Der Wecker war eigentlich auf sechs Uhr gestellt, die
Herberge verlassen wir um halb Acht. Der Himmel ist bewölkt, die Temperaturen
sind moderat. Ein sehr guter Wandertag. Wir begeben uns auf Pfeilsuche, machen
dennoch langsam. Schmale von Spinnen besponnene Feldwege. Juan Carlos wedelt
mit seinen Wanderstöcken um sich. Von La Isla laufen wir nach Colunga. Colunga.
Colunga. Klingt irgendwie afrikanisch, Trommeln im Hinterkopf. In Colunga
frühstücken wir. Tostadas mit Olivenöl und ein Milchkaffee. Die spanische
Alternative zum Käsebrot am Morgen.
Ich selbst trage keine Uhr, auch das Handy bleibt ganz aus.
Doch Juan Carlos trägt eine Digitaluhr an seinem linken Handgelenk. Zu jeder
vollen Stunde gibt sie ein Doppelpiepen von sich. Leider kann mein Kopf nicht
anders als mitzuzählen. Da wir eigentlich um sechs Uhr aufstehen wollten, ist
einfach kurzerhand jede volle Stunde sechs Uhr. Uns holt eine italienische
Familie ein, die sich gestern auch in der Herberge einquartiert hatte und im
Gegensatz zu anderen Pilgern kein Wort mit unseresgleichen wechselt. Immer mal
wieder überholen wir sie und sie uns. In Pernús halten wir an einer kleinen
Kirche, die, wie so viele hier in Spanien, keinen Einlass gewährt. Auch wenn ich
mich nicht übernehmen sollte, ich fühle mich gut. Viel Wald durchtreten wir
heute, es ist schattig und wir sind bei guter Laune.
Die nächste Pilgerherberge
befindet sich in Sebrayu, eigentlich nur ein winziges Örtchen. Doch als wir
unsere Lieblingspilgerin Rosie aus Toledo erblicken, sehen wir noch einmal auf
die Karte. Villaviciosa ist nicht mehr weit. Sechs Kilometer. Passend zur
Uhrzeit. Nach einer Mittagspause verabschieden wir uns von Rosie, da sie bald
einen anderen Weg einschlagen will als wir, in der Hoffnung sie tatsächlich
nicht wieder zu sehen, oder besser zu hören. In der Apfelhauptstadt Spaniens
gibt es keine Herberge, die wollen wir auch heute gar nicht. Nach all den
Strapazen nehmen wir uns ein Zimmer in einer kleinen Pension, pilgerlich teilen
wir uns die Kosten von 30 Euro. Manchmal muss auch das sein. Ein eigenes Bad,
herrlich. Nach einer heißen Dusche liege ich die nicht durchgelegene Matratze
Probe.
Am Nachmittag streunern wir dann gemeinsam durch das Stadtzentrum und
treffen dabei auf Dirk und Peter, die beiden Deutschen, mit denen wir schon in
Poo de Llanes auf einem Zimmer genächtigt haben. Vater und Sohn sind gemeinsam
unterwegs und legen ein gutes Tempo vor. Dirk, 40, ist bei der Bundeswehr.
Vielleicht einer der Gründe. Wir spazieren durch den von älteren Herrschaften
belagerten Park mit Apfelstatue und suchen nach einem Restaurant mit Tagesmenü
für heute Abend. Manchmal muss man es sich auch als Pilger gutgehen lassen. Wir
drehen Runde um Runde, da wir natürlich noch nicht genug gelaufen sind für
heute. Wir finden ein günstiges Restaurant. Nur bieten sie ihr Tagesmenü
ausschließlich mittags an, wie wir abends erfahren, als schon die Tischdecke vor uns
ausgebreitet wird. Ein kurzer Blick auf die Speisekarte sagt uns dann: Hier
bleiben wir nicht. Und schwups, innerhalb weniger Sekunden haben wir uns
verdünnisiert.
Wir drehen weitere Runden, so langsam müsste mein Magen gefüllt
werden. Wir lunzen in die Sidería Campomanes, dort stehen fast nur ältere
Herren an der Bar. Ein gutes Zeichen. Also lassen wir uns an den mit
Karo-Papiertischdecken bedeckten Tischen nieder und lassen auftischen.
Fischsuppe, Fischpaté und frittierter Tisch. Dazu Wein und Limonade. Obwohl ich
das Brot weglasse, habe ich das Gefühl zu platzen. Juan Carlos ergeht es noch
schlimmer, da sein zweiter Gang Nudeln mit Calamari waren und der Hauptgang
Ziegenfleisch mit schwerer Käsesoße und Pommes frites. Während er an die
frische Luft geht, warte ich darauf, dass unsere Reste abgeräumt werden. Die
beiden jungen Kellner hecken schon die ganze Zeit etwas aus, das steht ihnen
ins Gesicht geschrieben. Als dann der Nachtisch kommt, den wir gar nicht
wollten, wissen wir auch was. Fünf verschiedene Kuchensorten inmitten von
Sahnebergen türmen sich auf der Glasplatte und mit einem verschmitzten Lächeln
wünscht uns der Kellner einen guten Appetit und, dass er nichts davon zurück in
die Küche gehen lassen will. Soso. Eine Drohung also. Juan Carlos und ich, wir
wissen beide nicht, ob uns nach Lachen oder Weinen zu Mute ist. Alles schaffen
wir nicht. Man gut, dass uns noch ein nächtlicher Spaziergang bevorsteht.
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