Donnerstag, 25. März 2010

Festival, festivo y amigos




Die Stadt ist ein einziges Fest – nicht für alle


Freitagabend. Transmilenio. Schlechte Entscheidung. Aber nach guter deutscher Manier bin ich früh genug los, das Risiko einkalkuliert. Zur Universidad Nacional. Dort sehe ich das erste große Spektakel des Festival Iberomericano de Teatro. Alle zwei Jahre findet dieses Festival statt. Bogotá verwandelt sich in die „Kulturhauptstadt“ Lateinamerikas. Dieses Mal das allererste Mal mit neuer Direktorin, denn vor etwa zwei Jahren ist Fanny Mickey, diejenige, die diese verrückten Tage ins Leben gerufen hat, gestorben. Eine neue Herausforderung also. Sicherlich ist das Festival nicht für jeden, denn die Karten können durchaus teuer sein, jedoch gibt es auch viel kostenloses Straßentheater, Workshops und vieles, vieles mehr…





Trotz der Odyssee im Transmilenio bin ich eindeutig zu früh da. Dafür krieg ich ein kleines Theaterspektakel im Vorfeld geboten. Zwei Mädels und ein Kerl verkaufen Küsse à 1000 Pesos… Die Gesichter der Vorbeigehenden sind herrlich anzusehen…
Brickland also, aus Deutschland. Ein Babel in der Moderne, so kommt es mir zumindest vor. Deutsch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Chinesisch und andere Sprachen prallen aufeinander. Nicht nur das. Körper, die aufeinander prallen. Massenschlägereien, Vergewaltigungen, Ehestreit, Ausbrüche, Wahnvorstellungen. Alles in modernes Tanztheater verpackt. Vielen der Zuschauer scheint es zu modern, zu weit weg von ihrem eigenen Leben (oder vielleicht zu nah dran). Die Musik ist live, drei Musiker, die mehr als zehn Musikinstrumente bedienen, von E-Gitarre über Trompete bis hin zum Flügel. Es passiert so vieles gleichzeitig auf der Bühne, dass man gar nicht genau weiß, wo man hinschauen soll. Bei der Massenmasturbation reiben sich Körper an Sofas, Pflanzen, Federballschlägern. Gewalt innerhalb eines Ghettos der Reichen. Abgeschirmt von der Wirklichkeit entwickelt sich eine ganz eigene Hölle in der sicherheitsumzäunten Gesellschaft von Multikultur. So wie es wohl tagtäglich in unserer Gesellschaft geschieht. Fazit des Abends: Niemand ist geboren, um alleine zu leben und Ehe ist auch nicht immer das Wahre. Es endet alles im Chaos. Aber es scheint so ganz der Stil von Constanza Macras zu sein, der Choreografin, ähnliche Stücke, die oft mit Tabus brechen, gerade in einer Gesellschaft wie der kolumbianischen und auch in dieser so eingeschränkten Theaterszene.



Das Stück findet Fortsetzung auf meinem Weg nach Hause. Abends um halb elf muss man schon laufen, um noch den letzten Transmilenio zu bekommen. Auf der Caracas, einer der Hauptstraßen möchte man abends allein als Frau (und auch als Mann) nicht unbedingt unterwegs sein, gut, dass eine schützende Glasscheibe zwischen mir und dem Straßengeschehen ist. Prostituierte schlagen sich, reißen sich gegenseitig die Haare aus bis einer vielen so oder so schon leicht bekleideten Damen sich ihre Brüste entblößen. Zwei Stockwerke weiter oben steht ein Mann auf dem Balkon, sichtlich erschöpft von seiner vorangegangenen Beschäftigung, nur in Handtuch…

Brickland
http://www.dorkypark.org/

Am Samstag verwandelt sich die Stadt in einen einzigen Karneval. Die offizielle Eröffnungsfeier. Ein bisschen wie in Barranquilla, nur dass die meisten Mädels nicht ganz so leicht bekleidet sind, das Wetter ist eben doch nicht so nach Karibikküste, zwar frühlingshaft warm, aber nichts desto trotz erfrischend. Viele rote Perücken stechen aus dem bunten Trubel hervor. In Anlehnung an die im Jahre 2008 verstorbene Gründerin Fanny Mickey, rothaarig, lockig, verrückt, ein wenig zumindest, muss sie gewesen sein, um so ein Spektakel ins Leben zu rufen.



Die Sonne strahlt, die Menschen strömen, die Septima ist überfüllt, überall drängen sich Menschen, Monster, Schlümpfe, Tänzer und Tänzerinnen, Stelzenläufer, Einradfahrer… Der pompöse Zug wird angeführt von einer etwa sieben Meter großen Figur Fanny Mickeys, nicht hübsch, dafür imposant. Eine riesige Marionette mitsamt Kranführer und Drahtziehern vom Boden aus, da blinzelt sogar das Auge ab und an mal in die tobende Menge. Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch Spielmannstruppen, nur werden hier nicht unbedingt klassische Stücke zum Besten gegeben, sondern eher Populäres wie eine akustische Version von „Me apagaste el celular“, Reggaeton eben. Andere spielen gerne Salsa und die Hüften der Massen wackeln fleißig im Rhythmus mit.



Manchmal müssen wir ein wenig kämpfen, um auch alles sehen zu können, die Menschen hier sind zwar klein, aber groß sind wir auch nicht wirklich. Und es gibt auch immer wieder unglaublich unhöfliche Menschen, die sich vordrängeln, damit ihr Kind (welches auf den Schultern des Vaters sitzt) besser sehen kann. Was dem Riesenereignis fehlt, ist der Aufräumtrupp, an den ich aus Köln gewohnt bin, auch noch Stunden später auf dem Nachhauseweg sind die Straßen ein einziges Desaster, Müll über Müll auf den Straßen, Fußgängerwegen, einfach überall. Aber am nächsten Morgen glänzt schon wieder alles.


Sonntagabend nach einem herzlichen Mittagessen bei einer Freundin und ihrer Familie. Dieser steht oder tanzt eher ganz im Zeichen des Tangos. „Tango de burdel, salón y calle“ aus Argentinien. Meine Wahl fiel zwar auf die günstigste Preisklasse (so wie bei fast allen Stücken), jedoch bemerkt man davon kaum etwas. Die Plätze sind gut, die Sicht wunderbar. Und erst die anderthalb Stunden Tanz(theater). Denn es ist nicht einfach nur Standardtanz, den man früher als kleines Mädchen liebend gerne sonntagnachmittags im Fernsehen verfolgt hat, nein, es wird uns eine Geschichte erzählt. Allein durch den Tanz, den Körper, die Spannung, die in der Luft liegt. Und die Musik, alles live. Die Band besteht aus Cello, Klavier, E-Gitarre, Akustik-Gitarre, Schlagzeug und natürlich einem Akkordeon (welches das einzige Instrument ist, das diesen Abend von einem jungen Mann gespielt wird). Eine Sängerin legt nicht nur immer wieder unglaubliche Solos auf Parkett, sondern singt mit einer tiefen, rauchigen Stimme Balladen und andere Stücke. Dieser argentinische Akzent, der mir sonst so gar nicht gefällt, passt perfekt.
Die Farben, das Rot, das Schwarz, Kontraste, wo man nur hinschaut. Von den Anfängen des Tangos in den 1860er Jahren geht es weiter über anzüglichen Tango, der im Rotlichtmilieu getanzt wurde, über den Tango der höheren Gesellschaft in den Tanzcafés bis hin zum modernen Tango. Es wird gebuhlt, gestritten, geliebt, gehasst, verurteilt, gemordet, verziehen, vereitelt, geschlagen, getreten, gekämpft, verloren, gewonnen – ohne viele Worte zu verlieren. Die Körpersprache drückt das aus, was man sonst wohl kaum verstehen würde.

Tango de burdel, salón y calle
http://www.grupomaipo.com.ar/tango/inicio.htm


Der Montag ist Feiertag, davon gibt es hier doch recht viele, diesmal wird „San José“ gefeiert („Heiliger Joseph“), das wird hier in Kolumbien zum Anlass genommen den „Día del Hombre“ zu feiern (also den „Männertag“, wie man sieht, nicht nur den Frauen widmet man einen ganzen Tag im Jahr, nein, auch den Männern).
Der Tag ist auch für mich frei. Frei von jeglicher Last, ich schlafe viel, werde bekocht (ich bin mal wieder nicht zu Hause), male, pinsele die Tür, überlege, was ich sonst noch so machen könnte mit meinem Leben außer auf der faulen Haut zu liegen. Aber wirklich fragen muss ich mich das nicht. Zumindest nicht für die nächsten zwei Wochen, die sind ausgebucht. Theater, Theater, Theater.

Dienstagnachmittag. Uni. Kulturjournalismus. Es wird immer deutlicher, dass das hier in Kolumbien nicht gerade eine der besten Sparten des Journalismus ist. Alles sehr dürftig, selbst Fernsehen ist in dieser Hinsicht nur gelbe Presse. Davon gibt es zwar auch in Deutschland eindeutig zuviel, jedoch hat man die Möglichkeit hochwertiges Fernsehen ausfindig zu machen. Da bleibt mir hier auch nicht viel übrig, gut, dass es das Internet gibt und Mediatheken und all diese ganzen multimedialen Errungenschaften.

Am Abend geht es in die Stierkampfarena. Nicht um einen torero aufgespießt auf den Hörnern eines armen Stiers zu sehen. Es tobt eine unglaubliche Frau. Sich auf der Bühne aus. Concha Buika. Spanierin (auf Mallorca geboren, macht sich bestimmt auch nicht schlecht im Pass) mit afrikanischer Abstammung.
Im pinkfarbenen Abendkleid, das ihren gesamten Rücken freilegt, an ihrem rechten Arm eine tätowierte Inschrift. Schon der erste Ton, der vom Flügel kommt, verspricht Großes. Die Art und Weise sich zu bewegen, die Körpersprache, die Mimik – einfach nicht in Worte zu fassen. Obgleich ihre Worte, ihre Lieder sich in die Gehörgänge stehlen und nicht mehr hinaus wollen. Es ist kaum zu fassen, was aus diesem zierlichen Körper, aus diesem breiten Mund mit dieser winzigen Zahnlücke zwischen den beiden Schneidezähnen hervorkommt. All ihre Lieder sind mit einer gewissen Melancholie überzogen, Traurigkeit und Wut gegenüber dem Leben, welches so oft mit uns spielt, wie es scheint. Diese melancholische Emaille lässt einem die Armhaare zu Berge stehen. Gänsehaut. Gut, es mag auch an der frischen Nacht liegen, ein Konzert unter freiem Sternenhimmel (und dann wird es auch in Bogotá mal kalt). Bis zu diesem Konzert war mir die Frau, die ihren Hintern auf eine ganz seltsame Art und Weise schwingt, die ihr Gesicht so sehr verziehen kann und trotzdem noch hinreißend aussieht, die zeigt wie sehr man sich in einer kleinen Person täuschen kann, sie war mir unbekannt, ebenso ihre Lieder. Das Publikum hingegen singt lautstark mit, auch wenn es nicht mit dieser Stimme mithalten kann. Selbst Schreien und Wimmern klingt aus diesem Organ unglaublich schön. Der lang anhaltende Applaus nach anderthalb Stunden ist absolut gerechtfertigt.

Concha Buika
http://www.buika.net/indexbuika.html

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