Freitag, 19. März 2010

Cultura, lujo y otras pequeñeces

Museum, Theater, Kino – „Kultur“ in der Hauptstadt


Eine unterhaltsame Woche. Teilweise zumindest. Und die Wiederentdeckung des Sports…
Lang, lang ist’s her, dass ich mich hochgeschleppt habe ins gläserne Monstrum von Sportzentrum. Was daran lag, dass das Schwimmbecken seit Beginn des neuen Semesters andauernd ausgebucht ist, man kann jeweils nur einen Tag vorher reservieren und selbst wenn man morgens um acht angerufen hatte, gab’s meist nur schlechte Karten. Aber jetzt, der ganze Klausurenstress, da traut sich kaum noch jemand die Treppen hoch, um Sport zu treiben, aus Angst die angestrebten guten Noten untergehen zu lassen. Also gibt es wieder genug Platz für mich. Man merkt erst, dass man solche einfachen Dinge so sehr vermisst hat (oder eben der eigene Körper), wenn man wieder beginnt durchs Wasser zu preschen… Und stetig werden es mehr Bahnen, so viel wie man eben in einer Stunde schaffen kann.
Diesen Luxus werde ich auf jeden Fall vermissen, jeden Tag schwimmen zu gehen ohne einen Peso (oder Cent oder sonst irgendetwas) zahlen zu müssen, ein kleines Schwätzchen halten mit den Rettungsschwimmern, die mich bereits schon auf dem Campus erkennen und grüßen…


Ein Mittagessen bei dem ich mit zwei Journalisten über meine BA-Arbeit spreche verschafft mir ein wenig Klarheit, was das Thema angeht, weswegen ich ja ein wenig länger hier bleibe, die Recherche über ein landeswissenschaftliches Thema ist doch um einiges leichter in dem behandelten Land also von weit, weit weg… Außerdem fällt mir dabei auf, wie lange ich schon keinen ordentlichen Salat mehr auf der Karte eines einigermaßen bezahlbaren Restaurants gesehen habe. Gut, die einzige fleischlose Variante ist der Thunfisch-Salat (Blattsalat, Tomaten und Thunfisch, es gibt glücklicherweise och noch Gründe wieder nach Deutschland zu kommen). Über eben diesem Salat und frischen Maracuya-Saft unterhalten wir uns. Ein paar mehr Ansätze resultieren daraus, ein paar Anlaufstellen und genauere Vorstellungen.


Ein Spektakel, das Lust auf mehr macht. An diesem Abend werde ich in eine fremde Welt entführt. Butoh-Tanz. Der Großmeister dieses japanischen Tanzes Ko Murobushi führt sein Solo „Quicksilver“ in der Universität auf. Ich bekomme einen Platz, trotz dessen ich mich nicht angemeldet hatte. 45 Minuten des Unfassbaren. Ein Mensch, zunächst in einen viel zu großen Anzug gehüllt mit verbundenem Kopf, später dann mit einem Lendenschutz bekleidet, der ganze Körper silberfarben. Und eben dieser menschliche Körper verwandelt sich. Vor meinen Augen. Geräusche, nicht einmal Musik, Stöhnen, menschliche bis unmenschliche Ausstöße von Anstrengung, Ekstase bis hin zum letzten Krächzen kurz vorm Tod. Das Spiel mit Licht und Schatten lässt den Menschen verschwinden. Er ist alles andere als Mensch. Es ist nicht schön, aber das soll es auch nicht sein. Und im gewissen Sinne ist es das eben doch wieder. Schönheit. Ideal, ein anderes.


Quelle: http://www.komurobushi.com/


Ein Besuch im Museum für Moderne Kunst (kurz MAMBO).

http://www.mambogota.com/

In einem meiner Kurse behandeln wir momentan das Thema „Karikatur“ und so will es, dass just bis zum Ende dieser Woche eine Ausstellung über Meinungsfreiheit und Karikaturen stattfindet. Cartooning for peace. Viele interessante Themen. Natürlich viel Politik. Und in einem Land wie Kolumbien gibt es durchaus eine Menge zu kritisieren, parodieren… Sarkasmus in einfachen Strichen, ohne viele Worte zu benutzen, eine Kunst für sich. Vieles ist aufgrund solcher Zeichnungen geschehen, auch Menschenrechte, Skandale, Sexualität, alles Themen, die hier Beachtung finden. Natürlich dürfen auch Karikaturen wie „Das Leben von Jesus“ von Gerhard Haderer nicht fehlen. Aber auch viele nationale Künstler, Journalisten, Kritiker widmen sich der kleinen, jedoch knallharten Zeichnungen. Vladdo, Betto, Chócolo. Auch so ganz allein im Museum zu sein ist was ganz Besonderes. Irgendwie seltsam. Die beiden Sicherheitskräfte haben ihre Augen praktisch quasi nur auf mich gerichtet. Dabei wurde ich zu Beginn noch gefragt, ob ich denn keine Fotos machen wolle. In Deutschland ist so etwas meist doch untersagt…


Quelle: http://uribestiario.files.wordpress.com/2009/10/chocolo-falso-positivo.jpg"

Ein Kolloquium der Fakultät für Psychologie erklärt, was im Kopf passiert, wenn man Kunst betrachtet. Außerdem wird mit Mythen aufgeräumt, sämtliche Kultur, die wir als Menschen schaffen sei Biologie. Nun gut, bis zu einem gewissen Grad stimme ich dem ja auch zu, denn schließlich konstruiert unser Gehirn unsere Realität und wir leben auch alle in einer ähnlichen Realität, sind quasi synchronisiert. So ganz gefällt mir die Vorstellung allerdings nicht, dass das alles nur auf Synapsen, Molekülen, Spannungen und so vielem mehr basiert. Wo bleibt denn da unsere eigene Vorstellungskraft, unsere Fantasie, die ist doch auch Teil unserer ganz eigenen Realität. Weltbilder, die aufeinander stoßen und miteinander ringen. Ganz so analytisch sollte man das vielleicht doch nicht alles betrachten, allein schon aus Selbstschutz.

Ein später Nachmittag in unserer Stammbar, das wird sie zumindest Donnerstag für Donnerstag mehr. Ein kleines Lokal mitten im alten Stadtzentrum „El Chorro“, in der Dämmerung kommen all die Straßenkünstler, Geschichtenerzähler, Schmuckverkäufer, Akrobaten und ganz viele verrückte Menschen aus ihren Verstecken. Gespräche über Zeitreisen, Realitäten, Zukunftspläne,… (Ein weiteres Schreib-Projekt nimmt langsam Form an.)

Außerdem stehen die letzten Tage im Zeichen des Wahlkampfes und somit auch der kleine Platz, auf dem normalerweise kleine Kunststücke aufgeführt werden. Diesmal gibt es eine große Bühne. Eine Band. Sehr folkloristisch. Und politische Hetzreden, so hört sich Wahlkampf hier zumindest an. Für mich ist noch immer alles sehr undurchsichtig. So ganz verstanden habe ich das Wahlsystem hier nicht. Senat und Parlament wurden am Sonntag gewählt. Die Präsidentschaftswahlen sind aber erst im Mai und unabhängig von denen des vergangenen Wochenendes. Hier werden Graffitis übermalt mit Wahl-Gemälden, kleine Trüppchen laufen einem immer wieder über den Weg, verteilen ihre Flugblätter, drücken einem Kärtchen der verschiedensten Parteien in die Hand. Es gibt unglaublich viele Parteien, viele von ihnen haben das Motto „Soy uribista, no reelecionista“ (in etwa: „Ich bin für die Strategie Uribes, jedoch nicht für eine erneute Wiederwahl.“) Einige haben vielleicht verfolgt, was hier in den letzten Monaten immer wieder in der Presse war. Uribe hat zum zweiten Mal versucht die Verfassung zu ändern, damit er für eine dritte Amtszeit antreten kann. Ist ihm glücklicherweise nicht gelungen. Allerdings weiß man auch nicht so recht, ob man da von Glück sprechen kann. Denn somit stehen die Chancen gut für Santos, den jetzigen Verteidigungsminister, der so großartige Ideen wie einen zweijährigen Militärdienst in die Realität umgesetzt hat. Die Mehrheit haben also alle Parteien, die die Politik Uribes befürworten erlangt. Es gab auch nur 12 von 82 Parteien, die nicht vom jetzigen Präsidenten überzeugt sind, also keine große Überraschung. Während hier am Sonntag wieder die „ley seca“ galt (an Wahltagen wird kein Alkohol verkauft oder ausgeschenkt) und die ersten Hochrechnungen ausgestrahlt wurden, war das einzige, was man in der internationalen Presse lesen konnte, dass die Wahlen in Kolumbien mal wieder von Korruption überschattet wurden. Viele gekaufte, erzwungene, erschlichene Stimmen.
Dennoch versuchen viele, vor allem junge Leute, Gebrauch von ihrem Recht auf Demokratie zu machen. Es formt sich eine kleine, dennoch aussagekräftige Opposition. Auch hier gibt es mittlerweile die Partei der Grünen, mit Mockus, dem ehemaligen Bürgermeister Bogotas an der Spitze. Eine Partei mit Programm. Vielleicht geschehen ja doch noch Wunder. Im Mai wissen wir mehr.

Ein Theaterstück, das enttäuscht. Noch hat das Festival Iberoamericano de Teatro nicht begonnen, aber für Kultur sollte man immer ein paar Stündchen in der Woche Zeit haben.
Und eines meiner Geburtstagsgeschenke war die Karte für Die Dämonen von Dostojewski im Teatro Libre. Beginn sollte eigentlich um acht Uhr abends sein. Kolumbien. Also ist Einlass erst um Viertel nach Acht. Unsere Plätze müssen wir dafür im Dunkeln suchen. Das Theater ist ein sehr schönes, relativ altes Gebäude. Die Akustik scheint gut, Sicht ist auch vom ersten Rang aus noch sehr gut. Voller Vor-Freude auf einen schönen Abend.
Nach-Enttäuschung. Oder auch schon Zwischen-Enttäuschung. Es liegt nicht nur am Spanisch, das ist wohl das geringste Problem. Es werden die einfachsten Theater-Regeln nicht beachtet, kaum eine Person wird ordentlich eingeführt, es entwickeln sich kaum Charaktere, vieles ist nur Rezitation von Texten. Das Stück spielt im Russland des 19. Jahrhunderts. Es kommt einem noch viel trister vor. Die Schauspieler langweilen sich auf der Bühne. Man versteht nicht viel von der Handlung, weil sie eben nicht handeln, es gibt keine Bewegung, Personen gehen ohne Grund von der Bühne ab, Musik gibt es ganz vereinzelt (die Gründe weshalb, versteht man auch nicht). Das Bühnenbild wird nicht ausgenutzt, es werden weder Räume noch irgendetwas etabliert. Anderthalb Stunden passiert kaum etwas. Und dann ein Schuss. Der alle wach werden lässt. Tod. Vergewaltigung. Ein nackter, toter Körper. So plötzlich, dass es auch schon wieder vorbei ist bevor man sich fragen kann, ob man das jetzt nicht doch nur geträumt hat. Aber immerhin ist es vorbei. Standing Ovations, aber nicht von uns. Von uns, da gibt es nur ein höfliches müdes Händeklatschen, welches nicht einmal eine Minute andauert. Als wir im Rausgehen darüber diskutieren, was denn alles schlecht war an diesem Stück – so ziemlich alles – ernten wir nur böse Blicke. Wahrscheinlich sind wir einfach nur zu sehr verwöhnt vom europäischen Theater. Und können es nicht wertschätzen. Dieses Theater im Theater.


Ein Kinofilm weckt Erinnerungen. Kolumbianisches Kino. Das Wunderbare hier ist, dass man selbst an einem Samstagabend nicht mehr als umgerechnet vier Euro für einen Kinofilm bezahlt. So kann man es sich auch leisten, vorher Essen zu gehen. Franziska und ich machen einen kleinen Italiener aus, der wider jeglicher Erwartung wirklich gutes italienisches Essen serviert. Fetuccini mit Meeresfrüchten und Parmesan, herrlich. Und als uns vorher auch noch Brot serviert wird, fallen wir fast vom Stuhl. Selbst das Tiramisu zum Nachtisch schmeckt hervorragend und der Espresso ist ein wirklicher Espresso. Von diesem Gaumenschmaus schweben wir auf unserer kulinarischen Wolke weiter zum Kino. „El vuelco del cangrejo“ ist hier erst seit Freitag in den Kinos. Ein wunderschöner ruhiger Film. Anders als die meisten. Hat schon Auszeichnungen in Kanada und in Deutschland auf der diesjährigen Berlinale erhalten. Er spiegelt das Leben in „La Barra“ wieder, ein kleines Dörfchen auf einer Pazifik-Insel namens Juanchaco. Da war doch was, da war doch was. Genau. Mein Ausflug zum Pazifik. Eben diese Insel. Im Oktober letzten Jahres. Und auch an diesem wunderschönen fast schwarzen Pazifikstrand sind wir vor ein paar Monaten in die Wellen gestürmt. Und genauso wie im Film war es, das Leben, ruhig, konstant. Was wohl auch daran liegt, dass es sich bei den Protagonisten eben nicht um Schauspieler, sondern um Einheimische handelt. Das Spanisch ist genauso unverständlich wie in der Wirklichkeit, der Regen genauso stark und andauernd, das Leben, die Mentalität. Ein anderes und sehr realitätsnahes Bild Kolumbiens. Selbst für die empfehlenswert, die kein Spanisch verstehen, die Bilder reichen vollkommen aus.

http://www.elvuelcodelcangrejo.com/

Eine erste lange Fahrradtour ganz alleine mit meinem eigenen Rad führt mich in den Süden. Wie fast jedes Wochenende. Es gibt sogar einen Fahrradweg, der wird allerdings von den wenigsten respektiert. Weder Fußgänger, noch Autofahrer kümmern sich darum. Helm ist hier Pflicht, kein Wunder bei dem Verkehr. Jedoch benötigt man weder Klingel, noch Schutzbleche oder Licht im Dunkeln (da muss man eine Sicherheitsweste tragen). Eine Stunde Fahrt, die immer wieder vom Überqueren von Fußgängerbrücken unterbrochen wird, denn ich bin ja brav und schiebe. Da ist noch viel vom Deutschsein in mir.

Eine Wiederaufnahme von der Theatergruppe der Universität scheint viel versprechend. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Bertolt Brecht. Immer wieder guter Stoff. Aufreizend viel Haut, schöne Stimmen, denn das Ganze ist ein wenig auf Kabarett getrimmt und hat somit seinen ganz eigenen Charme. Schöne Stimmen, schöne Körper, ein paar talentierte Laien. Schon ein wenig mehr nach meinem Geschmack. Es ist unterhaltsam, reißt mich nicht vom Hocker, aber das habe ich ja auch nicht erwartet. Und doch verwundert es ein wenig, dass so viele junge Mädchen so aufreizend gekleidet sind. Ich hätte die Uni für konservativer gehalten. Nun denn, jeder braucht die Möglichkeit einmal auszubrechen. Und warum nicht im Rahmen des Theaters.

Ein weiteres Theaterstück mit bekannten Gesichtern. Noch eine Aufführung in der Universität. Diesmal Zufälliger Tod eines Anarchisten von Dario Fo. Unterhaltsame 45 Minuten. Ein witziges Stück umgemünzt auf Kolumbien und die politischen Umstände in diesem Land. Es wird viel an der Oberfläche gekratzt, aber es geschieht wenigstens etwas auf der Bühne. Einfache Mittel, ein gutes Stück Unterhaltung. Und hoffentlich eine gute Einstimmung auf das Theaterfestival, welches genau HEUTE beginnt. Die nächsten zwei Wochen werde ich mehr im Theater also sonst wo verbringen. Zwanzig Theaterstücke aus aller Welt innerhalb von zwei Wochen, das wir ein Fest für meine Seele. In zwei Stunden Brickland von der deutschen Theatertruppe Dorky Park. Modernes Tanztheater.

http://www.dorkypark.org/

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