Sonntag, 1. September 2013

Mehr Meer und mehr


Hier mündet der Bíobio in den Pazifik
Da hat mir jemand die Worte geraubt. Deswegen ist es wohl ein wenig still um mich herum gewesen. Dreieinhalb Wochen Chile kann ich bereits an meiner imaginären Strichliste abzählen und unbemerkt kommt Tag für Tag ein Strich hinzu. Ganz langsam kommt auch ein wenig Routine in den Alltag. Endlich habe ich die Kurse in der Uni zusammen, die ich gerne mache und die ausgesondert, die mir zu verschult erscheinen oder die Dozenten mir nicht zusagen. Dafür habe ich mich noch ein wenig in der Spanisch-Abteilung umgesehen und beschäftige mich jetzt mit einheimischen Sprachen: vor allem mapudungun („die Sprache der Erde“), das von den mapuche gesprochen wird. Eine der größten noch mehr oder weniger unabhängigen indigen Völker Lateinamerikas. Außerdem kann ich endlich lesen, lesen für die Uni, dank meiner Literatur-Kurse. Und die spanische Sprache lerne ich noch einmal mit ganz anderen Augen kennen. Und zwar durch die Augen von Andrés Gallardo, einem der Mitglieder der Academia Chilena de la Lengua, meines Erachtens ein Genie, der seine Liebe zur Sprache kaum verhehlen kann. Langsam komme ich in den Tritt, auch wenn ich manchmal in den Hintern gebrauchen könnte. Aber vielleicht muss ich mir auch Zeit nehmen, Zeit hier anzukommen, Zeit, die richtigen Menschen kennen zu lernen, Zeit für mich. Aber auch Zeit die Gegend zu erkunden. Und da gibt es die eine oder andere helfende Hand. Bereits in Leipzig hatte ich meine Namensvetterin kennen gelernt. Constanza. Sie ist Dozentin an der Universidad de Concepción und war drei Wochen lang in Deutschland zu Besuch. Eigentlich wollte sie mich vom Busbahnhof abholen, das hat allerdings nicht geklappt und auch meine Versuche, sie in ihrem Büro zu erwischen, waren zunächst erfolglos. Aber irgendwann hat das stete Klopfen ein Herein hervorgerufen. Und da wurde ich nicht nur herzlich begrüßt, sondern auch gleich eingeladen, einen Samstag mit ihr zu verbringen.

Der Samstag ist wahrscheinlich der erwähnenswerteste Tag. Erst klopfe ich Jara, meine deutsche Mitbewohnerin, aus dem Bett, damit wir gemeinsam einen morgendlichen Spaziergang zum Stadion machen. Nicht etwa, um ein großes Sportereignis zu bestaunen, sondern das Getummel auf dem wöchentlichen Markt. Winzige Stände, an denen Kräuter und Knoblauch verkauft werden, reihen sich zwischen riesige Obst- und Gemüsestände, deren Auswahl deutlich größer ist als die der Supermärkte: Tomatenberge türmen sich neben Riesenzwiebeln, Hafer und Weizen kuscheln tonnenweise in den Säcken, Bananen, Äpfel, Orangen, Mandarinen und mir noch unbekanntes Obst tupfen bunte Flecken in das rege Treiben. Am nächsten Stand: Dutzende Eier und ihre Leger gerupft daneben. Ein Kilo Honig? Danke, gerne. Und dann macht mein Herz einen doppelten Salto: Fisch in rauen Mengen! Seeaal, dicke Flundern, Adlerfisch und Lachs, daneben werden handtellergroße Miesmuscheln immer wieder mit Wasser überschüttet, während die winzigen Austern fast untergehen neben all den krabbelnden Leckereien. Hier ein Eimer mit Seekrebsen, dort einer mit Garnelen. Am liebsten würde ich einfach stehen bleiben und mich satt sehen. Aber die Massen schieben mich weiter zu einem Stand, an dem da Kilo Avocado 1 000 Pesos kostet (1,50 €). Und schon wieder hüpft mein Herz, als ich Käse probiere, Käse, der nach Kse schmeckt. Und würde ich Fleisch essen, wäre mein Herz wahrscheinlich vor Freude aus dem Hals gesprungen. Geräucherte Kaninchen, die mir ihr Inneres entgegen strecken, daneben vergnügt sich ein noch quicklebendiger, moppeliger Artgenosse an einem Salatblatt, schaut ab und an einmal rüber zu den Wachteln im benachbarten Käfig. Derweil werden die Hühner und Truthühner paarweise an ihren Beinchen zusammen geschnürt. Da steigt mir auch schon der Duft frischen Brotes, in der Asche gebacken, in die Nase. Meine Leinentaschen werden schwerer und schwerer, es reicht auch so langsam. Das wird wohl mein samstäglicher Morgenspaziergang, das Stadium liegt nämlich am anderen Ende der Stadt.


Wieder zurück, werde ich auch schon erwartet: Constanza steht mit Julia im Schlepptau vor meiner Tür. Mit dem Auto fahren wir durch die Straßen von Concepción, hin zu einem Stadtviertel, das eigentlich schon fast einem Dorf gleicht: Nonguén. Dort gibt es auch ein Naturschutzgebiet, in dem man wandern kann (befindet sich bereits auf der Liste für die kommenden Wochenenden). Dann fahren wir weiter nach Talcahuano, eine Hafenstadt, die direkt an Concepción grenzt, doch bis an den Hafen kommen wir nicht. Alle Straßen, die dorthin führen, sind gesperrt. Dann eben nicht. Wir fahren weiter und weiter, der Himmel zeigt sich in strahlendem Blau. Constanza lenkt in Richtung des Parque Pedro del Río Zañartu. Ein Stück Natur- und Kulturerbe in Chile. Uns kommen Wandergruppen entgegen, wir fahren weiter: hin zum geliebten Meer. Hier mündet der Fluss Bíobio ins Meer. Der Sand ist schwarz, der Strand erstaunlicherweise müllfrei und Möwengeschrei hängt in der Luft. Tief einatmen. Tief, tief einatmen. Und am liebsten gar nicht mehr ausatmen. In dem Park gibt es ein kleines Museum, des ehemaligen Inhabers dieser wunderschönen Ländereien. Seine Leidenschaft: das Reisen. In dem zum Museum umfunktionierte Haus gibt es Räume voller Schätze aus fernen und noch ferneren Ländern: Schühchen aus Hong Kong, Maori-Schmuck aus Neuseeland, Babuschkas aus Russland, sogar eine Mumie aus Ägypten ruht im gläsernen Sarg. So, genug Geschichte eingeatmet, draußen warten Constanza und Julia. Wir fahren zum Mittagessen nach Lenga. Die Karte bietet mir zu viel Auswahl, ich lasse den Finger kreisen und der fällt auf den Krebsfleischauflauf. Als ersten Gang gibt es aber noch eine empanada mit Meeresfrüchten. Und der Hauptgang wird mit sopaipillas gereicht, Teigfladen auf Kürbisbasis, die einfach göttlich schmecken. Ich kriege noch ein Stück Fisch von Constanza gereicht, bis irgendwann mein Magen streikt. Mehr geht nicht rein. Wir kugeln zu dritt über die kleine Strandpromenade. Es ist Samstagnachmittag und die aufgeblasene Titanic versinkt unter auf ihr hüpfenden Kindern im Sand. Auf dem Gehweg werden Kleidung, Schmuck und allerlei Krimskrams feilgeboten, zumeist von Einwanderern aus Peru und Bolivien. Als der Krebs im Magen nicht mehr muckt, steigen wir wieder ins Auto und fahren über eine der beiden Brücken, die Concepción mit San Pedro de la Paz verbindet.

Der Fluss Bíobio bei Santa Juana
Entlang des Bíobios fahren wir landeinwärts. Die Bäume strecken sich in den Himmel, das Blau des Himmels spiegelt sich in dem breiten Fluss wider, in dem immer Silber-Akazien ihre sonnengelben Blüten preisen. Und das, obwohl der Frühling noch nicht wirklich angekommen ist. Bis nach Santa Juana fahren wir. Ein kleiner Ort, der an diesem Nachmittag wie ausgestorben scheint. Nur an dem kleinen See, auf dem gerudert wird, spielen ein paar Kinder, knutschen ein paar Jugendliche und faulenzen ein paar Erwachsene. Auf dem Hügel stand bis zu dem großen Erdbeben im Jahre 2010 die Festung von Santa Juana de Guadalcazar. Fast 400 Jahre stand es dort, jetzt liegen nur noch die Überreste herum, der kleine Kirchenturm stützt sich in den Baum, damit er nicht ganz zerfällt. Irgendwann machen wir uns wieder auf den Rückweg und plötzlich zeigt sich Concepción von einer anderen Seite, der anderen Flussseite. Man sieht schon fast eine Skyline im Abendlicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen