| Hier mündet der Bíobio in den Pazifik |
Da
hat mir jemand die Worte geraubt. Deswegen ist es wohl ein wenig still um mich
herum gewesen. Dreieinhalb Wochen Chile kann ich bereits an meiner imaginären
Strichliste abzählen und unbemerkt kommt Tag für Tag ein Strich hinzu. Ganz
langsam kommt auch ein wenig Routine in den Alltag. Endlich habe ich die Kurse
in der Uni zusammen, die ich gerne mache und die ausgesondert, die mir zu
verschult erscheinen oder die Dozenten mir nicht zusagen. Dafür habe ich mich
noch ein wenig in der Spanisch-Abteilung umgesehen und beschäftige mich jetzt
mit einheimischen Sprachen: vor allem mapudungun
(„die Sprache der Erde“), das von den mapuche
gesprochen wird. Eine der größten noch mehr oder weniger unabhängigen indigen
Völker Lateinamerikas. Außerdem kann ich endlich lesen, lesen für die Uni, dank
meiner Literatur-Kurse. Und die spanische Sprache lerne ich noch einmal mit
ganz anderen Augen kennen. Und zwar durch die Augen von Andrés Gallardo, einem
der Mitglieder der Academia Chilena de la
Lengua, meines Erachtens ein Genie, der seine Liebe zur Sprache kaum
verhehlen kann. Langsam komme ich in den Tritt, auch wenn ich manchmal in den
Hintern gebrauchen könnte. Aber vielleicht muss ich mir auch Zeit nehmen, Zeit
hier anzukommen, Zeit, die richtigen Menschen kennen zu lernen, Zeit für mich. Aber
auch Zeit die Gegend zu erkunden. Und da gibt es die eine oder andere helfende
Hand. Bereits in Leipzig hatte ich meine Namensvetterin kennen gelernt.
Constanza. Sie ist Dozentin an der Universidad de Concepción und war drei
Wochen lang in Deutschland zu Besuch. Eigentlich wollte sie mich vom Busbahnhof
abholen, das hat allerdings nicht geklappt und auch meine Versuche, sie in
ihrem Büro zu erwischen, waren zunächst erfolglos. Aber irgendwann hat das
stete Klopfen ein Herein hervorgerufen. Und da wurde ich nicht nur herzlich
begrüßt, sondern auch gleich eingeladen, einen Samstag mit ihr zu verbringen.
Der
Samstag ist wahrscheinlich der erwähnenswerteste Tag. Erst klopfe ich Jara,
meine deutsche Mitbewohnerin, aus dem Bett, damit wir gemeinsam einen
morgendlichen Spaziergang zum Stadion machen. Nicht etwa, um ein großes
Sportereignis zu bestaunen, sondern das Getummel auf dem wöchentlichen Markt.
Winzige Stände, an denen Kräuter und Knoblauch verkauft werden, reihen sich
zwischen riesige Obst- und Gemüsestände, deren Auswahl deutlich größer ist als
die der Supermärkte: Tomatenberge türmen sich neben Riesenzwiebeln, Hafer und
Weizen kuscheln tonnenweise in den Säcken, Bananen, Äpfel, Orangen, Mandarinen
und mir noch unbekanntes Obst tupfen bunte Flecken in das rege Treiben. Am
nächsten Stand: Dutzende Eier und ihre Leger gerupft daneben. Ein Kilo Honig?
Danke, gerne. Und dann macht mein Herz einen doppelten Salto: Fisch in rauen
Mengen! Seeaal, dicke Flundern, Adlerfisch und Lachs, daneben werden
handtellergroße Miesmuscheln immer wieder mit Wasser überschüttet, während die
winzigen Austern fast untergehen neben all den krabbelnden Leckereien. Hier ein
Eimer mit Seekrebsen, dort einer mit Garnelen. Am liebsten würde ich einfach
stehen bleiben und mich satt sehen. Aber die Massen schieben mich weiter zu
einem Stand, an dem da Kilo Avocado 1 000 Pesos kostet (1,50 €). Und
schon wieder hüpft mein Herz, als ich Käse probiere, Käse, der nach Kse
schmeckt. Und würde ich Fleisch essen, wäre mein Herz wahrscheinlich vor Freude
aus dem Hals gesprungen. Geräucherte Kaninchen, die mir ihr Inneres entgegen
strecken, daneben vergnügt sich ein noch quicklebendiger, moppeliger Artgenosse
an einem Salatblatt, schaut ab und an einmal rüber zu den Wachteln im benachbarten
Käfig. Derweil werden die Hühner und Truthühner paarweise an ihren Beinchen
zusammen geschnürt. Da steigt mir auch schon der Duft frischen Brotes, in der
Asche gebacken, in die Nase. Meine Leinentaschen werden schwerer und schwerer,
es reicht auch so langsam. Das wird wohl mein samstäglicher Morgenspaziergang,
das Stadium liegt nämlich am anderen Ende der Stadt.
Wieder
zurück, werde ich auch schon erwartet: Constanza steht mit Julia im Schlepptau
vor meiner Tür. Mit dem Auto fahren wir durch die Straßen von Concepción, hin
zu einem Stadtviertel, das eigentlich schon fast einem Dorf gleicht: Nonguén.
Dort gibt es auch ein Naturschutzgebiet, in dem man wandern kann (befindet sich
bereits auf der Liste für die kommenden Wochenenden). Dann fahren wir weiter
nach Talcahuano, eine Hafenstadt, die direkt an Concepción grenzt, doch bis an
den Hafen kommen wir nicht. Alle Straßen, die dorthin führen, sind gesperrt.
Dann eben nicht. Wir fahren weiter und weiter, der Himmel zeigt sich in
strahlendem Blau. Constanza lenkt in Richtung des Parque Pedro del Río Zañartu.
Ein Stück Natur- und Kulturerbe in Chile. Uns kommen Wandergruppen entgegen,
wir fahren weiter: hin zum geliebten Meer. Hier mündet der Fluss Bíobio ins
Meer. Der Sand ist schwarz, der Strand erstaunlicherweise müllfrei und
Möwengeschrei hängt in der Luft. Tief einatmen. Tief, tief einatmen. Und am
liebsten gar nicht mehr ausatmen. In dem Park gibt es ein kleines Museum, des
ehemaligen Inhabers dieser wunderschönen Ländereien. Seine Leidenschaft: das Reisen.
In dem zum Museum umfunktionierte Haus gibt es Räume voller Schätze aus fernen
und noch ferneren Ländern: Schühchen aus Hong Kong, Maori-Schmuck aus
Neuseeland, Babuschkas aus Russland, sogar eine Mumie aus Ägypten ruht im
gläsernen Sarg. So, genug Geschichte eingeatmet, draußen warten Constanza und
Julia. Wir fahren zum Mittagessen nach Lenga. Die Karte bietet mir zu viel
Auswahl, ich lasse den Finger kreisen und der fällt auf den
Krebsfleischauflauf. Als ersten Gang gibt es aber noch eine empanada mit Meeresfrüchten. Und der
Hauptgang wird mit sopaipillas
gereicht, Teigfladen auf Kürbisbasis, die einfach göttlich schmecken. Ich
kriege noch ein Stück Fisch von Constanza gereicht, bis irgendwann mein Magen
streikt. Mehr geht nicht rein. Wir kugeln zu dritt über die kleine
Strandpromenade. Es ist Samstagnachmittag und die aufgeblasene Titanic versinkt
unter auf ihr hüpfenden Kindern im Sand. Auf dem Gehweg werden Kleidung,
Schmuck und allerlei Krimskrams feilgeboten, zumeist von Einwanderern aus Peru und
Bolivien. Als der Krebs im Magen nicht mehr muckt, steigen wir wieder ins Auto
und fahren über eine der beiden Brücken, die Concepción mit San Pedro de la Paz
verbindet.
| Der Fluss Bíobio bei Santa Juana |
Entlang des Bíobios fahren wir landeinwärts. Die Bäume strecken sich
in den Himmel, das Blau des Himmels spiegelt sich in dem breiten Fluss wider,
in dem immer Silber-Akazien ihre sonnengelben Blüten preisen. Und das, obwohl
der Frühling noch nicht wirklich angekommen ist. Bis nach Santa Juana fahren
wir. Ein kleiner Ort, der an diesem Nachmittag wie ausgestorben scheint. Nur an
dem kleinen See, auf dem gerudert wird, spielen ein paar Kinder, knutschen ein
paar Jugendliche und faulenzen ein paar Erwachsene. Auf dem Hügel stand bis zu
dem großen Erdbeben im Jahre 2010 die Festung von Santa Juana de Guadalcazar.
Fast 400 Jahre stand es dort, jetzt liegen nur noch die Überreste herum, der
kleine Kirchenturm stützt sich in den Baum, damit er nicht ganz zerfällt.
Irgendwann machen wir uns wieder auf den Rückweg und plötzlich zeigt sich
Concepción von einer anderen Seite, der anderen Flussseite. Man sieht schon
fast eine Skyline im Abendlicht.
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