Heute heißt es Abschied nehmen. Vor
gar nicht allzu langer Zeit wollte ich lieber einen Bogen um die größere
Spanierpilgertruppe machen. Doch sie sind mir in dieser kurzen Zeit, die mir
wie eine halbe Ewigkeit erscheint, sehr ans Herz gewachsen. Vor allem Paula,
die mir zum Abschied ihre Jakobsmuschel mit dem von Albert darauf gemalten
Schwertsymbols überlässt. Erst jetzt sei ich wirklich eine Pilgerin. Santander,
die Hauptstadt Kantabriens, ist die letzte Station für Albert, Xavier, Marc und
Paula.
Nach einer schlafärmeren Nacht als
erwartet, aufgrund von zwei schnarchenden Personen im Zimmer, die mindestens
den gesamten kantabrischen Wald abgesägt haben, einem Im-Schlaf-Debattierer und
einem Mitpilger, der ganz oben im Stockbett nächtigte und seinen Wecker ganz
unten auf dem Boden gegen 5 Uhr endlos klingeln ließ. Auch das gehört zum
Pilgeralltag: Ruhe bewahren, obwohl man nichtgenügend davon hatte.
Ein
gemeinsames Frühstück, Fotos vom vernebelten Bergmorgen und der Abschied von
Padre Ernesto. Die Strecke heute bis nach Santander ist recht kurz. Zu Beginn
noch ist es Straße, doch schon im nächsten Ort, Galizano, kommen wir zurück ans
Meer. Mit katalanischen Liedern im Ohr, in eigenem Tempo genieße ich den
ausschlaggebenden Punkt dieses Abenteuers: die Gesellschaft des Meeres.
In Deutschland wäre das alles
bestimmt sehr gut abgesichert, Zäune aufgespannt, Warnschilder aufgestellt.
Doch hier können wir getrost direkt am Abgrund entlang wandern.
Das gläserne Wasser liegt türkis
da. Am Playa de Langre machen wir Rast, ich schreibe die Erlebnisse der letzten
Tage nieder, während am recht
verlassenen Strand der Tag erwacht und die Golfbälle fliegen. Der Blick gen
Horizont gerichtet, der mit dem Meeresrand verschwindet, das beinahe
gleichmäßige Wellenrauschen im Ohr, durch die Finger rieselt feiner beigefarbener
Sand. Die Verlockung ist groß: Hier von den Klippen ins tiefe Blau stürzen.
Wir ziehen weiter und machen schon
fast wieder Halt. Am Strand von Somo. Auch wenn uns ein jakobswegkundiger Herr
mit Nachdruck erläutert, dass der Weg nicht über den Strand führt., sondern
oben entlang der Hügelkette. Wir entledigen uns unserer Wanderstiefel und
streifen durch den Sand, springen in die kühlen Plätscherwellen der Bucht
Santanders.
Langsam und widerwillig legen wir
unsere Wandersachen wieder an, nur die Schuhe binde ich mir dieses Mal an den
Rucksack, an dem sie von nun an baumeln werden. Das Gewicht des vor Tagen
erleichterten Gepäcks auf den Schulter drückt meine Fußsohlen noch ein Stück
weiter in den kühlen, feuchten Sand. In den Miniwellen tummeln sich viele
kleine grüne Wesen, Frösche könnte man meinen, doch es sind Kinder jeden Alters
in neongrünen Neoprenanzügen auf ihren kleinen Surfbrettern.
Als wir an der Strandpromenade
ankommen, entdecke ich, dass sich mein Fußnagel löst, es gibt Schöneres. Die
Überfahrt von Somo nach Santander zum Beispiel. Der Wind zerzaust mir die
Haare, die Stadt kommt immer näher. 180.000 Einwohner, das ist deutlich mehr
als die kleinen Örtchen, die uns seit Bilbao über den Weg gelaufen sind. Gewöhnungsbedürftig.
Erst einmal ausruhen und dann die Stadt ein wenig erkunden. Wir haben
unterschiedliche Unterkünfte gefunden, da es auch hier in Santander einmal mehr
keine Pilgerherberge gibt.
Ein Anwohner verklärt mir den Weg
zur Kathedrale und erläutert mir dann noch gewissenhaft weitere touristische
Ziele in der Umgebung, die ich zu Fuß jedoch sicherlich nicht erreichen werde.
Am Ziel werde ich schon erwartet. Ein kurzer Blick noch in die monumentale
Kirche und einmal den Pilgerpass gezückt, erhalte ich auch einen Stempel. Ich
spreche eine Weile mit dem jungen Mann, der meinem Pilgerpass den 14. Stempel
verpasst. Unsere spanischen Akzente ähneln sich ein wenig. Ich frage nach
seiner Herkunft. Cali, Kolumbien. Sie sind einfach überall...
Ein wenig ziellos ziehe ich mit
den anderen durch die Stadt, philosophiere mit Francesc und Víctor über Politik
und kulturelle Unterschiede. Wir essen pintxos (keine tapas, wie mir lang und
breit erklärt wird) und streunen weiter durch die Innenstadt zur nächsten pintxos-Bar. Obwohl es nur kleine Portionen sind, kugele ich abends ins Bett.
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