Freitag, 19. Oktober 2012

Laufen lernen - Tag 7


Der heutige Morgen ist eindeutig von Zeichen bestimmt. Der Bäcker bietet zwar kein Frühstück, wie die Verkäuferin im Supermarkt gestern angekündigt hatte, dafür Croissants und frisches Brot zum Mitnehmen.

Sehr weit kommen wir nicht, obwohl uns hier Eichenblätter anstatt Muscheln den Weg nach Santiago weisen. Als Linda und ich vor der Guernica-Replik aus Kacheln stehen, ist es fast schon 8 Uhr. Und prompt bestätigt der Kirchschlag uns die späte frühe Stunde. An der Ecke befindet sich das medizinische Zentrum der Stadt. Nun gut. Ein wenig wider Willen stelle ich mich in die Schlange. Dank der europäischen Krankenkassenkarte läuft alles glatt.

Nur ein wenig warten und dann empfängt mich die Ärztin Zorione Almetzi. Sehr freundlich und überrascht von meinem guten Spanisch sieht sie sich meine Zehen an. Denn es haben sich nicht nur unzählige wässernde Blasen an meinen Füßen gebildet. Nein, drei von meinen Fußnagelbetten haben sich tief blau verfärbt. Einer der Nägel löst sich schon fast, so sehr hat es sich entzündet. Beim Laufen merke ich das zwar kaum, doch ein wenig besorgniserregend sieht das Ganze schon aus. Zorione ist der Ansicht, dass sie wohl allesamt abfallen werden, was aber nicht weiter schlimm sei, sie empfiehlt mir, die nächsten Tage möglichst wenig zu laufen und wenn, dann mit Sandalen. Eine Krankenschwester gibt mir noch ein, zwei Utensilien, damit ich die betroffenen Zehen wenigstens ein bisschen abpolstern kann.

Wieder an der frischen Luft, stolpern Linda und ich fast automatisch ins nächste Café. Dort frühstücken wir jetzt doch noch vernünftig. Torta de arroz und einen wohlschmeckenden café con leche. Noch ein Blick auf die Kirche und wir starten in den Tag. Die letzten vier Kilometer von Larrabetzu aus bis nach Lezama laufe ich tatsächlich in Sandalen, da es nur noch an der Straße entlang geht. In der Mittagshitze kommen wir in dem Örtchen mit nur einem Kauflädchen an, das auch nur bis 15 Uhr geöffnet hat. An der Herberge türmen sich bereits Wanderrucksäcke und -schuhe. Optimistisch wie wir sind, reihen wir uns ein. Im Schatten hinterm Haus: bekannte und unbekannte Gesichter. Nahrungssuche im Supermarkt. Zwei Flaschen hiesigen Rotweins, Brot haben wir ja noch, und Pascal schmeißt auch noch allerlei aus seinen Vorräten fürs abendliche Pilgermal dazu.

Doch erst einmal lerne ich Bill Walker kennen. Bill ist US-Amerikaner, hat schon einige Bücher übers Wandern geschrieben, in Lateinamerika Englisch unterrichtet und redet gerne. Das „größte“ Merkmal ist tatsächlich seine Größe: stolze 2,13 Meter. Schlaksig dazu. Linda hatte ihn bereits kennen gelernt und ihm seine Hose geflickt. Im Gepäck hat er seinen Neffen Gavin. Wuschelköpfig, schweigsam und kamerabehangen. Seit fünf Wochen sind die beiden bereits unterwegs. In Frankreich ging die Reise los.

Zurück an der Herberge treffen wir immer mehr Menschen, unter anderem auch Víctor und Aitor, unsere Zimmergenossen der letzten Nacht, die erst um elf Uhr losgelaufen sind, nachdem sie nachts irgendwann partytrunken und mäuschenstill ins Vierbett-Zimmer geschlichen sind. Catalina steht vor uns, die Freiwillige, die die Herberge die nächste Woche über betreut. Pilgerpässe werden eingesammelt. 18 Betten gibt es, der Rest kann in der Freiluftsporthalle nächtigen. Linda und ich sind Nummer 17 und 18. Glück gehabt. In der Herberge tönt Musik aus dem CD-Spieler, unsere Wäsche wird gewaschen, wir müssen uns nur ums Aufhängen kümmern. Dann stehen sich Catalina und Bill gegenüber. Sie, etwa 1,50 Meter klein, bittet ihn doch auf einem Stuhl Platz zu nehmen, damit sie ihm in die Augen schauen kann beim Sprechen. Er schlägt ihr vor, sich doch auf den Stuhl zu stellen.

Der Nachmittag ist noch früh, die Pilger fallen in die zwei, drei Kneipen ein wie Fliegen. Ein Kas de limón auf Eis auf der Terrasse, während im Innern die Einheimischen wilde Kartenspiele spielen. Linda und ich sitzen da, brüten vor uns hin, trotz Schattenplatz, weitere Pilger haben sich die Kneipe ausgeguckt und setzen sich. Doch plötzlich wird einfach die Tür verschlossen. Es gibt nichts mehr. Dicht.

Unser Abendbrot: Brot, reichlich Wein, Käse, Oliven, hausgemachter Gurkensalat von Pascal, Sardellen und anderthalb neue Pilgergesichter. Freddy ward bereits in Deba gesichtet, eigentlich Brite, aufgewachsen in Madrid. Leicht verpeilt, flotten Schritts und unermüdlich. Roberto, man hat ihn bestohlen, erzählt er uns, unsere Einladung an unserem festlichen Mahl teilzunehmen, will er zunächst nicht nachkommen, irgendwann hat er doch noch ein Glas Wein in der Hand. Catalina schlägt uns den Alkohol tatsächlich aus, ihr reicht das Gespräch. Sie beneidet uns ein wenig, morgen wieder weiterziehen zu können. Nächste Woche geht auch sie so weit sie ihr einwöchiger Urlaub trägt. Einmal Pilger, immer Pilger. Es wird spät. Angeschwipst nach einem gemeinsamen Lachanfall fallen wir in unsere Hochbetten. 

1 Kommentar:

  1. Das Abendessen war nicht nur für Pilgerverhältnisse üppig! Aber das Beste am Essen war tatsächlich die ausgesprochen gute Laune, die alle neben dem guten Appetit mit an den Tisch brachten.

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