Am Morgen ist es kalt, ich friere in meinem einzigen
langärmeligen Oberteil. Der Nebel hängt in den Wäldern. Eine Weile lang laufe
ich zusammen mit Freddy und Bartek durch das feuchte Gehölz. Die beiden fangen
an, eine Geschichte wie aus einem Horrorfilm zu spinnen. Wolfsgeheul und
Zombies tauchen in unseren Köpfen auf. Plötzlich zeigt einer der Pfeile in die
Richtung, aus der wir gekommen sind. Hmm, so ganz geheuer ist mir das hier
alles nicht. Erst recht nicht als wir einen einsamen Friedhof passieren und mir
ein Schauer über den Rücken läuft. Nur langsam lichtet sich der Nebel.
Heute
werde ich einen Großteil der Gruppe, die ich immer wieder am Abend in den
Herbergen getroffen habe, vorbei ziehen lassen. Denn ich werde nur eine kurze
Strecke von 20 Kilometern zurücklegen. Bis nach Vilalba. Freddy, Miriam, Paweł
und Bartek wollen bereits am Sonntag in Santiago de Compostela sein, sodass sie
ihre Tageskilometerzahl ein wenig straffen müssen. Schnell bin ich an der
Herberge. Auch Pascal lässt sich auf den letzten hundert Kilometern ein wenig
mehr Zeit. In der Sonne warten wir auf die hospitalera. Wohl die
unfreundlichste Dame überhaupt. Kaugummi kauend, ohne ein Wort an uns zu
richten, nimmt sie unsere Daten auf, fünf Euro für die Übernachtung in den
geschlechtergetrennten Räumen. Ein seltsames Gefühl überkommt mich, immer
weniger bekannte Pilgergesichter und immer mehr der Pilger, die die letzten
hundert Kilometer oder ein bisschen mehr pilgern, damit sie ihre Pilgerurkunde
in Santiago de Compostela erhalten. Eine junge, übergewichtige Französin ist
mit ihrer Mentorin unterwegs, zwei weitere Deutsche, Udo und Michael, die schon
etliche Jakobswegvarianten hinter sich haben, das dänische Pärchen und viele
Spanier. Sie unterhalten sich über Blasen an den Füßen und ihre Wehwehchen.
Fragen mich, warum ich denn keine hätte. Worauf ich antworte, dass ich sehrwohl
Blasen an meinen Füßen mit mir herumtrage, das aber einfach dazu gehört.
Einfach ignorieren und keinen selbstmitleidigen Gedanken daran verschwenden.
Ich verspüre die Lust nach einem Kaffee, die Herberge liegt
allerdings außerhalb des Ortes Vilalba. An der Bar um die Ecke treffe ich auf
die deutsche „Selbsthilfegruppe“ wie Pascal sie so treffend betitelt. Er selbst
als Psychologe nimmt heute allerdings nicht Platz. Ich schon, ich setze mich zu
Udo, Michael, Peter und Dirk, mitten in die Herrenrunde. Mit Dirk unterhalte
ich mich über unterschiedliche Kulturen, ihre Eigenheiten und seinen Job bei
der Bundeswehr. Afghanistan, Gabun, Waldelefanten, vereinsamte Strände, in
Afrika Land aufkaufende Chinesen, die das die Tropenwälder abholzen,
Kindersoldaten und „brown prawn“. Aber auch die afghanische Gastfreundlichkeit
und das Schönheitssymbol eines Mannes dort, ein langer roter Bart, sind Gesprächsthemen.
Obwohl ich keine große Lust habe, stehe ich nach meinem café
con leche auf und laufe in das Stadtzentrum, um mich mit Nahrung einzudecken.
Auf dem Weg dorthin spricht mich ein älterer Herr im Blaumann an, vor dessen
Hund ich zunächst gewaltigen Respekt habe. Der Galicier sitzt in seinem
Gärtchen und putzt Bohnen. Mit großer Freude erzählt er von seinem Alltag und
den Festivitäten im Ort. Heute Abend um 22 Uhr wird ein Wettstreit der besten
gaitaneros, der Spieler des typischen hiesigen Instruments, zu Ehren von San
Roque stattfinden. Schade nur, dass um diese Zeit bereits die Türen der Pilgerherberge verschlossen werden. Wie bei allen Spaniern, die mich auf dem Weg ansprechen
oder ich sie, wendet sich das Gespräch fast immer in Richtung Politik. Und dann
heißt es die böse Merkel. Ja, was soll ich sagen, ich habe sie nicht gewählt.
Deutschland ist glücklicherweise nicht nur Frau Merkel. Doch das versuche ich
den meisten erst gar nicht näher zu bringen. Lieber lenke ich das Gespräch
wieder auf ein anderes Thema oder ziehe weiter. So auch jetzt. Der Supermarkt
ist riesig, bei so viel Auswahl fühle ich mich überfordert. Viel zu viel.
Vielleicht hätte ich doch lieber nach einem kleinen Tante-Emma-Laden Ausschau
halten sollen.
Voll bepackt kehre ich zurück zur Herberge. Im Abendlicht
setze ich mich zur Selbsthilfegruppe, diesmal unter Leitung des Psychologen und
wir essen gemeinsam zu Abend.
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