Der Morgen beginnt mit mehr Kraft als der gestrige Abend geendet ist.
Eine großer Pilgertrupp beginnt den Morgen mit Sonnenaufgang. Die ersten
Kilometer verläuft der Jakobsweg am Meer. Erst in Ontón verlasse ich es und
entscheide mich, den längeren Weg nach Castro-Urdiales einzuschlagen, da ich
keine Lust auf Straße habe. Viele ziehen die 7 Kilometer kürzere Strecke vor,
nur einige wenige, wie Gabriel, Pascal und auch Paweł, wandern durch
Eukalyptuswälder und kleine Dörfchen. Ohne dass ich es merke, ziehe ich an
Gabriel vorbei, meine Beine verspüren eine plötzliche Lust zu laufen. Der
Anstieg über einen rutschigen Waldweg schaffe ich ohne Pause und wundere mich
erst oben als Paweł mir eine Wasserflasche entgegen hält, über mein Tempo. Viel
Schatten schützt gegen die noch immer vorherrschende Hitze. Ein Picknick im
Wald. Jeder läuft für sich alleine, doch bei Pausen treffen wir uns immer
wieder. An was ich so denke? Eigentlich gibt es keine tiefgründigen Gedanken.
Noch immer kreisen sie oft um den mir noch immer nicht ersichtlichen Grund,
mich dazu entschieden zu haben, diese Tortur auf mich zu nehmen.
Kurz vor dem Ziel, zumindest glaube ich das, steht Paweł plötzlich im
Vorgarten einer älteren Kantabrierin, gänzlich unbemerkt habe ich die
Grenze zwischen dem Baskenland und Kantabrien überquert. Hier haben die Orte
wieder aussprechbare Namen und ich verstehe wieder, was auf der Straße
gesprochen wird. Da steht der junge Pole mit dem Gartenschlauch in der Hand und
gießt Blumen. Dann kommt die ältere Dame wieder aus dem Haus und drückt ihm seine
frisch gefüllte Wasserflasche und kühlschrankkalte Früchte in die Hand, in der
er nicht den Schlauch hält. Als sie uns sieht, eilt sie zurück ins Haus, um
auch uns mit Nektarinen und Pfirsichen einzudecken. Frohen Mutes laufen wir
zusammen weiter.
Die Sonne knallt, die Füße werden schwer. Die Herberge
befindet sich am anderen Ende der an der Küste langgezogenen Kleinstadt. Müde
und kraftlos trotte ich hinter Gabriel her. Die Pfeile sind verschwunden und
wir bald auch, wenn wir nicht schleunigst nach dem Weg fragen. Wir werden von A nach B
nach C geschickt und zurück. Bis eine Expilgerin Erbarmen mit uns hat und uns
beinahe bis zur Schlafmöglichkeit
begleitet. Unter dem Schatten des einzigen Baumes breche ich fast
zusammen. Cristina aus Madrid bietet mir ein kühles Bier an. Wir kommen ins
Gespräch, sie scheint Eine aus der lauten Spaniergruppe zu sein. Auch Francesc klinkt
sich ein.
Boris und Guilia braten sich in der Sonne. Eigentlich hätte ich noch
bis zur nächsten Herberge 10 Kilometer weiter laufen wollen, doch das geht
nicht und ist auch gut so. Selbst das Meer lasse ich links liegen, genauso wie
die schicke Altstadt und deren Burg. Ich bin am Ende. Zumindest esse ich noch mit
Gabriel ein letztes Mal zu Abend, da er morgen zurück nach Madrid muss – die
Arbeit ruft. Es gibt so einige, die den Jakobsweg in Etappen laufen. Jedes Mal
ein bisschen weiter. Jahr für Jahr. So lange es eben braucht, um bis nach
Santiago de Compostela zu kommen. Auch Heinz, der durchgeplante Wanderer gesellt
sich dazu. Wie sehr man sich immer von Erzählungen oder dem Äußeren oder gar
lapidaren Äußerungen täuschen lässt. Auf dem Jakobsweg erfährt man viel über
die unterschiedlichsten Menschen und über ihre Gründe diesen zu gehen.
Ich gehe früh schlafen, um morgen früh der Hitze zu entkommen.
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