Aufstehen. Das war die letzte Zeit deutlich einfacher. Fällt
es mir schwerer, weil jeder Morgen ein Morgen näher am Ziel ist? Ich verlasse
La Caridad gegen acht. Die Kälte des Morgens kündigt bereits die Hitze des
bevorstehenden Tages an. Es ist die letzte Etappe am Meer, der Abschied fällt
mir jetzt schon schwer. Nur noch Wiesen und Wälder, die Vorstellung davon lässt
mich keine Luftsprünge machen. Ich bin angespannt, verfehle die Pfeile und
wegweisenden Muscheln. Erst denke ich, es ist mein Körper, dem es wiederholt zu
bunt wird, dann wird mir bewusst, es ist der Kopf.
In Tapia de Casariego würde ich am liebsten bleiben, dort
steht eine kleine Pilgerherberge umrahmt von Steilklippen. Die Holztreppe zum
steinigen Strand hinunter, dort verweile ich bis ich mich irgendwann wieder
losreiße. Die Sonne steht hoch am Himmelszelt, der Meerwind frischt ein wenig
auf. Ich habe immerfort das Gefühl, mich zu verlaufen. Eigentlich soll es eine
wunderschöne Strecke entlang des Meeresufers sein, doch vom Meer sehe ich nicht
mehr so viel wie erhofft. Hohe, trockene Maisfelder, dürftige Markierung und
die anstehende Hitze. Nur der letzte Teil führt über zwei, drei Strände. Die
sind allerdings überfüllt. Viel zu viele Menschen für meinen Geschmack. Ich
frage immer wieder nach dem Weg und finde so doch noch zum heutigen Ziel. Als
ich den ersten Schritt auf die 600 Meter lange puente de los santos, die Brücke
der Heiligen, setze, hellt sich meine Miene auf. Dies ist der Übergang von
Asturien nach Galizien. Trotz der Autos, die zu meiner Linken vorbeibrettern,
ist es ein unbeschreibliches Gefühl. Ich scheine fast in 60 Meter Höhe zu
schweben, das Meer ohne Horizont vor meinen Augen. Der Blick nach unten bringt
mich ins Taumeln. Die Wellen formen ein Netz, in dessen Mitte mein Schatten
steht. Irgendetwas zieht mich förmlich nach unten. Das offene Meer vor mir, im
Rücken der breite Fluss. Der Abschied steht kurz bevor.
Die winzige Herberge bietet Platz für zwölf Pilger, ich bin
eine der ersten, die sich Bett mit Ausblick auf die Flussmündung sichert, denn
das Häuschen inklusive schräger Dachterrasse liegt tatsächlich direkt neben der
Heiligen-Brücke an den Klippen. Hier trocknet die handgewaschene Wäsche im Nu.
Es gibt sogar eine gut ausgestattete Küche. Nur leider kein Geschäft, das offen
hat. Es ist mal wieder Sonntag. Manchmal trägt es auch Nachteile mit sich, wenn
man zeitfastet.
Gegen Abend mache ich mich mit Alex, einem Pilger aus Madrid,
seinem Pilgerkumpanen, Paweł, Freddy und Bartek auf zum Praia de Catedras.
Alex ist dort einmal als kleines Kind gewesen und hat ihn als den schönsten
Strand, den er jemals gesehen hat, in Erinnerung. Da Ribadeo selbst keinen
Strand hat, fahre ich mit. Den Weg dorthin bestreiten wir mit dem Bus. Als wir
aussteigen, erschlägt mich vor allem eins: die Menschenmassen. Der
Kathedralenstrand ist völlig überfüllt. Außerdem ist es verboten, hier
schwimmen zu gehen, angeblich aufgrund von Quallen. Den Jungs macht das nichts
aus, sie stürzen sich trotzdem in die Fluten, keine fünf Minuten später jagen
die Rettungsschwimmer in ihrem Schnellboot heran und scheuchen sie wieder raus.
Gegen 21 Uhr kommen zwei junge Männer von der Guardia Civil in der
Herberge vorbei, um unsere Daten aufzunehmen und uns jeweils fünf Euro
abzuzwacken. Danach ist sie wieder ganz unser. Víctor hat in dem Ortskern eine
kleine Bar aufgetan, zu der wir danach fast geschlossen schlendern. Sonst hat
kaum etwas geöffnet hier. Völlig unvorbereitet auf die ganze Pilgerschar steht
die Bedienung des Gayoso in ihren pinkfarbenen T-Shirts da. Eigentlich war
die fiesta de pulpo, das
Tintenfischfest, schon im Begriff sich zu verlaufen. Wir bringen noch mal neuen
Schwung in den Laden und werden mit pulpo
a la gallega verköstigt. Herrlich.
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