Samstag, 29. August 2009

Como voy a la u

Mein Weg zur Uni


Morgens um 4.45 Uhr klingelt mein Handy, nein, niemand, der mich versucht, so früh aus dem Schlaf zu reißen… sondern ein wunderschönes „Guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein…“, mein Wecker. Noch ist es dunkel draußen, aber das wird sich schleunigst ändern. Ich bin die erste, die wach ist, schnapp mir mein Handtuch, schleiche ins Bad, drehe die Wasserhähne auf und erwache, erst kalt, nach einigen Sekunden erwärmt sich das Wasser, der erste schock ist überwunden. Dann Kaffee und zum Frühstück gibt’s momentan Reis, Ei und Obst, gehört wohl alles zum Anspassungsprozess. Schnell nach eMails geschaut, denn die Dozenten lieben es mitten in der Nacht noch wichtige Neuigkeiten zu verschicken. Bett machen, Geschirr abwaschen, Unikram schnappen, Tür aufsperren (gut, ich habe Dinge wie ankleiden, Zähneputzen, etc bewusst nicht aufgezählt; ich schreibe ja so oder so schon mehr als die meisten wohl je lesen werden), aufmachen zur „Haltestelle“ (eine gelbe Linie auf dem Bordstein), beim Überqueren der Straße fast von einem Taxi, einem Bus oder Lastwagen überfahren werden (ich will nicht als einer der vierzackigen Sterne auf der Straße enden, die hier seit einigen Jahren zur Vorsicht mahnen, denn jeder dieser Sterne steht für einen Verkehrstoten, und es gibt einige Tausende von ihnen), sich in die Traube von wartenden Menschen gesellen (Schlange stehen ist hier unmöglich), in den Alimentador steigen (die grüne und kleine Variante des normalen Transmilenios) und hoffen weder erquetscht zu werden, noch zu ersticken, unglaublich, wie viele Menschen um diese Uhrzeit unterwegs sind. Am Portal del Norte wird’s noch voller, so wie die Menschen Angst haben nicht in den Bus hinein zu gelangen, so erfüllt es sie auch mit einer unbeschreiblichen Angst nicht aus dem Bus heraus zu gelangen, anders kann ich mir das Gedränge und Geschupse nicht erklären. Die Karte auf das dafür vorgesehen Feld legen, grünes Licht bekommen, durch die Schranke, den Tunnel zur Unterquerung der Straße nutzen, sich zum Abfahrtspunkt der J72 durchkämpfen und in eine noch größere Traube von Menschen eintauchen, und dann etwas Gewalt anwenden, um in den Bus einsteigen zu können, denn an einem Punkt fahren mindestens drei verschiedene Busse ab und da es keine Schlangen gibt, muss man sich durch Menschenmauern kämpfen, die standhaft ihren Platz in der Traube verteidigen, gerade dann, wenn sie NICHT in den haltenden Bus einsteigen wollen. Einmal drin, geht der Kampf weiter, die wenigen Sitzplätze sind schnell belegt und meistens ist es unmöglich einen zu ergattern. An der nächsten Station füllt sich der – liebevoll Transmi genannte – Bus bis zum Bersten, in Deutschland würden die Türen nicht zugehen, weil die Lichtschranke (die es hier nicht gibt) immer blockiert wäre, nicht so hier; also alle Extremitäten einziehen, damit nichts draußen bleibt. Und auf geht die bunte Fahrt; da ich weit, weit weg von der Uni wohne, geht es vom fast nördlichsten Norden ins Zentrum, ins Herz der Stadt, auf dem Weg dorthin verändert sich das Bild, das sich einem zeigt fortwährend. Vom Industriegebiet über Straßenzüge voll von Autohäusern, durch den reichen Norden, moderne Häuser mit Dachterrassen, Überwachungskameras, Stacheldraht oberhalb der Mauern, Sicherheitspersonal, teure Autos hinter verschlossenen Garagentoren, Chauffeure, und ein Viertel weiter tut sich die ärmere Gegend auf, kleine Geschäfte, Obstlädchen neben Wäschereien, Motorräder halb in den Läden geparkt, auf den Fußwegen ist kaum Platz, da sich die Straßenverkäufer mit ihren Fahrradgestellen, Decken breit machen und ihre Waren feilbieten. Auch die Straßen sind überfüllt, trotz einer Regelung, derzufolge an bestimmten Wochentagen nur bestimmte Autos mit bestimmten Kennzeichen in die Stadt dürfen, Autos, die LKW überholen, Motorräder, auf denen ganze Familien mitfahren, selbst die kleinsten, die gerade mal sitzen können, alle mir orangefarbenen Warnwesten, auf denen das Kennzeichen prangt, werden geschnitten, von Bussen, Pferdekutschen, Rikschas, Menschen, die einen Karren mit ihren Waren ziehen, ein seltsames Durcheinander. Nur für den Transmi gibt es zwei eigene Spuren, sodass man nicht wirklich im Stau steht.
Das Viertel verändert sich, aus den Obstläden werden Zoogeschäfte, Hündchen in Käfigen, Vogelgezwitscher, das Gekreische von Katzen, dann verwandeln sie sich in Taschengeschäfte, später werden daraus Uhrmachereien und ähnliches.
Das Viertel wechselt, die Rollläden der Geschäfte sind alle herunter gelassen, man sieht nur vereinzelt Menschen auf der Straße, eingeschlagene Fensterscheiben, aufgebrochene Schlösser, Obdachlose, die auf den Fußwegen schlafen, sich schützend die eine Hand vor den Mund halten, die andere schützend über ihre Habseligkeiten, andere robben sich mit purer Muskelkraft über den Boden, da ihnen die Beine zum Gehen fehlen, an der Straßenecke eine hübsche dunkelhäutige Frau, in einen Mantel gehüllt, glitzernde High Heels, der Mantel öffnet sich und es kommt ein Hauch von Nichts zum Vorschein; ein Stringtanga, ein Spitzen-BH, alles käuflich, an den Backsteingebäuden flackert vergeblich eine Leuchtschrift auf: „Beverly Hills“, und das alles morgens früh, auf dem Weg zur Uni. Ein Bankenviertel mit den höchsten Gebäuden Bogotas, nicht ganz Wolkenkratzer, der höchste Turm (gleichzeitig auch der höchste Turm Kolumbiens) hat ganze 48 Stockwerke, Turm an Turm, Bank an Bank.
In der Innenstadt ist alles ein wenig geordneter, noch, denn später gegen Mittag bricht auch hier das Chaos aus, aber es ist ein geordnetes Chaos, Märkte, Menschen, Schuhputzer, Straßenstände, und Baustellen, viele Baustellen, da fühlt man sich fast wie in Deutschland. Gepflasterte Straßen, ein Aquädukt, das die Bettler zum Waschen nutzen, ansonsten aber sehr schön anzusehen ist. Das Goldmuseum, der städtische Fernsehsender, Regierungsgebäude, alles scheint solider, älter, auch wenn aus dem ältesten Hotel der Stadt gerade Appartements geschaffen werden, auf den Statuen sich Hunderte von Tauben befinden, aufgerissene Mülltüten, die von streunenden Hunden durchwühlt werden, Bettler, die sich mit Mülltüten vor der nächtlichen Kälte schützen…
Studenten, die in Richtung Uni strömen, der einzige Ort, an dem die meisten pünktlich erscheinen.

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