Montag, 22. Oktober 2012

Laufen lernen - Tag 10


Der Morgen beginnt mit mehr Kraft als der gestrige Abend geendet ist. Eine großer Pilgertrupp beginnt den Morgen mit Sonnenaufgang. Die ersten Kilometer verläuft der Jakobsweg am Meer. Erst in Ontón verlasse ich es und entscheide mich, den längeren Weg nach Castro-Urdiales einzuschlagen, da ich keine Lust auf Straße habe. Viele ziehen die 7 Kilometer kürzere Strecke vor, nur einige wenige, wie Gabriel, Pascal und auch Paweł, wandern durch Eukalyptuswälder und kleine Dörfchen. Ohne dass ich es merke, ziehe ich an Gabriel vorbei, meine Beine verspüren eine plötzliche Lust zu laufen. Der Anstieg über einen rutschigen Waldweg schaffe ich ohne Pause und wundere mich erst oben als Paweł mir eine Wasserflasche entgegen hält, über mein Tempo. Viel Schatten schützt gegen die noch immer vorherrschende Hitze. Ein Picknick im Wald. Jeder läuft für sich alleine, doch bei Pausen treffen wir uns immer wieder. An was ich so denke? Eigentlich gibt es keine tiefgründigen Gedanken. Noch immer kreisen sie oft um den mir noch immer nicht ersichtlichen Grund, mich dazu entschieden zu haben, diese Tortur auf mich zu nehmen.

Kurz vor dem Ziel, zumindest glaube ich das, steht Paweł plötzlich im Vorgarten einer älteren Kantabrierin, gänzlich unbemerkt habe ich die Grenze zwischen dem Baskenland und Kantabrien überquert. Hier haben die Orte wieder aussprechbare Namen und ich verstehe wieder, was auf der Straße gesprochen wird. Da steht der junge Pole mit dem Gartenschlauch in der Hand und gießt Blumen. Dann kommt die ältere Dame wieder aus dem Haus und drückt ihm seine frisch gefüllte Wasserflasche und kühlschrankkalte Früchte in die Hand, in der er nicht den Schlauch hält. Als sie uns sieht, eilt sie zurück ins Haus, um auch uns mit Nektarinen und Pfirsichen einzudecken. Frohen Mutes laufen wir zusammen weiter. 

Die Sonne knallt, die Füße werden schwer. Die Herberge befindet sich am anderen Ende der an der Küste langgezogenen Kleinstadt. Müde und kraftlos trotte ich hinter Gabriel her. Die Pfeile sind verschwunden und wir bald auch, wenn wir nicht schleunigst nach dem Weg fragen. Wir werden von A nach B nach C geschickt und zurück. Bis eine Expilgerin Erbarmen mit uns hat und uns beinahe bis zur Schlafmöglichkeit  begleitet. Unter dem Schatten des einzigen Baumes breche ich fast zusammen. Cristina aus Madrid bietet mir ein kühles Bier an. Wir kommen ins Gespräch, sie scheint Eine aus der lauten Spaniergruppe zu sein. Auch Francesc klinkt sich ein.

Boris und Guilia braten sich in der Sonne. Eigentlich hätte ich noch bis zur nächsten Herberge 10 Kilometer weiter laufen wollen, doch das geht nicht und ist auch gut so. Selbst das Meer lasse ich links liegen, genauso wie die schicke Altstadt und deren Burg. Ich bin am Ende. Zumindest esse ich noch mit Gabriel ein letztes Mal zu Abend, da er morgen zurück nach Madrid muss – die Arbeit ruft. Es gibt so einige, die den Jakobsweg in Etappen laufen. Jedes Mal ein bisschen weiter. Jahr für Jahr. So lange es eben braucht, um bis nach Santiago de Compostela zu kommen. Auch Heinz, der durchgeplante Wanderer gesellt sich dazu. Wie sehr man sich immer von Erzählungen oder dem Äußeren oder gar lapidaren Äußerungen täuschen lässt. Auf dem Jakobsweg erfährt man viel über die unterschiedlichsten Menschen und über ihre Gründe diesen zu gehen.

Ich gehe früh schlafen, um morgen früh der Hitze zu entkommen.

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