Bedingungen. Vor ein paar Jahren noch ist man an diesem Tag weder vor die Tür getreten, noch hat man irgendwelche häuslichen Aktivitäten betrieben. In Schwarz gehüllt tat man Buße, doch an diesem Karfreitag hört man ab und an Kindergeschrei, auch Musik ist zu vernehmen. Dieser Freitag ist nicht mehr ganz so schwarz wie einst, vielmehr grau.

Die meisten Schalter am Terminal sind dennoch geschlossen, eine direkte Verbindung gibt es immer noch nicht. Wir können nach La Vega fahren (Las Vegas wäre natürlich noch um einiges interessanter), nach einem kurzen Telefonat mit der Polizei gibt es grünes Licht, die Straße von La Vega nach Sasaima ist passierbar. Noch wissen wir nicht wie, aber das werden wir noch früh genug erfahren. Also machen wir es uns erst einmal im Bus bequem, das Schaukeln des Gefährts ähnelt dem des einschläfernden Geruckels des Kinderwagens und so fallen die meisten von und in einen seichten Schlaf. Zwei Stunden später sind wir da. Das Schild La Vega leuchtet und glitzert, nunja, nicht unbedingt, es ist eher ein ausgeblichenes babyblau, das uns willkommen heißt. Und wir haben Glück, es gibt ein Transportmittel. Ein Jeep, die Frauen haben die Ehre und dürfen auf der Sitzbank im Wagen Platz nehmen (sechs auf dem Platz für drei Personen), die Männer müssen auf die Ladefläche, zumindest ist diese überdacht. Los geht die rasante Fahrt. Das Klima ist angenehm und es wird wärmer und wärmer (vielleicht auch wegen der körperlichen Nähe). Auf dem Weg sehen wir etliche verwüstete Regionen, die Kerle müssen ab und an absteigen, da auch diese Straße bereits gelitten hat, mit einem tiefer gelegten Auto würde man hier nicht vorankommen. Außerdem wird die ganze Fahrt über gehupt, denn größtenteils ist nur eine Spur befahrbar und die Strecke gleicht den Serpentinen der europäischen Gebirgspässe. Da wünscht man sich doch auf die Ladefläche, um die nahende Gefahr in Form anderer Verkehrsteilnehmer nicht sehen zu müssen. Nach einer Stunde etwa und mehreren Stops (um noch mehr Passagiere einzuladen) kommen wir an. Pünktlich zur Karfreitagsprozession. Da schleppt Jesus mit Dornenkrone sein Kreuz durchs Dorf, begleitet von dessen Bewohnern. Heiligenfiguren werden geschultert und selbst die Kleinsten nehmen Teil am Kreuzweg. Per Megafon werden Gebete gesprochen, wir stehen daneben und warten auf unsere Torte, denn der eigentliche Grund unserer Reise ist der Geburtstag einer Freundin, die aus diesem Dorf kommt. Nachdem auch die letzten Gläubigen verschwunden sind, kommt unsere Torte an. Wir machen uns auf den Weg, stellen uns vors Fenster und singen, sagen wir, dass wir es versuchen, denn keiner von uns ist ein ausgesprochenes Gesangstalent. Voller Verwunderung streckt Laura ihren Kopf aus dem Fenster, da öffnet sich auch schon die Haustür und ihre beiden kleinen Brüder Sergio und Juan Camilo lassen uns ein. Klamottenwechsel, endlich raus aus Jeans und Turnschuhen. Und ab in Richtung Schwimmbecken. Die seichte Luft, angenehme Wärme und das viele Grün bestärken uns einen Tag lang so richtig auszuspannen. Ein kleines Schwimmbecken mit steiler Rutsche nur für uns, herrlich, so gefällt uns Wasser. Nach zwei Monaten „Zwangs-Schwimmabstinenz“ (in Bogotá sind die paar Schwimmbecken unglaublich teuer) stürze ich mich ins kühle Nass und bin glücklich meine Bahnen ziehen zu können. Am liebsten würde ich die ganze Zeit hier bleiben, aber wir verbringen unseren Tag damit durchs Dorf zu schlendern und es so richtig gutgehen zu lassen.

Wir bestaunen die drei Faultiere, die sich hoch oben im Geäst der Bäume auf dem Marktplatz eingenistet haben. Essen und essen noch mehr. Auch solteras probieren wir, „Ledige“, vor Fett triefende kleine Waffeln mit einer Orangencreme bestrichen, nicht ganz so mein Geschmack. Aber immerhin können wir jetzt sagen, dass wir ein paar ledige Sasaimanerinnen vernascht haben (auch im Spanischen bedeutet umgangssprachlich „comerse a alguién“ genau das). Da Karfreitag ist, können wir nicht viel unternehmen, eigentlich wollten wir tejo spielen, aber die Räumlichkeiten sind geschlossen. Also begnügen wir uns mit der Terrasse und Kartenspielen. Bis nachts um zwei halten wir aus. Die Mehrheit verzieht sich ins Zelt, nur ich mache es mir bequem in der Hängematte. Fast alle schauen mich ungläubig an, aber ich ziehe die frische Luft der stickigen Zeltluft vor und so erwache ich erholt am nächsten Morgen. Nach einem typischen Frühstück mit Rührei machen wir uns auch schon wieder auf den Rückweg. Und das Glück ist uns diesmal hold. Denn die Straße nach Bogotá ist wieder geöffnet. Schneller als gedacht sind wir wieder in der grauen Hauptstadt. Meine Mitbewohnerin ist ausgeflogen und auch Maddalen eine Freundin, mit der ich momentan mein Zimmer teile, ist noch nicht wieder zurück. So habe ich ein wenig Zeit für mich, genieße die Stille, denn noch immer wirkt die Stadt wie ausgestorben. Erholt kann es in die neue Woche gehen.

Donnerstag, 14. April 2011

Pantalla o papel

Ein Tag vor dem Computer und nur eine halbe Stunde im Bücher-Antiquariat




Ich leide, leide mittlerweile auch an den typischen Haltungsschäden vom Arbeiten vorm Computer, zu wenig Sport zu viel virtuelles Leben (nicht, dass mein reales Leben unter den Tisch fällt, das sitzt durchaus brav und aufgeschlossen auf seinem Stuhl und genießt eine ausgewogene Auswahl an Veranstaltungen und Zusammenkünften). Aber so ist das mittlerweile mit dem Schreiben, nur selten nimmt man noch den Notizblock oder gar einen Briefbogen zur Hand. (Ich frage mich, ob man denen, die heute junge Mädchen sind, noch immer rosafarbenes Briefpapier mit Blümchen und den dazu passenden Briefumschlägen schenkt oder ob man nicht besser daran tut ihnen ein blinkendes, glitzerndes Blackberry oder iPhone zum Kommunizieren an die Hand gibt.) Der letzte handgeschriebene Brief liegt schon gefühlte Jahrzehnte zurück, selbst persönliche Gutscheine oder Glückwunschkarten werden mittlerweile am Computer gestaltet und ausgedruckt. Es ist ja nicht so, dass ich die neuen Medien nicht wertschätze, ich nutze sie ja mehr als ausgiebig, aber ein wenig Nostalgie kann nie schaden.

Ein Regentag. Glücklicherweise hat mir ein guter Freund einen winzig kleinen Regenschirm geschenkt, der sogar fast in die Hosentasche passt. Schwarz mit vielen kleinen bunten Punkten. Und wenn man ihn auspackt, dann wirkt er sogar recht groß und schützt nicht nur gegen den gemeinen Fisselregen Bogotás, sondern auch gegen die Regengüsse, die sich manchmal vom Himmel hinunterstürzen. Ich laufe also die Straße entlang, es beginnt langsam aber sicher zu regnen, die meisten Menschen suchen Unterschlupf während ich fröhlich durch den Regen stapfe. Mit einer neuen Errungenschaft, meinen grünen Stiefeln (ohne mich hier politisch äußern zu wollen). Das Abwassersystem funktioniert so gar nicht, die Straßen verwandeln sich in Flüsse mit ungeahnten Tiefen, da sich natürlich auch sämtliche Schlaglöcher volllaufen lassen, eine braune Brühe, die von Bussen, Taxis und anderen Fortbewegungsmitteln in Richtung Gehweg gespritzt wird. Meine Hose trieft zwar, aber der Rest ist einigermaßen trocken und ja, ich mag Regen. Am liebsten natürlich warmen Sommerregen durch den man barfuß laufen kann. Aber auch der Regen hier hat so seine Reize, vor allem, wenn man einen kleinen Wunderregenschirm besitzt.

Ich laufe also die Straßen entlang, springe ab und an den Autos aus dem Weg. Schon bin ich in der 45sten Straße (noch immer kann man sich hier gut an den Straßennummern orientieren), also fast zu Hause. Auf diesem Weg stolpern meine Augen immer und immer wieder über ein Bücher-Antiquariat. Diesmal denke ich mir, ich habe nichts vor, warum nicht ein wenig rumstöbern zwischen den riesigen Bücherbergen. Da kommt auch gleich ein netter gutaussehender Bücherwurm, lang, schlaksig, Baskenmütze auf dem Kopf und markante Brille auf der Nase und total hilfsbereit. Da keimt eine Idee in meinen Hirnzellen auf, vielleicht gibt es ja auch fremdsprachige Literatur hier. Etwas Deutsches sogar? Ich frage einfach mal. Da muss der junge Mann, höchstwahrscheinlich Literaturstudent, erstmal nachfragen. Dann befördert er mich wieder hinaus. Allerdings nicht im negativen Sinne, denn nach einigem Rumoren öffnet sich eine Nebentür, die mit den Blumen Van Goghs bemalt ist. Sie öffnet sich zumindest halb, denn der sich dahinter befindende Raum ist vollgestopft mit Büchern, so sehr, dass sich das Hereintreten etwas schwierig gestaltet. Ein Bücherregal quetscht sich ans andere, Ein Einkaufswagen voll mit mehr oder weniger Lesenswertem ist mitten im Büchermeer geparkt. Der scheinbare Literaturexperte kraxelt die vollgestapelte Treppe hinauf und lässt mich stöbern. Etwas schwierig, da man keinen Fuß vor den anderen setzen kann ohne nicht versehentlich auf ein Buch zu treten. Ich atme tief ein. Dieser Geruch nach altem Buch. Es gibt fast nichts Schöneres. Da soll mir jedes Kindle oder iPad gestohlen bleiben. Ich will Bücher fühlen können, riechen können. Mit dem Alter werden sie besser, wie ein guter Wein. Ein richtig schönes altes Buch. Mal sehen, was sich so finden lässt in diesem Chaos. es gibt definitiv keine Ordnung, da steht das amerikanische Kochbuch neben Henning Mankells Mittsommermord oder Gedichten von Aichinger. So richtig viel deutsche Literatur ist nicht dabei, eine Menge einfacher englischsprachiger Novellen, Unmengen an französischer Literatur. Ich werde dennoch fündig: Hermann Kant, Das Impressum. Endlich mal wieder ein paar deutsche Worte, verständlich formuliert und nicht nur die sich zwar stetig verbessernden Ansätze meiner Deutsch-Schüler, welche aber dennoch keine literarischen Meisterwerke sind. Aufgrund von finanziellen Engpässen muss ich Noah Gordons Die Schamanen leider dort lassen, aber er wird ganz oben auf einen der vielen Stapel gelegt, türnah, fürs nächste Mal. Aber ich glaube, die nächste Anschaffung wird die Hardcover-Ausgabe vom Orion-Verlag sein: Opas Pornos. (Das war eigentlich das erste deutschsprachige Buch, welches mit beim Eintreten entgegensprang.) Hoffentlich wird das nicht allzu teuer so ein Altenporno, man weiß ja nie. Mein Literaturhunger ist erst einmal gestillt. Aber ich würde gerne mit einer Tasse Tee inmitten dieses Raumes sitzen. Ich glaube, ich muss mal den Baskenmützentypen ausfragen, ob er wirklich Literaturstudent ist oder nicht doch Krankenpfleger…

Jetzt kann ich mich beruhigt in mein Bett kuscheln und ein hoffentlich gutes Buch lesen ganz ohne Anstrengung, denn auch wenn das mit den Fremdsprachen etwas Großartiges ist, ab und an ist ein Text in der Muttersprache das Schönste auf der Welt.

Freitag, 8. April 2011

Cocinera, periodista, fotógrafa, trabajadora manual

Welcher Beruf darf’s denn bitte sein?




Da steht ein Pferd vor der Tür, ja, vor meiner Tür, dahinter ein Karren gespannt. Wir mögen uns vielleicht im 21. Jahrhundert befinden, aber dieses Fortbewegungsmittel ist hier in der kolumbianischen Hauptstadt höchstwahrscheinlich noch in fünfzig Jahren zu sichten. Sollten die Deutschen auch mal drüber nachdenken, bei den ganzen steigenden Kosten, jetzt wo Diesel und Benzin gleichermaßen besteuert werden sollen… Jetzt ist es auch schon wieder weg, hat das bisschen Gras unterm Bäumchen vor der Tür weggefressen.

Da haben wir Menschen es schon besser. Anstatt Gras kommt uns was anderes auf den Tisch. Arabisches Essen zum Beispiel. In Anlehnung an einen Samstag vor genau ziemlich einem Jahr, startete ich ein umstrittenes Projekt: Gemeinsames Kochen für und mit zwanzig Personen. Nun ja, das Vorhaben war lange geplant, aber die Kolumbianer leben doch irgendwie lieber von Tag zu Tag. So schien es schon den Bach hinunter zu gehen. Tausend andere Dinge standen plötzlich zur Debatte. Aber letztendlich bin ich zunächst mit ein paar Leuten einkaufen gewesen (Gewürze sind in diesem Land unsagbar schwer zu finden, Kümmel bekommt man gerade noch so, aber Kardamom oder Kurkuma, auch Chilischoten sind hier eine Rarität). Scharfes oder eben gewürztes Essen wird hier eher verschmäht. Aber letztes Jahr gab’s schon deutsch-böhmisches Essen. Dieses Mal also etwas ganz anderes. Mit riesigen Töpfen und einigen Plastiktüten stürmen wir den Transmilenio, unterhalten unsere Mitfahrer mit einer eventuell nervtötenden Akustikeinlage (wir trommeln auf Topfböden und –deckeln herum). Außerdem sorgt auch meine Hautfarbe für ein wenig Aufmerksamkeit, sie hat nämlich die Farbe meines knallroten Oberteils angenommen. Krebsrot, die Nasenspitze hat mindestens Verbrennungen zweiten Grades erlitten und das nur, weil ich nach dem Englischunterricht geben ein Stündchen draußen war. Wenn die Sonne hier scheint, dann richtig. Aber ja, Mama (und alle anderen besorgten Leser), ich schleppe von nun an stets und ständig nicht nur Regenschirm und Sonnenbrille mit mir spazieren, sondern packe meine Sonnencreme ein, damit sich das Krebsrot nicht noch in Krebs verwandelt.

Wir kamen also mehr oder weniger schnell mit unseren Töpfen an. Aber der Großteil des Einkaufs musste noch erledigt werden. Zwei Frauen und sechs Kerle in einem Gemüseladen. Die Augen wurden immer größer, je mehr Grün in den Körben landete. Grüner Spinat, grüne Gurken, grüngelbliche Orangen, grünweißliche Zwiebeln, grüne Petersilie, glücklicherweise sorgten die Möhren (oder Kakarotten wie Gabriel, der gerade Deutsch lernt, zum besten gab) für einen Farbtupfer. Zu den vor Entsetzen nur so berstenden Blicken gesellte sich ein breites zufriedenes Grinsen als es zu Fleischtheke ging. Drei Kilogramm Schweinefilet und anderthalb Kilo Hackfleisch. Und schon war die Welt wieder in Ordnung. Wieder zurück in der Wohnung, wurde ich nur noch als „tscheff“ angeredet. Macht schon Spaß so seine eigene Küchencrew zu haben, vor allem, wenn die Rezepte kreuz und quer dirigiert werden müssen. Stundenlanges schnippeln, Zwiebeln und noch mehr Zwiebeln ohne Tränen, riesige Töpfe werden gefüllt, und am Ende des Abends stand ein großartiges Menu auf dem Plan: Spinatsuppe mit Hackbällchen und Brot, danach Schweinegulasch in Zimtsauce mit Möhrenpüree und vorgetäuschtem Safran-Rosinen-Reis, zum Nachtisch Honigkuchen und Orangensorbet. Es hat geschmeckt, so ziemlich allen. Und es war nicht nur ein großartiges Essen, sondern auch eine Überraschung für Jonathan, der am Freitag Geburtstag hatte. Satt und zufrieden wurde getanzt, gespielt (UNO wurde neuentdeckt, Twister, es ist wunderbar sich unter großen Kindern wieder zu finden) bis in die Morgenstunden. Während des ganzen Trubels hat sich allerdings unsere Küchentür selbstständig gemacht. Sie viel einfach so aus dem Rahmen, naja, nicht unbedingt ohne Fremdeinwirkung, aber fast. Immerhin hängt die Hängematte noch, alles andere ist heile geblieben. Nur der Boden. Auch wenn mir die letzten Mitfeierer morgens beim Aufräumen halfen, so kam ich doch nicht herum, die gesamte Wohnung zu wischen, und das ist so einiges. 90 m2. Aber es hat sich gelohnt.

Und der nächste Morgen begann nach zwölf Stunden Schlaf ohne Unterbrechung. Ran an die Arbeit. Es hieß, die April-Ausgabe von The City Paper zu designen. An einem riesigen Mac mit Indesign verbrachten wir so einen ganzen Tag, es ist ein langer und anstrengender Prozess alles haargenau an die richtige Stelle zu rücken, Harmonie zwischen Text und Fotos, sowie Werbeanzeigen zu finden. Gar nicht s einfach. Aber am Ende des Tages falle ich erschöpft mit quadratischen Augen ins Bett. Am nächsten Tag stand Korrekturlesen an, zunächst auf dem Papier, denn in gedruckter Version liest es sich einfacher (Bücher und Zeitungen werden niemals, niemals komplett durch elektronische Geräte abgelöst werden, dann werde ich weinen, für den Rest meines Lebens). Einige Artikel müssen gekürzt und verändert werden, andere sind einwandfrei geschrieben. Auch ich kriege mein Fett weg, was sehr gut ist. Mir fehlt es noch so an einigem, aber ich lerne ja. Deswegen bin ich hier.

Und jetzt halte ich voller Stolz die erste Ausgabe mit drei Artikeln und einem meiner Fotos in den Händen. Es ist… noch unwirklich, aber großartig. Und ich weiß, dass sich viele mit mir freuen. Außerdem habe ich es ganz alleine geschafft, die Tür zu reparieren, sie lässt sich wieder einwandfrei öffnen und schließen, hält sogar besser als zuvor und das mit bloßer Frauenpower (meine Hände haben nach dem Anziehen von neun Schrauben zwar etwas lädiert ausgesehen, aber was tut man nicht alles als unabhängige Frau;)).