Sonntag, 23. August 2009

La primera vez afuera de Bogotá


Ein langes Wochenende


Ein großer Bus, mehr als vierzig Leute unterschiedlichster Nationalitäten und ein Stop in einem Großsupermarkt... So beginnt ein langes Wochenende, der Montag ein Feiertag, also genug Zeit, um auch einmal andere Gefilde zu erkunden. Müde besteigen wir den Bus, Austauschstudenten wie auch einheimische Studenten, stoßen an, tanzen, schlafen, grölen, alles, was dazu gehört, man fühlt sich ein wenig in die Zeiten von Klassenfahrten zurück versetzt. Angesagt sind etwa vier Stunden Fahrt, aber anhand des Umrechnungsschlüssels für das kolumbianische Zeitsystem sind es dann doch sieben Stunden, in denen getrunken, gelacht und gerätselt wird, in was für einer schäbigen Herberge wir denn nächtigen werden. Mitten in der Nacht, nach unzähligen Kurven, Felswänden und Abgründen, die man bei der Dunkelheit kaum wahrnimmt, sind wir da, zumindest fast. Gepäck ausladen und Essen schleppen, da der Bus zu breit ist, müde, betrunken, zehn Kilo Reis oder Wasser in den Händen, die steile steinige Straße hinauf. Und dann überwältigt sein von dem Anblick, dem Ausblick, der Aussicht. Ein unglaublich schönes Gelände mit mehreren Fincas erwartet uns und das Panorama, mitten in den Bergen, man überschaut das gesamte Tal, die kleine Stadt – Villa de Leyva, ein koloniales Städtchen mit viel Charme. Wir werden bekocht, sogar nachts um zwei, Nudeln mit Würstchen, die vegetarische Variante: Nudeln ohne Würstchen. Und danach ins Bett fallen, wir sind zu fünft in einem riesigen Raum, in der Finca mit der schönsten Aussicht, andere Fincas sind mit Zwei-Bett-Zimmern, Terrasse und teilweise sogar Whirlpool ausgestattet.

Der nächste Morgen beginnt mit einem ausgedehnten Frühstück auf der Terrasse: Tamal, Brötchen, tinto… Und blauer Himmel, strahlende Sonne, Helligkeit, die einem das Leben versüßt und die kalte Dusche erweckt einen zu neuem Leben, gewöhnungsbedürftig, aber man kann sich ja nach dem Schock in der Sonne wieder aufwärmen. Dann: Sachen packen und ab in Kleinbusse, zehn bis zwölf Leute werden eng an eng durch wunderschöne Landschaften gekarrt bis hin zum Nationalpark La Perikera. Dort angekommen fängt es an zu schütten, wir stellen uns unter, warten, warten, warten und irgendwann hört es auf, wir teilen uns auf, die eine Hälfte begibt sich mit einer überdimensionalen Seilbahn tief hinunter ins Tal, etwa 200 Meter in die Tiefe, der Rest nimmt die Herausforderung an und wandert auf rutschigen Pfaden durch die Gefilde des Parks, es regnet wieder, wir rutschen aus, legen uns lang, tragen hübsche Muster davon. Niemand hat uns gesagt, dass es eine Klettertour werden würde. Aber unser Guide, ausgestattet mit Flöte und starker Hand hilft bei jeder Felswand, jedem rutschigen Weg und sichert jeden vor dem Abgrund, der mehr als nur einmal einladend wirkt. Wir wandern an Wasserfällen vorbei, das Rauschen erfüllt den ganzen Raum, ohrenbetäubend und atemberaubend… Und dann plötzlich, als sei nie etwas gewesen, strahlt die Sonne wieder aus allen Löchern, am zweiten Wasserfall gehen die ersten von uns freiwillig baden, in Begleitung von indigener Flötenmusik, dann geht es weiter, durch Gestrüpp, teilweise barfuß bis hin zum nächsten Wasserfall. Dort begrüßen uns zwei Esel und ihre Hinterlassenschaften auf einer riesigen grünen Wiese. Einige springen wagemutig ins Wasser, andere tasten sich vorsichtig vor, ganz so warm ist es nicht, aber unter dem fallenden Wasser eines Wasserfalls zu stehen, das Prasseln dieses unglaublich gewaltigen Elements, der Lärm und doch die gleichzeitige Ruhe, das Aufbrausen, diese Kraft und die gleichzeitige Stille, die Einsamkeit inmitten der vielen Menschen, die Verbundenheit mit der Natur spüren, eine Erfahrung, die einem niemand nehmen kann… Wir verbringen viel Zeit im Wasser, in der Sonne bevor der Aufstieg beginnt, diesmal ohne große Kletterei, aber dafür steile Wege ohne Sicherung, neben sich der Abgrund und es geht höher und höher. Plötzlich dreht man sich um und kann es kaum fassen: die Aussicht, unbeschreiblich schön. Auch wenn ich eher fürs Meer bin, die Berge hier begeistern mich…

Müde, eng an eng geht es zurück zu unserem Quartier, es gibt Hamburger, die vegetarische Variante: Nudeln. Aber ich will mich nicht beklagen. Abends zieht es uns in die Stadt, ein riesiger Marktplatz, Kopfsteinpflaster überall, helle Gebäude im Kolonialstil, alles wird angestrahlt, man fühlt sich in eine andere Welt hineinversetzt. Kaum Autos, Schlichtheit und trotzdem imposant. Wir schlendern und stolpern durch die Gassen, und plötzlich meine ich nicht wirklich das zu sehen, was ich sehe, ein hölzernes Schild über dem Eingang in eine Lokalität, auf dem in großen Lettern „Dorfkneipe“ geschrieben steht. Wir lassen uns jedoch in einer anderen Kneipe nieder, trinken das ein oder andere alkoholische Getränk und die erste Gruppe, die den Heimweg antreten will, formiert sich. Wir suchen also ein Gefährt, das dreizehn Studenten nach Hause karrt, finden eins, quetschen uns hinein und fahren in die Nacht hinein…

Für viele endet die Nacht in den frühen Morgenstunden, während die meisten erst schlafen gehen, stehe ich auf, morgens um fünf, um den Sonnenaufgang in aller Ruhe zu genießen, allein, mit bloßen Füßen durch das nachtfeuchte Gras, hinauf, die Kälte durch die Fußsohlen in sich aufsteigen fühlen und mit beiden Füßen auf dem Boden stehen, tief in die Erde atmen, sich verbunden fühlen, das Hahnengeschrei und ein wenig Hundegebell ist das einzige, was die Ruhe unterbricht, aber die Stille und Friedlichkeit, die Einsamkeit und Natürlichkeit dieses Moments kann man in vollen Zügen genießen… Die Überlegung mich wieder hinzulegen verwerfe ich schleunigst, steige unter die eiskalte Dusche und erwache erneut am gleichen Morgen. Langsam tauchen auch andere verquollene Gesichter auf, ein reichhaltiges Frühstück verscheucht fast jeden Kater: Rührei mit Tomaten und envuelto, dann teilen sich die Gruppen, der Großteil macht sich auf den Weg, um einen Berg von 4000 Metern Höhe zu besteigen, ebenso viel Kletterei wie am vorigen Tag, der Rest macht sich auf den weg ins Städtchen, um zu reiten. Das erste Mal seit langer, langer Zeit, dass ich auf einem Pferd sitze, es heißt „Paloma“, ist schon etwas älter und auch eines der langsameren Pferde, aber trotzdem verstehen wir uns. Es geht auf über ausgetrocknete Wege, wir wirbeln eine riesige Staubwolke auf, jagen davon, mit uns zwei junge Reiter, die aufpassen, dass uns nichts passiert. Wir reiten und reiten durch Landschaften, gerade die männliche Gruppe genießt es nicht immer, aber wir gelangen an einen kleinen kristallblauen See mitten in einer Gegend, die sehr viel von einer Wüste hat, wir legen eine Pause ein, erfrischen uns, verstärken unseren Sonnenbrand und man kann sich durchaus wie in einem Westernfilm fühlen. Dann geht es wieder zurück, insgesamt fast drei Stunden zu Pferd, das merkt man, vor allem, wenn es ums endgültige Absteigen geht, plötzlich kann man seine Beine nicht mehr bewegen, wie man es vorher konnte, der Gang ist ein anderer, irgendwie breiter und schmerzhafter… Also geht es breitbeinig und ächzend ins Städtchen, Gassen und Plätze bei Tageslicht betrachten und viele, viele Drachen, so wie überall in Kolumbien um diese Jahreszeit. Riesige gekaufte, kleine selbst gebastelte, sie verfangen sich, steigen in ungeahnte Höhen auf, stürzen ab, ein unglaubliches Spektakel. Währenddessen füllen die Deutschen ihren Biervorrat auf, dann geht es auch wieder auf in Richtung „La Primavera“, denn wir sind alle nicht sonderlich sauber nach einem langen Ausritt, außerdem fällt das Gehen doch schwer.
Nach einer Dusche und Stärkung genießen wir die Sonne auf der Terrasse, in der Hängematte oder auch auf der grünen Wiese und warten, warten auf die mutigen Bergsteiger, die auch irgendwann vereinzelt, erschöpft und hungrig auftauchen. Viele nutzen die Zeit, um etwas Schlaf nachzuholen, andere lernen fleißig, wiederum andere liegen einfach nur apathisch in der Ecke. Gegen Abend geht es wieder ins Zentrum, in ein Restaurant mit Live-Musik, die Küche hat ein Problem, deswegen müssen wir etwa zwei Stunden aufs Essen warten, und auch die Getränke lassen lange auf sich warten. Eine Piña Colada sollte es sein, es ist aber sehr zäh, schmeckt eher wie Joghurt mit Kokosraspeln, und die Eiswürfel sind nicht vorhanden, wir bitten also fünfmal darum, bis wir endlich erhört werden. Dafür ist die Band umso besser, es wird getanzt, gefeiert, gelacht. In allen Varianten… Ein weiterer Abend geht dem Ende entgegen, aber auch diese Nacht endet für die meisten erst recht spät oder auch früh, das kommt auf die Sichtweise drauf an. Und dann bricht auch schon der letzte Tag an, ein kleines Grüppchen macht sich morgens um acht auf, um sich die Innenstadt nochmals anzusehen… Auf dem Weg dorthin werden wir plötzlich ausgelacht, aber in einer Art und Weise, dieses lachen, das kann nicht menschlich sein… Des Rätsels Lösung ist ein Papagei, der da hockt und lacht und lacht, dass uns selbst auch nichts anderes übrig bleibt als mit einzustimmen. Ein guter Start in den Tag, die Sonne scheint, wir sind müde, aber doch glücklich. Die Stadt erwacht gerade zum Leben, die ersten Geschäfte öffnen, als wir durch die Straßen pilgern, die Sonne knallt uns auf die Köpfe und ein Urlaubsgefühl der besonderen Art keimt in einem auf.
Als wir jedoch den Rückweg antreten wollen, finden wir kein einziges Taxi, alle sind Teil der Parade… Aber die Polizei, dein Freund und Helfer, hilft uns tatsächlich, gabelt doch ein Taxi auf und wir kommen pünktlich zum Frühstück in unserer Finca an. Sachen zusammenpacken, die letzten Tropfen Wasser aus den 5-Liter-Tüten pressen und dann alles hinunterschleppen zum großen Reisebus. Vier Stunden Busfahrt, diesmal am helllichten Tage, so sieht man viel vom Land, wir fahren durch kurvige Landschaften, kleine Dörfchen und werde angehalten, von der Polizei, in einer Gegend, in der es viel Guerilla gibt, da aber niemand von uns sich dieser anzuschließen gedenkt, dürfen wir unsere Reise fortsetzen. Die Großstadt hat uns wieder…

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