Hoffentlich hat heute Morgen eine Bar geöffnet, meine
Vorräte sind nämlich aufgebraucht und der nächste Ort, in dem heute wohl kein
Feiertag sein dürfte, ist neun Kilometer Fußmarsch entfernt. Und tatsächlich,
als ich gegen sieben Uhr zusammen mit Pascal ins stille, dunkle Dorf stapfe, hält
gerade der Kleinbus der Bäckerei Nely vor der neonbeleuchteten Bar. Auf die
Frage hin, ob schon geöffnet sei, bekommen wir die Antwort, natürlich bereits
seit sechs Uhr. Ein duftendes Croissant, tostadas mit Marmelade (man ist nicht
gezwungen die salzige Variante zu nehmen) und ein heißer café con leche.
Dann ist es auch hell genug, um die heutige Etappe in
Angriff zu nehmen. Zu Beginn laufen Pascal und ich ein kleines Stück zusammen,
dann wollen meine Beine schneller. Der Wald liegt in nebelverhangenen Hügeln
vor mir. Morgentau in den Grasspitzen glitzert im aufgehenden Sonnenlicht. Rauf
und runter. Runter und rauf. Es wird in der Tat wieder ein wenig bergiger, je
weiter es ins Landesinnere geht. Manchmal ist so ein Blick zurück nicht
verkehrt, obwohl ich das selten tue, mich umdrehen und auf das sehen, was
hinter mir liegt. Heute schon. Die Morgensonne bricht sich durch die
Nebelschwaden und taucht die Landschaft in weiches Gold. Beinahe sieht es so
aus als ob der Wald vor Sonnenlicht brenne. Kühle Feuchte. Die Bäume wachsen in
Bögen um mich herum, das fahle Laub der Eukalyptusbäume klebt an meinem Schuh.
Der Waldboden knackt unter meinen Schritten. Einsamkeit macht sich breit. Bis zur
Bischofstadt Mondoñedo begegne ich so gut wie niemandem.
In dem Ort treffe ich dann auf Pablo und den Hund seiner
Mutter, Tiago. Pablo ist arbeitslos, er hat die letzten Jahre einiges an Körperfülle
zugelegt und versucht nun, Kopf und Körper wieder in die rechte Form zu
bringen. Vor ein paar Jahren sei er den Camino Francés gelaufen zur gleichen
Zeit als auch der damalige Kardinal Ratzinger zu Fuß nach Santiago de
Compostela unterwegs war. Er habe ich sogar mit ihm sprechen können.
In einem
kleinen Obstladen decke ich mich mit Früchten für den Weg ein und nach einer
längeren Pause taucht dann auch Pascal auf dem Kirchplatz vor der Catedral de
Santa María auf. Meine Beine halten kaum noch still, also schultere ich meinen
Wanderrucksack und begebe mich wieder auf den Weg. Dieser zieht sich in weiten
Kurven über Berge und Täler inmitten verlassenen Grüns. Hier ein einsames Gehöft,
dort ein knurrender Hund vor einem Hof. In der Tat ist die Anzahl der Hunde
wieder angestiegen. Im Baskenland musste man als Pilger schon ziemlich Acht
geben. Kantabrien und Asturien hingegen waren nicht so scharf bewacht,
höchstens die süßen bis kitschigen Schilder an den Toreinfahrten und
Hauszugängen warnten vor dem bissigen Hunde. Doch hier in Galicien sind die
Menschen vielleicht wieder ein wenig mehr auf ihr Hab und Gut fixiert. Zumindest
habe ich deutlichen Respekt vor den großen Schäferhunden und auch vor den
kleinen Viechern, die wie wild umherkläffen und die Zähne fletschen.
Der Waldgeruch steigt mir in die Nase, die Straße ist wenig
befahren, nur einige pilgernde Radgruppen düsen an mir den Berg hinunter, um im
Tal angekommen mühsam wieder hinauf zu strampeln. Die Lust auf Gesellschaft schwindet
dahin. Am liebsten wäre ich ganz alleine hier. Niemand außer mir, obwohl ich
kaum einer Menschenseele begegne. Nur Kühe, Pferde, Ziegen. Hie und da mal ein
Hahn, der vor sich hin schreit. Einmal noch überhole ich das dänische Pärchen,
mit denen noch kaum einer je ein Wort gewechselt hat. Ein letzter steiler
Anstieg vor Gontán im Wald wie Cordula ihn beschreibt, den ich mit Leichtigkeit
erklimme. Im Laufe der Zeit muss sich mein Körper stark an das Wandern gewöhnt
haben, ohne dass ich das bewusst wahrgenommen habe. Kein Zwicken und Zwacken
mehr, weder die Knie noch die Füße meckern. Im Gegenteil: Bei jeder Pause will
mein Körper weiter.
Gontán taucht aus dem Nichts vor mir auf. Die Herberge ist
ziemlich neu, herrlich sauber und auch der hier arbeitende junge hospitalero
ist unglaublich freundlich. In Galicien werden diejenigen, die die
Pilgerherbergen betreuen, für ihre Arbeit bezahlt, anders als zum Beispiel im
Baskenland, wo die Gastfreundschaft auf ehrenamtlichem Engagement fußt. Die
Sonne und der Wind am Nachmittag trocknen die Wäsche. Selbst das
Mittagsschläfchen brauche ich nicht mehr. Nach einem Spaziergang zum Supermarkt
einen Ort weiter, koche ich zusammen mit Miriam und Pascal. Reis und Gemüse, da
wir keine Lust auf die Nudeln der anderen Kochtruppe haben. Mit allen anderen
sitzen wir dann gemeinsam am Tisch, der Abend ist laut und sprachenverworren.
Niederländisch, Polnisch, Deutsch, Italienisch, Englisch, Spanisch fliegen
durcheinander. Dazu das Geklimper von Geschirr und Besteck. Wohl einer der
schönsten Abende.
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