Donnerstag, 1. November 2012

Laufen lernen - Tag 20


Der Wecker war eigentlich auf sechs Uhr gestellt, die Herberge verlassen wir um halb Acht. Der Himmel ist bewölkt, die Temperaturen sind moderat. Ein sehr guter Wandertag. Wir begeben uns auf Pfeilsuche, machen dennoch langsam. Schmale von Spinnen besponnene Feldwege. Juan Carlos wedelt mit seinen Wanderstöcken um sich. Von La Isla laufen wir nach Colunga. Colunga. Colunga. Klingt irgendwie afrikanisch, Trommeln im Hinterkopf. In Colunga frühstücken wir. Tostadas mit Olivenöl und ein Milchkaffee. Die spanische Alternative zum Käsebrot am Morgen.

Ich selbst trage keine Uhr, auch das Handy bleibt ganz aus. Doch Juan Carlos trägt eine Digitaluhr an seinem linken Handgelenk. Zu jeder vollen Stunde gibt sie ein Doppelpiepen von sich. Leider kann mein Kopf nicht anders als mitzuzählen. Da wir eigentlich um sechs Uhr aufstehen wollten, ist einfach kurzerhand jede volle Stunde sechs Uhr. Uns holt eine italienische Familie ein, die sich gestern auch in der Herberge einquartiert hatte und im Gegensatz zu anderen Pilgern kein Wort mit unseresgleichen wechselt. Immer mal wieder überholen wir sie und sie uns. In Pernús halten wir an einer kleinen Kirche, die, wie so viele hier in Spanien, keinen Einlass gewährt. Auch wenn ich mich nicht übernehmen sollte, ich fühle mich gut. Viel Wald durchtreten wir heute, es ist schattig und wir sind bei guter Laune.

Die nächste Pilgerherberge befindet sich in Sebrayu, eigentlich nur ein winziges Örtchen. Doch als wir unsere Lieblingspilgerin Rosie aus Toledo erblicken, sehen wir noch einmal auf die Karte. Villaviciosa ist nicht mehr weit. Sechs Kilometer. Passend zur Uhrzeit. Nach einer Mittagspause verabschieden wir uns von Rosie, da sie bald einen anderen Weg einschlagen will als wir, in der Hoffnung sie tatsächlich nicht wieder zu sehen, oder besser zu hören. In der Apfelhauptstadt Spaniens gibt es keine Herberge, die wollen wir auch heute gar nicht. Nach all den Strapazen nehmen wir uns ein Zimmer in einer kleinen Pension, pilgerlich teilen wir uns die Kosten von 30 Euro. Manchmal muss auch das sein. Ein eigenes Bad, herrlich. Nach einer heißen Dusche liege ich die nicht durchgelegene Matratze Probe.

Am Nachmittag streunern wir dann gemeinsam durch das Stadtzentrum und treffen dabei auf Dirk und Peter, die beiden Deutschen, mit denen wir schon in Poo de Llanes auf einem Zimmer genächtigt haben. Vater und Sohn sind gemeinsam unterwegs und legen ein gutes Tempo vor. Dirk, 40, ist bei der Bundeswehr. Vielleicht einer der Gründe. Wir spazieren durch den von älteren Herrschaften belagerten Park mit Apfelstatue und suchen nach einem Restaurant mit Tagesmenü für heute Abend. Manchmal muss man es sich auch als Pilger gutgehen lassen. Wir drehen Runde um Runde, da wir natürlich noch nicht genug gelaufen sind für heute. Wir finden ein günstiges Restaurant. Nur bieten sie ihr Tagesmenü ausschließlich mittags an, wie wir abends erfahren, als schon die Tischdecke vor uns ausgebreitet wird. Ein kurzer Blick auf die Speisekarte sagt uns dann: Hier bleiben wir nicht. Und schwups, innerhalb weniger Sekunden haben wir uns verdünnisiert.

Wir drehen weitere Runden, so langsam müsste mein Magen gefüllt werden. Wir lunzen in die Sidería Campomanes, dort stehen fast nur ältere Herren an der Bar. Ein gutes Zeichen. Also lassen wir uns an den mit Karo-Papiertischdecken bedeckten Tischen nieder und lassen auftischen. Fischsuppe, Fischpaté und frittierter Tisch. Dazu Wein und Limonade. Obwohl ich das Brot weglasse, habe ich das Gefühl zu platzen. Juan Carlos ergeht es noch schlimmer, da sein zweiter Gang Nudeln mit Calamari waren und der Hauptgang Ziegenfleisch mit schwerer Käsesoße und Pommes frites. Während er an die frische Luft geht, warte ich darauf, dass unsere Reste abgeräumt werden. Die beiden jungen Kellner hecken schon die ganze Zeit etwas aus, das steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Als dann der Nachtisch kommt, den wir gar nicht wollten, wissen wir auch was. Fünf verschiedene Kuchensorten inmitten von Sahnebergen türmen sich auf der Glasplatte und mit einem verschmitzten Lächeln wünscht uns der Kellner einen guten Appetit und, dass er nichts davon zurück in die Küche gehen lassen will. Soso. Eine Drohung also. Juan Carlos und ich, wir wissen beide nicht, ob uns nach Lachen oder Weinen zu Mute ist. Alles schaffen wir nicht. Man gut, dass uns noch ein nächtlicher Spaziergang bevorsteht.

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