Tatsächlich. Der Abschied von einem Menschen, den ich sehr
lieb gewonnen habe, klopft am Morgen bewölkt an die beschlagenen
Fensterscheiben. Wir frühstücken auf den Holzbänken und versprechen uns, uns
irgendwann wieder zu sehen. Eine letzte lange Umarmung, Rucksack auf und ohne
zurück zu schauen Luarca entgegen.
Die fast unbefahrene Straße liegt im Morgennebel da, es wird
jeden Tag kälter. Ein Schritt und noch ein Schritt. Die ersten fünfundzwanzig
Kilometer für heute schlengeln sich über eine alte, kaum befahrene Nationalstraße.
Schatten überall, riesige Täler und Hügel. Straße rauf, Straße runter, steile
Kurve. Ab und an rast ein Auto an mir vorbei. Einmal sogar ein Bus. Doch
größtenteils begegne ich niemandem. Dazwischen immer wieder kleine Dörfer, in
denen ich nach Wasser frage und in denen ich gefragt werde, ob ich tatsächlich
alleine unterwegs sei. Ja, doch, seit heute wieder. Binnen fünf Stunden bin ich
in Cadavedo. Unglaublich. Und noch strotzt mein Körper nur so vor Kraft. In der
kleinen Herberge, die für zwölf Pilger Unterschlupf bietet, lege ich eine
Mittagspause ein.
Ich überlege noch einmal und ja, ich will weiterziehen. Auch
wenn fünfzehn Kilometer mehr nicht das leichteste Unterfangen ist. Die Hitze kommt
auf, der Weg ist schlecht markiert, sodass ich in Queruás eine Extraschleife
drehe, dort an einem großen Hof meinen Wasservorrat auffüllen lasse und
verwirrt nach Markierungen Ausschau halte. Am Kreisel stehe ich dann
tatsächlich ohne weiter zu wissen. Ein Motorrollerfahrer winkt mir den Weg.
Es
wird schwül, der Himmel zieht sich zu und einige dicke Tropfen fallen von oben
herab. Wieder Asphalt unter den Sohlen spüren, ist auch nicht Wunsch jeden
Pilgers. Wirklich sicher bin ich mir heute nicht, immer wieder frage ich
Cordula nach Rat, sie kann mir nur leider kaum weiterhelfen, ihre
Beschreibungen und die landschaftlichen Gegebenheiten wollen sich nicht
unbedingt gleichen. In einer etwas verlassenen Gegend mache ich Halt, setze
mich auf einen Stein und starre eine Weile gen Wald. Als ich mich wieder
aufmache, springt ein Rehkitz durchs Gebüsch.
Ein Stück weiter des Wegs steht
auch das kleine Hotel, von dem bei Cordula die Rede ist, dort angekommen schlage
ich den Pfad entlang eines Flüsschens bis hin zum Meer ein. Dann weisen die
Muscheln allerdings wieder auf die Straße. Zwei Abzweige durch den Wald. Beim
zweiten tut sich eine gruselige Umgebung auf. Alte Möbel türmen sich im
Gestrüpp, ein Sofa, Fernseher und allerlei anderer Sperrmüll liegt mitten im
Gestrüpp verstreut herum. Und dann sehe ich sie. An die 50 Puppen, nebeneinander
aufgereiht, manchen fehlen ein paar Gliedmaßen, anderen ein Auge. So schnell
wie möglich fliehe ich vor den Spukgestalten.
Müde bin ich, doch zur Ruh’ gehen kann ich leider noch
nicht. Kurze Pausen am Straßenrand und irgendwann, es ist schon mindestens fünf
Uhr nachmittags, lesen meine müden Augen Almuña auf dem Ortseingangsschild.
Endlich. Das hellblaue Häuschen ganz am Ende der Straße ist die Pilgerherberge.
An der Tür ein Zettel, die Herberge sei voll. Der etwas seltsame hospitalero
ist noch nicht da. Einige der Pilger meinen, es müssten eigentlich noch ein
paar Betten frei sein. Ein Radpilger bietet mir sogar seinen Schlafplatz an.
Zunächst einmal gehe ich duschen und dann nach einem Telefonat steht der
hospitalero auch vor mir. Sein Humor, nun ja, verschroben. Seine Katze bewacht
den Vogelkäfig, die Wellensittiche darin scheinen immer wieder kurz vorm
Herzinfarkt zu stehen. Seine Antwort auf die Frage, ob noch ein Bett da sei,
für so eine hübsche Pilgerin schon.
Im Schlafsaal entdecke ich eine mir bekannte
Schnorchelausrüstung. Wenig später liegen Víctor und ich uns in den Armen. Dass
ich ein wenig geschwächelt habe, hat unter meinen Pilgerbekanntschaften schon
längst die Runde gemacht, umso erstaunter sind sie, dass ich wieder aufgeholt
habe. Heute liegen mehr als 40 Kilometer hinter mir.
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