Dienstag, 13. November 2012

Laufen lernen - Tag 32

In der Tat gab es heute Nacht einen Schnarcher im Raum. Eigentlich wäre das kein Problem, daran hat sich der Langzeitpilger schon längst gewöhnt. Nur die „Neuen“ eben nicht. Einer in dem Zimmer hat andauernd versucht, den Schnarchenden mit Klatsch- und Schnalzgeräuschen versucht, wach zu bekommen. Die junge Dame über mir hat ich mindestens eine halbe Stunde lang demonstrativ umhergewälzt und gestöhnt, dass ich kurz davor war zu fragen, ob bei ihr da oben alles in Ordnung sei. Irgendwann hat sie ihren Freund wach gemacht, gemeinsam haben sie dann versucht, den Schnarchenden mit ihren Stirnlampen auszumachen. Damit haben sie zwar fast den ganzen Raum wach gemacht, aber das sollte ja sonst niemanden stören. Irgendwann haben sie ihre Sachen zusammen gepackt und sind in ein anderes Zimmer umgezogen. Endlich wieder Stille.

Sandras Jacke schützt mich vor dem auffrischenden Morgenwind. Mit dem Kloster im Rücken beginnt die letzte kurze Etappe. Bis nach Arzúa sind es 22 Kilometer. Gestern Abend haben Pascal und ich aus einer atypisch geformten Kartoffel mit Hilfe von ein paar Nudeln eine kleine Pilgerente gebastelt, diese lassen wir heute an Kilometerstein 60 auf einem Paar Wanderschuhen zurück. Seit wir in Galicien sind, zeigen die Wegweiser auch die noch fehlenden Kilometer an. Vielerorts wurden sie abmontiert, wohl Pilger, die ebenso wenig wie ich ständig wissen wollen, wie viele Kilometer man bereits gegangen ist oder eben, wie viele noch immer fehlen. 

Der Weg bis Boimorto ist noch ein letztes Mal voll von Einsamkeit. Mittlerweile haben sich größere Pilgergruppen gebildet, die den letzten Rest gemeinsam laufen. Ich würde gerne weiterhin ganz alleine sein. Die Etappe heute ist nicht sonderlich erwähnenswert. Die Sonne scheint aus allen Knopflöchern. Um dem Pilgeransturm in Arzúa aus dem Wege zu gehen, dort treffen nämlich der Camino del Norte und der Camino Francés aufeinander, quartiere ich mich etwa einen Kilometer in der wunderschönen Pazo Santa María ein. Zunächst kann ich tatsächlich die Stille auf der Terrasse genießen. Bis dann eine Horde älterer Franzosen einfällt. Es stellt sich heraus, dass diese 14-köpfige Truppe jedes Jahr einen Teil des Jakobsweges bestreitet. Dabei haben sie Autos zu Hilfe, eine Person fährt sie vom Startpunkt zum Zielpunkt des jeweiligen Tages, der Rest wandert gemütlich und gepäckfrei leichte Tagesetappen von fünfzehn bis zwanzig Kilometern. Sie veranschlagen auch keine Pilgerherbergen wie die berühmt berüchtigten Touristenpilger, sondern nächtigen in Hotels oder Pensionen. Sie nehmen mich in den Ortskern. Außer einer Statue mit dem hiesigen Käse, vielen Übernachtungsmöglichkeiten für Pilger und einer Menge Restaurants gibt es hier nicht viel. Nur ein, zwei bescheidene Supermärkte, in denen ich mich für die vorletzte Strecke morgen eindecke. Zurück in der Unterkunft genieße ich noch ein letztes Mal die Abgeschiedenheit.

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