Montag, 21. Juni 2010

El tiempo está corriendo…

Ich würde so gerne noch ein bisschen mehr Zeit haben


Kann mal jemand bitte die Zeit anhalten? Es ist so verdammt schwierig sich verabschieden zu müssen. Und ich will es auch nicht müssen. Nur der Gedanke, dass ich in neun Monaten möglicherweise wieder hier sein werde, tröstet mich ein wenig.
Ich werde ein wunderschönes Land mit ganz vielen wunderbaren Menschen zurücklassen müssen. Aber keine Angst, ein wenig Vorfreude auf das gute alte Deutschland ist auch mit dabei, noch verstehe ich es eben nicht ganz, dass es sehr bald zurück in bekannte (mir mittlerweile recht unbekannte) Gefilde geht. Das beste ist wohl nicht allzu viel darüber nachzudenken, sondern alles, was geht, mitzunehmen.

Da die Augenblicke nur so vorbeifliegen, gibt es auch in diesem Beitrag nur augenblickliche Einsichten.

Dienstag: Sonnebrand plagt mich, meine Schultern tun noch immer weh. Die oberste Hautschicht löst sich bereits, doch bei dieser wird es nicht bleiben. Wäsche waschen. Einkaufen. Alltag und doch bald kein Alltag mehr. Handy vergessen bei Kike, und das, obwohl ich es in den letzten Tagen doch brauche, um alles zu organisieren, sich an Treffpunkten zu finden. Wie kann man nur jemals ohne Handy überlebt haben. Man kann. Dank der vielen Straßenverkäufer, die auch Gespräche verkaufen. Und nicht ganz dumm ist es ebenfalls, Handynummern aufzuschreiben, auf Papier, also ganz analog.
Treffen mit einem Freund, den ich seit acht Monaten nicht gesehen habe. Erst in einem Café, dann Kneipe, dann Wohnung. Auch ein anderer Freund, den ich lange Zeit nicht gesehen habe, schaut spät abends noch vorbei. Ein Fingerschnipsen und der Tag ist um.

Mittwoch: Ruhe. Zumindest äußerlich, innerlich wird es immer schlimmer. Wirklich wahrhaben kann ich es noch immer nicht. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit hier. Aber das will nicht in meinen Kopf hinein. Wird es wohl auch nicht. Deutschland wird mir wie ein Traum vorkommen. Ob es ein guter sein wird, wer weiß.

Donnerstag: Ein typischer Donnerstag. Treffen mit Eduardo. Die Gespräche sind lang, aber einseitig, ich kann ihm nicht wirklich folgen, immer wieder schweifen meine Gedanken ab, ich versuche es ernsthaft. Aber es geht nicht. Ich habe das Gefühl, mein Kopf explodiere jeden Augenblick. Einatmen, ausatmen. Transmilenio. Zur Nacional. Die Dämmerung bricht hinein. Treffen mit Kike. Endlich wieder in der modernen Welt mit Handy und dem ganzen Stress und ständigem Erreichbarsein.

Freitag: Das allererste Fußballspiel, das ich mir anschauen werde. Oder auch nicht. Der Plan war es etwas bei einer Freundin abzuholen. Rauf aufs Rad, die Sonne scheint. Den Menschen ausweichen. Ich werde beinahe von einem Straßenhund in die entblößte Wade gebissen. Das Spiel hat schon begonnen. Die beiden Jungs machen fleißig typische Geräusche und Gesten. Nina und ich unterhalten uns lieber über die vergangenen Tage und Reisen. Bei Spielabpfiff muss ich auch schon wieder nach Hause. Verabredung mit meinen beiden ehemaligen Mitbewohnerinnen. Caro und Caro. Seit Weihnachten haben wir es nicht geschafft uns zu treffen. Doch noch ein letztes Mal. Und immer fühlt es sich noch nicht wie Abschiednehmen an.

Samstag: Einladung zur Fundación Mano Latente. Im Süden. Gute Freunde haben diese Stiftung gegründet. Sie helfen Kindern, Kindern aus Vierteln Bogotás, in denen es noch immer Holzhütten gibt. Manche von ihnen sind Müllsammler. Andere haben ein recht stabiles zu Hause und zumindest ein vernünftiges Dach überm Kopf. In einer Schule haben sie jeden Samstag einen Raum zur Verfügung. Es wird gelernt zu lernen und vor allem werden Grundwerte vermittelt, das wichtigste hier: dem Gegenüber Respekt zollen, Toleranz zeigen, Neugierde entwickeln. Und das sind sie. Etwa 40 Kinder im Alter von fünf bis zwölf. Eine Deutsche zu Besuch, das gab es noch nie. Ein Land fern jeglicher ihrer Vorstellungen oder Realitäten. Sie fragen mir Löcher in den Bauch. Ganz aufgeregt schnellen immer wieder die Hände in die Höhe.



Ob es Kleidung in Deutschland gibt, und Fahrräder und Helikopter, ob es genauso viele Kinder wie in Kolumbien gibt, ob die auch in die Schule gehen dürfen. Ob es anders ist in Deutschland, was Jahreszeiten sind, warum es dort schon sechs Stunden im Voraus ist, wie das bekannteste Museum heißt, wie sich Schnee anfühlt… Fragen über Fragen, die ich nach bestem Wissen fleißig beantworte. Mir geht das Herz auf, ich habe ganz vergessen, wie wunderbar es ist mit Kindern zu arbeiten. Meine Rückkehr wird wohl auch mit sozialem Engagement zu tun haben. Vielleicht Englisch-Unterricht. Danach gehe ich mit den vier Jungs, die den Kern von Mano Latente gründen, Mittagessen. Es wird viel gelacht, auf einen Kaffee zu Ariel. Musik. Wakawaka. Und nach ein paar Minuten stehen wir zu viert da und imitieren Shakiras Tanzstil. Wenn schon nicht die kolumbianische Fußballmannschaft bei der Weltmeisterschaft dabei sein kann, dann zumindest eine der bekanntesten Sängerinnen Kolumbiens.

Sonntag: Ein ruhiger Sonntag bei Kike. Pizza-Teig („Piksa“ ausgesprochen) gemacht für den nächsten Tag. Malen. Reden. Auf Kikes Bett liegen, in die Ferne starren. Weit, weit weg. Situationen tauchen vor mir auf, Erinnerungen werden wach, nicht nur an die erste Zeit in Kolumbien, sondern auch an Kleinigkeiten in Deutschland, das hektische Überqueren der Straßenbahngleisen in Köln zum Beispiel.

Montag: Piksa und Busfahren. Aufwachen und kurz nicht wissen, wo ich bin. Die Orientierung verlieren. Große Lust haben einfach zu weinen. Aber keine einzige Träne kommt heraus aus mir. Die Busfahrt nach Hause ist einsam. Die Caracas ist einsam und verlassen, das erste mal fühle ich mich unwohl, als ob jeden Moment etwas Schlimmes passieren könnte. Doch es passiert nichts. Das Apartment ist ruhig. Mein Herzschlag beruhigt sich ebenfalls.

Dienstag: Früh aufstehen. Der Tag wird lang. Zum El Espectador. Mir fehlt noch ein wichtiges Interview mit der Chefin der Kultursparte. Sara empfängt mich. Wir reden und reden. Danach nehme ich mir noch das Zeitungsarchiv vor, vergleiche Kultursparten in verschiedenen Epochen, mache Fotos. Treffe mich dann mit Kike, diesmal habe ich meinen Tageskalender vergessen. Gemeinsames Mittagessen. Es schüttet. Der Regenschirm ist natürlich wohlbehalten zu Hause geblieben. Dann steige ich in den Bus zum Flughafen. Nicht um mir meinen Abschied besser vorstellen zu können, nein, ich kriege Besuch. Jana kommt. Aus Nicaragua. Mit anderen Augen gesehen, wird einem erst wieder bewusst, wie groß Bogotá eigentlich ist. Und wie anders. Abends ins noblere Viertel, das erste mal hier, dass ich Shisha rauche. Lange ist’s her.

Mittwoch: Ausschlafen, ankommen. In das Zentrum. Zu Fuß über die Septima. Zum Plaza Bolívar, durch die Candelaria, alte kleine Gässchen sehen, ein bisschen antikes Bogotá. Ich muss noch ein Interview machen mit einer Anthropologin, lasse Jana ein wenig alleine durch die große Stadt ziehen. Treffe mich mit Eduardo. Der später Jana viel über die Geschichte, Architektur, Mentalität Kolumbiens erzählt. Einmal noch in unsere Stammkneipe. Sich bereits von allem verabschieden. Von jedem Riss in der Wand, den plastischen Wolken am Himmel, dem zum Ritual gewordenen Donnerstag, so langsam könnte man meinen einen Hauch von Abschied in der Luft zu schmecken. Abends zu Nina, zusammen mit Eduardo und Jana.

Donnerstag: Nach einer fast schlaflosen Nacht (so wie die letzten fünf Tage) zu Nina, zur Nacional, mich verabschieden, von dem Ort, an dem ich in einem Jahr vielleicht studieren werde. Die Pläne konkretisieren sich. Eine Rückkehr ist nicht ausgeschlossen und das gibt mir ein wenig Kraft dieses Land zu verlassen. Letzte Einkäufe erledigen. Bloß niemanden vergessen. Dann in den Norden. Treffen mit Luisa. Einladung zum Muffin-Essen. Weiße Schokolade mit Macadamia-Nüssen. Abends Video-Abend bei Steffi. Und trotzdem von Abschiedsgefühlen keine Spur.

Freitag: Aufräumen. Sauber machen. Heute Abend ist Abschiedsparty. Möbel rücken. Gemüse schnippeln. Es gibt nur gesunde Kleinigkeiten, keine Chips. Zusammen mit Nina geben wir unsere gemeinsame Party. Auch wenn Nina die Zusage zum Master bekommen hat und in einem Monat wieder in Kolumbien ist. Heute ist ley seca, ab sechs Uhr abends kann man keinen Alkohol mehr kaufen, also machen wir uns zu dritt auf und kaufen zwei Kisten Bier. Ziehen durch die Straßen. Drei Mädels, zwei Kisten Bier. Viele Kommentare, verschmitztes Grinsen. Die letzte Fete kann beginnen. Und wir genießen sie. Viele Menschen, die gekommen sind um auf Wiedersehen zu sagen.

1 Kommentar:

  1. Ja, ich glaube dir, wie schwer es ist, nach so langer schöner Zeit wieder heimfliegen zu müssen. Lass dich mal drücken. Ein kleiner Trost ist ja, dass du wiederkommen kannst.
    Tolles Gruppenfoto habt ihr da gemacht, man erkennt gleich, wo ihr seid ;)
    Alles Liebe, Manda

    AntwortenLöschen