Dienstag, 30. März 2010

Bolivia, Holanda y Colombia



Von Odysseen, Unterwassermonstern und einer gescheiterten Beziehung



Die Reise zum Treffpunkt war zwar keine Odyssee, jedoch das Treffen mit den beiden Franzosen und einer Italienerin glich ein wenig dem jahrelangen Warten der Penelope. Zu Fuß machten wir uns auf zu einem kleinen gemütlichen Theater, vorher suchten wir noch ein Restaurant, um etwas zu uns zu nehmen, vorzugsweise Suppe, die gab es aber nirgends, also gaben wir uns mit einer Pizzeria zufrieden. Gut, dass diese direkt um die Ecke des Theaters ist, denn auch hier warten und warten wir. Erst auf die Getränke, dann aufs Besteck und schließlich natürlich aufs Essen. Um fünf vor acht bekommen wir dann auch endlich die Rechnung serviert, wir hasten, stolpern fast, treffen aber noch sehr pünktlich ein. Was auch nicht gerade nötig war. Noch stehen alle Menschen Schlange. Drei Stunden. Plus Pause. Das kann ja was werden, lang, lang ist’s her solch ein langes Stück zu sehen. Eben die Odyssee. Aus Bolivien, das bedeutet es gibt auch keine Untertitel diesmal.
Die beste Überraschung des Abends: Ich verstehe jedes einzelne Wort, mein Spanisch scheint sich doch um einiges gebessert zu haben.
Der Bühnenaufbau ist schlicht und zugleich einfallsreich. Lange Bambusstäbe hängen wie Gardinen herab, sodass immer ein wenig Bewegung im Bild ist. Sie lassen sich zu hängenden Säulen zusammenschieben, können Wände bilden, Räume schaffen. Der Boden ist schwarz. Odysseus mit der Göttin Calypso auf der Insel, auf der er damals vor sieben Jahren gestrandet war.



Die Götter des Olymps, eine „Party-Gesellschaft“ wie man heute sagen würde (Drogen, Alkohol, Exzesse), obliegen Calypso per Handy den Gestrandeten auf den Heimweg zu schicken. Aphrodite rät ihr ihn ein letztes Mal zu genießen und dann Auf Wiedersehen zu sagen ohne sich umzudrehen. Mit masochistischen Schlägen und akrobatischem Tanz fühlt sie sich ein letztes Mal menschlich bis Odysseus fast vor Erschöpfung zusammen bricht. Der Aufbruch. So wie er brechen so viele andere Menschen auf, um den Traum zu leben, den amerikanischen. Immigranten, die illegal arbeiten und ihren Familien das Geld schicken. Menschen aus allerlei Ländern: Uganda, Paraguay, Iran, Bolivien, die Liste lässt sich unendlich fortsetzen. Sie erhalten Briefe, Bilder, Videos. Sind aber doch nie dort, bei ihren Angehörigen. Genauso wenig sind sie im Hier und Jetzt, ausgeschlossen von der Gesellschaft. Erledigen die Arbeiten, die sonst keiner machen will. Der Briefträger, der Müllmann. Und die Familien zu Hause, warten auf die Rückkehr ihrer Lieben. Ausweisung, Ablehnung, Rassismus; Geschichten aus dem täglichen Leben so vieler Menschen.



DE-POR-TA-DO


Penelope, Odysseus Ehefrau wartet und wartet auf die Rückkehr des einst Ausgezogenen um in Troya zu kämpfen. Sie erwartet sein Wiederkommen nach Ithaka. Wir vergewaltigt, ihr Haus wird zerstört, aber sie verliert nie die Hoffnung. Der Sohn macht sich auf die Suche nach seinem Vater. Und dann, endlich, nach zwanzig Jahren kehrt er zurück. Und rächt sich an allen. Wäscht sich die Hände in Blut.



La Odisea
http://www.teatrodelosandes.com/



Heel leuk. Het was heel leuk. Een beetje Nederlands naar te luisteren. Ein Stück aus den Niederlanden. Pi-Leau. Wiederum in einem großen Park. Taschen-, Körper- und Wasserkontrollen mit inbegriffen. Das erste Mal Seit langem, dass meine Verabredung pünktlich ist und ICH zu spät komme… Aber das muss Enrique auch mal aushalten.
Der Mond verschwindet hinter den leicht rötlichen Wolken, es ist noch immer angenehm warm und anscheinend ist der Park das wohlige Zuhause so manch einer fiesen Mücke.
Beim Straßentheater scheint generell wenig Sprache benutzt zu werden. So auch an diesem Abend, zunächst traue ich meinen Ohren nicht recht, denke Bruchstücke auf Spanisch zu erkennen, aber nein, es ist eine Fantasie-Sprache, so wie es eine Fantasie-Welt ist, die sich da vor uns, um uns herum auftut. Denn dieses Mal sind wir mitten drin im Geschehen. Die Geschichte spielt sich über unseren Köpfen ab, oft wird man in schnellem Niederländisch von den Schiebern zur Seite gescheucht. Sie schieben die Konstruktionen auf und in denen die Schauspieler agieren. Wir befinden uns tief unten, unten im Meer. Und dort schwimmen fleißig Fische, bunte Fische, sie schwirren hin und her und dann tauchen sie auf, die ersten Meerjungfrauen. Sie tanzen durch das Wasser.



Ein Fischer, der weit, weit aufs Meer hinausgerudert ist, bekommt eines dieser feenhaften Geschöpfe zu Gesicht – und verliebt sich natürlich (un)sterblich in sie. Doch diese Verbindung darf nicht sein. Das Meer schäumt und zischt, monströse Gestalten tauchen aus rotem Nebel auf und drohen dem Fischer. Die Königin des Meeres versucht derweil ihre Meerjungfrauen zu zähmen.



Ihr Gegenspieler, der Herrscher der Tiefseemonster, jagt den Fischer, er verliert Paddel und Boot, muss, um seiner Geliebten nahe sein zu können, sich in den Taucheranzug zwängen und mit Gasflasche in die Tiefen entschwinden. Alles scheint gegen ihn zu stehen. Dann taucht auch noch ein riesengroßer Wal auf, der Jagd auf ihn beginnt. Der Fischermann endet zwar nicht im Magen eben jenen großen Säugers, jedoch gibt es für ihn kein gutes Ende.



Auf der Flucht verfängt er sich im Netz des Herrschers und stirbt.
Die Umsetzung ist gewaltig, alles ist immer in Bewegung, man stolpert fast über seine eigenen Füße beim Ausweichen, man weiß nie, von wo in der nächsten Sekunde etwas kommt, die Augen überall, sich bloß nicht verlieren und die Größe dieses Spektakels in sich aufsaugen.

Pi-Leau
http://www.closeact.nl/

Anstatt den Bus in Richtung nach Hause zu nehmen, schauen wir nochmal eben schnell, was im Kino läuft, irgendwie verspüren wir die Lust den Abend so früh noch nicht zu Ende gehen zu lassen. „Como entrenar a tu dragón“. Warum nicht. Schon lange keinen Kinderfilm mehr gesehen. Und um halb neun ist hier das Kino rappelvoll mit Kindern und ihren Eltern. Früh ins Bett müssen hier wohl die wenigsten. Ich frage mich auch, wer in die Vorstellung um halb elf geht…
Ein süßer Film, habe schon lange nicht mehr so gelacht. Auf dem Rückweg suchen wir unseren eigenen Drachen der Nacht, finden ich aber leider nicht, diese Viecher verstecken sich eben zu gut.


Una histora de amor

Ein Sonntagnachmittag. Die Sonne strahlt, mein Gesicht ist noch immer leicht verbrannt, daran wird sich meine Haut wohl nie gewöhnen, an die unbarmherzige Sonne hier oben.
Das erste kolumbianische Stück im Rahmen des Festivals steht heute auf dem Plan. Die Adresse hab ich, müsste direkt bei mir um die Ecke sein, etwa zehn Blocks entfernt. Normalerweise ist es auch nicht unbedingt schwierig sich zurecht zu finden. Die Straßen haben hier schließlich keine Namen, sondern sind nummeriert. In Richtung Norden erhöhen sich die Nummern der Calles und in Richtung Westen die der Carreras. Nur gibt es auch immer wieder kleine fiese Querstraßen, Diagonalen, die einem das Leben schwer machen wollen. Aber ich und mein guter Orientierungssinn (bitte einmal lachen) finden das kleine aber feine Theater Varasanta. Freie Platzwahl, das ist schon Ewigkeiten her und ich ergattere einen Stuhl in der ersten Reihe (deshalb gibt’s von dem Stück auch keine Fotos, ganz so unverschämt bin ich dann doch nicht).
Die Geschichte einer Liebe. Diese Liebe basiert auf gegenseitigem Hass, so scheint es. Menschen, die einander brauchen, um sich gegenseitig Schmerzen zuzufügen. Seelische wie auch physische. Sie sitzt im Rollstuhl wegen eines lädierten Beines, immer ihren Flachmann zur Hand, hält sich einen Hund, den sie „Labrador“ genannt hat. Er duscht sich unaufhörlich, findet Gefallen an anderen Frauen, insbesondere an Ausländerinnen, geht mit ihnen Essen und ins Bett. Sie kann seiner Meinung nach nicht den Abwasch machen. Denn es gibt Frauen, die seien sehr erregend beim Waschen eines Tellers. Außerdem würde sie zwar tanzen, auch im Rollstuhl, jedoch würde sie dies auf ach so egoistische Weise tun, das Gesicht immer dem Boden zugewandt. Er hat genau wie sie ein gestörtes Verhalten zu seinen Eltern und doch ist er genau wie sein Vater, besitzergreifend, verletzend, sadistisch.
Sie schlagen und treten und lieben sich. Bis sie es nicht mehr aushalten, nur weil sie unbedingt jedes Jahr ihren Geburtstag feiern muss und er immer wieder ein Geschenk vergisst. Sie werfen sich nicht nur Wörter an den Kopf, auch Dinge.
Sie gehen auseinander. Und können doch nicht ohne einander. Ein neues Jahr, ein neuer Geburtstag, ein Telefonat, ein Essen. Sie lieben sich im Hass.

Als ich aus dem Theater trete, scheint der Mond mit einer unglaublichen Kraft. Es ist Sonntagabend, die Straßen sind wie leergefegt, zu Fuß sind es zwölf Minuten. Ich laufe, das Mondlicht so hell und schön, ein leichter Sommerwind lässt es rauschen hoch über meinem Kopf. Einsam und alleine wandele ich durch die Straßen.

Montag, 29. März 2010

Teatro callejero vs. teatro en el teatro




Große Inszenierungen, fremde Sprachen, klassische Stücke

Nach viel Musik und Tanz gibt es die ersten “wirklichen” Theaterstücke.
Straßentheater. In Deutschland müsste man mindestens zwei Stunden vor Beginn da sein, um einen guten Platz zu bekommen, da kann ich mich noch gut an den Kölner Theatersommer erinnern. Als Deutsche mache ich mich natürlich früh auf den Weg. Gar nicht so schlimm. Nachmittags (und wenn ich es mir recht überlege, eigentlich zu jeder Tageszeit) ist Stau. Viele Bus- und Taxifahrer sind der Meinung, dass es durch ununterbrochenes brachiales Hupen vielleicht schneller vorangehen könnte, aber nein, sie irren sich. Irgendwann bin ich dann an der Adresse, die ich habe angelangt. Es kommt mir auch alles irgendwie bekannt vor. Eine der größten öffentlichen Bibliotheken zu meiner Rechten, ein riesengroßer Parkplatz zu meiner Linken, die mich bratende Sonne von oben. Aber irgendwie kann ich mich nicht so ganz orientieren. Nach einigem Umherirren und mehrmaligem Nachfragen wird mir bewusst, dass ich ein wenig zu früh aus dem Bus gesprungen bin. So ist das eben, wenn man das Geld für ein Taxi sparen will. Aus Fehlern wird man ja angeblich klüger. Und ein Fußmarsch bei dem Wetter macht mich auch nicht ärmer. Selbst als ich noch einmal um den halben Park geschickt werde, da die Eingänge geschlossen wurden, um zu dem Einlass zu gelangen, liegt noch immer ein Lächeln auf meinen Lippen.
Zwei Stunden vorher bin ich da. Einlass ist erst eine Stunde vorher. Also heißt es mal wieder warten, warten, warten. Aber schnell warte ich in Gesellschaft. Zwei Deutsche mit denen ich verabredet bin. Also warten wir gemeinsam. Einige der wenigen Sachen, die ich nicht vermissen werde, wenn ich im Sommer wiederkomme.
Die Pforten werden geöffnet, Sicherheitskräfte tasten uns ab, durchwühlen unsere Sachen und riechen an meinem Wasser (damit es auch wirklich nur Wasser ist). Die Bühne ist groß, wird noch einmal gefegt bevor es los geht. Der Himmel ist wolkenlos, das Tiefblau senkt sich nieder, der Halbmond schenkt uns sein Licht.
Macbeth. Sechs Baumstämme in einem Kreis. Das Schloss im Hintergrund. Eine Sängerin uns im Rücken, hoch oben. Die drei Hexen. Huschen hin und her im Wald von Birnham. Mit ihren Rasseln verständigen sich, Worte werden nicht benötigt. Das gesamte Stück über wird überhaupt wenig Sprache verwendet. Und dann ist es das alte Englisch Shakespeares untermalt von einem süßen polnischen Akzent. Aber die Inszenierung ist nicht so alt. Motorräder, Maschinengewehr und auch sonst spiegelt sich die Bedrückung wider. Allein schon in der Kleidung, die typisch für die Zeit des Zweiten Weltkrieges ist.
Die Visionen Macbeths werden durch Gesang und den Hexen auf Stelzen verstärkt. Das Licht wird sparsam eingesetzt. Es ist ein gewalttätiges Stück. Hauptmotive das Machtstreben eines Mannes, der sich mehr und mehr über seinem Blutbad, das er stetig neu einlaufen lässt, in einen Tyrannen verwandelt. Er verliert. Mehr und mehr Menschen. Ehemalige Freunde werden zu Feinden. Feinde werden ausgemerzt.



Lady Macbeth steht zunächst hinter ihm, doch das schlechte Gewissen treibt sie bis in den Selbstmord.



Das Reich versinkt im Chaos. Da werden Orgien gefeiert. Der Sündenfall. Obwohl es eher Apfelspuckerei ist. Der verzweifelte Versuch aufzuräumen. Die drei Hexen und Hecate haben letztendlich die Fäden in der Hand, der Wald, er umringt das Schloss und der Tyrann wird in seinen eigenen Mauern verbrannt. Übrig bleibt die Vision seines Sohnes.



Die Kälte hat sich in meinen Körper gefressen. Nicht nur die Nacht ist hineingebrochen, sondern eine gewisse Melancholie, Traurigkeit über diese Realität. Ein altes Stück, und doch findet es immer wieder aktuelle Beispiele.

Macbeth
http://www.teatrbiuropodrozy.ipoznan.pl/foto/makeng.html


Ein Tag. Zwei Stücke. Die Sonne brennt auf uns nieder. Straßentheater in der Universidad Javeriana. Humanum Fatum aus Portugal. Wiederum ein Stück ohne Worte. Musik, mal fröhlich, mal verstörend, mal nervtötend erzählt die Geschichte. Und natürlich die vier Schauspieler. Drei Männer, eine Frau. Und vier Maschinen. Maschinen, die geschoben werden. Noch durch Menschenkraft.



Doch die Industrialisierung greift um sich. Anfangs werden Hühner noch per Hand gefüttert, sich mit Hilfe einer Waschschüssel gewaschen, die Möhren werden noch per Hand zerkleinert.



(Wir befinden uns im 19.Jahrhundert.)



Doch es werden immer neue Maschinen entwickelt, die uns die Arbeit abnehmen. Die Uhr tickt, die Zeit schwindet unaufhörlich dahin. Da werden dann Möhren-Waschmaschinen entwickelt, eine Trockentrommel und schließlich eine Möhren-Schneidemaschine hoch oben in den Lüften. Ein bisschen Akrobatik ist eben auch dabei. Die Möhren werden per Wäscheleine hinaufbefördert. Ein verrücktes Metallhuhn scheucht alles auf. Der Kopf ein Trichter, als Flügel Pfannenwender, der Körper Töpfe und Schneebesen als Beine… Das Szenario ist so absurd wie bezaubernd. Und endet damit, dass ein riesiges Segelschiff Kurs in Richtung neue Ufer nimmt.

Humanum Fatum
http://www.piacrl.com/

Klassisches Theater. Caligula. Abends dann im neu eröffneten Theater. Es ist unglaublich groß. Schwingtüren mit Bullaugen begrüßen einen, samtweicher violetter Teppichboden, strahlende Kronleuchter und natürlich wie bei jedem Spektakel des Festivals die Verkaufsstände (Wie wär’s mit einem Bierglas oder einem T-Shirt, Schlüsselanhänger, alles was das Herz begehrt, kann man hier käuflich erwerben.).
Und auch wie sonst immer beginnt das Stück eine halbe Stunde später. Einlass ist nämlich erst Punkt acht und da wir uns in Kolumbien befinden, ist das auch im Theater so eine Sache mit der Zeit. Ich sitze sehr weit oben, dafür mittig, die Karten sind eben doch sehr teuer… Und somit bekommt man immer die „schlechtesten“ Sitze, ich schmuggele aus Rache fleißig meine Kamera mit rein und mache reichlich Gebrauch von meinem Teleobjektiv (andere Besucher sind mit Ferngläsern ausgerüstet.)



Caligula auf der Grundlage Albert Camus. Eine Produktion aus Kroatien und Slowenien. Diesmal verstehe ich leider nichts. Und auch die Untertitel sind sehr schwierig zu lesen (da sie viel zu schnell eingeblendet werden), entweder man entscheidet sich für die Untertitel oder man vertraut auf sein Theaterwissen und lässt die Geschichte geschehen ohne dass man die einzelnen Wörter versteht. Ein Herrscher, der die absolute Freiheit befürwortet und dem Unmöglichen verfällt. Er verlangt den Mond oder besser noch die Unsterblichkeit. Dabei verliert er als Imperator seines Reiches oder eben jeden (modernen) Reiches gewollt den Sinn für die Realität, lässt seine Frau (die gleichzeitig seine Schwester ist) umbringen, richtet Blutbäder an, sieht dabei zu wie weit Menschen gewillt sind zu gehen bis er ein Komplott gegen sich selbst heraufbeschwört und nicht ganz ungewollt umgebracht wird, den Mond in den Händen. Die Umsetzung ist atemberaubend. Die ganze Bühne ist von einem Wasserspiegel bedeckt. Der Deutsche marschiert unentwegt mit lautem Platschen, der menschliche Hund hastet durch das Wasser und das Abendkleid der Gattin Caligulas zieht stetig Wellen hinter sich her.



Einfache Tanzszenen werden zu Choreografien erster Klasse, Spiegelungen lassen die ganze Geschichte unheimlich bis absurd werden. Vier große Betonkolumnen bewegen sich immer wieder zu neuen Konstellationen. Wie von Zauberhand schweben sie über den Wasserspiegel. Alles fließt. So auch Blut. Und der Alkohol. Rot aus feinen Cocktailgläsern. Die hohe Gesellschaft trifft sich. Die Säulen verschieben sich und wir schreiben das Jahr 1969. Der pathetische Satz: „Dieser Schritt… dieser Schritt… dieser Schritt“ geht um die Welt. Der Mond, der Mond, der Mond. Die Faszination für das Unerreichbare, das Unfassbare und das Wunderschöne.
Die Musik beklemmend schön, abstrus, unwirklich. Licht und Schattenspiel zeichnen Bilder. Auch das Dunkle im Menschen kann sich von seiner schönen Seite zeigen.



Caligula
http://www.pandurtheaters.com/intro.htm

Donnerstag, 25. März 2010

Festival, festivo y amigos




Die Stadt ist ein einziges Fest – nicht für alle


Freitagabend. Transmilenio. Schlechte Entscheidung. Aber nach guter deutscher Manier bin ich früh genug los, das Risiko einkalkuliert. Zur Universidad Nacional. Dort sehe ich das erste große Spektakel des Festival Iberomericano de Teatro. Alle zwei Jahre findet dieses Festival statt. Bogotá verwandelt sich in die „Kulturhauptstadt“ Lateinamerikas. Dieses Mal das allererste Mal mit neuer Direktorin, denn vor etwa zwei Jahren ist Fanny Mickey, diejenige, die diese verrückten Tage ins Leben gerufen hat, gestorben. Eine neue Herausforderung also. Sicherlich ist das Festival nicht für jeden, denn die Karten können durchaus teuer sein, jedoch gibt es auch viel kostenloses Straßentheater, Workshops und vieles, vieles mehr…





Trotz der Odyssee im Transmilenio bin ich eindeutig zu früh da. Dafür krieg ich ein kleines Theaterspektakel im Vorfeld geboten. Zwei Mädels und ein Kerl verkaufen Küsse à 1000 Pesos… Die Gesichter der Vorbeigehenden sind herrlich anzusehen…
Brickland also, aus Deutschland. Ein Babel in der Moderne, so kommt es mir zumindest vor. Deutsch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Chinesisch und andere Sprachen prallen aufeinander. Nicht nur das. Körper, die aufeinander prallen. Massenschlägereien, Vergewaltigungen, Ehestreit, Ausbrüche, Wahnvorstellungen. Alles in modernes Tanztheater verpackt. Vielen der Zuschauer scheint es zu modern, zu weit weg von ihrem eigenen Leben (oder vielleicht zu nah dran). Die Musik ist live, drei Musiker, die mehr als zehn Musikinstrumente bedienen, von E-Gitarre über Trompete bis hin zum Flügel. Es passiert so vieles gleichzeitig auf der Bühne, dass man gar nicht genau weiß, wo man hinschauen soll. Bei der Massenmasturbation reiben sich Körper an Sofas, Pflanzen, Federballschlägern. Gewalt innerhalb eines Ghettos der Reichen. Abgeschirmt von der Wirklichkeit entwickelt sich eine ganz eigene Hölle in der sicherheitsumzäunten Gesellschaft von Multikultur. So wie es wohl tagtäglich in unserer Gesellschaft geschieht. Fazit des Abends: Niemand ist geboren, um alleine zu leben und Ehe ist auch nicht immer das Wahre. Es endet alles im Chaos. Aber es scheint so ganz der Stil von Constanza Macras zu sein, der Choreografin, ähnliche Stücke, die oft mit Tabus brechen, gerade in einer Gesellschaft wie der kolumbianischen und auch in dieser so eingeschränkten Theaterszene.



Das Stück findet Fortsetzung auf meinem Weg nach Hause. Abends um halb elf muss man schon laufen, um noch den letzten Transmilenio zu bekommen. Auf der Caracas, einer der Hauptstraßen möchte man abends allein als Frau (und auch als Mann) nicht unbedingt unterwegs sein, gut, dass eine schützende Glasscheibe zwischen mir und dem Straßengeschehen ist. Prostituierte schlagen sich, reißen sich gegenseitig die Haare aus bis einer vielen so oder so schon leicht bekleideten Damen sich ihre Brüste entblößen. Zwei Stockwerke weiter oben steht ein Mann auf dem Balkon, sichtlich erschöpft von seiner vorangegangenen Beschäftigung, nur in Handtuch…

Brickland
http://www.dorkypark.org/

Am Samstag verwandelt sich die Stadt in einen einzigen Karneval. Die offizielle Eröffnungsfeier. Ein bisschen wie in Barranquilla, nur dass die meisten Mädels nicht ganz so leicht bekleidet sind, das Wetter ist eben doch nicht so nach Karibikküste, zwar frühlingshaft warm, aber nichts desto trotz erfrischend. Viele rote Perücken stechen aus dem bunten Trubel hervor. In Anlehnung an die im Jahre 2008 verstorbene Gründerin Fanny Mickey, rothaarig, lockig, verrückt, ein wenig zumindest, muss sie gewesen sein, um so ein Spektakel ins Leben zu rufen.



Die Sonne strahlt, die Menschen strömen, die Septima ist überfüllt, überall drängen sich Menschen, Monster, Schlümpfe, Tänzer und Tänzerinnen, Stelzenläufer, Einradfahrer… Der pompöse Zug wird angeführt von einer etwa sieben Meter großen Figur Fanny Mickeys, nicht hübsch, dafür imposant. Eine riesige Marionette mitsamt Kranführer und Drahtziehern vom Boden aus, da blinzelt sogar das Auge ab und an mal in die tobende Menge. Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch Spielmannstruppen, nur werden hier nicht unbedingt klassische Stücke zum Besten gegeben, sondern eher Populäres wie eine akustische Version von „Me apagaste el celular“, Reggaeton eben. Andere spielen gerne Salsa und die Hüften der Massen wackeln fleißig im Rhythmus mit.



Manchmal müssen wir ein wenig kämpfen, um auch alles sehen zu können, die Menschen hier sind zwar klein, aber groß sind wir auch nicht wirklich. Und es gibt auch immer wieder unglaublich unhöfliche Menschen, die sich vordrängeln, damit ihr Kind (welches auf den Schultern des Vaters sitzt) besser sehen kann. Was dem Riesenereignis fehlt, ist der Aufräumtrupp, an den ich aus Köln gewohnt bin, auch noch Stunden später auf dem Nachhauseweg sind die Straßen ein einziges Desaster, Müll über Müll auf den Straßen, Fußgängerwegen, einfach überall. Aber am nächsten Morgen glänzt schon wieder alles.


Sonntagabend nach einem herzlichen Mittagessen bei einer Freundin und ihrer Familie. Dieser steht oder tanzt eher ganz im Zeichen des Tangos. „Tango de burdel, salón y calle“ aus Argentinien. Meine Wahl fiel zwar auf die günstigste Preisklasse (so wie bei fast allen Stücken), jedoch bemerkt man davon kaum etwas. Die Plätze sind gut, die Sicht wunderbar. Und erst die anderthalb Stunden Tanz(theater). Denn es ist nicht einfach nur Standardtanz, den man früher als kleines Mädchen liebend gerne sonntagnachmittags im Fernsehen verfolgt hat, nein, es wird uns eine Geschichte erzählt. Allein durch den Tanz, den Körper, die Spannung, die in der Luft liegt. Und die Musik, alles live. Die Band besteht aus Cello, Klavier, E-Gitarre, Akustik-Gitarre, Schlagzeug und natürlich einem Akkordeon (welches das einzige Instrument ist, das diesen Abend von einem jungen Mann gespielt wird). Eine Sängerin legt nicht nur immer wieder unglaubliche Solos auf Parkett, sondern singt mit einer tiefen, rauchigen Stimme Balladen und andere Stücke. Dieser argentinische Akzent, der mir sonst so gar nicht gefällt, passt perfekt.
Die Farben, das Rot, das Schwarz, Kontraste, wo man nur hinschaut. Von den Anfängen des Tangos in den 1860er Jahren geht es weiter über anzüglichen Tango, der im Rotlichtmilieu getanzt wurde, über den Tango der höheren Gesellschaft in den Tanzcafés bis hin zum modernen Tango. Es wird gebuhlt, gestritten, geliebt, gehasst, verurteilt, gemordet, verziehen, vereitelt, geschlagen, getreten, gekämpft, verloren, gewonnen – ohne viele Worte zu verlieren. Die Körpersprache drückt das aus, was man sonst wohl kaum verstehen würde.

Tango de burdel, salón y calle
http://www.grupomaipo.com.ar/tango/inicio.htm


Der Montag ist Feiertag, davon gibt es hier doch recht viele, diesmal wird „San José“ gefeiert („Heiliger Joseph“), das wird hier in Kolumbien zum Anlass genommen den „Día del Hombre“ zu feiern (also den „Männertag“, wie man sieht, nicht nur den Frauen widmet man einen ganzen Tag im Jahr, nein, auch den Männern).
Der Tag ist auch für mich frei. Frei von jeglicher Last, ich schlafe viel, werde bekocht (ich bin mal wieder nicht zu Hause), male, pinsele die Tür, überlege, was ich sonst noch so machen könnte mit meinem Leben außer auf der faulen Haut zu liegen. Aber wirklich fragen muss ich mich das nicht. Zumindest nicht für die nächsten zwei Wochen, die sind ausgebucht. Theater, Theater, Theater.

Dienstagnachmittag. Uni. Kulturjournalismus. Es wird immer deutlicher, dass das hier in Kolumbien nicht gerade eine der besten Sparten des Journalismus ist. Alles sehr dürftig, selbst Fernsehen ist in dieser Hinsicht nur gelbe Presse. Davon gibt es zwar auch in Deutschland eindeutig zuviel, jedoch hat man die Möglichkeit hochwertiges Fernsehen ausfindig zu machen. Da bleibt mir hier auch nicht viel übrig, gut, dass es das Internet gibt und Mediatheken und all diese ganzen multimedialen Errungenschaften.

Am Abend geht es in die Stierkampfarena. Nicht um einen torero aufgespießt auf den Hörnern eines armen Stiers zu sehen. Es tobt eine unglaubliche Frau. Sich auf der Bühne aus. Concha Buika. Spanierin (auf Mallorca geboren, macht sich bestimmt auch nicht schlecht im Pass) mit afrikanischer Abstammung.
Im pinkfarbenen Abendkleid, das ihren gesamten Rücken freilegt, an ihrem rechten Arm eine tätowierte Inschrift. Schon der erste Ton, der vom Flügel kommt, verspricht Großes. Die Art und Weise sich zu bewegen, die Körpersprache, die Mimik – einfach nicht in Worte zu fassen. Obgleich ihre Worte, ihre Lieder sich in die Gehörgänge stehlen und nicht mehr hinaus wollen. Es ist kaum zu fassen, was aus diesem zierlichen Körper, aus diesem breiten Mund mit dieser winzigen Zahnlücke zwischen den beiden Schneidezähnen hervorkommt. All ihre Lieder sind mit einer gewissen Melancholie überzogen, Traurigkeit und Wut gegenüber dem Leben, welches so oft mit uns spielt, wie es scheint. Diese melancholische Emaille lässt einem die Armhaare zu Berge stehen. Gänsehaut. Gut, es mag auch an der frischen Nacht liegen, ein Konzert unter freiem Sternenhimmel (und dann wird es auch in Bogotá mal kalt). Bis zu diesem Konzert war mir die Frau, die ihren Hintern auf eine ganz seltsame Art und Weise schwingt, die ihr Gesicht so sehr verziehen kann und trotzdem noch hinreißend aussieht, die zeigt wie sehr man sich in einer kleinen Person täuschen kann, sie war mir unbekannt, ebenso ihre Lieder. Das Publikum hingegen singt lautstark mit, auch wenn es nicht mit dieser Stimme mithalten kann. Selbst Schreien und Wimmern klingt aus diesem Organ unglaublich schön. Der lang anhaltende Applaus nach anderthalb Stunden ist absolut gerechtfertigt.

Concha Buika
http://www.buika.net/indexbuika.html

Freitag, 19. März 2010

Cultura, lujo y otras pequeñeces

Museum, Theater, Kino – „Kultur“ in der Hauptstadt


Eine unterhaltsame Woche. Teilweise zumindest. Und die Wiederentdeckung des Sports…
Lang, lang ist’s her, dass ich mich hochgeschleppt habe ins gläserne Monstrum von Sportzentrum. Was daran lag, dass das Schwimmbecken seit Beginn des neuen Semesters andauernd ausgebucht ist, man kann jeweils nur einen Tag vorher reservieren und selbst wenn man morgens um acht angerufen hatte, gab’s meist nur schlechte Karten. Aber jetzt, der ganze Klausurenstress, da traut sich kaum noch jemand die Treppen hoch, um Sport zu treiben, aus Angst die angestrebten guten Noten untergehen zu lassen. Also gibt es wieder genug Platz für mich. Man merkt erst, dass man solche einfachen Dinge so sehr vermisst hat (oder eben der eigene Körper), wenn man wieder beginnt durchs Wasser zu preschen… Und stetig werden es mehr Bahnen, so viel wie man eben in einer Stunde schaffen kann.
Diesen Luxus werde ich auf jeden Fall vermissen, jeden Tag schwimmen zu gehen ohne einen Peso (oder Cent oder sonst irgendetwas) zahlen zu müssen, ein kleines Schwätzchen halten mit den Rettungsschwimmern, die mich bereits schon auf dem Campus erkennen und grüßen…


Ein Mittagessen bei dem ich mit zwei Journalisten über meine BA-Arbeit spreche verschafft mir ein wenig Klarheit, was das Thema angeht, weswegen ich ja ein wenig länger hier bleibe, die Recherche über ein landeswissenschaftliches Thema ist doch um einiges leichter in dem behandelten Land also von weit, weit weg… Außerdem fällt mir dabei auf, wie lange ich schon keinen ordentlichen Salat mehr auf der Karte eines einigermaßen bezahlbaren Restaurants gesehen habe. Gut, die einzige fleischlose Variante ist der Thunfisch-Salat (Blattsalat, Tomaten und Thunfisch, es gibt glücklicherweise och noch Gründe wieder nach Deutschland zu kommen). Über eben diesem Salat und frischen Maracuya-Saft unterhalten wir uns. Ein paar mehr Ansätze resultieren daraus, ein paar Anlaufstellen und genauere Vorstellungen.


Ein Spektakel, das Lust auf mehr macht. An diesem Abend werde ich in eine fremde Welt entführt. Butoh-Tanz. Der Großmeister dieses japanischen Tanzes Ko Murobushi führt sein Solo „Quicksilver“ in der Universität auf. Ich bekomme einen Platz, trotz dessen ich mich nicht angemeldet hatte. 45 Minuten des Unfassbaren. Ein Mensch, zunächst in einen viel zu großen Anzug gehüllt mit verbundenem Kopf, später dann mit einem Lendenschutz bekleidet, der ganze Körper silberfarben. Und eben dieser menschliche Körper verwandelt sich. Vor meinen Augen. Geräusche, nicht einmal Musik, Stöhnen, menschliche bis unmenschliche Ausstöße von Anstrengung, Ekstase bis hin zum letzten Krächzen kurz vorm Tod. Das Spiel mit Licht und Schatten lässt den Menschen verschwinden. Er ist alles andere als Mensch. Es ist nicht schön, aber das soll es auch nicht sein. Und im gewissen Sinne ist es das eben doch wieder. Schönheit. Ideal, ein anderes.


Quelle: http://www.komurobushi.com/


Ein Besuch im Museum für Moderne Kunst (kurz MAMBO).

http://www.mambogota.com/

In einem meiner Kurse behandeln wir momentan das Thema „Karikatur“ und so will es, dass just bis zum Ende dieser Woche eine Ausstellung über Meinungsfreiheit und Karikaturen stattfindet. Cartooning for peace. Viele interessante Themen. Natürlich viel Politik. Und in einem Land wie Kolumbien gibt es durchaus eine Menge zu kritisieren, parodieren… Sarkasmus in einfachen Strichen, ohne viele Worte zu benutzen, eine Kunst für sich. Vieles ist aufgrund solcher Zeichnungen geschehen, auch Menschenrechte, Skandale, Sexualität, alles Themen, die hier Beachtung finden. Natürlich dürfen auch Karikaturen wie „Das Leben von Jesus“ von Gerhard Haderer nicht fehlen. Aber auch viele nationale Künstler, Journalisten, Kritiker widmen sich der kleinen, jedoch knallharten Zeichnungen. Vladdo, Betto, Chócolo. Auch so ganz allein im Museum zu sein ist was ganz Besonderes. Irgendwie seltsam. Die beiden Sicherheitskräfte haben ihre Augen praktisch quasi nur auf mich gerichtet. Dabei wurde ich zu Beginn noch gefragt, ob ich denn keine Fotos machen wolle. In Deutschland ist so etwas meist doch untersagt…


Quelle: http://uribestiario.files.wordpress.com/2009/10/chocolo-falso-positivo.jpg"

Ein Kolloquium der Fakultät für Psychologie erklärt, was im Kopf passiert, wenn man Kunst betrachtet. Außerdem wird mit Mythen aufgeräumt, sämtliche Kultur, die wir als Menschen schaffen sei Biologie. Nun gut, bis zu einem gewissen Grad stimme ich dem ja auch zu, denn schließlich konstruiert unser Gehirn unsere Realität und wir leben auch alle in einer ähnlichen Realität, sind quasi synchronisiert. So ganz gefällt mir die Vorstellung allerdings nicht, dass das alles nur auf Synapsen, Molekülen, Spannungen und so vielem mehr basiert. Wo bleibt denn da unsere eigene Vorstellungskraft, unsere Fantasie, die ist doch auch Teil unserer ganz eigenen Realität. Weltbilder, die aufeinander stoßen und miteinander ringen. Ganz so analytisch sollte man das vielleicht doch nicht alles betrachten, allein schon aus Selbstschutz.

Ein später Nachmittag in unserer Stammbar, das wird sie zumindest Donnerstag für Donnerstag mehr. Ein kleines Lokal mitten im alten Stadtzentrum „El Chorro“, in der Dämmerung kommen all die Straßenkünstler, Geschichtenerzähler, Schmuckverkäufer, Akrobaten und ganz viele verrückte Menschen aus ihren Verstecken. Gespräche über Zeitreisen, Realitäten, Zukunftspläne,… (Ein weiteres Schreib-Projekt nimmt langsam Form an.)

Außerdem stehen die letzten Tage im Zeichen des Wahlkampfes und somit auch der kleine Platz, auf dem normalerweise kleine Kunststücke aufgeführt werden. Diesmal gibt es eine große Bühne. Eine Band. Sehr folkloristisch. Und politische Hetzreden, so hört sich Wahlkampf hier zumindest an. Für mich ist noch immer alles sehr undurchsichtig. So ganz verstanden habe ich das Wahlsystem hier nicht. Senat und Parlament wurden am Sonntag gewählt. Die Präsidentschaftswahlen sind aber erst im Mai und unabhängig von denen des vergangenen Wochenendes. Hier werden Graffitis übermalt mit Wahl-Gemälden, kleine Trüppchen laufen einem immer wieder über den Weg, verteilen ihre Flugblätter, drücken einem Kärtchen der verschiedensten Parteien in die Hand. Es gibt unglaublich viele Parteien, viele von ihnen haben das Motto „Soy uribista, no reelecionista“ (in etwa: „Ich bin für die Strategie Uribes, jedoch nicht für eine erneute Wiederwahl.“) Einige haben vielleicht verfolgt, was hier in den letzten Monaten immer wieder in der Presse war. Uribe hat zum zweiten Mal versucht die Verfassung zu ändern, damit er für eine dritte Amtszeit antreten kann. Ist ihm glücklicherweise nicht gelungen. Allerdings weiß man auch nicht so recht, ob man da von Glück sprechen kann. Denn somit stehen die Chancen gut für Santos, den jetzigen Verteidigungsminister, der so großartige Ideen wie einen zweijährigen Militärdienst in die Realität umgesetzt hat. Die Mehrheit haben also alle Parteien, die die Politik Uribes befürworten erlangt. Es gab auch nur 12 von 82 Parteien, die nicht vom jetzigen Präsidenten überzeugt sind, also keine große Überraschung. Während hier am Sonntag wieder die „ley seca“ galt (an Wahltagen wird kein Alkohol verkauft oder ausgeschenkt) und die ersten Hochrechnungen ausgestrahlt wurden, war das einzige, was man in der internationalen Presse lesen konnte, dass die Wahlen in Kolumbien mal wieder von Korruption überschattet wurden. Viele gekaufte, erzwungene, erschlichene Stimmen.
Dennoch versuchen viele, vor allem junge Leute, Gebrauch von ihrem Recht auf Demokratie zu machen. Es formt sich eine kleine, dennoch aussagekräftige Opposition. Auch hier gibt es mittlerweile die Partei der Grünen, mit Mockus, dem ehemaligen Bürgermeister Bogotas an der Spitze. Eine Partei mit Programm. Vielleicht geschehen ja doch noch Wunder. Im Mai wissen wir mehr.

Ein Theaterstück, das enttäuscht. Noch hat das Festival Iberoamericano de Teatro nicht begonnen, aber für Kultur sollte man immer ein paar Stündchen in der Woche Zeit haben.
Und eines meiner Geburtstagsgeschenke war die Karte für Die Dämonen von Dostojewski im Teatro Libre. Beginn sollte eigentlich um acht Uhr abends sein. Kolumbien. Also ist Einlass erst um Viertel nach Acht. Unsere Plätze müssen wir dafür im Dunkeln suchen. Das Theater ist ein sehr schönes, relativ altes Gebäude. Die Akustik scheint gut, Sicht ist auch vom ersten Rang aus noch sehr gut. Voller Vor-Freude auf einen schönen Abend.
Nach-Enttäuschung. Oder auch schon Zwischen-Enttäuschung. Es liegt nicht nur am Spanisch, das ist wohl das geringste Problem. Es werden die einfachsten Theater-Regeln nicht beachtet, kaum eine Person wird ordentlich eingeführt, es entwickeln sich kaum Charaktere, vieles ist nur Rezitation von Texten. Das Stück spielt im Russland des 19. Jahrhunderts. Es kommt einem noch viel trister vor. Die Schauspieler langweilen sich auf der Bühne. Man versteht nicht viel von der Handlung, weil sie eben nicht handeln, es gibt keine Bewegung, Personen gehen ohne Grund von der Bühne ab, Musik gibt es ganz vereinzelt (die Gründe weshalb, versteht man auch nicht). Das Bühnenbild wird nicht ausgenutzt, es werden weder Räume noch irgendetwas etabliert. Anderthalb Stunden passiert kaum etwas. Und dann ein Schuss. Der alle wach werden lässt. Tod. Vergewaltigung. Ein nackter, toter Körper. So plötzlich, dass es auch schon wieder vorbei ist bevor man sich fragen kann, ob man das jetzt nicht doch nur geträumt hat. Aber immerhin ist es vorbei. Standing Ovations, aber nicht von uns. Von uns, da gibt es nur ein höfliches müdes Händeklatschen, welches nicht einmal eine Minute andauert. Als wir im Rausgehen darüber diskutieren, was denn alles schlecht war an diesem Stück – so ziemlich alles – ernten wir nur böse Blicke. Wahrscheinlich sind wir einfach nur zu sehr verwöhnt vom europäischen Theater. Und können es nicht wertschätzen. Dieses Theater im Theater.


Ein Kinofilm weckt Erinnerungen. Kolumbianisches Kino. Das Wunderbare hier ist, dass man selbst an einem Samstagabend nicht mehr als umgerechnet vier Euro für einen Kinofilm bezahlt. So kann man es sich auch leisten, vorher Essen zu gehen. Franziska und ich machen einen kleinen Italiener aus, der wider jeglicher Erwartung wirklich gutes italienisches Essen serviert. Fetuccini mit Meeresfrüchten und Parmesan, herrlich. Und als uns vorher auch noch Brot serviert wird, fallen wir fast vom Stuhl. Selbst das Tiramisu zum Nachtisch schmeckt hervorragend und der Espresso ist ein wirklicher Espresso. Von diesem Gaumenschmaus schweben wir auf unserer kulinarischen Wolke weiter zum Kino. „El vuelco del cangrejo“ ist hier erst seit Freitag in den Kinos. Ein wunderschöner ruhiger Film. Anders als die meisten. Hat schon Auszeichnungen in Kanada und in Deutschland auf der diesjährigen Berlinale erhalten. Er spiegelt das Leben in „La Barra“ wieder, ein kleines Dörfchen auf einer Pazifik-Insel namens Juanchaco. Da war doch was, da war doch was. Genau. Mein Ausflug zum Pazifik. Eben diese Insel. Im Oktober letzten Jahres. Und auch an diesem wunderschönen fast schwarzen Pazifikstrand sind wir vor ein paar Monaten in die Wellen gestürmt. Und genauso wie im Film war es, das Leben, ruhig, konstant. Was wohl auch daran liegt, dass es sich bei den Protagonisten eben nicht um Schauspieler, sondern um Einheimische handelt. Das Spanisch ist genauso unverständlich wie in der Wirklichkeit, der Regen genauso stark und andauernd, das Leben, die Mentalität. Ein anderes und sehr realitätsnahes Bild Kolumbiens. Selbst für die empfehlenswert, die kein Spanisch verstehen, die Bilder reichen vollkommen aus.

http://www.elvuelcodelcangrejo.com/

Eine erste lange Fahrradtour ganz alleine mit meinem eigenen Rad führt mich in den Süden. Wie fast jedes Wochenende. Es gibt sogar einen Fahrradweg, der wird allerdings von den wenigsten respektiert. Weder Fußgänger, noch Autofahrer kümmern sich darum. Helm ist hier Pflicht, kein Wunder bei dem Verkehr. Jedoch benötigt man weder Klingel, noch Schutzbleche oder Licht im Dunkeln (da muss man eine Sicherheitsweste tragen). Eine Stunde Fahrt, die immer wieder vom Überqueren von Fußgängerbrücken unterbrochen wird, denn ich bin ja brav und schiebe. Da ist noch viel vom Deutschsein in mir.

Eine Wiederaufnahme von der Theatergruppe der Universität scheint viel versprechend. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Bertolt Brecht. Immer wieder guter Stoff. Aufreizend viel Haut, schöne Stimmen, denn das Ganze ist ein wenig auf Kabarett getrimmt und hat somit seinen ganz eigenen Charme. Schöne Stimmen, schöne Körper, ein paar talentierte Laien. Schon ein wenig mehr nach meinem Geschmack. Es ist unterhaltsam, reißt mich nicht vom Hocker, aber das habe ich ja auch nicht erwartet. Und doch verwundert es ein wenig, dass so viele junge Mädchen so aufreizend gekleidet sind. Ich hätte die Uni für konservativer gehalten. Nun denn, jeder braucht die Möglichkeit einmal auszubrechen. Und warum nicht im Rahmen des Theaters.

Ein weiteres Theaterstück mit bekannten Gesichtern. Noch eine Aufführung in der Universität. Diesmal Zufälliger Tod eines Anarchisten von Dario Fo. Unterhaltsame 45 Minuten. Ein witziges Stück umgemünzt auf Kolumbien und die politischen Umstände in diesem Land. Es wird viel an der Oberfläche gekratzt, aber es geschieht wenigstens etwas auf der Bühne. Einfache Mittel, ein gutes Stück Unterhaltung. Und hoffentlich eine gute Einstimmung auf das Theaterfestival, welches genau HEUTE beginnt. Die nächsten zwei Wochen werde ich mehr im Theater also sonst wo verbringen. Zwanzig Theaterstücke aus aller Welt innerhalb von zwei Wochen, das wir ein Fest für meine Seele. In zwei Stunden Brickland von der deutschen Theatertruppe Dorky Park. Modernes Tanztheater.

http://www.dorkypark.org/

Dienstag, 9. März 2010

Una ciudad sin transporte público

Eine Stadt versinkt im Chaos oder
Besuch aus bekannten Gefilden

Vier Tage lang. Vier ganze Tage. Die Stadt im Chaos. Das absolute Chaos.
Zunächst begann alles am Montagmorgen. Das morgendliche Hupen vor meinem Fenster war lauter als sonst, stärker, irgendwie auch wütender. Auf meinem Weg zur Uni war dann auch irgendetwas anders. Seltsam. Irgendwas fehlte. Irgendwann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Busse fehlten im Straßenbild, einfach ausradiert. Dafür viele verzweifelte Gesichter, hineingemalt. Ein entzückendes Bild, zumindest für mich, wenn man nicht pünktlich zur Arbeit erscheinen muss und vom öffentlichen Nahverkehr abhängig ist, sondern sich seine Zeit eh schon immer so legt, dass man gemütlich zu Fuß das Ziel erlaufen kann…
Da fehlten sie also, die Busse. Da es nicht gerade eine Kleinstadt ist, kann man sich das Chaos wohl ausmalen. Zwar funktioniert der heißgeliebte Transmilenio noch, aber das Streckennetz ist lange nicht so ausgebaut, dass jeder diesen auch nutzen kann. Wenn mehr als 20.000 Busse ihren Dienst nicht antreten, dann macht sich das bemerkbar. In Deutschland würden die meisten sagen, dann eben Auto. Hier ist das ganze nicht so leicht. Hier gibt es nämlich Beschränkungen. „Pico y placa“. An jedem Wochentag dürfen nur bestimmte Kennzeichen genutzt werden. Eben um ein Verkehrschaos zu verhindern.
Die Busse fehlen also. Am Wochenanfang waren die meisten noch aufgeschmissen. Konsequenzen waren geschlossene Geschäfte, Banken waren nicht geöffnet, Vorlesungen sind ausgefallen, selbst das Sportzentrum hatte geschlossen. Einige haben todesmutig ihr Fahrrad aus dem Verschlag gekramt und der Umwelt etwas Gutes getan (während der ganzen Woche hat sich hier die Luftverschmutzung um zweiundzwanzig Prozent gesenkt), andere sind eben einfach zu Hause geblieben.
Am Dienstag wurden die Bilder abstruser. Schon fast ein wenig zum Lachen. Da gab es Kleinlastwagen, auf deren Ladefläche sich Menschen drängten. Menschen unterschiedlichster Herkunft. Man muss schon schmunzeln, wenn man einen Banker im Anzug, mit Aktentasche auf „eingezäunt“ wie Vieh auf der Ladefläche inmitten von Krankenschwestern, Lehrer und ganz vielen anderen Menschen stehen sieht. Da springt man dann eben ab während der Fahrt, wenn man meint seinem Ziel nah zu sein, denn eine Klingel wie im Bus, die gibt es diesmal nicht. Und es werden immer mehr. Zwischen Orangen- und Kartoffelsäcken. Mütter mit Kleinstkindern auf dem Arm, Bauarbeiter in ihren grell orangefarbenen Anzügen, Nonnen in ihren gestärkten und faltenfreien Trachten, Menschen, die von A nach B wollen… Überfüllte Taxis, überall ist es gelb. Gelbe Knutschkugeln. Die Taxifahrer dürften wohl stark vom Streik profitieren.

Apropos Streik, damit nicht ganz untergeht, weshalb die Stadt in ihrem Verkehrsproblem untergeht: Es soll ein neues System eingeführt werden, ähnlich dem des Transmilenios. Das bedeutet Automaten, Fahrkarten, Haltestellen. Nur ist nicht klar, wer für die Kosten aufkommen soll, außerdem werden dadurch einige kleinere Busunternehmen verschwinden. Da geht man dann eben auch hier mal auf die Straße. Oder eben nicht. Die Busse, die nicht fahren, müssen von Polizei und Militär bewacht werden. Die arbeitende Bevölkerung sieht nämlich nicht ein unter dem Streik zu leiden.

Am Mittwoch erbarmt sich der Bürgermeister dann und gibt für einige „pico y placa“ auf, Taxis dürfen als öffentliche Verkehrsmittel agieren und es soll nur so an Bußgeldern hageln für die Busunternehmen, die nicht fahren. Und doch, helfen tut das alles nur sehr wenig. Die Räder rollen weiterhin nur sehr langsam und die der Busse eben gar nicht. Dafür stehen die Menschen Schlange um sich in den sonst schon überfüllten Transmilenio zu schubsen und zu drängen. Es ist ein Theaterstück, das ganze vier Tage andauert. Wenn man nicht direkt betroffen ist, ist es wirklich lustig anzuschauen. Eine Parodie des verkorksten Transportsystems. Die Straßen sind überfüllt, Staus über Staus, fluchende Menschen, leere geschlossene Geschäfte, Mails von Dozenten, dass die Vorlesungen weiterhin ausfallen, aus Sicherheitsgründen geschlossene Schulen. Das pure Chaos. Großstadtchaos.
Am Freitag dann allgemeines Aufatmen. Die Räder rollen wieder an. Aber die Drohung weiterer Streiks schwebt in der Luft. Das war erst der Anfang. Mal sehen, was noch kommt.

Und dann war da noch etwas. Besuch. Aus Deutschland. Nun ja, nicht direkt. Eher aus Medellin. Zwei Kommilitoninnen, die ihr Auslandssemester in Medellin verbringen, sind übers Wochenende in die Hauptstadt gekommen. Denn auch die beiden wollen länger bleiben und müssen sich um ihr Visum kümmern. In den Tagen des Chaos ein toller Spaß.

Der Freitagnachmittag. Von ungewohnter Reinheit geschwängerte Luft, Sommersonne und angenehme Temperaturen. Da bekommt man sogar richtig Lust ein Eis zu essen… Hmmm… Brombeersorbet auf Mandeleis in frischer Waffel. Wunderbar, um diesen Tag zu genießen. Die Stadt ist fröhlich, in vielen Gesichtern lässt sich ein Lächeln entziffern. Selbst als ich beim Warten auf einen Freund von einem kleinen Jungen angegrinst werde, funkeln auch meine Augen vor angenehmer Wärme. Noch. Bis der dann seine Hose öffnet und ganz ungeniert gegen den Mülleimer pinkelt, der etwa einen Meter neben mir steht. Erst will ich es nicht glauben und als dann auch noch die augenscheinliche Großmutter neben ihm auftaucht und ihm wohl gesonnen zunickt, falle ich fast vom Glauben ab. Aber öffentliche Toiletten, die gibt es hier nicht, wird mir da bewusst. Oder sie verstecken sich zu gut. Das Warten ist zwar vergeblich, manchmal kommen die Kolumbianer eben gar nicht. Aber das hat meiner guten Laune nichts an. Dann spaziere ich eben allein ein wenig durch den Park, genieße die Sonne, setze mich auf eine Bank, hole meinen Zeichenblock hervor und skizziere den Herrn Santander, der übersät von Tauben und ihren Hinterlassenschaften ist (auch hier werden diese unhübschen Tiere als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet und wenn ich den Kolumbianern erzähle, dass in der Tiefkühltruhe meiner Eltern ein paar Täubchen auf ihren Verzehr warten, schauen sie mich nur verdattert an), ein Pärchen gesellt sich auf die Parkbank und erhascht ein paar Blicke auf meine Zeichnung.

Dann ein Wiedersehen. Nach mehr als einem halben Jahr. Zwei Deutsche. Und es ist seltsam. Mit dem Schreiben klappt es ja noch einigermaßen. Aber das Reden. Das kostet ungewohnte Mühen. Mir fehlen die Worte. Die deutschen. Andauernd schleichen sich spanische Bruchstücke in meine Sätze. Bis ich irgendwann aufgebe und eben doch nur Spanisch rede. Man versteht mich ja auch so. Ein angenehmer Nachmittag, der in den Abendstunden bei Kaffee endet…
Und Regen. So ist es eben. In Bogotá. Está lloviznando…
Also kein wirklicher Regen, sondern diese fisselige Feuchtigkeit, die fast nicht in Tropfenform vom Himmel sinkt, sondern sich eher wie ein grauer Schleier von Feuchtigkeit um einen legt. Und trotzdem sind die Menschen unterwegs. Dann werden eben an den Straßenecken anstatt Fächer und Sonnenbrillen Regenschirme angepriesen (natürlich gibt es weiterhin „llamadas, llamadas, llamadas“). Und das Angenehme dieses Abends ist, dass freitags die Septima, eine der Hauptstraßen, vom Zentrum aus bis etwa zu dem Stadtviertel, in dem ich wohne, für alles, was Räder und Motor hat gesperrt wird. Ab fünf Uhr nachmittags gibt es hier Straßenkünstler, die ihrem Namen alle Ehre machen. Kunst auf der Straße und zwar auf einer, der meist befahrensten. Da versucht sich ein junger Kerl im Hiphop, direkt daneben legt ein älterer Herr einen beachtlichen Tango aufs Parkett… Man kann Wetten abschließen, Meerschweinchenrennen, es wird gegrillt, was hier eben so auf den Grill kommt: Maiskolben, Fleischspieße, arepas… Straßenverkäufer preisen ihren Schmuck an oder auch Filme (Piraterie natürlich), Zigaretten, Süßigkeiten, überall ist Leben. Am Straßenrand entdecke ich meinen persönlichen Höhepunkt des Abends. Ein Pärchen, ein wenig punkig, abgewetzte Kleidung, Dreadlocks, sie machen Musik. Aber nicht einfach so mit Gitarre und Gesang. Nein. Da dient einer dieser großen Wartezimmer-Wasserspender-Behälter als Trommel, ein Staubsauger-Rohr als Blasinstrument, ein gusseisernes Abflussrohr als Triangel und verrauchte Stimmen geben dem ganzen einen gewissen Charme.

So langsam taut das Chaos ab, das Wochenende hat deutlich zur Entspannung beigetragen, vielleicht auch ein wenig in den Köpfen der Menschen hier…

Mittwoch, 3. März 2010

Me volvió vieja…




Und schon zweiundzwanzig.

So schnell vergeht die Zeit, vor einiger Zeit noch schreiben gelernt, Noten auf Schönschrift bekommen und ein Fingerschnipsen, schon schreibt man so viel mehr am Computer, lässt den Rest der Welt am eigenen Leben teilnehmen. Ist aber in Ordnung, so wie es ist.

Keine große Party, auch kein Rosenmontagsumzug, aber ein bisschen feiern muss man die Schnapszahl ja nun doch. (Eine Lobpreisung an die deutsche Sprache: Sie ist die einzige, die so wundervolle Wörter wie „Schnapszahl“ besitzt; ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen, glaube jedoch nicht daran.) Und das nicht bei Chips und Bier.
Nein, da wird eingekauft, gekocht, stundenlang gekocht und gebacken. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich Quiche mache… Und nicht nur eine, vier verschiedene. Und sie sind perfekt, allesamt. Dann Freitagabend noch zu Enrique, da in unserem Haushalt einfach nicht die notwendigen Utensilien vorhanden sind um das Mousse au chocolat herzustellen. Ein dunkles, ein helles. Das bedeutet Arbeit, viel Arbeit. Natürlich wird alles per Hand aufgeschlagen, Rührgeräte bestehen hier aus Schneebesen oder gar Gabeln. Wie gesagt, alles pure Handarbeit. Aber es lohnt sich.
Die Gäste kommen um zwei Uhr nachmittags und man mag es kaum glauben, der erste, der ankommt um Punkt zwei ist ein Kolumbianer, Nelson; Grafikdesigner.
Nach und nach findet auch der Rest den Weg zu unserer Wohnung. Was nicht unbedingt einfach ist. Wir wohnen im Subterrain. Und das Gebäude hat an die 200 Wohnungen oder mehr… Nina verläuft sich schon auf dem Weg hierher, sie muss ich auf der Straße aufgabeln. Eine bunt gemischte kleine Runde, viele Kolumbianer, zwei Deutsche und eine Französin. Fast alle Eingeladenen sind da. Und es wird nicht nur ein schöner Nachmittag, sondern ebenfalls ein schöner Abend und auch eine schöne Nacht. Der Wein reicht bis um vier Uhr morgens. Es wird gegessen, gelacht, gespielt, getanzt – gefeiert eben.


Stephanie, Franziska und Enrique


Luz


Prisca


Eduardo


Nina, Nelson und ich

Die Werwölfe von Düsterwald kommen ganz groß an, am Ende ist es immer Prisca, die vom Dorf als Werwolf bezichtigt wird. Twister im angetrunkenen Zustand ist der reinste Wahnsinn. Merengue und Salsa tanzen geht ja noch, aber Choque ist dann doch eher für den späteren Teil des Abends gedacht. Es wird gemalt, und noch mehr gelacht…

Am Sonntagmittag verschwindet auch der letzte Gast, dann geht’s ans Aufräumen, aber das ist glücklicherweise nicht so viel… Nur das helle Sofa hat ein paar Weinflecken abbekommen, aber selbst die kriegen wir weg. Mit genug Chemie geht eben doch alles.
Und dann ist es wieder ruhig.

Ziemlich ruhig. In diesen Tagen ist die Stadt wie ausgestorben, nun gut, nicht ganz. Aber es ist deutlich weniger los auf den Straßen. Es wird nämlich gestreikt. Im öffentlichen Nahverkehr. Die Busse fahren nicht, der Transmilenio funktioniert zwar noch, ist aber komplett überfordert mit den Menschenmassen. Nachmittags schließen die Geschäfte, Vorlesungen fallen aus und das schon seit drei Tagen. Ausnahmezustand. Wie sehr die meisten doch von den öffentlichen Verkehrsmitteln abhängig sind. Gut, dass ich alles zu Fuß erreichen kann und für alles weitere gibt es ja auch noch mein Fahrrad.