Donnerstag, 25. Oktober 2012

Laufen lernen - Tag 13


Heute heißt es Abschied nehmen. Vor gar nicht allzu langer Zeit wollte ich lieber einen Bogen um die größere Spanierpilgertruppe machen. Doch sie sind mir in dieser kurzen Zeit, die mir wie eine halbe Ewigkeit erscheint, sehr ans Herz gewachsen. Vor allem Paula, die mir zum Abschied ihre Jakobsmuschel mit dem von Albert darauf gemalten Schwertsymbols überlässt. Erst jetzt sei ich wirklich eine Pilgerin. Santander, die Hauptstadt Kantabriens, ist die letzte Station für Albert, Xavier, Marc und Paula.

Nach einer schlafärmeren Nacht als erwartet, aufgrund von zwei schnarchenden Personen im Zimmer, die mindestens den gesamten kantabrischen Wald abgesägt haben, einem Im-Schlaf-Debattierer und einem Mitpilger, der ganz oben im Stockbett nächtigte und seinen Wecker ganz unten auf dem Boden gegen 5 Uhr endlos klingeln ließ. Auch das gehört zum Pilgeralltag: Ruhe bewahren, obwohl man nichtgenügend davon hatte.

Ein gemeinsames Frühstück, Fotos vom vernebelten Bergmorgen und der Abschied von Padre Ernesto. Die Strecke heute bis nach Santander ist recht kurz. Zu Beginn noch ist es Straße, doch schon im nächsten Ort, Galizano, kommen wir zurück ans Meer. Mit katalanischen Liedern im Ohr, in eigenem Tempo genieße ich den ausschlaggebenden Punkt dieses Abenteuers: die Gesellschaft des Meeres.
In Deutschland wäre das alles bestimmt sehr gut abgesichert, Zäune aufgespannt, Warnschilder aufgestellt. Doch hier können wir getrost direkt am Abgrund entlang wandern.

Das gläserne Wasser liegt türkis da. Am Playa de Langre machen wir Rast, ich schreibe die Erlebnisse der letzten Tage nieder, während  am recht verlassenen Strand der Tag erwacht und die Golfbälle fliegen. Der Blick gen Horizont gerichtet, der mit dem Meeresrand verschwindet, das beinahe gleichmäßige Wellenrauschen im Ohr, durch die Finger rieselt feiner beigefarbener Sand. Die Verlockung ist groß: Hier von den Klippen ins tiefe Blau stürzen.

Wir ziehen weiter und machen schon fast wieder Halt. Am Strand von Somo. Auch wenn uns ein jakobswegkundiger Herr mit Nachdruck erläutert, dass der Weg nicht über den Strand führt., sondern oben entlang der Hügelkette. Wir entledigen uns unserer Wanderstiefel und streifen durch den Sand, springen in die kühlen Plätscherwellen der Bucht Santanders.

Langsam und widerwillig legen wir unsere Wandersachen wieder an, nur die Schuhe binde ich mir dieses Mal an den Rucksack, an dem sie von nun an baumeln werden. Das Gewicht des vor Tagen erleichterten Gepäcks auf den Schulter drückt meine Fußsohlen noch ein Stück weiter in den kühlen, feuchten Sand. In den Miniwellen tummeln sich viele kleine grüne Wesen, Frösche könnte man meinen, doch es sind Kinder jeden Alters in neongrünen Neoprenanzügen auf ihren kleinen Surfbrettern.

Als wir an der Strandpromenade ankommen, entdecke ich, dass sich mein Fußnagel löst, es gibt Schöneres. Die Überfahrt von Somo nach Santander zum Beispiel. Der Wind zerzaust mir die Haare, die Stadt kommt immer näher. 180.000 Einwohner, das ist deutlich mehr als die kleinen Örtchen, die uns seit Bilbao über den Weg gelaufen sind. Gewöhnungsbedürftig. Erst einmal ausruhen und dann die Stadt ein wenig erkunden. Wir haben unterschiedliche Unterkünfte gefunden, da es auch hier in Santander einmal mehr keine Pilgerherberge gibt.

Ein Anwohner verklärt mir den Weg zur Kathedrale und erläutert mir dann noch gewissenhaft weitere touristische Ziele in der Umgebung, die ich zu Fuß jedoch sicherlich nicht erreichen werde. Am Ziel werde ich schon erwartet. Ein kurzer Blick noch in die monumentale Kirche und einmal den Pilgerpass gezückt, erhalte ich auch einen Stempel. Ich spreche eine Weile mit dem jungen Mann, der meinem Pilgerpass den 14. Stempel verpasst. Unsere spanischen Akzente ähneln sich ein wenig. Ich frage nach seiner Herkunft. Cali, Kolumbien. Sie sind einfach überall...

Ein wenig ziellos ziehe ich mit den anderen durch die Stadt, philosophiere mit Francesc und Víctor über Politik und kulturelle Unterschiede. Wir essen pintxos (keine tapas, wie mir lang und breit erklärt wird) und streunen weiter durch die Innenstadt zur nächsten pintxos-Bar. Obwohl es nur kleine Portionen sind, kugele ich abends ins Bett.

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