Ohne weitere Absprache laufen Juan
Carlos und ich zusammen. Das klappt ziemlich gut, das Tempo jedes Einzelnen
passt gut zu dem des Anderen, es gibt Momente in denen wir gemeinsam lachen,
reden, herumblödeln, aber auch solche, in denen jeder für sich ist und seinen
eigenen Gedanken nachhängt.
Feuchte Unterwäsche am Morgen, der
wieder recht spät beginnt, obwohl wir uns vorgenommen hatten, um sechs Uhr
aufzustehen. Der Küstenpfad führt uns zu einem verfallenen Kloster, San Antolín de
Bedón. Mit Stacheldraht beschützt liegt es in waldigem Gestrüpp. An solchen
Orten sollten Pilgerherbergen eingerichtet werden. Ein wenig erkunden muss ich
das ganze schon und erschrecke mich als sich in den bewachsenen Ruinen
plötzlich etwas regt. Ins Dunkle hineinstarrend erkenne ich wackelnde
Pferdehinterteile.
Kurz darauf kommen wir am
gleichnamigen Strand vorbei, er schreit so langgezogen wie er ist förmlich:
Hier geblieben! Wir lassen uns nicht umstimmen, wir wollen heute bis nach
Esteban de Leces. Der Weg bis dahin geht sich nicht von alleine. Bis nach
Nuevas kommen wir gut voran, dann werden die Pausen immer öfter und länger. Meine Füße schmerzen und sind bis aufs Äußerste angespannt. Die Sorgenfalte auf Juan
Carlos’ Stirn wird immer tiefer. Doch ich behaupte es zu schaffen. In Cuerres
nehmen zwei Deutsche Pilger gegen eine kleine Spende bei sich auf. Aber nein,
ich will weiter. Alles halb so schlimm, denke ich mir. Und tatsächlich, wenig
später verspüre ich einen gewaltigen Engergieschub. Der Kopf scheint sich vom
Körper zu lösen. Mein Wegbegleiter hat Mühe mitzuhalten bei dem Tempo. Aber ich
weiß ganz genau, wenn ich auch nur einen Zahn zurückschraube oder gar anhalte,
ist es vorbei. Also presche ich voran.
Bis ich kurz vor Ribadesella halten
muss, um etwas zu trinken. Ein Baum spendet ein wenig Schatten und das war’s
dann tatsächlich mit der Geschwindigkeit. In Ribadesella halten wir an einer
Bar, stellen unser Gepäck ab. Bei der üblichen Zitronenlimonade auf Eis merke
ich, wie erschöpft mein Körper ist. Nicht nur von dem heutigen Gewaltmarsch
hierher. Es sind die ganzen 400 Kilometer, die ich meinem Körper bereits
angetan habe. Etwa die Hälfte des Weges liegt hinter mir und mein Körper
rebelliert. Bei unserem Einkauf, die Herberge in San Esteban de Leces ist fast
das einzige Gebäude auf dem noch fünf Kilometer entfernten Anstieg und es gibt
kein Supermarkt in der Nähe, stoßen wir auf Freddy und Miriam. Es ist schon
reichlich spät, etwa 16.30 Uhr und auch die beiden sind am Ende. Dennoch sind
sie schneller als ich.
Wir laufen über die Strandpromenade, der Jakobsweg will
es so, das Meer rauscht, mein Kopf auch. Kurzerhand halte ich meinen Kopf unter
eine der vielen Duschen. Die Blicke nehme ich schon gar nicht mehr wahr. Immer
mehr benehme ich mich wie ein kleines Kind, würde am liebsten etwas zerstören,
fühle eine Wut in mir aufsteigen, von der ich nicht weiß, wogegen sie sich
tatsächlich richtet. Die ersten letzten Kilometer funktionieren trotz der
aggressiven Grundstimmung noch. Dann kommt der letzte Anstieg. Juan Carlos
bringt mich immer wieder zum Lachen. Innerlich weine ich bereits. Dann. Der
Zusammenbruch. Ich sitze da und schluchze, ich kann nicht mehr, habe Probleme
zu atmen, das Gefühl einer elendigen Müdigkeit überkommt mich, mir ist
schwindelig. Eine lange Pause.
Dann überlegen wir, wie es weitergehen könnte.
Zurück nach Ribadesella, ein Hotel. Ein Taxi bis zur Herberge. Ich beruhige
mich, Juan Carlos nimmt meinen Rucksack Huckepack, drückt mir meinen
Wanderstock in die Hand und ganz langsam, Schritt für Schritt gehen wir
bergauf. Alle 200 Meter muss ich Halt machen, es geht nicht. Selbst die
Notration Schokolade hilft nichts und auch die widerliche Glukosemischung zeigt
keinerlei Wirkung. Schnell ist wirklich etwas anderes. Ich zwinge mich zu jedem
Schritt. Von oben kommt ein Auto, die Insassen sehen, dass da etwas nicht
stimmt, kurbeln das Fenster herunter und rufen uns zu, bis zur Herberge sei es
nicht mehr weit, nur noch ein Kilometer. Großartig. Das dauert in diesem Tempo
noch mindestens eine Stunde. Noch ein Schritt, und noch ein Schritt. Ich habe das
Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, muss mich setzen, will nicht mehr weiter.
Es fehlen noch vierhundert Meter, vielleicht. Ich bin blass um die Nase, muss
würgen, doch übergeben kann ich mich nicht. Ein Pilger kommt an uns vorbei,
fragt kurz, ob es mir gut geht, ich schaue ihn nur an, das dürfte mehr sagen
als jedes Wort. Er eilt weiter, damit er ja noch ein Bett in der Herberge
bekommt. Juan Carlos hat sich mittlerweile um eine Transportmöglichkeit bemüht.
Mit Sack und Pack fährt mich eine Anwohnerin die letzten Meter zur Herberge.
Dort sitze ich dann in der Sonne, kann mich nicht mehr bewegen. Die hospitalera
ist besorgt, bringt mir ein Glas Zuckerwasser, das ich zur Hälfte
hinunterwürge. Ich werde halb ins Bett getragen. Erst ist mir heiß, dann bitterkalt.
Ich bitte um eine Decke und werde mit guten Ratschlägen von all den anwesenden
Pilgern überhäuft. Noch nicht einmal den Weg zum Bad schaffe ich.
Ich versinke in einem tiefen
traumlosen Schlaf.
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