Samstag, 29. August 2009

Como voy a la u

Mein Weg zur Uni


Morgens um 4.45 Uhr klingelt mein Handy, nein, niemand, der mich versucht, so früh aus dem Schlaf zu reißen… sondern ein wunderschönes „Guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein…“, mein Wecker. Noch ist es dunkel draußen, aber das wird sich schleunigst ändern. Ich bin die erste, die wach ist, schnapp mir mein Handtuch, schleiche ins Bad, drehe die Wasserhähne auf und erwache, erst kalt, nach einigen Sekunden erwärmt sich das Wasser, der erste schock ist überwunden. Dann Kaffee und zum Frühstück gibt’s momentan Reis, Ei und Obst, gehört wohl alles zum Anspassungsprozess. Schnell nach eMails geschaut, denn die Dozenten lieben es mitten in der Nacht noch wichtige Neuigkeiten zu verschicken. Bett machen, Geschirr abwaschen, Unikram schnappen, Tür aufsperren (gut, ich habe Dinge wie ankleiden, Zähneputzen, etc bewusst nicht aufgezählt; ich schreibe ja so oder so schon mehr als die meisten wohl je lesen werden), aufmachen zur „Haltestelle“ (eine gelbe Linie auf dem Bordstein), beim Überqueren der Straße fast von einem Taxi, einem Bus oder Lastwagen überfahren werden (ich will nicht als einer der vierzackigen Sterne auf der Straße enden, die hier seit einigen Jahren zur Vorsicht mahnen, denn jeder dieser Sterne steht für einen Verkehrstoten, und es gibt einige Tausende von ihnen), sich in die Traube von wartenden Menschen gesellen (Schlange stehen ist hier unmöglich), in den Alimentador steigen (die grüne und kleine Variante des normalen Transmilenios) und hoffen weder erquetscht zu werden, noch zu ersticken, unglaublich, wie viele Menschen um diese Uhrzeit unterwegs sind. Am Portal del Norte wird’s noch voller, so wie die Menschen Angst haben nicht in den Bus hinein zu gelangen, so erfüllt es sie auch mit einer unbeschreiblichen Angst nicht aus dem Bus heraus zu gelangen, anders kann ich mir das Gedränge und Geschupse nicht erklären. Die Karte auf das dafür vorgesehen Feld legen, grünes Licht bekommen, durch die Schranke, den Tunnel zur Unterquerung der Straße nutzen, sich zum Abfahrtspunkt der J72 durchkämpfen und in eine noch größere Traube von Menschen eintauchen, und dann etwas Gewalt anwenden, um in den Bus einsteigen zu können, denn an einem Punkt fahren mindestens drei verschiedene Busse ab und da es keine Schlangen gibt, muss man sich durch Menschenmauern kämpfen, die standhaft ihren Platz in der Traube verteidigen, gerade dann, wenn sie NICHT in den haltenden Bus einsteigen wollen. Einmal drin, geht der Kampf weiter, die wenigen Sitzplätze sind schnell belegt und meistens ist es unmöglich einen zu ergattern. An der nächsten Station füllt sich der – liebevoll Transmi genannte – Bus bis zum Bersten, in Deutschland würden die Türen nicht zugehen, weil die Lichtschranke (die es hier nicht gibt) immer blockiert wäre, nicht so hier; also alle Extremitäten einziehen, damit nichts draußen bleibt. Und auf geht die bunte Fahrt; da ich weit, weit weg von der Uni wohne, geht es vom fast nördlichsten Norden ins Zentrum, ins Herz der Stadt, auf dem Weg dorthin verändert sich das Bild, das sich einem zeigt fortwährend. Vom Industriegebiet über Straßenzüge voll von Autohäusern, durch den reichen Norden, moderne Häuser mit Dachterrassen, Überwachungskameras, Stacheldraht oberhalb der Mauern, Sicherheitspersonal, teure Autos hinter verschlossenen Garagentoren, Chauffeure, und ein Viertel weiter tut sich die ärmere Gegend auf, kleine Geschäfte, Obstlädchen neben Wäschereien, Motorräder halb in den Läden geparkt, auf den Fußwegen ist kaum Platz, da sich die Straßenverkäufer mit ihren Fahrradgestellen, Decken breit machen und ihre Waren feilbieten. Auch die Straßen sind überfüllt, trotz einer Regelung, derzufolge an bestimmten Wochentagen nur bestimmte Autos mit bestimmten Kennzeichen in die Stadt dürfen, Autos, die LKW überholen, Motorräder, auf denen ganze Familien mitfahren, selbst die kleinsten, die gerade mal sitzen können, alle mir orangefarbenen Warnwesten, auf denen das Kennzeichen prangt, werden geschnitten, von Bussen, Pferdekutschen, Rikschas, Menschen, die einen Karren mit ihren Waren ziehen, ein seltsames Durcheinander. Nur für den Transmi gibt es zwei eigene Spuren, sodass man nicht wirklich im Stau steht.
Das Viertel verändert sich, aus den Obstläden werden Zoogeschäfte, Hündchen in Käfigen, Vogelgezwitscher, das Gekreische von Katzen, dann verwandeln sie sich in Taschengeschäfte, später werden daraus Uhrmachereien und ähnliches.
Das Viertel wechselt, die Rollläden der Geschäfte sind alle herunter gelassen, man sieht nur vereinzelt Menschen auf der Straße, eingeschlagene Fensterscheiben, aufgebrochene Schlösser, Obdachlose, die auf den Fußwegen schlafen, sich schützend die eine Hand vor den Mund halten, die andere schützend über ihre Habseligkeiten, andere robben sich mit purer Muskelkraft über den Boden, da ihnen die Beine zum Gehen fehlen, an der Straßenecke eine hübsche dunkelhäutige Frau, in einen Mantel gehüllt, glitzernde High Heels, der Mantel öffnet sich und es kommt ein Hauch von Nichts zum Vorschein; ein Stringtanga, ein Spitzen-BH, alles käuflich, an den Backsteingebäuden flackert vergeblich eine Leuchtschrift auf: „Beverly Hills“, und das alles morgens früh, auf dem Weg zur Uni. Ein Bankenviertel mit den höchsten Gebäuden Bogotas, nicht ganz Wolkenkratzer, der höchste Turm (gleichzeitig auch der höchste Turm Kolumbiens) hat ganze 48 Stockwerke, Turm an Turm, Bank an Bank.
In der Innenstadt ist alles ein wenig geordneter, noch, denn später gegen Mittag bricht auch hier das Chaos aus, aber es ist ein geordnetes Chaos, Märkte, Menschen, Schuhputzer, Straßenstände, und Baustellen, viele Baustellen, da fühlt man sich fast wie in Deutschland. Gepflasterte Straßen, ein Aquädukt, das die Bettler zum Waschen nutzen, ansonsten aber sehr schön anzusehen ist. Das Goldmuseum, der städtische Fernsehsender, Regierungsgebäude, alles scheint solider, älter, auch wenn aus dem ältesten Hotel der Stadt gerade Appartements geschaffen werden, auf den Statuen sich Hunderte von Tauben befinden, aufgerissene Mülltüten, die von streunenden Hunden durchwühlt werden, Bettler, die sich mit Mülltüten vor der nächtlichen Kälte schützen…
Studenten, die in Richtung Uni strömen, der einzige Ort, an dem die meisten pünktlich erscheinen.

Montag, 24. August 2009

Cancancia

Müdigkeit

Die Woche beginnt mit einer übermüdeten Rückfahrt und endet mit einem ermatteten Sonntagabend im Bett, Tür zu, niemanden mehr hören, niemanden mehr sehen. Das erste Mal fühle ich mich richtig müde, eine unglaubliche innere Müdigkeit, am liebsten würde ich mich verkriechen in eine Höhle, mit niemandem reden müssen, nichts hören außer meinen Gedanken. Nachdenken können ohne unterbrochen zu werden, grübeln über alles und nichts, schreiben und dann wieder mit neuer Energie in den Tag starten.
Vielleicht war auch alles nur etwas zu viel, viel Schönes und viel Neues, aber manches ist noch nicht ganz verarbeitet und es geht mir vieles durch den Kopf.

Eine eMail, Besuch, und plötzlich muss man Freunde durch die Stadt führen, in der man seit einem Monat lebt, seltsam, dieses Gefühl, man ist angekommen, sieht die Stadt zugleich wieder wie in den ersten Tagen, mit anderen Augen. Alles ist wieder bunt und neu, die Tauben auf dem Plaza Simón Bolívar werden aufgescheucht, fliegen dem Himmel entgegen und suchen sich wieder ihre Unterschlüpfe. Die Straßen, Pflastersteine, Autos, Menschen, Verkehrschaos, Altstadtflair in einem kleinen Café mit vier Tischen, einem tinto, Gespräche über Reisen, über die Heimat, über Unterschiede, alte dunkle Holzstühle, die wackeln, moderne Kunst an den Wänden, der Duft des Kaffees, die Stille, die plötzlich einkehrt, keine Musik, kaum Geräusche, die von draußen hereindringen. Und dann, Aufbruch, durch die Straßen, Menschen, auf ins alternative Viertel El Chorro, die erste spanische Kolonialkirche Bogotás sehen, Einradfahrer, Armbändchenverkäufer und ein Aguila, sich setzen, beobachten, die Sonne genießen, solange sie da ist, Gitarrengeklimper, gebrochenes Deutsch von der Seite, ein Hauch Süße von Marihuana liegt in der Luft und wir machen uns auf. Kurz ins Hostel, dann Richtung Transmilenio, auf dem Weg arepas und empanadas mit einer pikanten Soße, und dann hinein in den Bus, eingequetscht werden, sich etwas zum Festhalten suchen und nach etwa zwanzig Minuten sich den Weg nach draußen erkämpfen, manchmal führt an ein wenig Gewalt kein Weg dran vorbei. Wir treffen Luz, fragen und suchen, wir wollen ins Hardrock Cafe, ein Konzert, kostenlos. Nach einigen Umwegen finden wir es , setzen uns und man fühlt sich wie in fast jedem anderen Hardrock Cafe, Bedienung in kurzen schwarzen Röcken, Anstecker am Kragen, Turnschuhe und Tennissocken, Gitarren an den Wänden von Shakira, Gwen Stefani, eine kleine Flasche Rum, die wir teilen, eine kolumbianische Band mit blonder Frontfrau, Laura, schöne Stimme, leichte Musik, ein schöner Abend der mit viel Gelächter endet und damit, dass ich meinen Schuh mitten auf der autopista verliere, den ich aber gerade so, kurz bevor das Taxi auf mich zurast, retten kann. Der Transmilenio bringt mich sicher nach Hause.
Ein Weckerklingeln reißt mich aus den seltsamen Träumen dieser sehr kurzen Nacht, früh morgens stehe ich auf, trinke meinen guten kolumbianischen Kaffee, und stürze mich erneut in den Uni-Alltag, doch so ganz alltäglich ist dieser Mittwoch nicht. Er ist anders, das erste Mal kriege ich es nicht hin, eine Zusammenfassung über eine naturwissenschaftliche Dokumentation, mir fehlen Vokabeln, kein fachtextliches Wörterbuch ist zur Hand und dann sagt mir der Professor, dass ich doch überlegen sollte, den Kurs zu kippen. Er sei nun mal für Muttersprachler, ich weiß, dass es schwieriger für mich ist, aber ich würde es gerne versuchen und da wäre eine helfende Hand besser als ein Schlag ins Gesicht. Ich rede also mit dem Professor, und weiteren Personen, Kurse zu tauschen ist jetzt nicht mehr möglich, es ist mir angeraten worden, den Kurs aufzugeben, aber ich versuch es weiterhin, ich muss schließlich auch eine Mindestanzahl an Stunden absolvieren. Dann der letzte Kurs für diesen Tag, an dem das erste parcial angekündigt wird in der folgenden Woche, hier werden über das Semester verteilt mehrere Prüfungen geschrieben, deren Ergebnisse alle in die Endnote einfließen. 150 Seiten, die es zu lesen gilt, viel Palaver, viele Informationen, zu viel, um alles im Kopf zu behalten. Ein gemeinsames Mittagessen mit Manuel und zwei Reisenden aus dem Hostel, Pizza, die wirklich nach Pizza schmeckt auch wenn es sich um kolumbianischen Käse handelt. Durch die Straßen schlendern, in die Andy Warhol-Ausstellung, vor allem die kleinen Polaroids sind interessant, seine Selbstporträts und sein Werk, das auf der Erschießung Kennedys beruht, die anderen Dinge hat man größtenteils schon gesehen, Marilyn Monroe, Mao Zedong, etc. Das Kunstmuseum ist riesig, weitere Ausstellungen, Bilder von Monet, Picasso, Chagall, in seltsamer Zusammenstellung, eine Botero-Ausstellungen: überdimensionale Gemälde, die überdimensionale Menschen darstellen, viele Eindrücke, die auf einen einprasseln. Ich benötige eine Pause, gebe mich geschlagen, mache mich auf den Weg nach Hause, ruhe mich kurz aus und dann geht es weiter, eigentlich nur, um etwas mit Manuel, Luz und Danilo – Beziehung, Affäre, man weiß es nicht – zu trinken, ein Bierchen, aus dem schnell zwei werden. Es wird gelacht, geredet, philosophiert, und der Entschluss gefasst Salsa tanzen zu gehen. Plötzlich sind wir die letzten in der Kneipe, wir werden wortwörtlich hinausgefegt, in die bogotanische Nacht, mitten in der Woche, es ist nicht viel los, der Hunger überkommt uns, es gibt perros calientes (Hotdogs), für mich als Vegetarierin Hotdog ohne heißen Hund, also Brot mit Zwiebeln und Soße, aber egal. Ein kleiner Salsa-club hat geöffnet, wir stürmen die Tanzfläche und machen die Nacht zum Tag. Irgendwann trennen sich unsere Wege, das Taxi ist nachts doch recht teuer, dennoch: Das Taxi bringt mich sicher nach Hause.
Kein Weckerklingeln, sondern das Klingeln des Telefons weckt mich am nächsten Morgen. Einkäufe erledigen, Wäsche waschen, putzen und lesen, lesen, lesen, Notizen machen und hoffen, dass etwas hängen bleibt. Schauen, was im Kino läuft, es nicht viel hier, die meisten Filme sind auf Englisch und mit Spanisch untertitelt, denn sonst dauert es Ewigkeiten bis ein Film hier synchronisiert in die Kinos kommt, bestes Beispiel: Auf der anderen Seite ist hier gerad ganz neu. Lange müssen wir nicht überlegen, wir sehen uns einen kolumbianischen Film an La pasión de Gabriel, ein Pfarrer, der sich mit allen möglichen Bevölkerungsgruppen anlegt, sei es das Dorf, die Guerilla, die Kirche, realitätsnah, eindrucksvoll, manchmal Verständnisschwierigkeiten. Danach ein Bier und weitere Gespräche. Um dann den letzten Transmilenio in Richtung Bett zu nehmen.
Frühes Aufstehen an einem Freitag, normaler ist das nicht, aber ich muss lesen. Also wird gelesen. Unterricht, mehr Verwirrung, was die anstehende Prüfung betrifft und die Lust alles hinzuschmeißen begleiten mich durch den Vormittag. Um einen klaren Kopf zu bekommen, laufe ich, laufe durch den Regen und bin auf einmal glücklich, durch den Regen, den angenehmen Regen zu laufen, lache den Menschen ins Gesicht, das ein oder andere Lächeln entspringt diesen fremden Gesichtern und trägt zu meiner Glücklichkeit bei. Ich habe Brot gefunden, dunkles, etwas hartes Schwarzbrot, nicht schlecht, nicht wirklich von guter deutscher Qualität, aber um so vieles besser als das, was sich hier Brot schimpft. Eigentlich bin ich verabredet, abends, indigene Musik, ich fühle mich aber als sei ich um Jahre gealtert und bin schon dabei abzusagen, als Luz mir einredet doch mitzukommen…
Masken, Flötenmusik und eine Band mit Schlagzeug und E-Gitarre aber auch volkstümliche Musikinstrumente erwarten uns. Es wird Guayusa serviert, Tee aus verschiedenen Kräutern mit aguardiente, mich stimmt er ruhig, ein wenig traurig, aber nur, bis wir zum Tanzen aufgefordert werden. Eine seltsame Art zu tanzen, man tanzt zwar in Paaren, aber man berührt sich nicht, es werden Vögel in ihrem Balzverhalten imitiert, schnelle verrückte Schrittfolgen, die etwas auslösen, eine Art Befreiung, ein wenig wie in Trance, in eine andere Welt eintauchen, aus sich herausgehen. Eine schöne Wendung, von dem Gefühl des Erschlagensseins zu einer anderen Art und Weise sich auszudrücken. Und ein wenig wie in Watte gepackt laufen wir durch die Nacht. Auf der Suche nach einem Bus, wir müssen warten, warten, warten, dann taucht in der Ferne einer der Busse auf, die in unser Viertel fahren. Wir winken, hat ein wenig was von Vögeln unsere Bewegung, steigen ein, lassen uns fallen. Der Bus bringt uns sicher nach Hause.
Bildung am nächsten Tag auf der kolumbianischen Buchmesse. Unglaublich viele Menschen, viele Familien mit Kindern, auch wir sind mit einem Jungen unterwegs, ein Freund von Luz ist Vater eines dreijährigen Kindes, Bücher, Bücher und noch mehr Bücher. Hier herrscht Chaos, zumindest meiner Meinung nach, eine wirkliche Ordnung kann ich nicht erkennen, weder auf dem Gelände, noch in den Pavillons. Und im Hinterkopf tauchen immer wieder die ganzen Seiten auf, die es noch zu lesen gilt. Wir schauen uns jedoch jeden einzelnen Pavillon an, drehen uns im Kreis, andauernd, essen zu Mittag. Man bekommt Plastikbesteck und Plastikhandschuhe gereicht, an unserem Tisch werden die Handschuhe gewählt. Seltsam zu sehen, wie man damit isst, wenn die erste Idee bei deren Anblick die von Haarfärbehandschuhen ist. Das erste Mal, dass mir das Essen nicht schmeckt. Aber das liegt wohl auch am generellen Unmut dieses Tages. Als das Ende in Sicht ist, wird mir verkündet, dass wir noch Luz’ Mutter einen Besuch abstatten müssen, sodass es schon dunkel ist, als ich mich daran machen kann zu lesen und zu lernen, aber die Lust dazu fehlt an diesem Abend gänzlich.
Unausgeglichen, mit nicht allzu guter Laune stehe ich auf, packe meine Schwimmsachen, denn heute geht es in ein Thermalbad nach Tabio, ein kleines Dorf, etwa eine Stunden Busfahrt entfernt. Ein Bad im Freien, grünes Wasser und blaue Badehauben überall. Die sind hier Pflicht, in fast jedem Schwimmbad. Auch das Tragen adäquater Badekleidung ist Pflicht, was man hier allerdings zu sehen bekommt, fraglich, ob BH, T-Shirt und Shorts den Voraussetzungen entsprechen. Geschweige denn von den neongelben Badeanzügen stark übergewichtiger Damen, die diese mit grasgrünen netzstrumpfhosenartigen Röcken zu verschönern versuchen. Das Wetter ist stabil, das Wasser warm, es kommt direkt aus dem Boden. An manchen Stellen ist der Boden so heiß, dass man Angst haben muss sich zu verbrennen. Aber angenehm, Wasser, seine Bahnen kann man hier zwar nicht ziehen, aber es reicht auch schon, sich einfach voll saugen zu lassen, sich treiben, genießen und alles Schlechte dieser Woche hinter sich zu lassen.

Sonntag, 23. August 2009

La primera vez afuera de Bogotá


Ein langes Wochenende


Ein großer Bus, mehr als vierzig Leute unterschiedlichster Nationalitäten und ein Stop in einem Großsupermarkt... So beginnt ein langes Wochenende, der Montag ein Feiertag, also genug Zeit, um auch einmal andere Gefilde zu erkunden. Müde besteigen wir den Bus, Austauschstudenten wie auch einheimische Studenten, stoßen an, tanzen, schlafen, grölen, alles, was dazu gehört, man fühlt sich ein wenig in die Zeiten von Klassenfahrten zurück versetzt. Angesagt sind etwa vier Stunden Fahrt, aber anhand des Umrechnungsschlüssels für das kolumbianische Zeitsystem sind es dann doch sieben Stunden, in denen getrunken, gelacht und gerätselt wird, in was für einer schäbigen Herberge wir denn nächtigen werden. Mitten in der Nacht, nach unzähligen Kurven, Felswänden und Abgründen, die man bei der Dunkelheit kaum wahrnimmt, sind wir da, zumindest fast. Gepäck ausladen und Essen schleppen, da der Bus zu breit ist, müde, betrunken, zehn Kilo Reis oder Wasser in den Händen, die steile steinige Straße hinauf. Und dann überwältigt sein von dem Anblick, dem Ausblick, der Aussicht. Ein unglaublich schönes Gelände mit mehreren Fincas erwartet uns und das Panorama, mitten in den Bergen, man überschaut das gesamte Tal, die kleine Stadt – Villa de Leyva, ein koloniales Städtchen mit viel Charme. Wir werden bekocht, sogar nachts um zwei, Nudeln mit Würstchen, die vegetarische Variante: Nudeln ohne Würstchen. Und danach ins Bett fallen, wir sind zu fünft in einem riesigen Raum, in der Finca mit der schönsten Aussicht, andere Fincas sind mit Zwei-Bett-Zimmern, Terrasse und teilweise sogar Whirlpool ausgestattet.

Der nächste Morgen beginnt mit einem ausgedehnten Frühstück auf der Terrasse: Tamal, Brötchen, tinto… Und blauer Himmel, strahlende Sonne, Helligkeit, die einem das Leben versüßt und die kalte Dusche erweckt einen zu neuem Leben, gewöhnungsbedürftig, aber man kann sich ja nach dem Schock in der Sonne wieder aufwärmen. Dann: Sachen packen und ab in Kleinbusse, zehn bis zwölf Leute werden eng an eng durch wunderschöne Landschaften gekarrt bis hin zum Nationalpark La Perikera. Dort angekommen fängt es an zu schütten, wir stellen uns unter, warten, warten, warten und irgendwann hört es auf, wir teilen uns auf, die eine Hälfte begibt sich mit einer überdimensionalen Seilbahn tief hinunter ins Tal, etwa 200 Meter in die Tiefe, der Rest nimmt die Herausforderung an und wandert auf rutschigen Pfaden durch die Gefilde des Parks, es regnet wieder, wir rutschen aus, legen uns lang, tragen hübsche Muster davon. Niemand hat uns gesagt, dass es eine Klettertour werden würde. Aber unser Guide, ausgestattet mit Flöte und starker Hand hilft bei jeder Felswand, jedem rutschigen Weg und sichert jeden vor dem Abgrund, der mehr als nur einmal einladend wirkt. Wir wandern an Wasserfällen vorbei, das Rauschen erfüllt den ganzen Raum, ohrenbetäubend und atemberaubend… Und dann plötzlich, als sei nie etwas gewesen, strahlt die Sonne wieder aus allen Löchern, am zweiten Wasserfall gehen die ersten von uns freiwillig baden, in Begleitung von indigener Flötenmusik, dann geht es weiter, durch Gestrüpp, teilweise barfuß bis hin zum nächsten Wasserfall. Dort begrüßen uns zwei Esel und ihre Hinterlassenschaften auf einer riesigen grünen Wiese. Einige springen wagemutig ins Wasser, andere tasten sich vorsichtig vor, ganz so warm ist es nicht, aber unter dem fallenden Wasser eines Wasserfalls zu stehen, das Prasseln dieses unglaublich gewaltigen Elements, der Lärm und doch die gleichzeitige Ruhe, das Aufbrausen, diese Kraft und die gleichzeitige Stille, die Einsamkeit inmitten der vielen Menschen, die Verbundenheit mit der Natur spüren, eine Erfahrung, die einem niemand nehmen kann… Wir verbringen viel Zeit im Wasser, in der Sonne bevor der Aufstieg beginnt, diesmal ohne große Kletterei, aber dafür steile Wege ohne Sicherung, neben sich der Abgrund und es geht höher und höher. Plötzlich dreht man sich um und kann es kaum fassen: die Aussicht, unbeschreiblich schön. Auch wenn ich eher fürs Meer bin, die Berge hier begeistern mich…

Müde, eng an eng geht es zurück zu unserem Quartier, es gibt Hamburger, die vegetarische Variante: Nudeln. Aber ich will mich nicht beklagen. Abends zieht es uns in die Stadt, ein riesiger Marktplatz, Kopfsteinpflaster überall, helle Gebäude im Kolonialstil, alles wird angestrahlt, man fühlt sich in eine andere Welt hineinversetzt. Kaum Autos, Schlichtheit und trotzdem imposant. Wir schlendern und stolpern durch die Gassen, und plötzlich meine ich nicht wirklich das zu sehen, was ich sehe, ein hölzernes Schild über dem Eingang in eine Lokalität, auf dem in großen Lettern „Dorfkneipe“ geschrieben steht. Wir lassen uns jedoch in einer anderen Kneipe nieder, trinken das ein oder andere alkoholische Getränk und die erste Gruppe, die den Heimweg antreten will, formiert sich. Wir suchen also ein Gefährt, das dreizehn Studenten nach Hause karrt, finden eins, quetschen uns hinein und fahren in die Nacht hinein…

Für viele endet die Nacht in den frühen Morgenstunden, während die meisten erst schlafen gehen, stehe ich auf, morgens um fünf, um den Sonnenaufgang in aller Ruhe zu genießen, allein, mit bloßen Füßen durch das nachtfeuchte Gras, hinauf, die Kälte durch die Fußsohlen in sich aufsteigen fühlen und mit beiden Füßen auf dem Boden stehen, tief in die Erde atmen, sich verbunden fühlen, das Hahnengeschrei und ein wenig Hundegebell ist das einzige, was die Ruhe unterbricht, aber die Stille und Friedlichkeit, die Einsamkeit und Natürlichkeit dieses Moments kann man in vollen Zügen genießen… Die Überlegung mich wieder hinzulegen verwerfe ich schleunigst, steige unter die eiskalte Dusche und erwache erneut am gleichen Morgen. Langsam tauchen auch andere verquollene Gesichter auf, ein reichhaltiges Frühstück verscheucht fast jeden Kater: Rührei mit Tomaten und envuelto, dann teilen sich die Gruppen, der Großteil macht sich auf den Weg, um einen Berg von 4000 Metern Höhe zu besteigen, ebenso viel Kletterei wie am vorigen Tag, der Rest macht sich auf den weg ins Städtchen, um zu reiten. Das erste Mal seit langer, langer Zeit, dass ich auf einem Pferd sitze, es heißt „Paloma“, ist schon etwas älter und auch eines der langsameren Pferde, aber trotzdem verstehen wir uns. Es geht auf über ausgetrocknete Wege, wir wirbeln eine riesige Staubwolke auf, jagen davon, mit uns zwei junge Reiter, die aufpassen, dass uns nichts passiert. Wir reiten und reiten durch Landschaften, gerade die männliche Gruppe genießt es nicht immer, aber wir gelangen an einen kleinen kristallblauen See mitten in einer Gegend, die sehr viel von einer Wüste hat, wir legen eine Pause ein, erfrischen uns, verstärken unseren Sonnenbrand und man kann sich durchaus wie in einem Westernfilm fühlen. Dann geht es wieder zurück, insgesamt fast drei Stunden zu Pferd, das merkt man, vor allem, wenn es ums endgültige Absteigen geht, plötzlich kann man seine Beine nicht mehr bewegen, wie man es vorher konnte, der Gang ist ein anderer, irgendwie breiter und schmerzhafter… Also geht es breitbeinig und ächzend ins Städtchen, Gassen und Plätze bei Tageslicht betrachten und viele, viele Drachen, so wie überall in Kolumbien um diese Jahreszeit. Riesige gekaufte, kleine selbst gebastelte, sie verfangen sich, steigen in ungeahnte Höhen auf, stürzen ab, ein unglaubliches Spektakel. Währenddessen füllen die Deutschen ihren Biervorrat auf, dann geht es auch wieder auf in Richtung „La Primavera“, denn wir sind alle nicht sonderlich sauber nach einem langen Ausritt, außerdem fällt das Gehen doch schwer.
Nach einer Dusche und Stärkung genießen wir die Sonne auf der Terrasse, in der Hängematte oder auch auf der grünen Wiese und warten, warten auf die mutigen Bergsteiger, die auch irgendwann vereinzelt, erschöpft und hungrig auftauchen. Viele nutzen die Zeit, um etwas Schlaf nachzuholen, andere lernen fleißig, wiederum andere liegen einfach nur apathisch in der Ecke. Gegen Abend geht es wieder ins Zentrum, in ein Restaurant mit Live-Musik, die Küche hat ein Problem, deswegen müssen wir etwa zwei Stunden aufs Essen warten, und auch die Getränke lassen lange auf sich warten. Eine Piña Colada sollte es sein, es ist aber sehr zäh, schmeckt eher wie Joghurt mit Kokosraspeln, und die Eiswürfel sind nicht vorhanden, wir bitten also fünfmal darum, bis wir endlich erhört werden. Dafür ist die Band umso besser, es wird getanzt, gefeiert, gelacht. In allen Varianten… Ein weiterer Abend geht dem Ende entgegen, aber auch diese Nacht endet für die meisten erst recht spät oder auch früh, das kommt auf die Sichtweise drauf an. Und dann bricht auch schon der letzte Tag an, ein kleines Grüppchen macht sich morgens um acht auf, um sich die Innenstadt nochmals anzusehen… Auf dem Weg dorthin werden wir plötzlich ausgelacht, aber in einer Art und Weise, dieses lachen, das kann nicht menschlich sein… Des Rätsels Lösung ist ein Papagei, der da hockt und lacht und lacht, dass uns selbst auch nichts anderes übrig bleibt als mit einzustimmen. Ein guter Start in den Tag, die Sonne scheint, wir sind müde, aber doch glücklich. Die Stadt erwacht gerade zum Leben, die ersten Geschäfte öffnen, als wir durch die Straßen pilgern, die Sonne knallt uns auf die Köpfe und ein Urlaubsgefühl der besonderen Art keimt in einem auf.
Als wir jedoch den Rückweg antreten wollen, finden wir kein einziges Taxi, alle sind Teil der Parade… Aber die Polizei, dein Freund und Helfer, hilft uns tatsächlich, gabelt doch ein Taxi auf und wir kommen pünktlich zum Frühstück in unserer Finca an. Sachen zusammenpacken, die letzten Tropfen Wasser aus den 5-Liter-Tüten pressen und dann alles hinunterschleppen zum großen Reisebus. Vier Stunden Busfahrt, diesmal am helllichten Tage, so sieht man viel vom Land, wir fahren durch kurvige Landschaften, kleine Dörfchen und werde angehalten, von der Polizei, in einer Gegend, in der es viel Guerilla gibt, da aber niemand von uns sich dieser anzuschließen gedenkt, dürfen wir unsere Reise fortsetzen. Die Großstadt hat uns wieder…

Dienstag, 18. August 2009

Como vivo yo

Mein Haus, mein Auto, meine Yacht


Klein, grün – meine 6m² hier in Kolumbien. Das Apartment ist nicht sonderlich groß, insgesamt 46m², meist wohnen wir hier zu dritt, manchmal zu viert. Nun denn, mein Zimmer: Vier Wände, zwei davon in einem mintgrün gestrichen,

die anderen beiden weiß, ein recht großes Bett, dunkles Holz, auf dem sich zwei Matratzen, vier Wolldecken und eine grüne Tagesdecke stapeln, ein kleiner Tisch mit einer Lampe aus den 70ern, auf dem sich meine Eau-de-Toilette-Tascherl-Sachen türmen, ein Tisch auf dem ein großer Fernseher prangt, und ein in die Wand eingelassener „Kleiderschrank“, der aus einem Brett oben, einem Brett unten und eine Kleiderstange, ohne Türen. Der Boden, Fliesen, die aussehen als seien sie aus Holz, das große Fenster die meiste Zeit des Tages mit einer Jalousie versehen, die Fenster an sich sind vergittert, anfangs fühlt man sich ein wenig seiner Freiheit beraubt, aber mittlerweile hab ich mich daran gewöhnt. Mehr ist zu meinem Zimmer nicht zu sagen. Wir haben einen gemeinsamen Wohnraum mit Esstisch, Stühlen, einem Sofa, und Matilda, unserer tapferen Begleiterin, she’s a survivor! Eine Küche, zwei weitere Zimmer, in denen Caro y Caro leben, die eine aufgewachsen in den USA, die andere Oper studiert und beide sehr religiös, noch hab ich mich nicht daran gewöhnt, dass sie vor dem Essen beten, regelmäßig zur Kirche gehen. Luz, die eigentlich hier wohnt, hat mir ihr Zimmer überlassen, lebt bei ihrer Mutter, ab und an aber auch hier.
Wenn man die Wohnung verlässt, befindet man sich in einem Treppenhaus, viele andere Wohnungen, wenn man dann weiter in Richtung Straße geht, muss man durch das Hauptportal, es werden nur Leute rein- und rausgelassen, die der Pförtner kennt, egal ob Tag oder Nacht. Die Straße entlang, die längst keine richtige Straße mehr ist, nach links geht’s zu ein paar kleinen Geschäften – Bäckerei, Gemüseladen, Drogerie, alles im Miniformat –, nach rechts geht’s über ein Gemisch aus Schotter, Erde und Straßenreste ins Viertel, dort reihen sich kleinste Geschäfte aneinander, in dem einen werden Hühner angeboten, in dem anderen oblatas con arequipe, in wieder anderen wird Musik gespielt, Bier und aguardiente getrunken, in den Gemüse- und Obstlädchen wird alles was in Tüten von der Decke taumelt für 1000 Pesos verkauft (durch 3000 geteilt und man erhält den Preis in Euro), Mädchen und Jungs in Schuluniform, selbst die Lehrer müssen an den meisten Schulen Uniformen tragen, alte Motorräder und Autos, die garantiert nicht durch den TÜV kommen würden, egal wie viel Vitamin B man hat, Karren, die von Menschen gezogen werden, Menschen, die die Straße fegen, Tiere, die frei umherlaufen…

Dienstag, 11. August 2009

Un día libre

Ein freier Tag

Die Sonne geht morgens um halb sechs auf, meine Mitbewohnerinnen stehen auf, ich schlummere tief und fest weiter, bis etwa um acht, ganz anders als in Deutschland, wo ausschlafen bis zehn oder elf bedeutet. Ausgeruht tapere ich in die Küche, auf dem kurzen Weg dorthin begegne ich eventuell Caro oder Caro, die mir einen wunderschönen guten Morgen wünschen, fragen, wie ich geschlafen habe, dann drehe ich den Gashahn auf – klein und gelb – suche mir einen Behälter, fülle ihn mit Wasser, suche das Feuerzeug, finde es, die Flamme sticht empor, die Gasflamme lodert, wird kleiner gestellt und das Wasser kocht schon fast, die größte Tasse hervorgekramt, den Kaffeefilter aus Plastik drauf, guten 100%en kolumbianischen Kaffee hinein und heißes Wasser draufgießen, zusehen, wie sich das Kaffeepulver langsam mit Wasser voll saugt, sich die erste Crema bildet und tief einatmen, langsam in der Realität aufwachen, dem leisen Tröpfeln zuhören, wie der Kaffee sich mehrt, ein erster Schluck und ich bin da, angekommen…
Je nachdem worauf ich Lust hab, Brot und Käse oder Früchte, von denen man in der Heimat nur träumen kann, selbst die Bananen schmecken besser, intensiver, Eier, eines der Grundnahrungsmittel hier, Reis, selbst Fleisch wird zum Frühstück gegessen. Auf dem Sofa Platz nehmen oder am Esstisch, mit geschlossenen Augen genießen, die Aromen entfalten lassen, sich alles auf der Zunge entgehen lassen und ein wenig weiter träumen.
Später dann abwaschen, mit kaltem fließenden Wasser und einer grünen Paste, schwarze Gummihandschuhe, abtropfen lassen.
Sachen raussuchen, immer etwas neues, selbst die Hose sollte man jeden Tag wechseln, wenn man keine seltsamen Blicke ernten will, auch wenn ich mir sonst keine Gedanken darum mache, wer was über mich redet, aber es gehört hier zur Kultur, also passe ich mich an, ein wenig. An einige Sachen muss ich mich noch gewöhnen: Das Toilettenpapier wird in den Müll und nicht ins Klo geschmissen, der Müll wird nicht getrennt, der Abwasch mit kaltem Wasser, und viel Musik, wenig Ruhe… Unter die ELEKTRISCHE Dusche, die fest installiert ist, es gibt warmes Wasser, aber nicht sehr viel und schwierig zu regulieren, Shampoo gibt es, bei flüssiger Seife wird es schon schwieriger, das Wasser auf sich regnen lassen, jeden Tropfen spüren, sich wohlfühlen, Wasser gibt es hier reichlich und man kann es auch sehr gut trinken, ein wenig mehr Chlor als in Deutschland, aber sehr verträglich.
Dann die Fenster aufreißen, das wär schön, ist hier leider nicht möglich, nur ein kleines Seitenfensterchen in jedem Zimmer lässt sich öffnen, aber die Sonne scheint, jeden Morgen, in die Wohnung, alles ist hell, lichtdurchflutet, und man bekommt sofort gute Laune, ein guter Start in den Tag. Vielleicht ein kleiner Spaziergang durch den Park, den Kühen zumuhen, lachen, sich freuen hier sein zu dürfen. Ein kurzes Telefonat mit Luz, mittlerweile traue ich mich auch dranzugehen, dann den Computer anschmeißen, Mails überprüfen, schreiben, schreiben, schreiben – eine meiner Leidenschaften wie man unschwer erkennen kann –, sehen wer online ist, Freunde nerven, ausquetschen, wie es zu Hause ist, was es Neues gibt…
Zwischendurch den Mixer anschmeißen, hier kommen die Früchte nämlich in den Mixxaaaaa, sich einen Saft aus frischen Früchten machen, aufräumen, wer mich kennt, wird sich wundern, wie ordentlich ich sein kann, das Bad wischen, die Küche saubermachen, sich aufs Sofa fläzen und sich die Sonne ins Gesicht scheinen lassen.
Die Zeit alleine genießen, ein wenig Ruhe einkehren lassen und gespannt sein auf die nächsten Momente, die nächsten Stunden, die nächsten Tage, Wochen und Monate…
Irgendwann kommt dann irgendwer nach Hause, es wird geredet, umarmt, gelacht, gesungen, getanzt. Gespräche unter Frauen über Männer, Männer, die es nicht wert sind, dass man über sie redet, Männer, die es sehr wohl sind, Männer, die es vielleicht wert sind. Zusammen kochen oder auch für sich alleine, sich aufs Bett schmeißen, versuchen Tagebuch zu schreiben, eine eher neue Sache für mich. Abends, wenn es schon um sechs dunkel wird, gemeinsam durch die Gegend schlendern, sich berauschen lassen vom Leben, neue Wörter kennen lernen, vor allem Modismen, chévere!
Ein Tag neigt sich dem Ende zu, man hat nicht das Gefühl sich überanstrengt zu haben, aber auch nicht gar nichts getan zu haben. Es ist dunkel, aber die Stadt ist hell erleuchtet, überall strahlen Lichter, die Berge hinauf fast bis zur Spitze des Monserrate, der höchste Berg hier in der Umgebung…

Sonntag, 9. August 2009

Una semana más

Schon zwei Wochen… Die Zeit vergeht und meine zweite Heimat wird mir immer heimeliger. Viele neue Eindrücke, die erste Party, viele neue Menschen, und noch immer kein Heimweh…
Zwischendurch ein paar ruhige Tage, in denen nicht allzu viel passiert, die helfen, das zu verdauen, zu verstehen, zu verinnerlichen, was um mich herum und in mir drin passiert.
Ein Sonntag in einer kleinen Kirche, eine kolumbianische Hochzeit, auf der Caro singt, sie übt auch fleißig das Aleluya in der deutschen Version. Aber selbst die Hochzeiten fangen erst eine halbe Stunde nach dem vereinbarten Termin an, seltsam, sehr seltsam, aber sonst ist so eine kolumbianische Hochzeit einer deutschen sehr ähnlich, auch wenn man nicht mit Handzeichen vorher anzeigen muss, ob man zur Kommunion geht oder nicht…
Dann an einem sonnigen Nachmittag ein Kaufrausch sondergleichen… Noch nie hab ich so viel Obst gekauft, das ich nicht kenne, in jeder Hand mehrere Tüten, eine gesunde Woche mit tausend neuen Geschmackserlebnissen, der Kühlschrank voll von Obst und Gemüse, Guanabana, Guayaba,… Der Abend ist allerdings nicht sehr lang, denn am Montagmorgen heißt es um 4.45 Uhr aufstehen, der erste Kurs beginnt um sieben Uhr morgens und womit, natürlich mit einer Prüfung, ohne vorher zu üben, spanische Grammatik, Leseverstehen, darüber schreiben, was ich von der Globalisation halte, alles, um zu wissen in welchen Spanischkurs ich gesteckt werde. Das Ergebnis kommt am nächsten Morgen, ich bin eine der wenigen, die das nivel avanzado erreicht haben, aber zu dem Zeitpunkt des Kurses kann ich leider nicht, also schreibe ich meinem Professor, ob es möglich wäre auch an dem Kurs nivel intermedio teilzunehmen, und… es ist KEIN Problem, so etwas wäre in Deutschland wohl nicht machbar. Auch die anderen Kurse sind interessant, es ist ein wenig schwierig mit anderen kolumbianischen Studenten ins Gespräch zu kommen, denn die meisten kennen sich untereinander und sind bereits in höheren Semestern. Aber das wird noch. Es stehen schon im September die ersten Prüfungen an, es gibt viel, viel zu lesen, im Portugiesisch-Kurs wir NUR Portugiesisch gesprochen, die kolumbianische Geschichte mit Hilfe von Filmen zu analisieren ist anstrengend, aber sehr informativ und eine andere Herangehensweise, ein Kurs über die Kultur und das Konzept Lateinamerika, eine andere Sichtweise, die Geschichte, die Kultur nicht von dem Standpunkt der Kolonialmächte zu sehen. Fünf Kurse, hört sich nicht allzu viel an, ist es aber, wenn man sich hinsetzt und dafür lernt und liest. Jeder Professor hinterlegt Material in den verschiedenen Fotokopier-Geschäften, man geht hin, nennt die Nummer oder den Kurs oder den Professor, bringt ein wenig Zeit mit und voilà, Fotokopien, die es zu lesen, zu bearbeiten gilt. So muss man sich keine teuren Bücher kaufen, sondern das Geld für den ein oder anderen Kaffee ausgeben. Dies ist auch sehr unterschiedlich, auf dem gesamten Unigelände, das riesig ist, gibt es überall kleine Cafés, aber Ketten, man kann sich setzen, überall gibt es Bänke, Tische, Stühle, Grünflächen, man kann seine Zeit hier verbringen, indem man das Geländer erkundet, ein Nickerchen macht oder einfach die Menschen hier beobachtet. Manchmal lässt sich nicht unterscheiden, ob es sich um Student oder Professor handelt, denn letztere sind hier sehr jung, haben viel Spaß an dem, was sie unterrichten, sind offen und hilfsbereit und freuen sich über Austauschstudenten. Zwischen den verschiedenen Kursen gibt es Pausen von zehn Minuten, und in diesen zehn Minuten muss man oft lange Wege hinter sich bringen, es gibt Gebäude von A bis Z, und Treppen, Treppen, Treppen. Um in den Unibereich zu gelangen (und auch um wieder rauszukommen) benötigt man seinen Studentenausweis, es gibt Schranken zu überwinden, Sicherheitskräfte, die ihre Hilfe anbieten und trotzdem weiß man manchmal nicht ganz, wo genau man sich befindet. Man entdeckt immer wieder neue Wege von A nach B zu kommen und man sieht dabei die unterschiedlichsten Menschen.
Dienstag ist ein unifreier Tag, der mit einer kleinen Fahrradtour beginnt und mit einem Besuch in der größten öffentlichen Bibliothek endet, eine riesige Bibliothek, in der sich etwa siebzig fremdsprachige Bücher finden lassen, drei davon in Deutsch, und trotzdem wunderschön ist, Wasser überall, Platz, viel Platz, ein Café, ein Raum, in dem man Filme schauen kann, Räume, in denen man Musik hören kann, und das alles mitten im Grünen, der Mond strahlt hell, die Kälte des Wassers steigt empor und kriecht einem unter den Stoff der Kleidung und man stellt sich vor, wie man mit einem Tee in der Hand ein spannendes Buch liest, sich in einen bequemen Sessel kuschelt und zusieht wie die Wolken ziehen, sich verändern, sich auftürmen, sich auflösen…
Die Uniwoche endet dieses Mal schon am Mittwochabend, zumindest für mich, denn der Freitag ist ein Feiertag, hier fallen nämlich alle beweglichen Feiertage per Gesetz auf einen Montag oder einen Freitag, das bedeutet immer ein langes Wochenende, großartiges Gesetz. Aber der Mittwoch ist hart, morgens um sieben der erste Kurs, bis mittags um eins, dann eine Pause von vier Stunden, in denen es sich nicht lohnt, nach Hause zu fahren, und dann der letzte Kurs, eine Doppelstunde, von fünf bis um acht Uhr abends, dann auf zur Haltestelle, sich in den übervollen Transmilenio quetschen, in Deutschland würden die Türen nicht zugehen, hier passt das schon, noch ein bisschen drücken, festhalten muss man sich nicht, denn wenn man Glück hat, kann man seinen kleinen Finger bewegen, nicht mehr, vom Umfallen also ganz zu schweigen. Die blauen Sitze jedoch bleiben oft frei, denn die sind für ältere Menschen, Kinder, Kranke oder Schwangere reserviert, daran hält sich hier fast jeder, egal wie voll der Bus ist. Dafür versteht man hier unter Schlage stehen eher: Wir bilden eine große Traube und kämpfen uns zu dem Bus durch, in den wir einsteigen wollen, oder wir bleiben einfach direkt vor den offenen Türen des Busses stehen, damit wir bei dem nächsten Bus die ersten sind, die einsteigen können bevor wir die anderen aussteigen lassen. Chaotisch, gewöhnungsbedürftig, aber man sieht, wie viele Menschen in dieser Stadt leben, unglaublich viele, und man ist um einiges schneller als mit dem Auto, auch wenn man sein Auto nur an bestimmten Tagen nutzen darf, es hängt davon ab, welches Nummernschild man besitzt., alles um Stau und Umweltverschmutzung gering zu halten, ich will nicht wissen, wie es sein würde, wenn alle Autos dieser Stadt an allen Tagen fahren dürften.
Eigentlich gibt es ein Konzert im Parque Simon Bolívar, gratis, Salsa, aber Menschen überall, nach einer weiteren beengten Fahrt, besteht wenig Lust auf weitere Menschenmassen, also entscheiden wir uns zum Konzert des kolumbianischen Sinfonie-Orchesters zu gehen, für das wir Karten haben. Filmmusik, in der Universidad Nacional, eine öffentliche Universität, und das sieht man auch, selbst die Transmilenio-Station ist anders, mit verstärktem Glas, denn bei vielen Demonstrationen werden Steine geschmissen, überall Graffitis, es gibt einen Che-Platz, Sprüche wie „SOMOS HIJOS DE LA REVOLUCIÓN, NUESTRAS ALMAS GRITAN LIBERACIÓN“ prangen überall, Karikaturen US-amerikanischer Politiker, Che mit Heiligenschein, ganz anders als das, was ich kenne. Und trotzdem gefällt es mir, das Flair hier ist angenehm, man spürt einen Hauch von Aggressivität in der Luft, gemischt mit einer großen Prise Revolutionsgeist und einer Portion Meinungsverschiedenheiten. Hier betritt man den Rasen, steht auf für seine Meinung, macht seinem Ärger Luft, ab und an wohl zu radikal. Und dann später am Abend, nach einer rasanten Busfahrt und einem Feuerwerk zu Ehren von Bogotás 471. Geburtstag, lerne ich schließlich Luz Mutter kennen, sehr herzlich, offen und liebenswürdig. Und es ist ein weiterer Einblick in ein Leben… Ein eigenes Haus, in dem eine Familie untergebracht ist, ein Haus, das sich zwar im Erdgeschoss befindet, die Fenster allerdings nicht vergittert sind, da es keine Fenster gibt, die Räume müssen mit elektrischem Licht beleuchtet werden. Alles ist sehr einfach eingerichtet, wir teilen uns einen Raum zu dritt, zwei Betten, drei Personen und doch ist Platz für jeden. Der freie Freitag beginnt früh mit einem typischen Frühstück: Rührei, Mais und Brot (auf Ei-Basis). Dann geht es mit dem Rad zum Parque Simon Bolívar, ein riesiger Park, in dem es einen großen See gibt, auf dem man paddeln kann, einen Sandstrand, Fahrradwege, Laufwege, Spielplätze, Bühnen, und viele Familien, viele junge Menschen, viele alte Menschen, die ihren freien Tag hier verbringen, man kann alles bekommen, was das Herz begehrt. Drachen steigen lassen, Fußball spielen, Boote mieten…
Auf dem Rückweg kaufen wir Fisch auf der Straße, ein Holzwagen, Eis und darauf Fisch, viel Fisch, der wird gewogen und dann mitten auf der Straße entschuppt, in eine Plastiktüte gepackt und weiter geht die bunte Fahrt, Fahrradwege, Straßen, Schlaglöcher, Ampeln.
Wir werden bekocht, wir ruhen uns aus und dann geht’s nach Hause, umziehen, für die erste große Party. Party mit den anderen Austauschstudenten und ein paar kolumbianischen Studenten, wir haben eine Chiva gemietet, ein Bus, bunt bemalt, ohne Scheiben in den Fenster, viel Musik, wenig Platz, aber wir tanzen, tanzen und fahren. Viel Alkohol, viel Nähe, viel Spaß. Wir fahren durch halb Bogotá in Richtung La Calera, eine Region, die noch ein wenig höher liegt als Bogotá, man hat eine wunderschöne Sicht über das Lichtermeer Bogotás. Die erste Disko, die ich hier besuche, La Compostela, Salsa, kleine Tanzflächen, viele Gespräche, aguardiente (Anisschnaps), Bier, kolumbianische Coke, ein wunderschöner Abend, an dem sich neue Freunde finden, viel Spanisch, aber auch andere Sprachen, tanzen, sich betrinken und das Ende im Krankenhaus. Welches sich nicht sehr von einem deutschen Krankenhaus unterscheidet. Keine Angst, mir geht’s gut, ein Freund, den ich an diesem Abend kennen gelernt habe, hat sich den Kopf im Bad angeschlagen, Blut überall, besorgte Gesichter, und warten, warten auf ein Taxi in Richtung Krankenhaus, plötzlich sind alle verschwunden, ich bin die einzige, die noch bei ihm ist, das Taxi kommt, wir werden rausgelotst, es schüttet in Strömen, wir flüchten uns ins Trockene, Tränen, Telefonate, und eine Klarheit in meinem Kopf, gutes Zureden, Hände halten, Ruhe ausstrahlen, Tränen trocknen, da sein und dann im Krankenhaus, wir werden schon erwartet von der Familie, von den Ärzten, Papierkram erledigen und dann warten, warten, Ruhe bewahren. Daran bin ich mittlerweile gewöhnt, warten, man muss immer ein wenig mehr Zeit mitbringen. Sieben Stiche, weder Alkohol noch Zigaretten für die nächsten zwei Tage, Kopfschmerzen und Krankenbesuch sind das Ergebnis eines Abends, einer Nacht.

Sonntag, 2. August 2009

Se cumple una semana

Schon eine Woche in meiner neuen Heimat und noch immer gibt es tausende von neuen Dingen zu entdecken…

Die erste Busfahrt mit einem „normalen“ Bus und nicht mit dem Transmilenio. Das Prinzip ist einfach: richtigen Bus erspähen – ob man wirklich richtig wählt, sieht man an dem Schild hinter der Frontscheibe – hoffen, dass man auf der richtigen Straßenseite steht, um sein Leben winken, der Bus hält an, man steigt ein, durch das Drehkreuz – wie in einem Lebensmittelgeschäft – bezahlt die 1100 Pesos und setzt sich auf alte durchgesessene Sitzbänke, man wäre froh über Sicherheitsgurte, denn der Fahrstil, darüber verliert man lieber kein Wort. Dafür kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus, die Stadt verändert sich von Straße zu Straße, wir fahren durch Viertel, in denen man lieber nicht aussteigen sollte, vorbei an Krankenhäusern, riesigen Einkaufsmalls, Autohäusern – BMW Autogermana, Mitsubishi, usw. – dann wieder in ärmere Viertel, wo Pferde auf der Straße rumlaufen, Kinder am Straßenrand spielen, und um die nächste Ecke, dann ist man auch schon auf einer riesigen vierspurigen Straße, unglaublich hohe Gebäude, Glasfassaden neben einer winzigen gelbgestrichenen Finka. Mit einem Fingerschnipsen kann sich alles ändern. Man steht auf, versucht heile an der hinteren Tür anzukommen, klingelt, hofft, dass der Fahrer einen gehört hat, man wagt es nicht ein zweites Mal zu klingeln, denn dann hält er erst recht nicht, quietschende Reifen, der Bus hält kurz, man springt raus und schon fährt der Bus wieder an, wenn er überhaupt richtig angehalten hat.
Genauso wie die Stadt sich innerhalb weniger Minuten verändern kann, verhält es sich auch mit dem Wetter. Im einen Moment strahlt die Sonne, im nächsten regnet es winzige fisselige Tröpfchen, dann stürmt es auch schon, die Sonne knallt einem wieder auf den Kopf. Es gibt hier zwar keine Jahreszeiten, aber an einem Tag kann man fast alle durchleben.
Aber die Stadt und das Leben hier verändert auch mich, noch zögere ich bei rot über die Straße zu gehen, noch bin ich pünktlich am Treffpunkt, noch warte ich eine halbe Ewigkeit beim Überqueren der Straße, noch muss ich mir jeden Tag etwas neues zum Anziehen rauslegen, noch ziehe ich meine Schuhe aus beim Betreten einer Wohnung. Wenn ich jedoch mich ein wenig anpassen will, dann wird sich das ändern, aber nicht alles, hoffe ich.
Selbst ins Kino gehen ist hier anders, die meisten Kinos befinden sich in einer der Einkaufsmalls, meist in den reicheren Gegenden, wo, sobald es dunkel ist, und das ist es hier recht schnell, überall noch mehr los ist als bei Tageslicht, viel mehr bunte Lichter, Gelächter aus den Bars und Restaurants, Sicherheitskräfte in Blau, Polizei in Grün, Hunde, Jungs, die in Gruppen den Weg versperren. Wir warten vor dem Kino auf unsere Verabredung, warten und warten, gehen, um uns die Zeit zu vertreiben in eine Art Spielgeschäft – in dem es von Videospielen, Simulatoren aber auch Massagesesseln nur so wimmelt – ich spiele das erste Mal in meinem Leben Air-Hockey und finde Gefallen daran. Dann warten wir weiter, kurz bevor der Film beginnt, ist auch unsere Verabredung da, mehr als eine halbe Stunde zu spät. Das Kino ist dem was ich kenne ähnlich, sehr europäisch, aber die Gewohnheiten sind andere, hier geht man sogar im Anzug oder in Arbeitskleidung ins Kino, selbst wenn es im Kittel einer Zahnarzthelferin ist, man kommt in den doch recht kleinen Kinosaal, der bereits dunkel ist, man bekommt seinen Platz mit der Taschenlampe vom Platzanweiser zugewiesen, noch laufen Filmvorschauen und man wundert sich, dass es so leer ist, an einem Donnerstagabend. Doch dann als der Film schon seit fünf Minuten läuft, füllt sich das Kino, Geraschel, Gespräche, Rufe, wildes Rumgefuchtel mit der Taschenlampe und schon hat man die nächsten fünf Minuten des Films nicht verstanden, dieses Phänomen kann man wohl auf die kolumbianische Pünktlichkeit schieben. Der Film heißt zwar „La propuesta“, (im deutschen heißt er "Selbst ist die Braut" und kommt erst im Herbst in die Kinos, aber sehr empfehlenswert, wenn man lachen will, ist keine Minute langweilig) ist aber auf Englisch und nur mit spanischen Untertitel versehen, die man eh nicht liest. Nach diesem Film kann man durchaus Bauchmuskelkater haben vom vielen Lachen, doch der Abspann wird abgehackt, die Musik geht aus, das Licht an, man verlässt das Kino ohne die letzten Minuten sitzen zu bleiben und wieder in der Realität anzukommen. Film aus, Realität an. Seltsam. Der letzte Transmilenio fährt abends um elf, den haben wir wohl verpasst, also entscheiden wir uns ein Taxi zu nehmen, aber unsere Verabredung hat sein Auto genommen, um uns den weiten Weg zu fahren. So läuft das hier.


Dann der erste Tag in meiner neuen Universität. Ich mag es kaum als Universität beschreiben, es ist viel, viel mehr als das, es ist quasi eine Insel, auf der alles möglich ist, alles vorhanden ist, alles machbar erscheint, aber einem auch viel abverlangt, zumindest wird es einem angekündigt.
Aber der Reihe nach, ich komme morgens um acht an, nachdem ich das erste Mal alleine in der morgendliche Fülle von Menschen den Transmilenio genutzt habe, um an der Endstation „Las Aguas“ auszusteigen, werde durch die Sicherheitsschranke gelotst, hin zu einem Raum, vor dem etwa vierzig ausländische Studenten warten, reden, lachen und gespannt darauf sind, was sie erwartet. Viele Franzosen unter ihnen, aber auch einige Deutsche, mit denen ich später ins Gespräch komme, sogar ein Kölner ist dabei, aber auch ein Düsseldorfer, der seltsamerweise FC-Fan ist… Begrüßung durch die Ausländerbeauftragte, sehr jung, genauso wie die Koordinatorin, eine Gruppe von kolumbianischen Studenten, die mit uns einiges unternehmen werden im Laufe des Semesters, ein erster Einblick in das, was uns erwartet. Der Direktor, der uns über die Sicherheitslage im Land, in der Stadt und in der Universität aufklärt, der Direktor und Arzt, der uns über die medizinische Lage aufklärt, wir sind sogar außerhalb der Uni versichert und können jederzeit einen Arzt rufen, der uns zu Hause besucht, wenn wir nicht in der Lage sind selbst zu kommen. Dann eine kurze Pause, in der ich andere Leute kennen lerne, viele sind zu zweit oder zu dritt hier, wenige wie ich ganz alleine, viele haben noch immer keine Wohnung und leben in Hostels, viele sind hier, um zu feiern, weniger um zu studieren, viele beherrschen das Spanische nicht unbedingt, aber werden es hier lernen, vor allem die Umgangssprache. Que vacano!
Nach der Pause geht es weiter mit dem Bildungssystem, Fehlzeiten sollte man sich hier so gut wie keine leisten, denn sonst besteht man den jeweiligen Kurs nicht, es gibt in jedem Kurs drei bis vier Prüfungen während des Semesters bevor es eine Endprüfung in der Prüfungszeit Ende November gibt, viele Hausarbeiten in Gruppen oder auch alleine, mündliche Prüfungen – und alles wird benotet, das bedeutet es wird viel zu tun sein. Noch kann ich es mir nicht vorstellen, vamos a ver…
Dann ein Rundgang über das Gelände, riesige Neubauten, alle nur zugänglich mit dem Studentenausweis, immer durch Schranken, die von Sicherheitspersonal bewacht werden, überall Farben, moderne Aufzüge, Grünflächen zum Ausruhen, die nicht zum Überqueren genutzt werden, sondern NUR, um sich auszuruhen, hunderte von Gebäuden und tausende von Treppenstufen. Und ganz oben, das Sportzentrum, vieles davon wird gerade erneuert, so wird es ab Oktober ein komplett neues Fitnessstudio, eine Schwimmhalle, einen Tennisplatz und vieles mehr geben. Momentan kann man Sportkurse belegen und dafür Creditpoints bekommen (auch wenn man kein Sport studiert), ein kleines Fitnessstudio, in dem man seine Freistunden verbringen kann und noch mehr grün, Palmen, eine ehemalige kleine Kirche, in der sich nun eine der vielen Bibliotheken befindet, eine kleineres Gebäude, das einer Finka ähnelt, alte Zugwaggons, in denen sich die Räume der Architektur- und Kunststudenten befinden, überall kleine Cafes mit Terrassen. Eine der Bibliotheken befindet sich im obersten Stockwerk, dort gibt es ebenfalls eine Terrasse mit Holzdielen, Palmen, von wo aus man über die ganze Stadt schauen kann. Überall Rückzugsmöglichkeiten, Oasen der Ruhe und Entspannung. Auch wenn man hier überwacht wird, ein Gefühl der Freiheit erwacht in einem, man ist berauscht von der Schönheit und vergisst beinahe, dass man zum Studieren da ist.

Der Nachmittag wird gefüllt mit einer kleinen Stadtführung (die ich schon letzten Samstag hatte), lässt viel Zeit für Gespräche, auch ein erstes in deutscher Sprache, das irgendwie nicht hierher passt, ich fühle mich ein wenig unwohl auf den Straßen in einer fremden Sprache zu kommunizieren, aber auch Gespräche auf Niederländisch, Englisch und auch Spanisch. Wir gehen durch das Regierungsviertel, sehen die Garde des Präsidenten marschieren, die eher den beiden hochgewachsenen blonden Schwedinnen unserer Gruppe hinterher schauen und grinsen als diszipliniert auf und ab zu marschieren, eine uniformierte Gruppe, die einen unbekannten Marsch spielt, Taschenkontrollen und wunderschönes Licht zum Fotografieren, nur leider habe ich meine Kamera nicht dabei.
Später dann löst sich die Gruppe auf, viele von ihnen werden sich am Abend treffen, um in die Disko zu gehen, ich dagegen werde mit meinen Mitbewohnerinnen das erste Mal in eine kolumbianische Kirche gehen, in der es jeden Freitag ein Konzert gibt, es sind zwar christliche Lieder, die dort gesungen werden, aber nicht so, wie man es in Deutschland gewohnt ist. Die Kirche sieht auch nicht gerade wie eine Kirche aus, mehr ein enorm großer Saal, mit einer Empore, einer Bühne, auf der Musik gemacht wird, Schlagzeug, Keyboard, Verstärker, Mikrofone, Backgroundsängerinnen, Tänzerinnen und Menschen, hunderte von Menschen, Familien, viele von ihnen zurechtgemacht, im Kleid und sie feiern, feiern aus tiefster Seele ihren Glauben, die Musik reißt sie von den Stühlen, sie tanzen, klatschen, und singen, die Texte werden auf eine große Leinwand übertragen, damit jeder mitsingen kann. Alle Lieder handeln von Gott, Jesus, dem Glauben. Es ist seltsam, wenn so viele Menschen die Arme emporreißen und sie Gott hinhalten. Zwischendurch Predigten, über Mikrofon, die die Menge mitreißen, ich verstehe nicht alles, aber es geht viel um Kolumbien, das Leid, das dieses Land durchgemacht hat, das Land, das so reich an Kultur ist, das Land, das es verdient hat in eine bessere Zukunft zu blicken, und wieder Musik, platzende Luftballons, Kindergeschrei, zwei Stunden, in denen ich Menschen ins Gesicht blicke und eine Ehrlichkeit sehe mit der sie singen, sich freuen, leben und sich Gott öffnen, dabei werde ich immer stiller, einsamer, denn ich kann an all dem nicht teilnehmen, das wäre nicht ich. Ich sehe gerne zu, sehe wie viele in dieser Gemeinschaft sich aufgehoben fühlen, freue mich für diese Menschen, aber es wird immer deutlicher für mich, dass ich in einer Glaubensgemeinschaft fehl am Platze bin. Bei der letzten Predigt wird der Pastor sehr emotional, für mich zu – ich kann es kaum anders beschreiben – fanatisch, die kolumbianische Flagge wird geschwenkt, die Liedtexte erscheinen auf dem Hintergrund der kolumbianischen Flagge und werden von la tierra, also die Erde, in Colombia uminterpretiert. Ich bin froh als es vorbei ist, werde dann aber noch dem Pastor vorgestellt, was ich eigentlich nicht will, aber er ist ein sehr warmer, herzlicher Mensch. Dieser Abend war einer der seltsamsten, die ich bis jetzt hier erlebt habe. Ich habe schon einige Gespräche hier über den Glauben und die Kirche geführt, einige sehr schöne und offene Gespräche. Ich werde nicht komisch angeschaut, wenn ich sage, dass ich Agnostikerin bin, mir wird der Glaube nicht aufgedrängt, es sind vielmehr Diskussionen über das, was man unter Glaube und Kirche versteht. Hier hat das einen anderen Stellenwert und daran muss ich mich gewöhnen. Aber ich bin dankbar dafür in die vielen unterschiedlichen Bereiche des Lebens eintauchen zu dürfen, einen Einblick davon zu gewinnen.

Samstag, 1. August 2009

Visita a un organismo oficial

Ein Behördengang

Fotokopien anfertigen lassen, vom Visum, vom Reisepass, vom Notfallausweis, auf dem meine Blutgruppe vermerkt ist, Fotos machen lassen, mit blauem Hintergrund, den DAS finden – D A S – sich anstellen, tausend verschiedene Sprachen, darunter auch deutsch, warten, warten, Ruhe bewahren, ein Formular ausgehändigt bekommen, ein kleines Zettelchen mit der Kontoverbindung, sich wieder aufmachen, Geld einzahlen, Formulare ausfüllen, wieder zurück, sich wieder anstellen, Unterlagen abgeben, prüfende Blicke, dann wieder warten, warten, Ruhe bewahren. In der Zwischenzeit andere Menschen kennenlernen, die hier leben wollen oder es schon seit geraumer Zeit tun, ein Schweizer, der seit zwei Jahren hier lebt und jetzt hier studieren will, jedes halbe Jahr muss die cédula de extranjería, der kolumbianische Pass für Ausländer, erneuert werden, vermisst werden: Brot und Käse; ein Brite, der hierher zieht, weil seine Freundin Kolumbianerin ist, vermisst werden bereits guter Tee, gutes Bier, Curry, Würstchen, und vieles mehr, ein Pole, dessen Frau Kolumbianerin ist, er wird wohl für immer hier leben, bis jetzt kann er noch kein Wort Spanisch… Wir vertreiben uns die Zeit, lachen viel, werden seltsam angesehen, warten und warten, dann wird mein Name aufgerufen, mein Vorname wohlgemerkt, ich mach mich auf, in einen kleinen Raum, muss mich vor einen Computer stellen, mein Augenabstand wird gemessen, dann erst Abdrücke von meinen Fingern auf einem Touchpad, alle auf einmal, rechts, links, meine Daumen, dann jeder Finger einzeln, von rechts nach links gerollt, dann eine Unterschrift mit Edding auf weißem Papier, dann drei Abdrücke mit Tinte von meinem Zeigefinger und wieder raus, warten, warten, Ruhe bewahren. Und noch ein bisschen warten, auf was, ah, auf die Rückgabe meines Reisepasses, Zeit, die von weiteren Gesprächen über Heimat, über neue Erfahrungen, über zu besichtigende Orte, über Menschen gefüllt wird. Sich verabschieden, warten, warten, Ruhe bewahren und dann endlich, meinen Reisepass zurückbekommen und in zwei Tagen schon wird mir meine cédula zugeschickt werden.