Harte Zeiten… und nicht ganz so harte
Immer mal wieder bin ich müde, von all dem, von all den neuen Dingen, aber so langsam schleicht sich der Alltag hinein, die Routine des Studiums, auch wenn die nicht so ganz dem entspricht, was man aus Deutschland kennt. Studieren hier fordert einen mehr und gleichzeitig weniger. Nicht zu verstehen? Ein Erklärungsversuch:
Das Semester hier beinhaltet etwa vier Monate, in diesen vier Monaten hat man in etwa vier bis sieben verschiedene Kurse, das hört sich nicht viel an, ist es aber. Denn man schreibt nicht nur eine Klausur am Ende des Semesters (und hält vielleicht noch das ein oder andere Referat), es ist vielmehr so, dass man ständig großem Druck ausgesetzt ist. Jede Woche schreibt man „parciales“, „quizzes“, Hausarbeiten, es gibt mündliche Prüfungen, es wird überprüft, ob man die Texte gelesen hat (die Stunde wird damit begonnen, dass man Thema, Thesis und ein Inhaltsverzeichnis des Textes innerhalb von 10 Minuten schreiben muss ohne den Text zur Hand zu haben), man wiederholt brav, was in den teilweise 120-seitigen (wissenschaftlichen) Texten steht und ALLES wird benotet, in manchen Kursen gibt es sogar mündliche Noten. Ein etwas anderes System also. Man muss um einiges mehr tun, ich habe zwar dienstags und donnerstags keine Vorlesungen, aber lesen muss ich genug. Und ich habe hier „nur“ fünf verschiedene Kurse. Es kann auch sein, dass dem ein oder anderen Dozenten mal eben einfällt, dass man innerhalb von einer Woche ein Referat vorbereiten muss oder, dass die folgende Woche eine Prüfung ansteht. Manchmal erscheint einem alles ein wenig willkürlich. Die ersten Wochen waren deswegen recht stresserfüllt. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, unter Druck arbeiten, das ist nichts Neues, aber der Dauerstress hat mich für etwa eine Woche dahingerafft. Die halbe Uni war verschnupft, erkältet, das hat mich dann auch eingeholt. Aber dank eines Rezepts einer guten Freundin (Kokatee, Limone, Honig und Aguardiente) und auch dank agua panela mit Limone konnte ich trotz dessen einiges tun. Und mir ging’s nicht ganz so schlecht wie dem guten Uribe, der die Schweinegrippe aus Argentinien mitgebracht hat.
Bevor ich vergesse, was einen hier weniger fordert: Man muss nicht viel nachdenken, besser, es bleibt einem gar nicht sonderlich viel Zeit. Ja, auch in Deutschland kann man sein Studium ganz ohne Denken absolvieren, aber man hat Zeit zum Überdenken, zum Organisieren, man ist irgendwie freier, unabhängiger, es wird einem nicht vorgeschrieben, wie man was zu tun hat, man muss sich selbst Gedanken über seine Prioritäten machen, selbst entscheiden, was wichtig ist, selbst Entscheidungen treffen. Aber das liegt auch daran, dass man hier früher beginnt zu studieren, die meisten Studenten leben bei ihren Eltern und müssen um einiges weniger an Selbstverantwortung übernehmen. Vielleicht ist es an anderen Universitäten des Landes anders, vielleicht auch in anderen Kursen, in anderen Studiengängen, das alles ist subjektiv, aber nicht nur ich nehme es so wahr, sondern auch viele andere ausländische Studenten. Ich will nicht sagen, dass man nichts lernt, im Gegenteil; man lernt Vieles, nur anders und Anderes.
Aber auch in solchen Wochen, die voll gestopft sind mit Prüfungen, Tests und dergleichen, muss man sich einen Ausgleich suchen, die Zeit hier genießen und Ruhe für sich selbst haben. Und vielleicht auch mal wieder etwas Abstand von allem gewinnen, sich ein wenig verändern. Also geht es zum Friseur. Mit einem Bus, also einem „richtigen“ Bus, die Sorte, die man mit einem kräftigen Händewinken anhalten muss. Voll, sehr voll, so voll, dass ich es nicht hinters Drehkreuz schaffe, sondern auf der vorletzten Trittstufe den Fahrtwind spüre, hinter mir der junge Mann, der das Geld einsammelt, ansonsten nur Straße, seltsames Gefühl, so ganz ohne Absicherung mit nicht zu unterschätzendem Tempo durch die Straßen zu jagen. Und doch passiert nichts. Dann: Schnipp, schnapp, Haare ab, als ich dem Friseur erlaube zu machen, was er will, freut er sich wie ein kleines Kind, diejenigen, die neben mir auf den Stühlen sitzen, starren mich entgeistert an. Er legt los. Hier was weg, da was weg, es geht schnell, mir gefällt’s, hier ein paar Veränderungen, da noch ne Strähne weg und fertig. Noch ein wenig Gel (Haarspray ist hier kaum erhältich), und zum Bezahlen; 6000 Pesos für ne schicke neue Frisur, mit Haarwäsche und Kopfmassage (es handelt sich bei dieser Summe um etwa 2 Euro, da kann man ruhig einmal öfters hingehen). Zuhause verpasse ich mir selbst noch ne andere Farbe, ist ja nicht so, dass ich das nicht schon seit meinem 14. Lebensjahr mehrmals jährlich mache. Und da bin ich, wieder ein wenig anders, was Neues, diesmal habe ich mich äußerlich verändert, Veränderungen sind notwendig.
Ein Samstag, an dem ich bekocht werde, Bohnensuppe („frijoles“ genannt), Thunfisch-Plätzchen, Reis, platanos, ein typisches kolumbianisches Essen, fehlt nur die Avocado. Dann ins Kino, wir treffen uns mit einer Rollifahrerin, das erste Mal seit 14 (!) Jahren, dass sie ausgeht, es wird viel gelacht, und meinen Ohren ist es eine Wohltat Englisch zu hören, sogar ein wunderschöner irischer Akzent ist dabei. Gutes Essen, guter Kaffee, (mittel)guter Film („La cruda verdad“ oder auch „Die nackte Wahrheit“), schönes Wetter, nette Menschen um einen herum, was will man mehr – manchmal ein wenig mehr Zeit und ein bisschen weniger Angst seine Kamera herauszuholen, aber mehr auch nicht.
Viel passiert nicht, außer lesen, lernen, und noch mehr lesen, sich über den ein oder anderen Dozenten aufregen, weil auch sie das kolumbianische Zeitgefühl des Öfteren überkommt und zugleich erwarten, dass man seine Sachen fristgerecht einreicht. Das ein oder andere klärende Gespräch über Probleme, die eigentlich keine Probleme waren, denn ich muss hier nicht jeden Kurs bestehen, ich stehe also objektiv gesehen nicht unter dem Druck, unter dem die kolumbianischen Studenten hier stehen, aber wer mich kennt, der weiß, dass Niederlagen nicht unbedingt meine Stärken sind. Also setze ich mich fleißig selbst unter Druck, und suche gleichzeitig den Mittelweg.
Und dieser Mittelweg beginnt mit einem wunderschönen Geburtstag einer Freundin, die ein Jahr in Deutschland verbrachte als viele von uns noch zur Schule gingen, so wie ich auch, gemeinsame Geschichtsstunden, Chemieunterricht, ach, die alten Zeiten, man mag sie nicht missen, aber gut, dass das irgendwann ein Ende hatte. Nun denn, wir haben uns in meiner Heimat kennen gelernt, jetzt lebe ich in ihrer Heimat. Ein kleiner Geburtstag, nur Frauen, nur ein paar, so einen Geburtstag habe ich noch nie erlebt, wir backen Pizza (besser ich arbeite hart, zeige ihnen, wie man den Teig anfertigt, in walkt und knetet bis er nach Ewigkeiten die richtige Konsistenz hat).
Wir werden vom Duft frischen Kaffees und frischen arepas mit Rührei geweckt, eine (zunächst kalte) Dusche erweckt uns zu neuem Leben, gestärkt geht es in den nächsten – und letzten für diese Woche – Unitag. Gut, dass es nur zwei Vorlesungen sind. Der Rückweg gestaltet sich ein wenig schwierig, denn eine Demonstration in der Innenstadt verhindert das Funktionieren des Bussystems. Müde, von „Anti-Chávez-Rufen“ begleitet, den fliegenden Eiern aus dem Weg gehend, flüchte ich mich zur zwanzig-minütigen-Fußweg-entfernten Transmilenio-Station und stopfe mich selbst hinein, in den überfüllten Bus. Vielleicht sollten sie auf allen Strecken diese superlangen Busse (die längsten der Welt) einsetzen, denn es sind einfach unglaublich viele Menschen, die es nicht erwarten können, sich mit voller Wucht in die schon arg gequetschten Menschenmassen zu schmeißen. Und doch meistere ich mir so viel Platz zu erkämpfen, dass ich meinen Auster hervorholen und mir die Zeit mit lesen vertreiben kann. Die Sonne strahlt, also laufe ich anstatt den Alimentador zu nehmen, genieße die Wärme auf meiner Haut. Zuhause eine Dusche, eine kurze Pause, ein kleines Nickerchen, ein bisschen Vitamin C und wieder auf. Los geht’s, ein schöner Abend steht bevor. Sushi. Selbst gemacht. Von einem Koch, der in einem japanischen Restaurant arbeitet. Wir dürfen alle mal, rollen und rollen. Er zeigt uns die richtige Technik, wir spielen mit den Ingredienzien rum, reden viel, denn dies wird der vorletzte Abend für Ginna sein, ein halbes Jahr Spanien, ein Abschiedsabend also, aber ganz ohne Tränen, mit viel Spaß und langem Warten, bis alles fertig ist. Bei Sprite und Cola genießen wir nachts um Zwölf unser Mahl.
Viel Arbeit, die in kürzester Zeit zunichte gemacht wird. Aber sehr gut, diesmal war es das Warten wirklich wert.
Und dann holt mich die Kindheit wieder ein; wir spielen UNO. Keine Idee, wie lange ich das schon nicht mehr gespielt habe. Jahre. Bestimmt. Mein Spiel. Ich weiß nicht, wie ich es anstelle, aber ich gewinne quasi fast jede Runde. Da gibt es doch so ein Sprichwort;) Glück im Spiel…
Die Nacht wird nicht ganz so alt wie die vorige und doch fahre ich nicht nach Hause, sondern mit zu Steffi, denn Taxifahren ist hier zwar günstig, aber man muss das Geld ja auch nicht um sich schmeißen. Wir fallen in einen komatösen Schlaf, auch wenn der Alkohol schon lange aus unserem Kreislauf verschwunden ist, wir kriegen nichts mit, rein gar nichts, weder Anrufe, noch das Eintreten verschiedener Personen in das Zimmer, wir erwachen um zwei Uhr nachmittags. Reichlich spät, aber dafür ausgeruht. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal um diese Uhrzeit aufgewacht bin, ob ich es überhaupt jemals so lange ausgehalten habe. „Frühstück“ und dann hinaus in die Sonne, so fühlt sich der noch junge Sommer an. Warme Sonnenstrahlen, die einem über die Haut streicheln, ein leerer Transmilenio, lächelnde Menschen. So ausgeruht lässt’s sich mit neuer Energie ans Werk gehen. Der Rest des Wochenendes ist dem Lesen gewidmet.
vier monate semester? Und was machst du dann in den anderen vier monaten in kolumbien? du bist doch 8 monate da, oder? Hast du dann frei?
AntwortenLöschenSo ein spannendes, soziales Leben! Ich geniesse die Posts wirklich, sie sind alle interessant :)
AntwortenLöschenHola guapona,
AntwortenLöschentu nuevo peinado te va muy bien, pero nunca te vi tan oscura..., es casi negro, tu color nuevo, verdad?
Además me encanta leer tus noticias, deberías usar tu talento para describir atmósferas y sentimientos en tu profesión, yo no sé si entretanto cambiaste de planes, pero periodismo o autora - sí que me lo podría imaginar perfectamente...
Y qué pasa con el teatro, no puedes actuar allá?
Te deseo más de esas impresiones multicolores y qué lo disfrutes bomba, Heike