Dienstag, 30. März 2010

Bolivia, Holanda y Colombia



Von Odysseen, Unterwassermonstern und einer gescheiterten Beziehung



Die Reise zum Treffpunkt war zwar keine Odyssee, jedoch das Treffen mit den beiden Franzosen und einer Italienerin glich ein wenig dem jahrelangen Warten der Penelope. Zu Fuß machten wir uns auf zu einem kleinen gemütlichen Theater, vorher suchten wir noch ein Restaurant, um etwas zu uns zu nehmen, vorzugsweise Suppe, die gab es aber nirgends, also gaben wir uns mit einer Pizzeria zufrieden. Gut, dass diese direkt um die Ecke des Theaters ist, denn auch hier warten und warten wir. Erst auf die Getränke, dann aufs Besteck und schließlich natürlich aufs Essen. Um fünf vor acht bekommen wir dann auch endlich die Rechnung serviert, wir hasten, stolpern fast, treffen aber noch sehr pünktlich ein. Was auch nicht gerade nötig war. Noch stehen alle Menschen Schlange. Drei Stunden. Plus Pause. Das kann ja was werden, lang, lang ist’s her solch ein langes Stück zu sehen. Eben die Odyssee. Aus Bolivien, das bedeutet es gibt auch keine Untertitel diesmal.
Die beste Überraschung des Abends: Ich verstehe jedes einzelne Wort, mein Spanisch scheint sich doch um einiges gebessert zu haben.
Der Bühnenaufbau ist schlicht und zugleich einfallsreich. Lange Bambusstäbe hängen wie Gardinen herab, sodass immer ein wenig Bewegung im Bild ist. Sie lassen sich zu hängenden Säulen zusammenschieben, können Wände bilden, Räume schaffen. Der Boden ist schwarz. Odysseus mit der Göttin Calypso auf der Insel, auf der er damals vor sieben Jahren gestrandet war.



Die Götter des Olymps, eine „Party-Gesellschaft“ wie man heute sagen würde (Drogen, Alkohol, Exzesse), obliegen Calypso per Handy den Gestrandeten auf den Heimweg zu schicken. Aphrodite rät ihr ihn ein letztes Mal zu genießen und dann Auf Wiedersehen zu sagen ohne sich umzudrehen. Mit masochistischen Schlägen und akrobatischem Tanz fühlt sie sich ein letztes Mal menschlich bis Odysseus fast vor Erschöpfung zusammen bricht. Der Aufbruch. So wie er brechen so viele andere Menschen auf, um den Traum zu leben, den amerikanischen. Immigranten, die illegal arbeiten und ihren Familien das Geld schicken. Menschen aus allerlei Ländern: Uganda, Paraguay, Iran, Bolivien, die Liste lässt sich unendlich fortsetzen. Sie erhalten Briefe, Bilder, Videos. Sind aber doch nie dort, bei ihren Angehörigen. Genauso wenig sind sie im Hier und Jetzt, ausgeschlossen von der Gesellschaft. Erledigen die Arbeiten, die sonst keiner machen will. Der Briefträger, der Müllmann. Und die Familien zu Hause, warten auf die Rückkehr ihrer Lieben. Ausweisung, Ablehnung, Rassismus; Geschichten aus dem täglichen Leben so vieler Menschen.



DE-POR-TA-DO


Penelope, Odysseus Ehefrau wartet und wartet auf die Rückkehr des einst Ausgezogenen um in Troya zu kämpfen. Sie erwartet sein Wiederkommen nach Ithaka. Wir vergewaltigt, ihr Haus wird zerstört, aber sie verliert nie die Hoffnung. Der Sohn macht sich auf die Suche nach seinem Vater. Und dann, endlich, nach zwanzig Jahren kehrt er zurück. Und rächt sich an allen. Wäscht sich die Hände in Blut.



La Odisea
http://www.teatrodelosandes.com/



Heel leuk. Het was heel leuk. Een beetje Nederlands naar te luisteren. Ein Stück aus den Niederlanden. Pi-Leau. Wiederum in einem großen Park. Taschen-, Körper- und Wasserkontrollen mit inbegriffen. Das erste Mal Seit langem, dass meine Verabredung pünktlich ist und ICH zu spät komme… Aber das muss Enrique auch mal aushalten.
Der Mond verschwindet hinter den leicht rötlichen Wolken, es ist noch immer angenehm warm und anscheinend ist der Park das wohlige Zuhause so manch einer fiesen Mücke.
Beim Straßentheater scheint generell wenig Sprache benutzt zu werden. So auch an diesem Abend, zunächst traue ich meinen Ohren nicht recht, denke Bruchstücke auf Spanisch zu erkennen, aber nein, es ist eine Fantasie-Sprache, so wie es eine Fantasie-Welt ist, die sich da vor uns, um uns herum auftut. Denn dieses Mal sind wir mitten drin im Geschehen. Die Geschichte spielt sich über unseren Köpfen ab, oft wird man in schnellem Niederländisch von den Schiebern zur Seite gescheucht. Sie schieben die Konstruktionen auf und in denen die Schauspieler agieren. Wir befinden uns tief unten, unten im Meer. Und dort schwimmen fleißig Fische, bunte Fische, sie schwirren hin und her und dann tauchen sie auf, die ersten Meerjungfrauen. Sie tanzen durch das Wasser.



Ein Fischer, der weit, weit aufs Meer hinausgerudert ist, bekommt eines dieser feenhaften Geschöpfe zu Gesicht – und verliebt sich natürlich (un)sterblich in sie. Doch diese Verbindung darf nicht sein. Das Meer schäumt und zischt, monströse Gestalten tauchen aus rotem Nebel auf und drohen dem Fischer. Die Königin des Meeres versucht derweil ihre Meerjungfrauen zu zähmen.



Ihr Gegenspieler, der Herrscher der Tiefseemonster, jagt den Fischer, er verliert Paddel und Boot, muss, um seiner Geliebten nahe sein zu können, sich in den Taucheranzug zwängen und mit Gasflasche in die Tiefen entschwinden. Alles scheint gegen ihn zu stehen. Dann taucht auch noch ein riesengroßer Wal auf, der Jagd auf ihn beginnt. Der Fischermann endet zwar nicht im Magen eben jenen großen Säugers, jedoch gibt es für ihn kein gutes Ende.



Auf der Flucht verfängt er sich im Netz des Herrschers und stirbt.
Die Umsetzung ist gewaltig, alles ist immer in Bewegung, man stolpert fast über seine eigenen Füße beim Ausweichen, man weiß nie, von wo in der nächsten Sekunde etwas kommt, die Augen überall, sich bloß nicht verlieren und die Größe dieses Spektakels in sich aufsaugen.

Pi-Leau
http://www.closeact.nl/

Anstatt den Bus in Richtung nach Hause zu nehmen, schauen wir nochmal eben schnell, was im Kino läuft, irgendwie verspüren wir die Lust den Abend so früh noch nicht zu Ende gehen zu lassen. „Como entrenar a tu dragón“. Warum nicht. Schon lange keinen Kinderfilm mehr gesehen. Und um halb neun ist hier das Kino rappelvoll mit Kindern und ihren Eltern. Früh ins Bett müssen hier wohl die wenigsten. Ich frage mich auch, wer in die Vorstellung um halb elf geht…
Ein süßer Film, habe schon lange nicht mehr so gelacht. Auf dem Rückweg suchen wir unseren eigenen Drachen der Nacht, finden ich aber leider nicht, diese Viecher verstecken sich eben zu gut.


Una histora de amor

Ein Sonntagnachmittag. Die Sonne strahlt, mein Gesicht ist noch immer leicht verbrannt, daran wird sich meine Haut wohl nie gewöhnen, an die unbarmherzige Sonne hier oben.
Das erste kolumbianische Stück im Rahmen des Festivals steht heute auf dem Plan. Die Adresse hab ich, müsste direkt bei mir um die Ecke sein, etwa zehn Blocks entfernt. Normalerweise ist es auch nicht unbedingt schwierig sich zurecht zu finden. Die Straßen haben hier schließlich keine Namen, sondern sind nummeriert. In Richtung Norden erhöhen sich die Nummern der Calles und in Richtung Westen die der Carreras. Nur gibt es auch immer wieder kleine fiese Querstraßen, Diagonalen, die einem das Leben schwer machen wollen. Aber ich und mein guter Orientierungssinn (bitte einmal lachen) finden das kleine aber feine Theater Varasanta. Freie Platzwahl, das ist schon Ewigkeiten her und ich ergattere einen Stuhl in der ersten Reihe (deshalb gibt’s von dem Stück auch keine Fotos, ganz so unverschämt bin ich dann doch nicht).
Die Geschichte einer Liebe. Diese Liebe basiert auf gegenseitigem Hass, so scheint es. Menschen, die einander brauchen, um sich gegenseitig Schmerzen zuzufügen. Seelische wie auch physische. Sie sitzt im Rollstuhl wegen eines lädierten Beines, immer ihren Flachmann zur Hand, hält sich einen Hund, den sie „Labrador“ genannt hat. Er duscht sich unaufhörlich, findet Gefallen an anderen Frauen, insbesondere an Ausländerinnen, geht mit ihnen Essen und ins Bett. Sie kann seiner Meinung nach nicht den Abwasch machen. Denn es gibt Frauen, die seien sehr erregend beim Waschen eines Tellers. Außerdem würde sie zwar tanzen, auch im Rollstuhl, jedoch würde sie dies auf ach so egoistische Weise tun, das Gesicht immer dem Boden zugewandt. Er hat genau wie sie ein gestörtes Verhalten zu seinen Eltern und doch ist er genau wie sein Vater, besitzergreifend, verletzend, sadistisch.
Sie schlagen und treten und lieben sich. Bis sie es nicht mehr aushalten, nur weil sie unbedingt jedes Jahr ihren Geburtstag feiern muss und er immer wieder ein Geschenk vergisst. Sie werfen sich nicht nur Wörter an den Kopf, auch Dinge.
Sie gehen auseinander. Und können doch nicht ohne einander. Ein neues Jahr, ein neuer Geburtstag, ein Telefonat, ein Essen. Sie lieben sich im Hass.

Als ich aus dem Theater trete, scheint der Mond mit einer unglaublichen Kraft. Es ist Sonntagabend, die Straßen sind wie leergefegt, zu Fuß sind es zwölf Minuten. Ich laufe, das Mondlicht so hell und schön, ein leichter Sommerwind lässt es rauschen hoch über meinem Kopf. Einsam und alleine wandele ich durch die Straßen.

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