Flucht vor Wasser von oben und Freude über Wasser von unten
Nach zwei Monaten, die mehr oder weniger grau waren, zumindest was den Himmel angeht, verbringen wir ein, zwei Tage im Grünen…
Es ist Semana Santa, kaum jemand muss arbeiten und diejenigen, die Anfang der Woche doch noch früh rausmüssen, für die endet am Mittwochabend der Arbeitsalltag. Gründonnerstag, Karfreitag und auch das Wochenende scheint eine einzige Prozession zu sein. Kirchen werden geschmückt, jedermann und jederfrau ist in den heiligen Mauern zu Hause, hört sich Predigten an, betet als ob es um Leben oder Tod ginge. Und dass, obwohl wir uns hier in Bogotá noch nicht einmal in der katholischen Hochburg befinden. In Popayan zum Beispiel scheint man erst gar nicht zu schlafen, sondern durchgehend Tag und Nacht den Heiligenbildern zu huldigen.
Unsere Flucht gestaltet sich schwieriger als gedacht. Nicht nur in den Monaten Dezember und Januar hat es hier stark geregnet und Überschwemmungen gegeben, sondern auch in den letzten Monaten leidet das gesamte Land unter ungeheuren Wassermassen, die vom Himmel hinabstürzen. Mittlerweile sind viele Straßen unpassierbar, teilweise sind ganze Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten oder stehen kurz davor wie Granmalote im Dezember dem Erdboden gleichgemacht zu werden. Erdrutsche verwüsten ganze Landstriche. So ist auch die direkte Verbindung nach Sasaima, unserem Zielort, am Donnerstag komplett gesperrt, alle Alternativen ebenso. Also bleiben wir noch eine Nacht in Bogotá, den Tag verbringen wir mit viel Essen, frischem Fisch (der nach dem Frittieren nicht mehr ganz so gesund aussieht), Videos aus alten Zeiten – es ist amüsant meine kolumbianischen Freunde zu sehen, wie sie in ihren Jugendjahren waren, da kann ich mir ein Lachen ab und zu nicht verkneifen. Am Freitagmorgen dann versuchen wir unser Glück erneut, Kolumbianer morgens um fünf zu wecken ist gar nicht mal so einfach, aber spätestens unter der Dusche mit kaltem Wasser erwacht man selbst ebenfalls. Auf zum Bus-Terminal, es regnet, der Himmel weist nicht mal ein paar unterschiedliche Farbnuancen auf, sondern ist eine einzige graue Suppe. Der Teminal ist leer, kaum eine Menschenseele ist zu sehen, was wohl zum Einen damit zu tun hat, dass Karfreitag ist und zum anderen aufgrund der klimatischen Bedingungen. Vor ein paar Jahren noch ist man an diesem Tag weder vor die Tür getreten, noch hat man irgendwelche häuslichen Aktivitäten betrieben. In Schwarz gehüllt tat man Buße, doch an diesem Karfreitag hört man ab und an Kindergeschrei, auch Musik ist zu vernehmen. Dieser Freitag ist nicht mehr ganz so schwarz wie einst, vielmehr grau.
Die meisten Schalter am Terminal sind dennoch geschlossen, eine direkte Verbindung gibt es immer noch nicht. Wir können nach La Vega fahren (Las Vegas wäre natürlich noch um einiges interessanter), nach einem kurzen Telefonat mit der Polizei gibt es grünes Licht, die Straße von La Vega nach Sasaima ist passierbar. Noch wissen wir nicht wie, aber das werden wir noch früh genug erfahren. Also machen wir es uns erst einmal im Bus bequem, das Schaukeln des Gefährts ähnelt dem des einschläfernden Geruckels des Kinderwagens und so fallen die meisten von und in einen seichten Schlaf. Zwei Stunden später sind wir da. Das Schild La Vega leuchtet und glitzert, nunja, nicht unbedingt, es ist eher ein ausgeblichenes babyblau, das uns willkommen heißt. Und wir haben Glück, es gibt ein Transportmittel. Ein Jeep, die Frauen haben die Ehre und dürfen auf der Sitzbank im Wagen Platz nehmen (sechs auf dem Platz für drei Personen), die Männer müssen auf die Ladefläche, zumindest ist diese überdacht. Los geht die rasante Fahrt. Das Klima ist angenehm und es wird wärmer und wärmer (vielleicht auch wegen der körperlichen Nähe). Auf dem Weg sehen wir etliche verwüstete Regionen, die Kerle müssen ab und an absteigen, da auch diese Straße bereits gelitten hat, mit einem tiefer gelegten Auto würde man hier nicht vorankommen. Außerdem wird die ganze Fahrt über gehupt, denn größtenteils ist nur eine Spur befahrbar und die Strecke gleicht den Serpentinen der europäischen Gebirgspässe. Da wünscht man sich doch auf die Ladefläche, um die nahende Gefahr in Form anderer Verkehrsteilnehmer nicht sehen zu müssen. Nach einer Stunde etwa und mehreren Stops (um noch mehr Passagiere einzuladen) kommen wir an. Pünktlich zur Karfreitagsprozession. Da schleppt Jesus mit Dornenkrone sein Kreuz durchs Dorf, begleitet von dessen Bewohnern. Heiligenfiguren werden geschultert und selbst die Kleinsten nehmen Teil am Kreuzweg. Per Megafon werden Gebete gesprochen, wir stehen daneben und warten auf unsere Torte, denn der eigentliche Grund unserer Reise ist der Geburtstag einer Freundin, die aus diesem Dorf kommt. Nachdem auch die letzten Gläubigen verschwunden sind, kommt unsere Torte an. Wir machen uns auf den Weg, stellen uns vors Fenster und singen, sagen wir, dass wir es versuchen, denn keiner von uns ist ein ausgesprochenes Gesangstalent. Voller Verwunderung streckt Laura ihren Kopf aus dem Fenster, da öffnet sich auch schon die Haustür und ihre beiden kleinen Brüder Sergio und Juan Camilo lassen uns ein. Klamottenwechsel, endlich raus aus Jeans und Turnschuhen. Und ab in Richtung Schwimmbecken. Die seichte Luft, angenehme Wärme und das viele Grün bestärken uns einen Tag lang so richtig auszuspannen. Ein kleines Schwimmbecken mit steiler Rutsche nur für uns, herrlich, so gefällt uns Wasser. Nach zwei Monaten „Zwangs-Schwimmabstinenz“ (in Bogotá sind die paar Schwimmbecken unglaublich teuer) stürze ich mich ins kühle Nass und bin glücklich meine Bahnen ziehen zu können. Am liebsten würde ich die ganze Zeit hier bleiben, aber wir verbringen unseren Tag damit durchs Dorf zu schlendern und es so richtig gutgehen zu lassen.
Wir bestaunen die drei Faultiere, die sich hoch oben im Geäst der Bäume auf dem Marktplatz eingenistet haben. Essen und essen noch mehr. Auch solteras probieren wir, „Ledige“, vor Fett triefende kleine Waffeln mit einer Orangencreme bestrichen, nicht ganz so mein Geschmack. Aber immerhin können wir jetzt sagen, dass wir ein paar ledige Sasaimanerinnen vernascht haben (auch im Spanischen bedeutet umgangssprachlich „comerse a alguién“ genau das). Da Karfreitag ist, können wir nicht viel unternehmen, eigentlich wollten wir tejo spielen, aber die Räumlichkeiten sind geschlossen. Also begnügen wir uns mit der Terrasse und Kartenspielen. Bis nachts um zwei halten wir aus. Die Mehrheit verzieht sich ins Zelt, nur ich mache es mir bequem in der Hängematte. Fast alle schauen mich ungläubig an, aber ich ziehe die frische Luft der stickigen Zeltluft vor und so erwache ich erholt am nächsten Morgen. Nach einem typischen Frühstück mit Rührei machen wir uns auch schon wieder auf den Rückweg. Und das Glück ist uns diesmal hold. Denn die Straße nach Bogotá ist wieder geöffnet. Schneller als gedacht sind wir wieder in der grauen Hauptstadt. Meine Mitbewohnerin ist ausgeflogen und auch Maddalen eine Freundin, mit der ich momentan mein Zimmer teile, ist noch nicht wieder zurück. So habe ich ein wenig Zeit für mich, genieße die Stille, denn noch immer wirkt die Stadt wie ausgestorben. Erholt kann es in die neue Woche gehen.

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