Ein Tag vor dem Computer und nur eine halbe Stunde im Bücher-Antiquariat
Ich leide, leide mittlerweile auch an den typischen Haltungsschäden vom Arbeiten vorm Computer, zu wenig Sport zu viel virtuelles Leben (nicht, dass mein reales Leben unter den Tisch fällt, das sitzt durchaus brav und aufgeschlossen auf seinem Stuhl und genießt eine ausgewogene Auswahl an Veranstaltungen und Zusammenkünften). Aber so ist das mittlerweile mit dem Schreiben, nur selten nimmt man noch den Notizblock oder gar einen Briefbogen zur Hand. (Ich frage mich, ob man denen, die heute junge Mädchen sind, noch immer rosafarbenes Briefpapier mit Blümchen und den dazu passenden Briefumschlägen schenkt oder ob man nicht besser daran tut ihnen ein blinkendes, glitzerndes Blackberry oder iPhone zum Kommunizieren an die Hand gibt.) Der letzte handgeschriebene Brief liegt schon gefühlte Jahrzehnte zurück, selbst persönliche Gutscheine oder Glückwunschkarten werden mittlerweile am Computer gestaltet und ausgedruckt. Es ist ja nicht so, dass ich die neuen Medien nicht wertschätze, ich nutze sie ja mehr als ausgiebig, aber ein wenig Nostalgie kann nie schaden.
Ein Regentag. Glücklicherweise hat mir ein guter Freund einen winzig kleinen Regenschirm geschenkt, der sogar fast in die Hosentasche passt. Schwarz mit vielen kleinen bunten Punkten. Und wenn man ihn auspackt, dann wirkt er sogar recht groß und schützt nicht nur gegen den gemeinen Fisselregen Bogotás, sondern auch gegen die Regengüsse, die sich manchmal vom Himmel hinunterstürzen. Ich laufe also die Straße entlang, es beginnt langsam aber sicher zu regnen, die meisten Menschen suchen Unterschlupf während ich fröhlich durch den Regen stapfe. Mit einer neuen Errungenschaft, meinen grünen Stiefeln (ohne mich hier politisch äußern zu wollen). Das Abwassersystem funktioniert so gar nicht, die Straßen verwandeln sich in Flüsse mit ungeahnten Tiefen, da sich natürlich auch sämtliche Schlaglöcher volllaufen lassen, eine braune Brühe, die von Bussen, Taxis und anderen Fortbewegungsmitteln in Richtung Gehweg gespritzt wird. Meine Hose trieft zwar, aber der Rest ist einigermaßen trocken und ja, ich mag Regen. Am liebsten natürlich warmen Sommerregen durch den man barfuß laufen kann. Aber auch der Regen hier hat so seine Reize, vor allem, wenn man einen kleinen Wunderregenschirm besitzt.
Ich laufe also die Straßen entlang, springe ab und an den Autos aus dem Weg. Schon bin ich in der 45sten Straße (noch immer kann man sich hier gut an den Straßennummern orientieren), also fast zu Hause. Auf diesem Weg stolpern meine Augen immer und immer wieder über ein Bücher-Antiquariat. Diesmal denke ich mir, ich habe nichts vor, warum nicht ein wenig rumstöbern zwischen den riesigen Bücherbergen. Da kommt auch gleich ein netter gutaussehender Bücherwurm, lang, schlaksig, Baskenmütze auf dem Kopf und markante Brille auf der Nase und total hilfsbereit. Da keimt eine Idee in meinen Hirnzellen auf, vielleicht gibt es ja auch fremdsprachige Literatur hier. Etwas Deutsches sogar? Ich frage einfach mal. Da muss der junge Mann, höchstwahrscheinlich Literaturstudent, erstmal nachfragen. Dann befördert er mich wieder hinaus. Allerdings nicht im negativen Sinne, denn nach einigem Rumoren öffnet sich eine Nebentür, die mit den Blumen Van Goghs bemalt ist. Sie öffnet sich zumindest halb, denn der sich dahinter befindende Raum ist vollgestopft mit Büchern, so sehr, dass sich das Hereintreten etwas schwierig gestaltet. Ein Bücherregal quetscht sich ans andere, Ein Einkaufswagen voll mit mehr oder weniger Lesenswertem ist mitten im Büchermeer geparkt. Der scheinbare Literaturexperte kraxelt die vollgestapelte Treppe hinauf und lässt mich stöbern. Etwas schwierig, da man keinen Fuß vor den anderen setzen kann ohne nicht versehentlich auf ein Buch zu treten. Ich atme tief ein. Dieser Geruch nach altem Buch. Es gibt fast nichts Schöneres. Da soll mir jedes Kindle oder iPad gestohlen bleiben. Ich will Bücher fühlen können, riechen können. Mit dem Alter werden sie besser, wie ein guter Wein. Ein richtig schönes altes Buch. Mal sehen, was sich so finden lässt in diesem Chaos. es gibt definitiv keine Ordnung, da steht das amerikanische Kochbuch neben Henning Mankells Mittsommermord oder Gedichten von Aichinger. So richtig viel deutsche Literatur ist nicht dabei, eine Menge einfacher englischsprachiger Novellen, Unmengen an französischer Literatur. Ich werde dennoch fündig: Hermann Kant, Das Impressum. Endlich mal wieder ein paar deutsche Worte, verständlich formuliert und nicht nur die sich zwar stetig verbessernden Ansätze meiner Deutsch-Schüler, welche aber dennoch keine literarischen Meisterwerke sind. Aufgrund von finanziellen Engpässen muss ich Noah Gordons Die Schamanen leider dort lassen, aber er wird ganz oben auf einen der vielen Stapel gelegt, türnah, fürs nächste Mal. Aber ich glaube, die nächste Anschaffung wird die Hardcover-Ausgabe vom Orion-Verlag sein: Opas Pornos. (Das war eigentlich das erste deutschsprachige Buch, welches mit beim Eintreten entgegensprang.) Hoffentlich wird das nicht allzu teuer so ein Altenporno, man weiß ja nie. Mein Literaturhunger ist erst einmal gestillt. Aber ich würde gerne mit einer Tasse Tee inmitten dieses Raumes sitzen. Ich glaube, ich muss mal den Baskenmützentypen ausfragen, ob er wirklich Literaturstudent ist oder nicht doch Krankenpfleger…
Jetzt kann ich mich beruhigt in mein Bett kuscheln und ein hoffentlich gutes Buch lesen ganz ohne Anstrengung, denn auch wenn das mit den Fremdsprachen etwas Großartiges ist, ab und an ist ein Text in der Muttersprache das Schönste auf der Welt.

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