Früh am Morgen haben Albert und
ich vor, uns aus dem Zimmer zu schleichen. Um sieben Uhr fährt der Bus nach
Santoña. Die schönere Variante wäre das Übersetzen mit der Fähre gewesen, doch
die verlässt den Hafen an einem Sonntagmorgen wie diesem erst um 9 Uhr und das
ist in Anbetracht der anstehenden Hitze und Kilometerzahl nicht wirklich ideal.
Obwohl wir still und leise sind, wacht der Herr auf und klettet sich an uns. Und
ein weiterer Moment, der mich diesen Herrn nicht mögen lässt: Leise öffne ich
die Tür zum Schlafraum, um ihn nicht zu wecken. Doch, wie gesagt, er ist schon
wach. Er guckt mich an, als ob er etwas von mir, völlig schlaftrunken, erwarte.
Sein Kommentar: In Spanien würde man als erstes Guten Morgen sagen.
Am Busbahnhof dann die nächste
Überraschung. Ein Heer von Betrunkenen will in denselben Bus einsteigen wie
wir. Der erste um 6 Uhr abfahrende Bus war wohl so voll, dass etwa die Hälfte
auf den nächsten warten musste. Prost Mahlzeit! Lallende Spanier faseln von der
überlegenen deutschen Rasse und machen mich ein wenig verlegen. In Santoña
warten Xavier, Marc, Víctor, Paula, Francesc und Cristina auf uns. Im Gehen
frühstücken Albert und ich – dafür war dann beim Aufstehen doch keine Zeit
mehr.
Fabrikgelände, Fischgeruch und
Straßenlärm – die schönen Seiten des Jakobsweges? Nein, sicherlich nicht,
dennoch ist auch das Teil unseres Lebens, warum dann nicht auch vom Camino?
Wenig später erklimmen wir die
sandige Felsnase El Brusco, die den Playa de Berria und den Playa de Noja
voneinander trennt. Für einen Moment lasse ich alle weiterziehen und genieße
die kurze Stille, das Säuseln des Meereswindes. Einige Radpilger schleppen
tatsächlich ihre Räder durch dieses unwegsame Gelände. Und dann pilgern wir am
Strand, der Sand unter meinen dicken Wanderschuhen knirscht in großen Maßen und
Felsgetüme ragen aus dem kristallklaren Wasser. Wir tauschen ein paar Blicke
aus und gönnen uns nach knapp einer Stunde die schönste Pause des gesamten Weges.
Schnell die Badesachen an und rein ins Meer. Der Grund ist selbst bei zehn
Meter Wassertiefe noch sichtbar. So treiben wir vor uns hin, schwimmen,
paddeln, tauchen und verlieren dabei fast das heutige Ziel aus den Augen.
Widerwillig brechen wir auf. So wandern wir weiter. Mit unserer Wanderkleidung,
den Rucksäcken und den schweren Schuhen an den Füßen fallen wir dem sonst in
Bikini oder Badehose gekleideten Publikum auf. Da wird man glatt zur
Touristenattraktion.
Güemes, wo bist du? Die Hitze
macht mir mehr als dem Rest zu schaffen, ich beneide selbst die abgemagerten
Kühe am Wegesrand um ihren einzigen Baum als Schattenspender. Trotz Hut auf dem
Kopf und stetiger Wasserzufuhr ist jeder Anstieg einer zu viel. Die Jungs
ziehen das Tempo an, und selbst Albert mit seinen Knieproblemen meistert die
Strecke ohne zu murren. Ich versuche mitzuhalten. Das klappt auch, bis selbst
Paula nicht mehr kann. Die letzten Kilometer durch eine sehr dörfliche Gegend,
Hühner und Ziegen teilen sich die Straße, in einem Garten hinter einem der
Bauernhäuser findet ein Familienfest statt mit allerlei Leckereien.
Das erlösende Schild: nur noch 800
Meter bis zur Herberge von Padre Ernesto. Um es vorweg zu nehmen, es ist die
schönste, beste, tollste Herberge des ganzen Jakobsweges. Herzlich werden wir
empfangen. Zunächst ein Glas Wasser, dann wird uns unser Zimmer gezeigt.
Robuste, hölzerne Drei-Stockbetten mit guten Matratzen, einer Toilette auf dem
Zimmer, selbst in den Duschen gibt es richtig heißes Wasser, Duschgel und
Shampoo. Ist das noch eine Herberge oder nicht schon ein halbes Hotel?
Zum Mittag gibt es einen enormen
Salat, Nudeln, Brot, Wasser und Wein. Keine Nahrungssuche also nötig (und auch
gar nicht möglich an einem Sonntag in so einem abgeschiedenen Ort). Nur die
Wäsche waschen und zum Trocknen aufhängen nimmt mir niemand ab.
Unglaublich viele bekannte
Gesichter sehe ich hier wieder. Eva und ihr Vater, für die fast schon Schluss
ist. Selbst der bereits verschollen geglaubte Roberto kommt spätabends noch an
der Herberge an.
In der kleinen Dorfkirche findet
ein Konzert statt. José Ignacio H. Toquero spielt Gitarrenmusik, für den
Jakobsweg oder vom Jakobsweg inspirierte Titel. Mit dem Kleintransporter
werden alle Pilger, an die sechzig aus etwa zehn unterschiedlichen Ländern sind mittlerweile hier eingetroffen (wo auch
immer die plötzlich alle herkommen), hinunter transportiert. Gesucht wird ein
Dolmetscher, ich versuche mich erst zu drücken, aber als sich einige der
bekannten Pilgergesichter sich meines Jobs erinnern, komme ich nicht drum
herum. Es ist auch nur die Einleitung von Padre Ernesto, der Schwierigkeitsgrad
was den Inhalt betrifft ist also gering, einzige Herausforderung die
Verdolmetschung vom Spanischen ins Englische. Doch für den Fall der Fälle habe
ich mir Freddy an die Seite geholt.
Nach dem nicht überwältigenden
aber doch schönen Konzert mit einem Großteil der Dorfgemeinschaft werden wir
wieder hochkutschiert. Auf uns warten schon etliche gedeckte Tische. Brot (und
Schinken), dann eine unwahrscheinlich gute paella und zum Nachtisch auch noch
eine tarta de quesada. Wein und Wasser. So schmeckt das Pilgerleben.
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