Erstaunlich wie spät es mittlerweile hell wird. Als ich gegen
Viertel nach sieben loslaufe, dämmert es gerade erst. Der Weg aus der Stadt
heraus, wie so oft, ist schlecht ausgeschildert. Vielleicht sind es auch zu viele
Bilder, Formen und Farben in einer größeren Stadt, sodass man die Muscheln,
Pfeile oder anderen Markierungen einfach nicht mehr wahrnimmt. Mit dem Wissen,
das Meer zu verlassen, stellt sich mein Kopf ein wenig quer. Nur fragend finde ich
aus der Stadt heraus. Es geht bergan in die Wälder Galiciens hinein, noch ein
Hauch von Meeresbrise spüre ich im Rücken, ein wenig Möwengeschrei im
Gehörgang.
Eukalyptus- und Pinienwälder erstrecken sich über ganze Bergketten.
Idyllische Stille, fast schon ein wenig Almromantik könnte man hier verspüren.
Abwechselnd überholen wir uns: Pascal, ein dänisches Pärchen und zwei ältere
Niederländerinnen. Irgendwann ziehe ich mein Tempo an und auch die stärkeren
Steigungen, als die von vorigen Tagen, nehme ich mit Leichtigkeit. Hügel und Täler wechseln sich im Einklang
ab. Die kleinen Sträßchen und Feldwege kugeln sich hindurch. Die Gemeinde
Barrerios begrüßt und verabschiedet die Pilger auf großen Plakaten. Ich sehe kaum eine Menschenseele. Hier ein Bauer, dort ein kleines Kind. Doch
tatsächlich treffe ich mehr Pilger als Anwohner auf dieser Etappe.
Zum allerersten Mal komme ich als Erste an der
Pilgerherberge an, heute in Lourenzá. Die Telefonnummer der hospitalera klebt an der Tür, ich rufe sie an
und sie verrät mir, wie ich hinein gelange. Freie Bettenwahl. Sogar eine Art
Einmal-Bettlaken und -Kopfkissenbezug gibt es für jede Schlafgelegenheit. Und
siehe da. Eine Küche. Erst einmal duschen und Wäsche waschen. Pilgerroutine. So
langsam trudeln alle anderen ein.
Meine Essensvorräte sind so gut wie aufgebraucht. Ein paar Nüsse
bleiben mir noch, doch mein Magen grummelt ziemlich stark vor sich hin. Auch
die anderen Pilger sehen aus als könnten sie ein bisschen was vertragen. Es
gibt ja auch die Küche. Zusammen mit Víctor, Paweł, Bartek, Freddy und Miriam
will ich einen Großeinkauf machen, um später gemeinsam zu kochen. Nur: Wir
stehen vor verschlossenen Türen. Keiner der zahlreichen Supermärkte hat
geöffnet. Aber es ist doch Montag, oder nicht? Ja, im Tag geirrt haben wir uns
nicht. Wie sich jedoch herausstellt, ist in Lourenzá heute Feiertag.
Und zwar ausschließlich in Lourenzá. Im neun Kilometer entfernten Mondoño ist ganz normaler Arbeitstag. Es fährt nur leider kein Bus dorthin. Per
Anhalter will uns auch niemand mitnehmen. Wir zweifeln auf dem Bordstein
zusammengekauert an unserem Pilgerkarma. Niemand hat noch die Kraft zu Fuß in
den nächsten Ort zu laufen, ein Taxi ist uns definitiv zu teuer und auch ein
Tagesmenü in den geöffneten Restaurants wollen und können wir uns nicht
leisten. Ein Geistesblitz trifft Víctor. Die hospitalera wird angerufen, denn
sie arbeitet momentan noch in Ribadeo. In der Stadt, in der gestern keine
Geschäfte geöffnet waren. Wir bitten sie, uns zwei Packungen Nudeln und ein
paar Tomaten mitzubringen. Sie meint, sie könne uns nichts versprechen, sie
hätte nicht sehr viel Zeit übrig. Das klingt auf jeden Fall nicht sehr, nun ja,
vielversprechend.
Letztendlich entscheiden wir uns dazu, in einer Kneipe ein bocadillo
zu verspeisen, so werden wir günstig satt, zumindest für den Nachmittag. Zurück
in der Herberge lerne ich Antonio und Sandra kennen. Antonio ist seit
Santillana del Mar unterwegs. Sandra hat ihren Weg heute in Vilela begonnen. Freunde seit
Kindheitsbeinen an, die sie nun Richtung Santiago de Compostela tragen. Die
beiden haben die Reste aus der Pilgerküche zusammengeklaubt und mit der dürftigen Küchenausstattung ein hervorragendes Mahl gezaubert, von dem der Großteil der
Pilger ein wenig abbekommt. Außerdem hat Sandra einen riesigen Laib Käse dabei,
den sie mit allen teilt. Im Kühlschrank findet sich sogar noch eine Dose Bier
und ein Gesöff aus jungem Wein und Cola. Der Abend wird also doch nicht so
schlimm wie befürchtet. Nur die unfreundliche hospitalera bringt uns
tatsächlich keinerlei Nahrungsmittel aus Ribadeo mit. Immerhin verschwindet sie
bald wieder und lässt uns in Ruhe den Abend genießen.
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