Der heutige Morgen ist eindeutig von Zeichen bestimmt. Der Bäcker
bietet zwar kein Frühstück, wie die Verkäuferin im Supermarkt gestern
angekündigt hatte, dafür Croissants und frisches Brot zum Mitnehmen.
Sehr weit
kommen wir nicht, obwohl uns hier Eichenblätter anstatt Muscheln den Weg nach Santiago weisen. Als Linda und ich vor der Guernica-Replik aus Kacheln stehen,
ist es fast schon 8 Uhr. Und prompt bestätigt der Kirchschlag uns die späte
frühe Stunde. An der Ecke befindet sich das medizinische Zentrum der Stadt. Nun
gut. Ein wenig wider Willen stelle ich mich in die Schlange. Dank der
europäischen Krankenkassenkarte läuft alles glatt.
Nur ein wenig warten
und dann empfängt mich die Ärztin Zorione Almetzi. Sehr freundlich und
überrascht von meinem guten Spanisch sieht sie sich meine Zehen an. Denn es
haben sich nicht nur unzählige wässernde Blasen an meinen Füßen gebildet. Nein,
drei von meinen Fußnagelbetten haben sich tief blau verfärbt. Einer der Nägel
löst sich schon fast, so sehr hat es sich entzündet. Beim Laufen merke ich das
zwar kaum, doch ein wenig besorgniserregend sieht das Ganze schon aus. Zorione
ist der Ansicht, dass sie wohl allesamt abfallen werden, was aber nicht weiter
schlimm sei, sie empfiehlt mir, die nächsten Tage möglichst wenig zu laufen und
wenn, dann mit Sandalen. Eine Krankenschwester gibt mir noch ein, zwei
Utensilien, damit ich die betroffenen Zehen wenigstens ein bisschen abpolstern
kann.
Wieder an der frischen Luft, stolpern Linda und ich fast automatisch ins
nächste Café. Dort frühstücken wir jetzt doch noch vernünftig. Torta de arroz
und einen wohlschmeckenden café con leche. Noch ein Blick auf die Kirche und
wir starten in den Tag. Die letzten vier Kilometer von Larrabetzu aus bis nach Lezama laufe ich
tatsächlich in Sandalen, da es nur noch an der Straße entlang geht. In der
Mittagshitze kommen wir in dem Örtchen mit nur einem Kauflädchen an, das auch
nur bis 15 Uhr geöffnet hat. An der Herberge türmen sich bereits Wanderrucksäcke
und -schuhe. Optimistisch wie wir sind, reihen wir uns ein. Im Schatten hinterm
Haus: bekannte und unbekannte Gesichter. Nahrungssuche im Supermarkt. Zwei
Flaschen hiesigen Rotweins, Brot haben wir ja noch, und Pascal schmeißt auch
noch allerlei aus seinen Vorräten fürs abendliche Pilgermal dazu.
Doch erst
einmal lerne ich Bill Walker kennen. Bill ist US-Amerikaner, hat schon einige Bücher
übers Wandern geschrieben, in Lateinamerika Englisch unterrichtet und
redet gerne. Das „größte“ Merkmal ist tatsächlich seine Größe: stolze 2,13
Meter. Schlaksig dazu. Linda hatte ihn bereits kennen gelernt und ihm seine
Hose geflickt. Im Gepäck hat er seinen Neffen Gavin. Wuschelköpfig, schweigsam
und kamerabehangen. Seit fünf Wochen sind die beiden bereits unterwegs. In
Frankreich ging die Reise los.
Zurück an der Herberge treffen wir immer mehr Menschen, unter anderem
auch Víctor und Aitor, unsere Zimmergenossen der letzten Nacht, die erst um elf
Uhr losgelaufen sind, nachdem sie nachts irgendwann partytrunken und
mäuschenstill ins Vierbett-Zimmer geschlichen sind. Catalina steht vor uns, die
Freiwillige, die die Herberge die nächste Woche über betreut. Pilgerpässe
werden eingesammelt. 18 Betten gibt es, der Rest kann in der Freiluftsporthalle nächtigen. Linda und ich sind Nummer 17 und 18. Glück gehabt. In der Herberge
tönt Musik aus dem CD-Spieler, unsere Wäsche wird gewaschen, wir müssen uns nur
ums Aufhängen kümmern. Dann stehen sich Catalina und Bill gegenüber. Sie, etwa
1,50 Meter klein, bittet ihn doch auf einem Stuhl Platz zu nehmen, damit sie
ihm in die Augen schauen kann beim Sprechen. Er schlägt ihr vor, sich doch auf
den Stuhl zu stellen.
Der Nachmittag ist noch früh, die Pilger fallen in die zwei, drei
Kneipen ein wie Fliegen. Ein Kas de limón auf Eis auf der Terrasse, während im
Innern die Einheimischen wilde Kartenspiele spielen. Linda und ich sitzen da,
brüten vor uns hin, trotz Schattenplatz, weitere Pilger haben sich die Kneipe
ausgeguckt und setzen sich. Doch plötzlich wird einfach die Tür verschlossen.
Es gibt nichts mehr. Dicht.
Unser Abendbrot: Brot, reichlich Wein, Käse, Oliven, hausgemachter
Gurkensalat von Pascal, Sardellen und anderthalb neue Pilgergesichter. Freddy
ward bereits in Deba gesichtet, eigentlich Brite, aufgewachsen in Madrid.
Leicht verpeilt, flotten Schritts und unermüdlich. Roberto, man hat ihn
bestohlen, erzählt er uns, unsere Einladung an unserem festlichen Mahl
teilzunehmen, will er zunächst nicht nachkommen, irgendwann hat er doch noch
ein Glas Wein in der Hand. Catalina schlägt uns den Alkohol tatsächlich aus, ihr
reicht das Gespräch. Sie beneidet uns ein wenig, morgen wieder weiterziehen zu
können. Nächste Woche geht auch sie so weit sie ihr einwöchiger Urlaub trägt.
Einmal Pilger, immer Pilger. Es wird spät. Angeschwipst nach einem gemeinsamen Lachanfall fallen wir in unsere
Hochbetten.
Das Abendessen war nicht nur für Pilgerverhältnisse üppig! Aber das Beste am Essen war tatsächlich die ausgesprochen gute Laune, die alle neben dem guten Appetit mit an den Tisch brachten.
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